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2/11<br />

Aktueller Schwerpunkt:<br />

Fukushima


Inhalt / Fotos<br />

Inhalt<br />

Fotos<br />

Fotos<br />

Manuel Haider<br />

Manuel Haider . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2<br />

Technologie & Politik<br />

Wolfgang Kromp<br />

Fukushima – „technologisch undenkbar“<br />

Zwei mögliche Szenarien zur Gestaltung der Zukunft angesichts der Folgen<br />

des Erdbebens in Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3<br />

Udo E. Simonis<br />

Energiewende in Japan<br />

Chancen eines Exit aus der Atomtechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7<br />

Informations- & Kommunikationstechnologien (IKT)<br />

S<strong>and</strong>y Ross<br />

Think Before You Tweet: Improving Awareness of ICTs <strong>and</strong> Emissions.<br />

Why should we think critically about information <strong>and</strong><br />

communications technologies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10<br />

Gastredaktion<br />

Uwe Schneidewind, Manfred Fischedick, Dorle Riechert<br />

20 Jahre Transformationskompetenz.<br />

Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13<br />

Neue Biotechnologien<br />

Franz Seifert<br />

Bewegung ohne Grenzen<br />

Wie transnational ist die europäische Anti-Gentechnikbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . 17<br />

Frauen & Technik<br />

Andrea Wolffram<br />

Mobile Frauen in der Wissenschaft.<br />

Wissenschaftskarrieren im Kontext der Ost-West-Migration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19<br />

Aus dem IFZ<br />

Institute for Advanced Studies on Science, Technology <strong>and</strong> Society.<br />

Fellowship Programme 2012-2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22<br />

Critical Issues in Science <strong>and</strong> Technology Studies.<br />

10 th IAS-STS Annual Conference: 2 nd -3 rd May 2011. Graz, Austria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23<br />

International Symposium on “Engaging with Genomics.<br />

Comparing Modes of Social <strong>and</strong> Philosophical Research in the Life Sciences“ . . . . . . . . . 23<br />

Magazin<br />

Green Products . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24<br />

Biotech-News . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25<br />

Neue Bücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .26<br />

Neuer Leitfaden.<br />

„Nachhaltig H<strong>and</strong>eln im beruflichen und privaten Alltag“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26<br />

Conference: “Governing Futures. Imagining,<br />

Negotiating & Taming Emerging Technosciences” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27<br />

Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28<br />

Working People – Working Places<br />

Der Arbeitsalltag in den Niedriglohn -<br />

ländern Bolivien und China ist oftm<strong>als</strong><br />

fern von humanen Arbeitsbedingungen<br />

und europäischen St<strong>and</strong>ards. Ein geregelter<br />

Acht-Stunden-Tag ist hier den meisten<br />

Menschen fremd. Viele nutzen die Zeit in<br />

den öffentlichen Verkehrsmitteln, um sich<br />

ein wenig auszuruhen. Doch geschlafen<br />

wird oft auch direkt am Arbeitsplatz – und<br />

sei es zwischen herabhängenden Fleischkeulen<br />

in einer Markthalle.<br />

Sicherheitsvorschriften werden von vielen<br />

Firmen nachlässig beh<strong>and</strong>elt, so tragen die<br />

ArbeiterInnen der bolivarischen Nähfabrik<br />

beispielsweise bloß einen dünnen Mundschutz,<br />

um sich vor Dämpfen und Staub<br />

zu schützen.<br />

Der wirtschaftliche Aufstieg der beiden<br />

Länder wird mit Sicherheit auch die<br />

Arbeitsrealität verändern, fraglich ist<br />

jedoch, ob dieser auch menschenwürdigere<br />

Arbeitsbedingungen schafft.<br />

Manuel Haider,<br />

geboren 1979 in Ried im Innkreis,<br />

angehender Facharzt für<br />

Augenheilkunde,<br />

lebt und arbeitet in Linz.<br />

Kontakt:<br />

sankar@gmx.at<br />

Soziale Technik 2/2011<br />

2


Technologie & Politik<br />

Fukushima –<br />

„technologisch undenkbar“<br />

Zwei mögliche Szenarien zur Gestaltung der Zukunft<br />

angesichts der Folgen des Erdbebens in Japan<br />

Im Bericht Japans an die „Convention of Nuclear Safety“ des Jahres 2010 ist<br />

über die getroffenen Sicherheitsmaßnahmen zu lesen: „In Japan, through<br />

these measures, it is possible to reduce the potential for the occurrence of a severe<br />

accident to the extent that its actual occurrence would be technologically inconceivable.”<br />

Auf Deutsch heißt das in etwa: „In Japan ist durch diese Maß -<br />

nahmen möglich geworden, die Möglichkeit des Eintretens eines schweren<br />

Unfalls in einem Ausmaß zu verringern, dass ein tatsächliches Eintreten technologisch<br />

undenkbar wird.“<br />

Wolfgang Kromp<br />

ist Leiter des Instituts für Sicherheits- und Risikowissenschaften<br />

an der Universität für Bodenkultur<br />

Wien. 1975 bis 1991 Gastwissenschaftler am<br />

Max-Planck Institut in Stuttgart bzw. Gastprofessor<br />

an der Carnegie-Mellon University in Pittsburg,<br />

USA. Konrad-Lorenz-Preis 1991. Mitglied des<br />

Beratungsgremiums des Österreichischen Umweltministers<br />

„Forum für Atomfragen“. Anwendungs -<br />

orientierte werkstoffwissenschaftliche Forschung<br />

sowie interdisziplinäre Befassung mit Risikofragen<br />

zu gesellschaftlich relevanten Themen wie Risiken<br />

der Kernenergie, sozioökonomische Begleitforschung<br />

zur Kernfusion oder Risiken nachhaltiger<br />

Energiebereitstellung aus Biomasse und Wind<br />

sowie erdölfreie Nahrungsmittelproduktions -<br />

sicherheit.<br />

E-Mail: wolfgang.kromp@boku.ac.at<br />

Hätte nicht ein Erdbeben und ein Tsunami<br />

im März 2011 alles verändert, die Delegierten<br />

zur CNS-Sitzung in Wien im April 2011<br />

hätten den Bericht Japans wohlwollend zur<br />

Kenntnis genommen. Und hätte ein verirrter<br />

Skeptiker bei dieser Sitzung gefragt, ob<br />

man in der Lage sei, den gleichzeitigen<br />

Ausfall der Kühlung in mehreren Reaktorblöcken<br />

zu beherrschen, wäre ihm wohl mit<br />

dem Brustton der Überzeugung erklärt<br />

worden, dass solche Situationen nicht<br />

denkbar seien. Das Kraftwerk sei gegen<br />

Erdbeben und Tsunamis – <strong>als</strong> mögliche<br />

Auslöser – bestens geschützt.<br />

Die Wirklichkeit hat die ExpertInnen überholt:<br />

Am 11. März erschütterte zuerst ein<br />

Erdbeben unerwarteter Magnitude Japan,<br />

dann überrollte ein Tsunami mit Wellen<br />

jenseits der Berechnungen die Nordostküste<br />

Japans. Nur wenige Stunden später traten<br />

Kernschmelzen im Kernkraftwerk Fukushima<br />

auf, und das gleich in drei Blöcken –<br />

allerdings wurde dies erst nach 6 Wochen<br />

zugegeben. Dies gab den selben Fachleuten,<br />

die schon vorher nicht müde wurden, zu<br />

versichern, dass Kernkraftwerke sicher<br />

seien, die Möglichkeit, sich nochm<strong>als</strong><br />

öffentlich zu blamieren: In Medien weltweit<br />

versicherten sie, dass die Reaktoren, Druckbehälter<br />

und Confinements in Fukushima<br />

intakt seien und dass lediglich externe<br />

Systeme wie die Kühlung versagt hätten.<br />

Ein neuerlicher Beweis für die Robustheit<br />

und Sicherheit der Kernenergie.<br />

Vergleich mit Tschernobyl<br />

Den bisherigen Verlauf der Katastrophe von<br />

Fukushima versuche ich, wie viele <strong>and</strong>ere<br />

auch, an dem bisher größten Nuklearunfall<br />

und damit vermutlich größten Unfall der<br />

gesamten Technikgeschichte, der Katastrophe<br />

von Tschernobyl, zu messen. Ausgehend<br />

von den jeweils betroffenen Mengen<br />

an Kernbrennstoff unterschiedlichen Anreicherungsgrades<br />

hatten wir es in Tschernobyl<br />

mit 180 Tonnen zu etwas über 2 Prozent<br />

mit spaltbarem Uran angereichertem<br />

Brennstoff zu tun, in Fukushima mit vielleicht<br />

300 oder mehr Tonnen zu drei bis<br />

fünf Prozent angereichertem Brennstoff, der<br />

im Falle des Blocks 3 darüber hinaus noch<br />

mit Mischoxid (MOX), das heißt mit Plutonium,<br />

angereichert war.<br />

In Tschernobyl startete die Katastrophe<br />

mit einer explosionsartigen nuklearen<br />

Leistungsexkursion eines einzigen Reaktorblocks,<br />

wobei mindestens 90 Prozent<br />

des Brennstoffes aus dem Reaktor hinausgeschleudert<br />

wurden und zum Großteil<br />

im Umkreis von einigen 100 Metern zu<br />

liegen kamen. Aus den von innen aufgebrochenen<br />

Brennelementen sind mit<br />

Sicherheit alle gasförmigen und flüchtigen<br />

radioaktiven Stoffe in die Umwelt<br />

entkommen. Durch die verstreute Lage<br />

der zunächst glühenden Brennelementtrümmer<br />

und die dabei verhältnismäßig<br />

rasche Abkühlung konnte sich außerhalb<br />

des Reaktors keine Kernschmelze bilden –<br />

<strong>and</strong>ers <strong>als</strong> bei den höchstens 10 Prozent<br />

des Brennstoffs, <strong>als</strong>o keine 20 Tonnen, die<br />

in den Reaktor zurückgefallen sind und<br />

durch gegenseitiges Aufheizen schmolzen.<br />

Die damit verbundenen Temperaturen<br />

von 2.000 bis 3.000 Grad Celsius<br />

führten zur verstärkten Emission auch<br />

schwererer Radionuklide, die durch die<br />

Thermik in höhere Schichten der Atmosphäre<br />

gelangt sind und von raschen<br />

Winden vertragen die Welt in einigermaßen<br />

bekannt gewordener Weise heimgesucht<br />

haben.<br />

Soziale Technik 2/2011<br />

3


Technologie & Politik<br />

Kernschmelze in Fukushima<br />

In Fukushima wurden durch Erdbeben,<br />

Tsunami und nachfolgende Explosionen<br />

vier Reaktorblöcke mehr oder weniger<br />

zugleich havariert – drei zu diesem Zeitpunkt<br />

laufende und ein bereits wegen<br />

Revision abgeschalteter Reaktor bzw.<br />

dessen temporär besonders stark mit<br />

Brennstoff beladenes Abklingbecken. Bei<br />

diesen allen war es zu – mindestens teilweisen<br />

– Kernschmelzen gekommen,<br />

dessen Gesamtmenge die maximal 20<br />

Tonnen von Tschernobyl erheblich übertroffen<br />

haben muss. Wiederholt wurde<br />

von an unterschiedlichen Positionen teilweise<br />

aus der Kühlflüssigkeit herausragenden<br />

Brennelementen berichtet: Brennelemente<br />

können durch Luft nicht ausreichend<br />

gekühlt werden, können daher<br />

nicht lange herausragen, ohne sehr bald zu<br />

schmelzen und zu kollabieren zu beginnen.<br />

Die Reaktordruckbehälter von Block<br />

eins bis drei, <strong>als</strong> die innersten und wichtigesten<br />

Sicherheitsbarrieren, waren sogar<br />

schon kurz nach Beginn der Katastrophe<br />

durchgeschmolzen, wie die Betreiberfirma<br />

erst Wochen nach dem auslösenden Erdbeben<br />

zugegeben hatte. Die Brisanz der<br />

Explosion von Block 3 in Verbindung mit<br />

im Umkreis bis zu zwei Kilometer verstreut<br />

gefundenen Brennstofffragmenten sowie<br />

in große Distanzen bis an die Westküste<br />

Amerikas und nach Haiti vertragenen<br />

schweren Radionukliden – Transurane wie<br />

Plutonium und Americium – könnten<br />

sogar auf eine nukleare Leistungsexkursion<br />

wie in Tschernobyl hindeuten, wie kontrovers<br />

beurteilte Videos erläutern 1,2 . Wie dem<br />

auch sei, in den vier Reaktorblöcken<br />

können kaum mehr dichte Brennelemente<br />

vorh<strong>and</strong>en sein – womit die gasförmigen<br />

und flüchtigen Stoffe, ebenfalls wie in<br />

Tschernobyl, aus dem Brennstoff ausgetreten<br />

sein müssen.<br />

Im Meer verborgen<br />

Zu diesen Tatsachen scheint die Beobachtung<br />

im Widerspruch zu stehen, dass sich<br />

Fukushima in seinen radiologischen<br />

Auswirkungen bislang weltweit weniger<br />

bemerkbar macht <strong>als</strong> Tschernobyl. Dafür<br />

gibt es eine einfache Erklärung: Das wahre<br />

Ausmaß der Katastrophe wird vom Meer<br />

verdeckt! Was immer auch der Brennstoff<br />

entließ, es hatte gute Chancen, mit dem<br />

Kühlwasser ins Meer geschwemmt oder<br />

vom vorherrschenden Westwind aufs Meer<br />

hinaus geweht zu werden und in den<br />

Weiten des Ozeans großteils zu versinken.<br />

Das wahre Ausmaß der Katastrophe findet<br />

Soziale Technik 2/2011<br />

sich <strong>als</strong>o im Meer verborgen – zum großen<br />

Glück der Insel und seiner Nachbarn. Allerdings<br />

ist zu befürchten, dass das Meer die<br />

Rechnung noch präsentieren wird. Hinweise<br />

liefert die Erfahrung von Sellafield, wo<br />

aus der britischen Wiederaufbereitungsanlage<br />

für Kernbrennstoff Radioaktivität ins<br />

Meer abgelassen wird – unter den zulässigen<br />

Limits. Dennoch f<strong>and</strong>en sich im hohen<br />

Norden Eskimos mit verstrahlten Fischen<br />

konfrontiert. Meere in Oberflächennähe –<br />

glücklicherweise noch – dicht bevölkernde<br />

Kleinlebewesen wie Plankton etc. nehmen<br />

radioaktive Stoffe auf und dienen größeren<br />

Lebewesen <strong>als</strong> Nahrung, diese wieder noch<br />

größeren usw., bis der Mensch <strong>als</strong> Endverbraucher<br />

mit höchsten Anreicherungsgraden<br />

beglückt wird.<br />

Welche Ausmaße dieser Aspekt Fukushimas<br />

annehmen wird, wird erst die Zukunft<br />

weisen. Die Kleinlebewesen dienen nicht<br />

nur der Bereicherung unseres Speisezettels.<br />

Ihnen kommen entscheidende Rollen in<br />

der Ökologie zu: Beispielsweise sind sie <strong>als</strong><br />

Phytoplankton die wichtigsten Sauerstoffregeneratoren<br />

unseres Planeten (die zweitwichtigsten,<br />

unsere Urwälder, werden von<br />

uns ebenfalls vernichtet). Wir machen den<br />

Kleinlebenwesen ohnehin bereits auf vielfältige<br />

Weise das Leben sauer – im Vollsinn<br />

des Wortes, da wir die Meere durch die von<br />

uns verursachte Anreicherung der Atmosphäre<br />

mit Kohlendioxyd systematisch<br />

ansäuern 3 – wodurch beispielsweise die<br />

Kalkskelette aufgelöst werden 4 . Wir erhöhen<br />

durch den Klimaw<strong>and</strong>el die Temperatur der<br />

Meere, bedecken sie mit Ölfilmen und<br />

Plastikmüll, missbrauchen sie überhaupt <strong>als</strong><br />

Müllkippe und betreiben letztlich auf ein<br />

gutes Dutzend verschiedene Weisen die<br />

Zerstörung des ökologischen Gleichgewichts<br />

im Meer 5 .<br />

Szenarien zur Gestaltung der Zukunft<br />

Wir können nicht in die Zukunft schauen –<br />

wir können sie jedoch gestalten helfen. Als<br />

Hilfe zur Frage des „Wie“ können vorgestellte<br />

Szenarien helfen. Wir wollen dies an<br />

zwei weit ausein<strong>and</strong>er liegenden wie folgt<br />

versuchen.<br />

■ Szenario eins: Es gelang den Freunden der<br />

Kernenergie, das Problem zu verharmlosen:<br />

Wir hier in Europa, inmitten des Festl<strong>and</strong>es,<br />

hätten keine Tsunamis zu fürchten gehabt,<br />

wir hätten viel weniger Erdbeben gehabt,<br />

die Kernenerie wäre für Wirtschaftswachstum,<br />

die Erhaltung unserer Arbeitsplätze<br />

und unseres Wohlst<strong>and</strong>es unverzichtbar gewesen.<br />

Es war <strong>als</strong>o kaum zu nennenswerten<br />

Außerbetriebnahmen gekommen – ein paar<br />

4<br />

alte Kraftwerke, deren Sicherheitsniveau<br />

auch seitens der Betreiber bereits angezweifelt<br />

worden war, wurden zur Beruhigung der<br />

Bevölkerung geopfert. Der Großteil des globalen<br />

Kernkraftwerkparks wurde weiterbetrieben<br />

– bis eben das Risiko wieder schlagend<br />

wurde. Obwohl es in Fachkreisen<br />

längst allgemein bekannt war, dass sich die<br />

Auslöser nuklearer Katastrophen nicht nur<br />

auf Erdbeben in Kombination mit Tsunamis<br />

beschränkten, war vergebens darauf hingewiesen<br />

worden, dass die Kernkraftwerke<br />

(KKW) am Festl<strong>and</strong> wegen des Kühlbedarfs<br />

allesamt an Flüssen gebaut wurden. Dass<br />

letztere auf Teilstrecken gerne Erdbebenlinien<br />

folgten und dass diese wiederum Orte<br />

erhöhter Erdbebentätigkeit darstellten, die<br />

<strong>als</strong> solche oft wegen der großen Wiederholungszeiträume<br />

von Starkbeben der historischen<br />

Erdbebenforschung entgangen waren.<br />

Man hätte diese zwar mittels eines aus<br />

Amerika stammenden alternativen Verfahrens<br />

– „Paleoseismologie“, der Datierung<br />

vergangener Starkbeben – mit einiger Wahrscheinlichkeit<br />

erkennen können – vielleicht<br />

wollten verschiedene Einflussgremien dies<br />

gar nicht so genau wissen –, jedenfalls wurden<br />

keinen nennenswerten Untersuchungen<br />

in Auftrag gegeben.<br />

Nachträglich betrachtet wundert man sich,<br />

dass sich nicht die Erkenntnis durchgesetzt<br />

hatte, dass an die Stelle von Tsunamis Flutwellen<br />

treten konnten, die durch gleichzeitig<br />

entst<strong>and</strong>ene Zerstörungen von Staumauern<br />

über das beschädigte Kraftwerk hinwegfluten.<br />

Zusätzlich waren eine ganze Reihe<br />

auslösender externer und interner Ereignisse<br />

gut bekannt, die einen schweren KKW-<br />

Unfall bewirken konnten – auch solche<br />

unabhängig von Erdbeben.<br />

Dazu kamen sich verschlechternde<br />

Rahmenbedingungen, die trotz aller Fortschritte<br />

der Technik seit Three Miles Isl<strong>and</strong>,<br />

Tschernobyl und Fukushima die Risikofaktoren<br />

hatten überwiegen lassen: Dazu<br />

zählen u. a. der verschärfte Konkurrenzkampf<br />

am Strommarkt infolge der Markt -<br />

liberalisierung, wodurch auch für die<br />

Sicherheit weniger Geld vorh<strong>and</strong>en war; die<br />

Motivation zur Erhöhung der Leistung und<br />

zur Verlängerung der Lebensdauer der Anlagen,<br />

die durch einen Mangel an St<strong>and</strong>orten<br />

für Neuanlagen gefördert wurde; die Alterung<br />

von Komponenten und ein Mangel an<br />

einschlägig ausgebildeten Nachwuchskräften<br />

und an Firmen, die Ersatzteile in<br />

Nuklearqualität herstellen konnten. Obendrauf<br />

best<strong>and</strong> noch die sich ständig<br />

erhöhende Gefahr kriegerischer Konflikte<br />

auf allen Ebenen, angeheizt durch globale


Technologie & Politik<br />

Bevölkerungszunahme, Ressourcenverknappung<br />

und zunehmende Verteilungsungerechtigkeit.<br />

Es hatte <strong>als</strong>o nach Fukushima im Jahr 2011<br />

noch eines weiteren nuklearen Großereignisses<br />

mitten in Europa oder Amerika mit<br />

weiträumigen Sperrzonen bedurft, bevor<br />

sich die Menschheit zur raschen und vollständigen<br />

Abkehr durchringen musste. Im<br />

auf die Katastrohe folgenden Chaos konnten<br />

– in Fortsetzung der Tradition von<br />

Tschernobyl und Fukushima – noch viel<br />

weniger die eigentlichen Auslöser und<br />

Unfallverläufe aufgehellt werden – bis heute<br />

herrscht hier Dunkel. Denn am Festl<strong>and</strong><br />

verfügte man über kein gnädiges Meer, das<br />

dann monatelang die radioaktiven Stoffe<br />

verschluckte. Wo immer der Wind hinwehte<br />

und wo immer es dann regnete – ausgedehnte<br />

Sperrgbiete für geologische Zeiträume<br />

in dicht besiedelten Gebieten auf altem<br />

Kulturboden sehen wir heute <strong>als</strong> dominante<br />

Folge. Weitere Folgen der seinerzeitigen<br />

wirtschaftlichen Zusammenbrüche, teilweise<br />

militanten Konflikte und Unruhen –<br />

meist gegen die in ihrer Glaubwürdigkeit<br />

geschwächten Regierungen und nahestehende<br />

Institutionen – sind bis heute nicht<br />

überwunden. Die laufenden Anstrengungen,<br />

ein System erneuerbarer Energien in<br />

wirtschaftlich schwierigen Zeiten, verschärft<br />

durch den immer rascher voranschreitenden<br />

Klimaw<strong>and</strong>el, zu entwickeln, werden vor<br />

allem durch die verbreitete Ansicht behindert,<br />

dass dies nicht mehr helfe, da angesichts<br />

der sich mehr und mehr ausweitenden<br />

Ressourcenkonflikte die Tage der<br />

Menschheit ohnehin bereits gezählt seien.<br />

■ Szenario zwei: Angst vor weiteren Nuklearkatastrophen<br />

führte in Westeuropa<br />

und USA zum weitgehenden Ausstieg aus<br />

der Kernenergie. Deutschl<strong>and</strong>, die Schweiz,<br />

Italien – sie hatten den Ausstieg beschlossen.<br />

Wie die Vergangenheit zwar gezeigt<br />

hatte, waren solche Entscheidungen nicht<br />

unumkehrbar. Aber diesmal hatten sie gehalten,<br />

und <strong>and</strong>ere schlossen sich an: Japan,<br />

USA, mit den meisten Reaktoren des Fuku -<br />

shima-Typs – es waren damit zunächst rund<br />

40% der Anlagen vom Netz. Seinerzeit hatte<br />

sich die Erkenntnis durchzusetzen begonnen,<br />

den drohenden Klimaw<strong>and</strong>el auch mit<br />

Hilfe verbesserter Kernspaltungstechnologien<br />

mit stark reduziertem Katastrophenpotenzial<br />

nicht abwenden zu können, da man<br />

sich die Begrenztheit der Uranressourcen sowie<br />

die Unlösbarkeit der Strahlenmüllentsorgung<br />

eingestehen musste. In einer Zeit<br />

verknappender Energieressourcen brachte<br />

dieses Szenario Umwälzungen aller Art mit<br />

sich, die ebenfalls ihre Risiken hatten, wie<br />

der verstärkte Rückgriff auf Kohle. Von der<br />

zunächst vertärkten Verwendung der glücklicherweise<br />

zunehmend <strong>als</strong> „rückschrittlich“<br />

erkannten traditionellen fossilen Energieträger<br />

wurde schließlich angesichts des<br />

rasch immer sichbarer werdenden Klimaw<strong>and</strong>els<br />

abgegangen.<br />

Es blieb der Menschheit <strong>als</strong>o keine <strong>and</strong>ere<br />

Wahl, <strong>als</strong> sich mit den erneuerbaren Energieträgern<br />

abzufinden – und man begann<br />

auch anzuerkennen, je schneller desto<br />

besser und je früher die Energiewende<br />

gelingt, desto mehr Wahlfreiheiten<br />

hinsichtlich ihrer Gestaltung würde man<br />

haben. Die dafür erforderlichen Maßnahmen,<br />

beginnend bei den Technologien, in<br />

erster Linie solche zur Erleichterung des<br />

Soziale Technik 2/2011<br />

5


Technologie & Politik<br />

Energiesparens, dann Einsatz von Solar,<br />

Wind, Wasserkraft, Biomasse bis hin zu steuerlichen<br />

Strategien – wie Ressourcenbesteuerung<br />

– waren ja schon alle hinreichend in<br />

ausgereifter Form vorh<strong>and</strong>en, um diese in<br />

der Breite umzusetzen. Was vor aller neuer<br />

Technik noch gebraucht wurde, war Veränderung<br />

in den Köpfen, weg von der Jagd<br />

nach fast ausschließlich materiellen Werten.<br />

Der breiten Durchsetzung bereits vorh<strong>and</strong>ener<br />

Alternativtechnologien und -verhaltensweisen<br />

war der Mensch selbst im Wege<br />

gest<strong>and</strong>en – Angst der Etablierten vor<br />

Machtverlust, traditionelles Konkurrenzdenken<br />

und <strong>and</strong>ere überkommene, aber<br />

zementierte Verhaltensweisen waren die<br />

Ursache. Die eigentlichen Machthaber<br />

waren die globalisierten Konzerne, die<br />

auch die Medienmacht besaßen. Sie hatten<br />

sich selbst in ihrem System verfangen.<br />

Jene, die dam<strong>als</strong> zugunsten der Nachhaltigkeit<br />

nicht in erster Linie auf Gewinn<br />

schauten, mußten fürchten, in Kürze<br />

feindlich übernommen zu werden. Verliehen<br />

wurde diese Macht jedoch durch<br />

nichts <strong>and</strong>eres <strong>als</strong> die – allzu oft f<strong>als</strong>chen –<br />

Kaufentscheidungen. Dies wurde glücklicherweise<br />

rasch erkannt und der Hebel<br />

angesetzt. Dazu nötige Informationen<br />

wären ja längst vorh<strong>and</strong>en – waren in Literatur<br />

und Internet zu finden, waren von<br />

immer mehr Menschen ernst genommen<br />

worden. Oft hatte man mit den Stichworten<br />

„Ökologischer Fußabdruck“ bzw.<br />

„Ökologischer Rucksack“ einen Einstieg<br />

gefunden. Man hatte sich auf die Suche<br />

gemacht – und war letztlich erfolgreich.<br />

Mit sich bald kettenreaktionsschnell<br />

veränderndem Denken und nachfolgenden<br />

Bildungsoffensiven gelang es, nicht<br />

nur die Energiewende zu schaffen, sondern<br />

– insbesondere durch Verbesserung der<br />

Lebensumstände der Frauen in armen<br />

Ländern – auch das Bevölkerungswachstum<br />

soweit in den Griff zu bekommen,<br />

sodass der Menschheit heute eine kontrollierte<br />

Rückführung der Bevölkerungszahlen<br />

wie auch des Ressourcenverbrauchs<br />

gelingt. In gleichem Maße konnten sich<br />

die ökologischen Bedingungen in Ozeanen<br />

und am L<strong>and</strong> bessern. Damit war der Weg<br />

in den Zust<strong>and</strong> einer friedlichen, in<br />

Einklang mit der Natur befindlichen Zivilisation<br />

<strong>als</strong> Ziel erkennbar geworden.<br />

Schlussbemerkung<br />

Ob die Zukunft eher Szenario eins oder<br />

zwei oder eben noch <strong>and</strong>ers sein wird,<br />

wird aufgrund unserer großen Zahl und<br />

unserer hohen Ansprüche entscheidend<br />

von unserem weiteren Verhalten abhängen.<br />

Dies gilt für jede/n Einzelne/n von<br />

uns – und ab sofort.<br />

Anmerkungen<br />

1 Arnie Gundersen, Fairewinds Associates<br />

Inc., http://vimeo.com/22865967;<br />

http://vimeo.com/23680177, etc.<br />

2 Scott Portzline, Consultant to 3-Mile<br />

Isl<strong>and</strong> Alert, Coast To Coast AM, 26.5.<br />

2011, 2/4 – Contamination, Fish Deaths,<br />

http://www.youtube.com/watchv=<br />

gkXL59tfNi4.<br />

3 T. Seilnacht: Verschmutzung der Meere,<br />

http://www.seilnacht.com/Lexikon/<br />

Meere.htm.<br />

4 Deutschl<strong>and</strong>radio, 27.6.2010, Organismen<br />

verlieren einen Großteil ihrer Kalkskelette,<br />

http://www.dradio.de/dkultur/<br />

sendungen/wissenschaft/1211016/.<br />

5 Nt-v, 13.7.2010, Versauerung der Ozeane<br />

– Plankton verändert sich stark,<br />

http://www.n-tv.de/wissen/Planktonveraendert-sich-stark-article104<br />

9961.html. ■<br />

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Soziale Technik 2/2011<br />

6


Technologie & Politik<br />

Energiewende in Japan<br />

Chancen eines Exit aus der Atomtechnik<br />

Wie wird es in Japan nach der Katastrophe von Fukushima weitergehen<br />

Ganz wird das L<strong>and</strong> nicht auf die Atomenergie verzichten. Doch Umdenken<br />

und Umlenken sind möglich. Traditionen könnten dabei helfen.<br />

Udo E. Simonis<br />

ist Professor Emeritus für Umweltpolitik am Wissenschaftszentrum<br />

Berlin (WZB). Er studierte Wirtschafts-<br />

und Sozialwissenschaften an den Universitäten<br />

Mainz, Freiburg und Wien. 1973-88<br />

Professor für Ökonomie an der Technischen Universität<br />

Berlin; 1981-87 Direktor des Internationalen<br />

Instituts für Umwelt und Gesellschaft (IIUG), Berlin;<br />

1988-2004 Forschungsprofessor für Umweltpolitik<br />

am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB). Simonis<br />

ist Herausgeber und Redakteur des<br />

„Jahrbuch Ökologie“ (1992-2011).<br />

E-mail: simonis@wzb.eu<br />

Wie lernt der Mensch, wie lernt ein Volk<br />

Lester Brown, der langjährige und welterfahrene<br />

Präsident des Worldwatch-Instituts<br />

verwendet dazu in seinen Büchern<br />

zum Plan B drei strategische Metaphern:<br />

„S<strong>and</strong>wich“, „Berlin Wall“ oder „Pearl Habour“<br />

– das heißt: Lernen durch Kooperation,<br />

durch Interessenausgleich oder durch<br />

die Katastrophe.<br />

Japan erlebt derzeit die Folgen einer multiplen<br />

Katastrophe: das Erdbeben der Stärke<br />

9,0 Mw, den gewaltigen Tsunami in der Region<br />

Tohoku am 11. März und die anhaltende<br />

Kernschmelze im Atomkraftwerk Fukushima-Daiichi.<br />

Bei einem so lernbegierigen<br />

Volk wie den JapanerInnen wird – das<br />

lässt sich zum Trost unterstellen – das Lernen-Wollen<br />

aus dieser Katastrophe groß sein.<br />

Anzeichen dafür gibt es ja einige. Das Erdbeben<br />

hat ein bewegendes Moment gemeinsamer<br />

Trauer ausgelöst und ein beeindruckendes<br />

Maß an sozialer Hilfsbereitschaft<br />

bewirkt. Der Tsunami bringt außergewöhnliche<br />

Anstrengungen zum Wiederaufbau<br />

hervor, so wie es auch in <strong>and</strong>eren<br />

Fällen historisch belegt ist. Kooperation<br />

und Interessenausgleich waren und werden<br />

dabei wichtige Leitprinzipien sein.<br />

Doch was wird die tragische Verkettung<br />

von natürlicher und menschen-gemachter<br />

Katastrophe an Lerneffekten bewirken<br />

Wird sie ein „Wunder der Erneuerung“<br />

hervorbringen, wie das nach dem Erdbeben<br />

von Yokohama und Tokio 1923, nach<br />

den Atombombenabwürfen auf Hiroshima<br />

und Nagasaki 1945, nach dem Erdbeben<br />

von Kobe 1995 der Fall war Und lernt Japan<br />

vielleicht stellvertretend für all die <strong>and</strong>eren<br />

Länder, die sich von der Atomenergie<br />

abhängig gemacht haben<br />

Multiple Katastrophe und ihre Folgen<br />

Die Kernschmelze in Fukushima wird, besonders<br />

wenn sie noch länger anhält, ökonomisch<br />

wie ökologisch gigantische Kosten<br />

und großes menschliches und gesellschaftliches<br />

Leid zur Folge haben. Sie hat<br />

bereits zu einer Opferbereitschaft der an-<br />

Soziale Technik 2/2011<br />

7


Technologie & Politik<br />

Soziale Technik 2/2011<br />

derswo undenkbaren Art geführt: dem Einsatz<br />

von freiwilligen Helfern, der mit<br />

Krankheit und Tod beglichen wird. Wird<br />

die Katastrophe von Fukushima aber auch<br />

bewirken, dass Japan, so wie für Deutschl<strong>and</strong><br />

derzeit breit und parteiübergreifend<br />

diskutiert, schnell und zügig aus dem<br />

Atomzeitalter aus- und ins Solarzeitalter<br />

einsteigt<br />

Viele können es nicht begreifen, und ich<br />

gehöre dazu, dass ein Volk, das die tödliche<br />

Gewalt der Atombombe erlitten hat, jem<strong>als</strong><br />

in die so genannte friedliche Nutzung der<br />

Atomtechnik investieren konnte, dass zahlreiche<br />

Atomkraftwerke in geologisch superaktiven<br />

Regionen gebaut wurden, ohne<br />

dass die Bevölkerung dagegen aufst<strong>and</strong><br />

oder der Oberste Gerichtshof des L<strong>and</strong>es<br />

Einhalt gebot. Dazu muss man sich allerdings<br />

vergegenwärtigen, dass die japanische<br />

Umwelt- und Energiepolitik von Anfang<br />

an von einem Auf und Ab, einem regelrechten<br />

Schlingerkurs geprägt war.<br />

Einerseits wurde in Japan eine überdurchschnittlich<br />

hohe allgemeine Energieeffizienz<br />

erreicht, <strong>and</strong>ererseits war dies mit einer<br />

höchst einseitigen Energiestruktur erkauft.<br />

Einerseits wurden bei gravierenden<br />

Konfliktfällen in Rekordzeit technische<br />

Substitutionen vorgenommen und eine<br />

Umkehr der Beweislast verfügt, <strong>and</strong>ererseits<br />

wurden in großer Trägheit und entgegen aller<br />

Erfahrung mit politischen Verkrustungen<br />

unflexible Strukturen zementiert.<br />

Als zu Beginn der 1970er Jahre die Luft in<br />

Tokio und <strong>and</strong>eren Großstädten des L<strong>and</strong>es<br />

lebensgefährlich versmogt war, wurde<br />

die Versorgung in kürzester Zeit von Kohle<br />

und schmutzigem Öl auf Gas und relativ<br />

sauberes Öl umgestellt. Der Einbau von Katalysatoren<br />

in Autos wurde in Japan bereits<br />

zur Pflicht, <strong>als</strong> die europäische Automobilindustrie<br />

diese Technik noch boykottierte.<br />

Und <strong>als</strong> die Verschmutzung von Luft, Wasser,<br />

Böden und Nahrungsmitteln ungewohnte<br />

gesundheitliche Schäden hervorbrachte<br />

– wie Yokkaichi Asthma, Minamata<br />

und Itai-itai-Krankheit – wurden japanische<br />

Richter zu radikalen Umweltschützern.<br />

Die Kritik an der Fokussierung der Wirtschaftspolitik<br />

auf das Wachstum des Bruttosozialprodukts<br />

(der „GNPism“) wurde<br />

von Seiten des Japanischen Wirtschaftsrates<br />

auf die Entwicklung eines nationalen<br />

Nettowohlfahrtsindikators („NNW“) zu<br />

lenken versucht (NNW Measurement Committee<br />

1974), wenn auch ohne durchgreifende<br />

Konsequenzen. Trotz des weiter dominanten<br />

nationalen Wachstumsfetischismus<br />

ließ die internationale Nachhaltigkeitsdebatte<br />

in Japan jedoch vielfältige Initiativen<br />

entstehen, so unter <strong>and</strong>erem einen<br />

der besten Nachrichtenkanäle, den „Japan<br />

Sustainability Newsletter“. Doch es war<br />

(und ist) der enorme Energiehunger einer<br />

wachsenden Wirtschaft und die vermeintliche<br />

Ressourcen-Armut des L<strong>and</strong>es, die zu<br />

einer verkrusteten Energiestruktur führte –<br />

zur nahezu totalen Verengung des Energiemix<br />

auf fossil-nukleare Energieträger.<br />

8<br />

Vernachlässigung des Nächstliegenden<br />

Selbst das Nächstliegende wurde in Japan<br />

sträflich vernachlässigt: die energetische<br />

Nutzung der Erdwärme in den Regionen<br />

des L<strong>and</strong>es, in denen es überall sprudelt<br />

und die Badekultur mit Ofuro (privates<br />

B<strong>and</strong>), Onsen und Sento (öffentliches Bad,<br />

heiße Quellen) historisch hoch entwickelt<br />

ist; die groß angelegte Entwicklung der Gezeitenenergie<br />

in einem Inselreich, das<br />

rundum von Meer umgeben ist; die systematische<br />

Nutzung der Sonne, die auch in<br />

Japan lange scheint; die planmäßige Nutzung<br />

des Windes, der kräftig, gelegentlich<br />

allerdings auch gewaltig bläst; die umfassende<br />

Nutzung der Biomasse, die in der<br />

L<strong>and</strong>- und Forstwirtschaft wie auch bei<br />

den Abfällen der Industriewirtschaft in<br />

großen Massen anfällt.<br />

Und dann die <strong>and</strong>ere, die eklatante technische<br />

Baisse: Wie konnte es geschehen, dass<br />

eine Volkswirtschaft, die rund 30% der<br />

Weltproduktion an Halbleitern hervorbringt<br />

und mehr <strong>als</strong> 40% aller Technologiekomponenten<br />

herstellt, die für moderne<br />

High-Tech-Geräte erforderlich sind, dieses<br />

Potenzial nicht allerorten einsetzt, wo es<br />

um die Diversifizierung der heimischen wie<br />

der globalen Energieversorgung gehen<br />

könnte – in der Photovoltaik<br />

Der Weg in eine strikten Nachhaltigkeitskriterien<br />

entsprechende Energieversorgung ist<br />

lang, länger <strong>als</strong> vielen – <strong>als</strong> mir – lieb ist. Insofern<br />

dürfte der Ausstieg Japans aus der<br />

Atomtechnik, selbst wenn er ernsthaft in<br />

den Blick genommen würde, wohl länger<br />

dauern. Er müsste aber nicht so lang dauern<br />

wie etwa in Frankreich. Was aber nichts daran<br />

ändert, dass Japan mit derzeit 55 Atomkraftwerken<br />

und rund 30% an nuklearer<br />

Stromversorgung echt in der Falle sitzt.<br />

Die Kernschmelze von Fukushima wird,<br />

wenn alles gut geht, in einigen der derzeit<br />

32 Atomstrom-Länder das atomare Zeitalter<br />

beenden helfen. Was aber wird, was<br />

kann in Japan geschehen Führen die Erfahrungen<br />

mit Fukushima zu der Einsicht,<br />

dass Atomtechnik grundsätzlich problematisch<br />

ist oder dass die Technologie einfach<br />

nur verbessert werden muss Gibt die Katastrophe<br />

auch Anlass für eine <strong>and</strong>ere Art des<br />

Lernens Helfen die neuen Erfahrungen zu<br />

der Einsicht, dass, wo immer von Alternativlosigkeit<br />

geredet und entsprechend geh<strong>and</strong>elt<br />

wird, doch eine Alternative gedacht<br />

und angestrebt werden kann<br />

Strategische Trias für den Exit<br />

So makaber es auch klingen mag: Die japanische<br />

Energiepolitik nach Fukushima<br />

dürfte vor allem vom tatsächlichen Ausmaß<br />

und Umfang der Katastrophe selbst abhängen.<br />

Sind die gravierenden Folgen eher<br />

räumlich begrenzt Wie bedeutsam und anhaltend<br />

sind die sektoralen Effekte Was<br />

sind letztendlich die globalen Folgen Die<br />

Fatalität bestimmter Hochrisiko-Technologien<br />

und die menschliche Wahrnehmung<br />

passen nicht zusammen, meint Volker von<br />

Prittwitz. Sind auch die JapanerInnen mit<br />

dem von ihnen selbst geschaffenen Risiko<br />

kognitiv und psychisch überfordert<br />

Nun, wie immer man solche Fragen beantworten<br />

mag, ein simples „Weiter-So“<br />

dürfte es auch in einem so technikgläubigen<br />

und risikoaffinen L<strong>and</strong> wie Japan<br />

nicht geben. Zu einem Teil werden der nationalen<br />

Politik die Themen nun ankündigungslos<br />

auch international diktiert, nicht<br />

nur von etablierten Institutionen, sondern<br />

auch von der spontanen öffentlichen Weltmeinung.<br />

Doch ein strukturelles Moment<br />

gilt es zu bedenken: Die energetische<br />

Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft<br />

hängt nicht nur vom Lernen-Wollen,<br />

sie hängt auch vom (möglichst schnellen)<br />

Lernen-Können ab.<br />

Wo eine tatkräftige Anti-Atom-Bewegung<br />

nicht oder erst rudimentär existiert, muss<br />

sie erst einmal exp<strong>and</strong>ieren und besser vernetzt<br />

werden. Wo politische und wirtschaftliche<br />

Hierarchien traditionell stark<br />

sind, wo die Zivilgesellschaft gegenüber<br />

der Politikerklasse schwach ist, haben es<br />

dezentrale ökonomische und technische<br />

Innovationen grundsätzlich schwer. Dennoch<br />

sollten die drei zentralen, in allen<br />

theoretischen Traktaten über Zukunftsfähigkeit<br />

wie nachhaltige Entwicklung postulierten<br />

Strategien – Effizienz, Suffizienz<br />

und Konsistenz – genau jetzt zum Zuge<br />

kommen, auch und gerade in einem L<strong>and</strong><br />

wie Japan: Alles vielm<strong>als</strong> besser machen,<br />

<strong>als</strong> es derzeit gemacht wird („Faktor Vier“);<br />

vieles bescheidener angehen, <strong>als</strong> bisher gewohnt<br />

oder über Jahrzehnte angewöhnt<br />

(„Besser statt Mehr“); die Technologien<br />

fehlerfreundlich, sozial- und umweltver-


Technologie & Politik<br />

träglich gestalten, den industriellen Stoffwechsel<br />

nachhaltiger machen („Industrielle<br />

Ökologie“). Diese strategische Trias<br />

könnte grundsätzlich zu einem attraktiven<br />

neuen Wohlst<strong>and</strong>smodell für Japan, ein<br />

L<strong>and</strong> mit stolzer Geschichte und zugleich<br />

großer Leiderfahrung, werden.<br />

Doch was lässt die politökonomische Betrachtung<br />

der Energiefrage in Japan wirklich<br />

erwarten Wie steht es insbesondere<br />

um die konkreten R<strong>and</strong>bedingungen, die<br />

erfüllt sein müssen, damit die drei „E’s“ relevant<br />

werden: dass die drastische Energieeinsparung<br />

zur höchsten Priorität, die massive<br />

Steigerung der Energieeffizienz zum gesellschaftlichen<br />

Anliegen und der forcierte<br />

Ausbau der Erneuerbaren Energien zum<br />

zentralen Auftrag der nationalen, regionalen<br />

und lokalen Politik werden können<br />

In jüngster Zeit haben mehrere umfassende<br />

Studien für Deutschl<strong>and</strong>, für Europa,<br />

aber auch für Japan gezeigt, dass eine radikale<br />

„Energiewende“ in relativ kurzer Zeit<br />

technisch möglich ist (vgl. hierzu ISUSI<br />

2003; Öko-Institut 2009; SRU 2011; WGBU<br />

2011; ZSW 2011). Sie haben allerdings<br />

auch deutlich werden lassen, dass es dazu<br />

nicht nur erheblicher finanzieller Anstrengungen,<br />

sondern auch eines radikalen Bewusstseinsw<strong>and</strong>els<br />

und eines durchgreifenden<br />

Politikwechsels bedarf, der Einsicht<br />

und Einkehr fördert, der ambitionierte<br />

Ziele vorgibt, drastische Maßnahmen einsetzt,<br />

schlagkräftige Institutionen und<br />

neue demokratische Kontrollmechanismen<br />

einführt – und eine ehrliche Antwort<br />

auf die Grundfrage nach dem Verhältnis<br />

von Technik, Natur und Gesellschaft erfordert,<br />

weil nur so die „Ära der Ökologie“<br />

(Radkau) Früchte bringen kann.<br />

Diese grundlegende Erkenntnis dürfte<br />

auch für die Energiewende in Japan relevant<br />

sein – für ein Exit aus der Atomenergie.<br />

Ob <strong>als</strong>o die technisch und ökonomisch<br />

bedingte Katastrophe von Fukushima zu<br />

einer sozial und ökologisch begründeten<br />

Erneuerung des L<strong>and</strong>es, einer zukunftsfähigen<br />

Energieversorgung, einer „grünen<br />

Transformation“ führen wird Wann,<br />

wenn nicht jetzt! Zeigen, dass es geht – das<br />

könnte auch eine angemessene Würdigung<br />

der Opfer der multiplen Katastrophe sein.<br />

„Und Japan wäre“, so wie Joachim Wille es<br />

symbolhaft formulierte, „am Ende der<br />

Nacht von Fukushima, das L<strong>and</strong> der aufgehenden<br />

Sonne“.<br />

Literatur<br />

• Institute for Sustainable Solutions <strong>and</strong> Innovations<br />

(ISUSI) et al.: Energy Rich Japan-Project.<br />

Solare Vollversorgung Japans. Aachen 2003.<br />

• Japan for Sustainability: JFS Weekly Digest;<br />

Internet: http://www.japanfs.org.en.<br />

• NNW Measurement Committee, Economic<br />

Council of Japan: Measuring Net National<br />

Welfare. Tokyo 1974.<br />

• Öko-Institut, Prognos AG & Dr. Ziesing: Modell<br />

Deutschl<strong>and</strong>. Klimaschutz bis 2050. Vom<br />

Ziel her denken. Freiburg 2009<br />

• Radkau, J.: Die Ära der Ökologie. Eine Weltgeschichte.<br />

München 2011.<br />

• Sachverständigenrat für Umweltfragen<br />

(SRU): Wege zur 100% erneuerbaren Stromversorgung.<br />

Sondergutachten. Berlin 2011.<br />

• Wille, J.: Beschönigt und geschwiegen, in:<br />

Frankfurter Rundschau, 13. April 2011.<br />

• Wissenschaftlicher Beirat Globale Umweltveränderungen<br />

(WBGU): Gesellschaftsvertrag<br />

für eine Große Transformation. Hauptgutachten.<br />

Berlin 2011.<br />

• Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung<br />

Baden-Württemberg (ZSW):<br />

Ökostrom kann Kernkraft in neun Jahren ersetzen.<br />

Presseerklärung vom 4. 4. 2011.<br />

http://www.zswbw/index.phdid=111. ■<br />

Soziale Technik 2/2011<br />

9


IKT<br />

Think Before You Tweet: Improving<br />

Awareness of ICTs <strong>and</strong> Emissions<br />

Why should we think critically about information <strong>and</strong> communications<br />

technologies<br />

The overwhelming majority of greenhouse gas emissions generated by an<br />

electronic device – between 70% <strong>and</strong> 80% – are generated by consumer use.<br />

Though we need to address a range of issues around ICT infrastructure<br />

sustainability, we must begin with small steps, by talking about our<br />

technological practices.<br />

S<strong>and</strong>y Ross<br />

is a doctoral c<strong>and</strong>idate at the London School of<br />

Economics <strong>and</strong> Political Science, in the Department<br />

of Sociology, <strong>and</strong> a former Research Fellow at the<br />

IAS-STS. Her primary interests are lay theories of<br />

economics, especially monies <strong>and</strong> exchange; <strong>and</strong><br />

lay theories of the environment, with a particular<br />

focus on energy use <strong>and</strong> ICTs.<br />

E-Mail: s.ross@lse.ac.uk<br />

We live in a material world that is increasingly<br />

filled with virtual goods <strong>and</strong> services,<br />

from the pixellated simplicity of Facebook<br />

gifts <strong>and</strong> the plain text of Twitter, to sophisticated<br />

virtual worlds of massively multiplayer<br />

online games. Yet these apparently<br />

virtual domains of online services <strong>and</strong> commodities<br />

are inextricably linked to urgent<br />

<strong>and</strong> troubling material realities at each stage<br />

of their life cycle that are often invisible to<br />

consumers <strong>and</strong> end users. Digital consumption<br />

has quantifiable effects on the environment<br />

– from green house gas emissions<br />

from energy-hungry high-density computer<br />

facilities to heavy metal concentrations in<br />

water <strong>and</strong> soil in regions where discarded<br />

electronics are illegally dumped – as well as<br />

more complex impacts on human beings<br />

<strong>and</strong> communities. Previous work on ICT externalities<br />

has focused on unsafe working<br />

conditions in electronics factories <strong>and</strong> mines,<br />

pollution generated in production <strong>and</strong><br />

refining, <strong>and</strong> unsafe disposal practices<br />

which link our digital pleasures in the global<br />

north to social injustice <strong>and</strong> environmental<br />

degradation in the global south. Yet<br />

the overwhelming majority of greenhouse<br />

gas (GHG) equivalent emissions generated<br />

by an electronic device during its life cycle<br />

are created through consumer use, which<br />

relies upon energy intensive infrastructures<br />

that support online services <strong>and</strong> digital consumption.<br />

These enormous infrastructures are invisible<br />

to most users <strong>and</strong> are unproblematised by<br />

users, ICT profession<strong>als</strong> <strong>and</strong> even environmental<br />

activism groups. In public <strong>and</strong> professional<br />

discourse, there is very little critical<br />

reflection on ICTs <strong>and</strong> energy use. In<br />

fact, further expansion of the IT sector is often<br />

portrayed as “excuseable” or justified<br />

because of purported green house gas emissions<br />

“savings” created by ICTs. This Panglossian<br />

approach from the professional<br />

sector does not lend itself to critical reflection<br />

on the role of ICTs in contemporary<br />

Western consumer societies. The very notion<br />

of ecological materialities associated<br />

with virtual activities is <strong>als</strong>o alien to how ordinary<br />

users think about ICTs. Before we<br />

can have meaningful public debate about<br />

sustainable ICTs, we need a better public<br />

underst<strong>and</strong>ing of how our current infrastructures<br />

are unsustainable, because<br />

change will not arise within these industries<br />

of its own accord.<br />

Invisible Infrastructures <strong>and</strong> Emissions<br />

Communicating the scale of ICT infrastructures<br />

to everyday users is complicated<br />

by widespread lack of knowledge about<br />

how these technologies work. To ask where<br />

a Facebook status update or Tweet goes after<br />

we click “Send”, seems a nonsensical question.<br />

It must go somewhere before it appears<br />

on our screens <strong>and</strong> the news feeds of all our<br />

friends, we did press a button marked<br />

“Send” after all. But where exactly does the<br />

message go Where is that update three<br />

weeks later Is it still sitting somewhere in<br />

the ether The answer is not “It goes to a<br />

server” or “It goes to the Internet” – those<br />

are too simple <strong>and</strong> easy, they absolve us<br />

from critical engagement. Like the illusion<br />

of garbage, which many Western consumers<br />

believe simply “goes away” when we<br />

put it into a trash bin, Facebook status updates,<br />

Tweets or emails are subject to a magical<br />

thinking. We use ICTs without thinking,<br />

or wishing to think, about how or<br />

why they work.<br />

The biography of a Facebook status update<br />

is not a frivolous question, because it brings<br />

us – as regular users of information <strong>and</strong><br />

communication technologies – face-to-face<br />

with the material realities of what seem to<br />

be immaterial, virtual services <strong>and</strong> goods. In<br />

the moments between being visible only to<br />

me <strong>and</strong> being broadcast to the people who<br />

are bored enough to look at my Facebook<br />

Soziale Technik 2/2011<br />

10


IKT<br />

profile, a status update may take a very complicated<br />

route through multiple digital “gate<br />

keeping” devices – a router, my university's<br />

local network servers, the university's Internet<br />

Service Provider’s servers – before reaching<br />

an Internet backbone, <strong>and</strong> from there<br />

striking out for the nearest Facebook data<br />

centre. This digital voyage – even more<br />

complicated for messages from mobile devices<br />

– requires more than some plastic boxes<br />

filled with silicon, it <strong>als</strong>o needs a telephone<br />

system <strong>and</strong> fibre optic cables, some of<br />

which are on the ocean floor. However, all<br />

this equipment just keeps the Internet running;<br />

it doesn't give us Facebook or 4chan.<br />

Online service providers such as Google, Facebook,<br />

Flickr <strong>and</strong> Twitter require hundreds<br />

of thous<strong>and</strong>s more servers running continuously<br />

that <strong>als</strong>o require energy-intensive cooling<br />

<strong>and</strong> dehumidifying systems. Green<br />

Grid (2007: 3), an IT industry corporate social<br />

responsibility think tank, estimated that<br />

most data centres have a Power Usage Effectiveness<br />

ratio of 3.0 or higher, meaning<br />

data centres are highly energy inefficient,<br />

using only 25% of their energy for running<br />

servers, with the rest devoted to cooling <strong>and</strong><br />

non-server power consumption. The Global<br />

eSustainability Initiative’s (2008: 17) report,<br />

“Smart 2020”, estimates ICT emissions in<br />

2007 at approximately 2% of total green<br />

house gas emissions, or 830 Mt CO 2 e.<br />

However, simply saying that these machines<br />

exist <strong>and</strong> that they consume energy,<br />

which then produces emissions, does little<br />

to stimulate a critical conversation on ICTs.<br />

GHG emissions or energy consumed is not<br />

enough to start a critical debate about ICTs,<br />

because this information does not make<br />

energy consumption relevant to the ordinary<br />

activities of users. The next, more difficult,<br />

step is to problematise these issues <strong>and</strong><br />

encourage critical debate.<br />

Problematising ICT Infrastructures<br />

<strong>and</strong> Emissions<br />

In the mass media, <strong>and</strong> even by industry<br />

profession<strong>als</strong>, ICTs are widely portrayed as<br />

environmentally friendly or capable of creating<br />

or popularising new practices – such as<br />

telework, video conferencing, virtual meetings,<br />

smart motors <strong>and</strong> devices used in industry<br />

– that will reduce transportation <strong>and</strong><br />

production emissions. Absent from this<br />

techno-utopian view is the reality that ICT<br />

infrastructures are exp<strong>and</strong>ing rapidly.<br />

Growth in ICT energy use from 2007 to<br />

2020 is an estimated 6% per annum (GeSI<br />

2008: 17-18), under a “Business as Usual”<br />

scenario. This expansion, <strong>and</strong> its corresponding<br />

emissions increase, is justified by pointing<br />

to the emissions savings in other<br />

sectors facilitated by ICTs (GeSI 2008: 3, 7,<br />

16). Of the report's four chapters, the shortest<br />

substantive one is on energy use in the<br />

IT sector, <strong>and</strong> the longest is devoted to how<br />

ICTs can “save” energy <strong>and</strong> emissions in<br />

other sectors. The GeSI “Smart 2020” report<br />

is a metonymy for problems in the IT sector<br />

as a whole. There is a tremendous amount<br />

of back-patting <strong>and</strong> an unrealistic perception<br />

that ICTs can be permitted to grow<br />

while every other economic sector needs to<br />

reduce emissions. Industry experts <strong>and</strong> profession<strong>als</strong><br />

are deeply invested in this image<br />

of ICTs as “environmentally enabling” <strong>and</strong><br />

“energy efficient”. The strength of these<br />

messages, put forth in corporate social responsibility<br />

reports <strong>and</strong> by sustainable computing<br />

groups like the GeSI, Green Grid <strong>and</strong><br />

Uptime Institute, reinforces a view in which<br />

industry is managing environmental impacts<br />

<strong>and</strong> consumers need not worry, which<br />

obstructs critical, ecologically-minded engagement<br />

with these issues.<br />

Despite Greenpeace’s campaign “Get Facebook<br />

to Unfriend Coal”, there has been a<br />

decided lack of discussion about ICT emissions<br />

<strong>and</strong> what the expansion of this sector<br />

means for our planet. In 2002, ICTs <strong>and</strong> the<br />

aviation industry both contributed 2% of<br />

global GHG emissions. By 2008, ICTs generated<br />

more emissions than airlines (GeSI<br />

2008: 18). Curiously, air travel has been the<br />

focus of intense scrutiny <strong>and</strong> protest, while<br />

ICTs remain unproblematised. In Britain,<br />

thous<strong>and</strong>s of environmental activists built a<br />

“Climate Change Camp” <strong>and</strong> protested a<br />

proposed third runway at Heathrow Airport,<br />

on the grounds that a bigger airport<br />

Soziale Technik 2/2011<br />

11


IKT<br />

would mean more flights <strong>and</strong> more carbon<br />

emissions. Yet no environmental groups<br />

have protested over the opening of new<br />

data centres; there is no “Climate Change<br />

Camp” at Pineville, the site of Facebook's<br />

controversial coal-powered data centre; <strong>and</strong><br />

there is certainly no ICT equivalent for<br />

bourgeois anxieties about air travel. Pressure<br />

is needed from activists <strong>and</strong> ordinary users,<br />

but such a movement requires informed,<br />

critically engaged actors. These actors, <strong>and</strong><br />

the critical ecological discourses on ICTs<br />

that would support <strong>and</strong> inform their activism,<br />

are as yet barely formed.<br />

How do we produce an ICT-related climate<br />

change debate Problematising ICTs <strong>and</strong><br />

energy use requires informed actors with a<br />

critical attitude toward these technologies,<br />

which may be the most difficult part. Information<br />

<strong>and</strong> communications technologies<br />

present themselves as friendly <strong>and</strong> even<br />

sensual – the iPad <strong>and</strong> iPhone are tactile,<br />

pleasurable devices as much as they are<br />

computing <strong>and</strong> communications devices.<br />

Being critical of pleasure in consumer society<br />

is anathema, as it contradicts the very<br />

engine of consumer society: desire (Bauman<br />

2001: 12). A simple entry point for stimulating<br />

the development of a critically engaged<br />

ecological approach to ICTs in consumer societies<br />

is a discussion of user practices, one<br />

that acknowledges an old truism of computer<br />

support technicians: a Problem Exists<br />

Between Keyboard <strong>and</strong> Chair (PEBKAC).<br />

Only when users have knowledge about<br />

their own practices can they be empowered<br />

to take action over unsustainable ICT infrastructures.<br />

To expect otherwise is to put the<br />

horse before the cart.<br />

A Polemical Conclusion<br />

The fatal illusion of our times is not climate<br />

scepticism; apocalyptic religious fanaticism;<br />

or neo-liberal market rhetoric. The psychological<br />

disease of the Information Age is a<br />

belief in purely virtual things <strong>and</strong> services, a<br />

kind of magical thinking supported by ICT<br />

industries that obscures the very real costs<br />

<strong>and</strong> impacts of these technologies. Our virtual<br />

pleasures in the global north are inextricably<br />

linked with climate change through<br />

increasing energy dem<strong>and</strong>s <strong>and</strong> expansion<br />

of extensive infrastructures, <strong>and</strong> with human<br />

misery in the global south. We cannot<br />

think critically about social media <strong>and</strong> ICTs<br />

without confronting these uncomfortable<br />

topics.<br />

If we are to have meaningful public debate<br />

about ICTs <strong>and</strong> their contribution to climate<br />

change, we need to build up public<br />

knowledge <strong>and</strong> encourage critical approaches<br />

to these technologies. Such a debate<br />

can be initiated through critical engagement<br />

with user practices <strong>and</strong> behaviours,<br />

promoting awareness that there are limits<br />

to even virtual consumption on a finite planet.<br />

Though a focus on individual practice<br />

may not be ideal, as it fails to address problematic<br />

infrastructures that constrain sustainable<br />

choices (Shove 2010), it is a first<br />

step toward a more sustainable, ecologically-minded<br />

critical engagement with ICTs.<br />

References<br />

• Bauman, Z. (2001): Consuming Life. In: Journal<br />

of Consumer Culture 1(1): 9-29.<br />

• GeSI – Global eSustainability Initiative (2008):<br />

Smart 2020. http://www.smart2020.org/<br />

_assets/files/03_Smart2020Report_lo_res.pdf.<br />

• Green Grid (2007): Green Grid Metrics: Describing<br />

Datacenter Power Efficiency.<br />

http://www.thegreengrid.org/~/media/White<br />

Papers/Green_Grid_Metrics_WP.ashxlang=en.<br />

• Shove, E. (2010): Beyond the ABC: climate<br />

change policy <strong>and</strong> theories of social change. In:<br />

Environment <strong>and</strong> Planning A. 42(6): 1273-<br />

1285. ■<br />

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Soziale Technik 2/2011<br />

12


Gastredaktion<br />

20 Jahre<br />

Transformationskompetenz<br />

Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH<br />

Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH<br />

Döppersberg 19<br />

42103 Wuppertal<br />

Deutschl<strong>and</strong><br />

Tel.: +49/202 2492-0<br />

Fax: +49/202 2492-108<br />

E-mail: info@wupperinst.org<br />

Web: www.wupperinst.org<br />

Uwe Schneidewind<br />

ist seit März 2010 Präsident des Wuppertal Insti -<br />

tutes. Davor war er Professor für umweltorientierte<br />

Betriebswirtschaftslehre und Präsident an der Universität<br />

Oldenburg.<br />

uwe.schneidewind@wupperinst.org<br />

Manfred Fischedick<br />

ist Vizepräsident des Wuppertal Institutes und<br />

Professor an der Bergischen Universität Wuppertal.<br />

manfred.fischedick@wupperinst.org<br />

Dorle Riechert<br />

ist die Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit am<br />

Wuppertal Institut.<br />

E-mail: dorle.riechert@wupperinst.org<br />

Mission des Wuppertal Instituts<br />

Das Wuppertal Institut erforscht und<br />

entwickelt Leitbilder, Strategien und Instrumente<br />

für Übergänge zu einer nachhaltigen<br />

Entwicklung auf regionaler, nationaler<br />

und internationaler Ebene. Im<br />

Zentrum stehen Ressourcen-, Klima- und<br />

Energieherausforderungen sowie deren<br />

Wechselbeziehungen mit Wirtschaft und<br />

Gesellschaft. Die Analyse und Induzierung<br />

von Innovationen zur Entkopplung<br />

von Naturverbrauch und Wohlst<strong>and</strong>sentwicklung<br />

bilden einen Schwerpunkt<br />

seiner Forschung.<br />

Gegründet von Johannes Rau, dem damaligen<br />

Ministerpräsidenten des L<strong>and</strong>es Nordrhein-Westfalen,<br />

nahm das Wuppertal Institut<br />

für Klima, Umwelt, Energie im Jahr 1991<br />

seine Arbeit auf. Gründungspräsident war<br />

Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker, der<br />

das Institut bis November 2000 leitete. In<br />

dem im Gesellschaftervertrag festgelegten<br />

Auftrag des Instituts st<strong>and</strong> an erster Stelle<br />

„Die Förderung von Maßnahmen und Initiativen<br />

zur Sicherung der Klimasituation,<br />

zur Verbesserung der Umwelt und zur Energieeinsparung<br />

<strong>als</strong> Schnittstelle zwischen<br />

wissenschaftlicher Erkenntnissuche und<br />

praktischer Umsetzung“. Das Wuppertal Institut<br />

wird in der Rechtsform der gemeinnützigen<br />

GmbH geführt. Die Grundfinanzierung<br />

aus dem L<strong>and</strong>eshaushalt ermöglichte<br />

in der Anfangsphase die Arbeit von<br />

zunächst 40 WissenschaftlerInnen und weiteren<br />

Angestellten. Ihnen wurde ein internationaler<br />

wissenschaftlicher Beirat zur<br />

Seite gestellt, der das Institut in grundsätzlichen<br />

strategischen Forschungsfragen berät<br />

sowie die wissenschaftliche Qualität und die<br />

Unabhängigkeit der Forschung sichert. Eine<br />

erste wissenschaftliche Vernetzung ergab<br />

sich durch die Mitgliedschaft im Wissenschaftszentrum<br />

Nordrhein-Westfalen.<br />

Mit der Gründung verb<strong>and</strong> die L<strong>and</strong>esregierung<br />

„ein kritisches Begleiten durch das<br />

Wuppertal Institut“ 1 beim ökologischen<br />

Strukturw<strong>and</strong>el Nordrhein-Westfalens <strong>als</strong><br />

Energiel<strong>and</strong> Nummer Eins. In die Gründungsphase<br />

fiel die Vorbereitung des Weltgipfels<br />

von Rio, der 1992 ein Aktionsprogramm<br />

zur nachhaltigen Entwicklung verabschiedete,<br />

die „Agenda 21“ aus der Taufe<br />

hob und eine Klimarahmenkonvention beschloss.<br />

Die Forschungsstrategie des Wuppertal<br />

Instituts entsprach den damit gestellten<br />

Herausforderungen. Von Weizsäckers<br />

Ansatz war eine Ressourcenstrategie, die auf<br />

eine Minderung des Umweltverbrauchs<br />

durch eine „Effizienzrevolution“ setzte und<br />

auch den Weg in „neue Wohlst<strong>and</strong>smodelle“<br />

aufzeigte. Für einen wirksamen Klimaschutz<br />

besonders wichtig ist nach wie<br />

vor die Umsetzung beider Strategien im<br />

Energie- und Verkehrsbereich, <strong>als</strong> größte<br />

Emittenten. Nach diesem Konzept wurden<br />

die Forschungsabteilungen eingerichtet mit<br />

den vier Abteilungen: Klima, Energie, Stoffströme<br />

und Strukturw<strong>and</strong>el sowie Verkehr<br />

und der Arbeitsgruppe „Neue Wohlst<strong>and</strong>smodelle“.<br />

Die Teams der Abteilungen wurden<br />

interdisziplinär zusammengestellt.<br />

Querschnittsaufgaben wurden von den Bereichen<br />

„Systemanalyse und Simulation“<br />

sowie „Kommunikation und Öffentlichkeit“<br />

übernommen.<br />

Durch zwei Publikationen wurde das Institut<br />

in den Anfangsjahren national wie international<br />

bekannt: 1995 erschien die von<br />

BUND und MISEREOR in Auftrag gegebene<br />

Studie „Zukunftsfähiges Deutschl<strong>and</strong>“. Mit<br />

ihr betrat das Team am Wuppertal Institut<br />

methodisches Neul<strong>and</strong>. Ausgehend von einer<br />

Abschätzung der Tragekapazität der<br />

Erde, des „Umweltraumes“, entwickelte<br />

diese Studie Leitbilder, nach welchen eine<br />

Übernutzung des uns „zustehenden“ Um-<br />

Soziale Technik 2/2011<br />

13


Gastredaktion<br />

Organisatorische Struktur der Wuppertal Institut-Forschung seit 2003<br />

wurde dies methodisch und inhaltlich unter<br />

dem Stichwort „Sustainability Research“<br />

in der Forschungsagenda des Wuppertal Instituts<br />

umgesetzt.<br />

Im Ergebnis entst<strong>and</strong>en vier Forschungsgruppen:<br />

„Zukünftige Energie- und Mobilitätsstrukturen“,<br />

„Energie-, Verkehrs- und<br />

Klimapolitik“, „Stoffströme und Ressourcenmanagement“<br />

sowie „Nachhaltiges<br />

Produzieren und Konsumieren“. Mit dieser<br />

Struktur wurden bewusst die sektoralen<br />

Abgrenzungen aufgebrochen und ein integrierter<br />

Forschungsansatz gefördert, der<br />

sich stärker an H<strong>and</strong>lungsebenen orientiert.<br />

Dabei ist die Forschung am Wuppertal<br />

Institut:<br />

■ integrativ, d. h. sie verbindet Klima-, Umwelt-<br />

und Energieaspekte bei ihren ökologischen<br />

Betrachtungen;<br />

■ multiskalig, d. h. sie verbindet Analysen<br />

auf Mikro- (lokal, einzelne<br />

Unternehmen/Akteure), Meso- (regional,<br />

Branchen-Ebene) und Makro-Ebene (national/international).<br />

■ interdisziplinär und akteursorientiert,<br />

d. h. sie greift auf die Wissensbestände natur-,<br />

ingenieurs-, sozial-, kultur- und wirtschaftswissenschaftlicher<br />

Disziplinen zurück<br />

(und verknüpft diese mit Wissensbeständen<br />

von Akteuren in Politik, Wirtschaft<br />

und Gesellschaft).<br />

Seit 2005 hat das Wuppertal Institut ein<br />

Programm zur Förderung von Doktor<strong>and</strong>innen<br />

und Doktor<strong>and</strong>en eingerichtet, das<br />

eine kontinuierlich steigende Zahl von Anfragen<br />

aus dem In- und Ausl<strong>and</strong> verzeichnet.<br />

In Kooperation mit namhaften Universitäten<br />

fördert das Institut den akademischen<br />

Nachwuchs und stärkt seine akademische<br />

Verankerung. Zudem wurde die wissenschaftliche<br />

Kooperation mit Hochschulen<br />

im In- und Ausl<strong>and</strong> auch in <strong>and</strong>eren Feldern<br />

stark ausgebaut.<br />

Übergreifende Forschungsfragen wurden in<br />

„Quergruppen“ unter Beteiligung aller Forschungsgruppen<br />

bearbeitet. Ein sichtbares<br />

Ergebnis einer solchen Zusammenarbeit waren<br />

das im Jahr 2010 abgeschlossene Großprojekt<br />

MaRess zu Strategien einer Steigerung<br />

der Material- und Ressourceneffizienz<br />

sowie das Erscheinen der über 600 Seiten<br />

starken Studie „Zukunftsfähiges Deutschl<strong>and</strong><br />

in einer globalisierten Welt“ im Herbst<br />

2008, die von 30 Autor(inn)en unter der<br />

Leitung von Wolfgang Sachs erstellt wurde.<br />

Heute arbeiten rund 200 Personen im<br />

Wuppertal Institut.<br />

weltraumes vermieden werden kann. Diese<br />

stützten sich auf „Effizienz“ und „Suffizienz“.<br />

1997 erschien das Buch „Faktor Vier.<br />

Doppelter Wohlst<strong>and</strong> – halbierter Naturverbrauch“<br />

von Ernst Ulrich von Weizsäcker,<br />

Amory und Hunter Lovins (Rocky Mountain<br />

Institute, USA). Sie trugen fünfzig Beispiele<br />

für komfortable Produkte mit halbiertem<br />

Naturverbrauch. Die These: Durch den<br />

effizienten Umgang mit Ressourcen gelingt<br />

es, den Naturverbrauch zu halbieren und<br />

gleichzeitig den Wohlst<strong>and</strong> zu verdoppeln.<br />

Das Buch wurde <strong>als</strong> „Bericht an den Club of<br />

Rome“ akzeptiert und blieb mehrere Monate<br />

auf den Bestsellerlisten. Es ist inzwischen<br />

in mehr <strong>als</strong> zehn Sprachen übersetzt<br />

worden.<br />

Der zunehmende Akteursbezug in der<br />

Nachhaltigkeitsforschung manifestierte sich<br />

beim Wuppertal Institut auch in der Wissenschaftsorganisation.<br />

So wurde im Jahr<br />

2000 die Arbeitsgruppe „Ökoeffizienz & Zukunftsfähige<br />

Unternehmen“ gegründet mit<br />

einem Schwerpunkt auf der ökonomischen,<br />

ökologischen und sozialverträglichen Entwicklung<br />

von Branchen, Unternehmen und<br />

Produktlinien.<br />

Zehn Jahre nach der Rio-Konferenz wurden<br />

auf dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung<br />

in Johannesburg im September 2002<br />

die internationalen Vereinbarungen zu<br />

nachhaltiger Entwicklung mit neuen Zeitzielen<br />

und H<strong>and</strong>lungsprioritäten fortgeschrieben.<br />

In seinem „Plan of Implementation“<br />

formulierte der Weltgipfel auch ein integriertes<br />

Wissenschafts- und Politikverständnis.<br />

Mit der Neukonzipierung des<br />

Wuppertaler Forschungsprogramms 2003<br />

Die neue Herausforderung:<br />

Übergänge gestalten<br />

Seit 2010 konzentriert sich das Institut noch<br />

stärker auf die Gestaltung der Übergangsprozesse<br />

zu einer ressourcenleichten und<br />

klimaverträglichen Lebens- und Wirtschaftsweise.<br />

Mit dieser Perspektive löst es<br />

die erst kürzlich in ihrer Bedeutung vom<br />

Wissenschaftlichen Beirat für Globale Umweltveränderungen<br />

WBGU (2011) unterstrichene<br />

Forderung nach verstärkter „transformativer<br />

Forschung“ für eine Nachhaltige<br />

Entwicklung ein.<br />

Mit seiner Mission einer angew<strong>and</strong>ten<br />

Nachhaltigkeitsforschung ist das Wuppertal<br />

Institut faktisch seit seiner Gründung eine<br />

internationale Vorreiterinstitution einer so<br />

verst<strong>and</strong>enen transformativen Forschung<br />

im Kontext nachhaltiger Entwicklung: Neben<br />

umfassenden technologischen Systemanalysen<br />

auf unterschiedlichen Ebenen hat<br />

es Akzente beim Zielwissen (Vgl. „Faktor 4“,<br />

„Faktor 10“) und mit Akteuren erarbeiteten<br />

Transformationswissen (vgl. Zukunftsfähiges<br />

Deutschl<strong>and</strong> 1996/2008) gesetzt.<br />

In seiner Arbeit baut das Wuppertal Institut<br />

auf (inter-)disziplinärer Grundlagenforschung<br />

einer großen Zahl an Disziplinen<br />

auf. Es konzentriert sich auf die Schaffung<br />

von Transformationswissen eines Zyklus aus<br />

1. Problemanalyse,<br />

2. Visions-Entwicklung,<br />

3. Experimenten und daraus gewonnenen<br />

Erkenntnissen für die<br />

4. Diffusion von Lösungen (Transition-Zyklus<br />

nach Loorbach u. a. 2007).<br />

Seit 2010 erfolgt die Definition zentraler<br />

Forschungsthemen, -schwerpunkte und<br />

-projekte über den gemeinsamen Rahmen<br />

Soziale Technik 2/2011<br />

14


Gastredaktion<br />

der „Transition-Perspektive“. Die Transition-Perspektive<br />

integriert dabei die Kompetenzen<br />

der unterschiedlichen Forschungsgruppen.<br />

Das enge Zusammenspiel von Systemanalyse,<br />

Visionsentwicklung, begleitenden<br />

Experimenten und der Organisation<br />

von Lernprozessen („Transition-Zyklus“)<br />

über die unterschiedlichen Forschungsgruppen<br />

hinweg ist konstituierend für die übergreifende<br />

Forschung des Institutes. Sie fließt<br />

einmal <strong>als</strong> Orientierung in die Forschungsprogramme<br />

der einzelnen Forschungsgruppen<br />

ein, zum <strong>and</strong>eren ist sie Grundlage für<br />

die Definition aktueller institutsübergreifender<br />

Projekte und Themenentwicklung.<br />

Urban Transitions – Städte <strong>als</strong><br />

Experimentierorte für einen<br />

nachhaltigen W<strong>and</strong>el<br />

In der Forschung des Wuppertal Institutes<br />

spielen im Sinne der oben skizzierten Transition-Forschung<br />

in jüngster Zeit Projekte zu<br />

nachhaltigkeitsorientierten W<strong>and</strong>lungsprozessen<br />

in Städten eine wichtige Rolle. In<br />

Städten entscheidet sich global die Frage<br />

nach einer nachhaltigen Zukunft. 2050 werden<br />

weit über die Hälfte aller Menschen in<br />

Städten leben, hier findet der größte Teil des<br />

Ressourcenverbrauches und der CO 2 -Emissionen<br />

statt. Gleichzeitig sind Städte die kulturellen<br />

Taktgeber für die Entwicklung neuer<br />

Wohlst<strong>and</strong>s- und Zivilisationsmodelle.<br />

Das Wuppertal Institut nähert sich den damit<br />

verbundenen Fragen einmal aus der Perspektive<br />

technologischer Szenarien. So hat<br />

das Institut im Jahr 2009 im Auftrag der Siemens<br />

AG ein technologisches Transformationsszenario<br />

für eine CO 2 -freie Zukunft für<br />

die Stadt München im Jahre 2058 entwi-<br />

Soziale Technik 2/2011<br />

15


Gastredaktion<br />

ckelt. Demnach können die CO 2 -Emissionen<br />

Münchens bis zum 900-sten Stadtjubiläum<br />

im Jahr 2058 durch flächendeckende<br />

und konsequente Effizienzmaßnahmen sowie<br />

eine Substitution fossiler Energieträger<br />

um etwa 90 Prozent auf nur noch 750 Kilogramm<br />

pro Einwohner/in und Jahr verringert<br />

werden. Für 2008 lag der CO 2 -Ausstoß<br />

pro Münchner/in noch bei 6,5 Tonnen.<br />

Zu einer großmaßstäblichen Umsetzung<br />

solcher technologischen Szenarien wird es<br />

aber nur dann kommen, wenn die vorliegenden<br />

Konzepte die h<strong>and</strong>elnden Akteure<br />

zu überzeugen wissen und zum Mitmachen<br />

ermuntern. Technologische Entwürfe müssen<br />

daher durch gemeinsam entwickelte Visionen<br />

einer zukunftsfähigen Stadtentwicklung<br />

begleitet werden. Eine solche ist die<br />

Studie „Zukunftsfähiges Hamburg – Zeit<br />

zum H<strong>and</strong>eln“ 2 , die das Wuppertal Institut<br />

im Jahr 2010 im Auftrag von Umweltverbänden<br />

und Kirchen erarbeitet hat. Hier ist<br />

ein gemeinsamer Zukunftsentwurf für ein<br />

ökologisch und sozial gerechtes Hamburg<br />

entst<strong>and</strong>en, der auf der umfassenden Studie<br />

„Zukunftsfähiges Deutschl<strong>and</strong> in einer globalisierten<br />

Welt“ 3 beruht.<br />

Realisierbare und für die Akteure überzeugende<br />

sowie h<strong>and</strong>lungsleitende Konzepte<br />

brauchen zudem das Zusammenspiel von<br />

Wissenschaftler/innen, Praktiker/innen, Politiker/innen<br />

und Bürger/innen. Hier<br />

entsteht transdisziplinäres Wissen über Problemlösungsstrategien,<br />

allerdings nicht am<br />

„Reißbrett“, sondern nur in der realen Erprobung<br />

auf möglichst umfassenden Experimentierfeldern.<br />

Einen solchen Weg geht die<br />

„InnovationCity Ruhr“. In diesem im Jahr<br />

2009 durch den Initiativkreis Ruhr gestarteten<br />

Projekt wurde im Jahr 2010 die Stadt<br />

Bottrop <strong>als</strong> Pilotstadt im Ruhrgebiet ausgewählt,<br />

um auf der Grundlage umfassender<br />

Investitionen zu zeigen, wie eine bestehende<br />

Industriestadt innerhalb von zehn Jahren ihren<br />

CO 2 -Ausstoß halbieren kann. Das Wuppertal<br />

Institut wird neben <strong>and</strong>eren Forschungseinrichtungen<br />

diesen Prozess begleiten.<br />

Ein wichtiger Baustein der Begleitforschung<br />

ist – ganz im Sinne des Transition-<br />

Zyklus –, frühzeitig den Transfer erfolgreicher<br />

Konzepte in <strong>and</strong>ere Städte zu unterstützen.<br />

Dieser Transfer hat dann eine besondere<br />

Wirkung, wenn er im internationalen<br />

Rahmen passiert. Hier hat das Wuppertal<br />

Institut Anfang 2011 ein von der Stiftung<br />

Mercator gefördertes Projekt gestartet, in der<br />

die Städte Düsseldorf und Wuxi in China<br />

sich gemeinsam auf den Weg einer Low-<br />

Carbon und Low-Resource-Strategie begeben,<br />

um möglichst umfassend von gegenseitigen<br />

technologischen und institutionellen<br />

Lernprozessen zu profitieren.<br />

Arbeit in Netzwerken<br />

Ein solches umfassendes Forschungsprogramm<br />

ist nur in einem engmaschigen<br />

Partnernetzwerk einzulösen. Das Wuppertal<br />

Institut kooperiert daher weltweit mit<br />

weit über 100 wissenschaftlichen Partner-<br />

Einrichtungen. Dabei spielen sowohl<br />

Theorie-/Konzeptpartner (insbesondere im<br />

Feld Ingenieur-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften),<br />

Methodenpartner (insbesondere<br />

bei der Entwicklung neuer trans-<br />

disziplinärer Methoden zur Begleitung<br />

von Transformationsprozessen) <strong>als</strong> auch<br />

Regionenpartner (zur Durchführung von<br />

Transformationsprojekten unter <strong>and</strong>erem<br />

in China, Indien oder Südamerika) eine<br />

wichtige Rolle.<br />

Kontakt<br />

Über die Arbeit und alle Projekte des<br />

Wuppertal Instituts informiert ausführlich<br />

die Homepage www.wupperinst.org.<br />

Am 30.09.2011 findet eine große Tagung<br />

zur 20-Jahrfeier des Instituts statt.<br />

Informationen dazu finden sich<br />

ebenfalls auf der Homepage unter<br />

http://20jahre.wupperinst.org<br />

Anmerkungen<br />

1 Günther Einert: Die Vision des L<strong>and</strong>es<br />

Nordrhein-Westfalen. Rede des Ministers<br />

a. D. für Wirtschaft, Mittelst<strong>and</strong> und Technologie<br />

des L<strong>and</strong>es Nordrhein-Westfalen,<br />

stellvertretend gehalten für den Ministerpräsidenten<br />

des L<strong>and</strong>es Nordrhein-Westfalen,<br />

Johannes Rau, am 19. September 1991<br />

auf dem Eröffnungskongress des Wuppertal<br />

Instituts.<br />

2 BUND Hamburg, Diakonisches Werk<br />

Hamburg, Zukunftsrat Hamburg (Hrsg.):<br />

Zukunftsfähiges Hamburg – Zeit zum<br />

H<strong>and</strong>eln. Eine Studie des Wuppertal Instituts<br />

für Klima, Umwelt, Energie. Hamburg:<br />

Dölling und Galitz Verlag 2010.<br />

3 Zukunftsfähiges Deutschl<strong>and</strong> in einer<br />

globalisierten Welt. Ein Anstoß zur gesellschaftlichen<br />

Debatte. Frankfurt/Main:<br />

Fischer Taschenbuch Verlag 2008. ■<br />

Einbettung der Forschung des Wuppertal Instituts zwischen Grundlagenforschung und Anwendung<br />

Soziale Technik 2/2011<br />

16


Neue Biotechnologien<br />

Bewegung ohne Grenzen<br />

Wie transnational ist die europäische Anti-Gentechnikbewegung<br />

Die Frage, welche Rolle die europäischen Nation<strong>als</strong>taaten, das supra -<br />

nationale Gefüge der EU und internationale Organisationen für die in<br />

hohem Maß transnational agierende Anti-Gentechnik Bewegung spielt,<br />

steht im Zentrum des vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF<br />

geförderten Projektes „Transnationale Bewegungen jenseits des Staates“<br />

Franz Seifert<br />

ist Sozialwissenschaftler und Biologe, erhielt<br />

zahlreiche Stipendien im In- und Ausl<strong>and</strong>.<br />

Lehrtätigkeit am Institut für Politikwissenschaft der<br />

Universität Wien. Derzeit Leitung eines FWF-<br />

Forschungsprojektes zur Rolle des Staates in der<br />

transnationalen Protestbewegung gegen die l<strong>and</strong>wirtschaftliche<br />

Gentechnik, einer Vergleichsstudie<br />

der Länder Deutschl<strong>and</strong>, Frankreich, Großbritannien,<br />

Österreich und Spanien.<br />

E-Mail: fseifert@gmx.at<br />

Verliert der Nation<strong>als</strong>taat an<br />

Bedeutung<br />

Vor dem Hintergrund der fortschreitenden<br />

wirtschaftlichen Globalisierung und der<br />

Einbettung des Nation<strong>als</strong>taats in supraund<br />

internationale Regelungsgefüge liegt<br />

die Vermutung nahe, dass Nation<strong>als</strong>taaten<br />

ihre Bedeutung für das Engagement sozialer<br />

Bewegungen einbüßen. Ist es nicht folgerichtig,<br />

dass in einer polyzentrischen<br />

Welt Instanzen jenseits des Nation<strong>als</strong>taats<br />

– multinationale Industrien oder internationale<br />

Organisationen und Verh<strong>and</strong>lungsprozesse<br />

etwa – zu den primären Angriffszielen<br />

von Protestbewegungen werden<br />

Und sind soziale Bewegungen nicht<br />

Vernetzungsspezialisten, die mit Hilfe billiger<br />

Transportmittel und digitaler Kommunikationsnetze<br />

mit nie dagewesener Leichtigkeit<br />

nationale Grenzen überschreiten<br />

Der Konflikt um die l<strong>and</strong>wirtschaftliche<br />

Gentechnik in der EU bietet hier interessantes<br />

Material. So wurde der Konflikt<br />

scheinbar in einer gesamteuropäischen<br />

Öffentlichkeit ausgetragen, wesentliche<br />

Hauptakteure sind transnational agierende<br />

NGOs, und auch der gesamten EU-Raum<br />

reagiert auf diese Bewegung.<br />

Nationale Kontextbedingungen<br />

Die hier favorisierte These lautet dennoch,<br />

dass der Nation<strong>als</strong>taat bzw. nationale Öffentlichkeiten<br />

trotz allem die wichtigsten<br />

„Ansprechpartner“ der Anti-Gentechnik-<br />

Bewegung bleiben. Diese Annahme ergibt<br />

sich aus bisherigen Forschungsarbeiten,<br />

die ergeben haben, dass der nationale Rahmen<br />

letztlich den entscheidenden Kontext<br />

großer öffentlicher Debatten, auch solcher<br />

europäischer Dimension, abgibt. Zwar können<br />

diese vielen nationalen Debatten EU-<br />

Entscheidungsprozesse beeinflussen, doch<br />

„wissen“ nationale Debatten in der Regel<br />

„nichts vonein<strong>and</strong>er“, bleiben in Inhalten<br />

und Dynamik <strong>als</strong>o weitgehend autonom.<br />

Bezogen auf das Engagement sozialer Bewegungen,<br />

die stets in Tuchfühlung mit<br />

der Öffentlichkeit operieren, legt das eine<br />

Reihe von Voraussagen über deren Ziele,<br />

Strategien und Reichweite nahe. Mit diesen<br />

Voraussagen wiederum lassen sich<br />

diese Grundannahmen empirisch überprüfen.<br />

Wenn es zum Beispiel stimmt, dass soziale<br />

Bewegungen in nationalen Öffentlichkeiten<br />

verhaftet bleiben, dann müsste<br />

deren Verhalten und Erscheinungsbild<br />

auch empirisch nachweislich durch den<br />

nationalen Kontext geprägt sein. Nationale<br />

Bewegungen müssten erhebliche nationale<br />

Unterschiede aufweisen, und diese müssten<br />

systematisch aus nationalen Kontextbedingungen<br />

resultieren. Betrachtet man die<br />

Anti-Gentechnikbewegung hingegen <strong>als</strong><br />

„Bewegung ohne Grenzen“, gelangt man zu<br />

<strong>and</strong>eren Voraussagen. Man würde dann<br />

zwischen nationalen Arenen nur geringe<br />

Unterschiede erwarten, da mittels transnationaler<br />

Koordination und Diffusion Kampagnen<br />

und Proteststrategien von Bewegungen<br />

synchronisiert und ein<strong>and</strong>er angeglichen<br />

würden.<br />

Forschungsdesign<br />

Das Forschungsdesign umfasst vier „vertikale“<br />

Ebenen – <strong>als</strong>o die regionale, nationale,<br />

supra- und internationale Ebene, sein<br />

Herzstück bildet allerdings die systematische<br />

Vergleichsuntersuchung auf „horizontaler“<br />

Ebene: ein Vergleich der Anti-<br />

Gentechnikbewegungen in fünf ausgewählten<br />

Ländern der EU – Deutschl<strong>and</strong>,<br />

Frankreich, Großbritannien, Österreich<br />

und Spanien – über einen Zeitraum von 15<br />

Jahren. Die Daten dazu werden über quantitative<br />

wie qualitative Methoden erhoben.<br />

Qualitativ werden eine Vielzahl an Quellen<br />

ausgewertet, neben Aktivistenmaterialien<br />

und Medienberichten auch Interviews mit<br />

Schlüsselakteuren und Protokolle aus teilnehmender<br />

Beobachtung, die in mehrwöchigen<br />

Rechercheaufenthalten in den untersuchten<br />

Ländern entst<strong>and</strong>en. Der quantitative<br />

Ansatz folgt der Protestereignisanalyse:<br />

über den besagten Zeitraum werden<br />

aus nationalen Medien (Le Monde, El País,<br />

The Guardian, Süddeutsche Zeitung, Ku-<br />

Soziale Technik 2/2011<br />

17


Neue Biotechnologien<br />

rier/Der St<strong>and</strong>ard) sämtliche relevanten<br />

H<strong>and</strong>lungen von Bewegungsakteuren erfasst,<br />

was einen systematischen Vergleich<br />

von Verläufen, Intensitäten und H<strong>and</strong>lungsrepertoires<br />

erlaubt. Diese Zeitreihen<br />

sind in ihrer Art einzigartig und werden<br />

sich zu einer Reihe <strong>and</strong>erer systematisch<br />

gewonnener Datenreihen in Bezug setzen<br />

lassen, etwa zu Entscheidungsverläufen nationaler<br />

Regierungen oder auch zum reichen<br />

Fundus vergleichender Meinungsumfragen<br />

des Eurobarometer.<br />

Nationale Unterschiede, Vorreiter<br />

Frankreich, Diffusion<br />

Aus dem quantitativen Vergleich geht bereits<br />

klar die Unterschiedlichkeit nationaler<br />

Bewegungen in den untersuchten Ländern<br />

hervor. Das gilt für deren zeitlichen<br />

Verlauf und deren Intensität, die Wahl ihrer<br />

Mittel und ihre politische Durchschlagskraft.<br />

Eine Bestätigung <strong>als</strong>o für die<br />

konservative These. In Spanien beispielsweise<br />

ist nach langen Bemühungen eines<br />

kleinen, regional zersplitterten Aktivistenkreises<br />

erst in den letzten Jahren eine nationale<br />

Bewegung mit einem gewissen Mobilisierungspotenzial<br />

entst<strong>and</strong>en. Dabei ist<br />

Spanien das einzige EU-L<strong>and</strong> mit großflächigem<br />

Anbau von gentechnisch verändertem<br />

Mais. Jedoch gelingt es der Bewegung<br />

kaum, öffentliche Resonanz zu erzeugen.<br />

Im Gegensatz dazu hatte die Anti-Gentechnikbewegung<br />

in Österreich schon zu einem<br />

sehr frühen Zeitpunkt einen durchschlagenden<br />

Erfolg, und dies ohne jem<strong>als</strong><br />

radikale Mittel eingesetzt zu haben.<br />

Deutschl<strong>and</strong> wiederum, das in den achtziger<br />

und frühen neunziger Jahren zu den<br />

größten Skeptikern der Gentechnik zählte,<br />

überrascht durch die relativ späte Radikalisierung<br />

der Bewegung gegen deren l<strong>and</strong>wirtschaftliche<br />

Anwendungen. Erst durch<br />

das von lokalen Bewegungsakteuren entscheidend<br />

mitverursachte „Kippen“ der<br />

Meinung in Bayern, und damit der Position<br />

der CSU, schwenkte Deutschl<strong>and</strong> in<br />

jüngster Zeit auch europäisch auf seinen<br />

traditionell kritischeren Kurs zurück. Im<br />

Vereinigten Königreich wiederum ist die<br />

Bewegung seit Jahren verebbt, nachdem sie<br />

nach einer kurzen, aber heftigen Radikalisierung<br />

1999 und in den frühen 2000er<br />

Jahren, die massiv auf die Zerstörung von<br />

Freisetzungsversuchen setzte, zumindest<br />

im eigenen L<strong>and</strong> ihre Ziele erreicht hat.<br />

Deutlich aber hebt sich Frankreich von allen<br />

<strong>and</strong>eren Ländern ab. Frankreich hat offenbar<br />

die längste und intensivste Kontroverse<br />

in Europa durchgemacht und auch<br />

die radik<strong>als</strong>te Anti-Gentechnikbewegung<br />

hervorgebracht. Außergewöhnlich ist die<br />

Wahl ihrer Mittel: die offene Zerstörung<br />

von GVO-Feldern – teils kommerziellen,<br />

großteils aber Versuchsfeldern – und das<br />

Ausfechten der rechtlichen Konsequenzen<br />

dieser Aktionen im Scheinwerfer der Medien.<br />

Außergewöhnlich ist aber auch ihre<br />

ausgeprägte Neigung zur Personalisierung:<br />

nirgendwo sonst konnte sich eine so charismatische<br />

Führungspersönlichkeit wie<br />

der Ökologie-, Antiglobalisierungs- und<br />

Bauernaktivist José Bové ins Zentrum der<br />

Debatte setzen.<br />

Aber auch Belege für Transnationalisierung<br />

lassen sich anführen. So weist die europäische<br />

Anti-Gentechnikbewegung bei aller<br />

nationaler Fragmentierung auch ein hohes<br />

Maß an grenzüberschreitender Koordination<br />

und Diffusion von Ideen, Diskursen<br />

und Praktiken auf. Eine Schlüsselrolle in<br />

diesen Prozessen spielen transnationale,<br />

professionelle Organisationen wie Greenpeace<br />

und Friends of the Earth (eine<br />

Schirmorganisation für eigenständige nationale<br />

Umweltgruppen), die im Rahmen<br />

der europäischen Anti-Gentechnikbewegung<br />

eine Reihe spezifischer Kampagnen<br />

koordiniert haben. Diffusion ist aber auch<br />

zwischen lokal verankerten Bewegungsakteuren<br />

nachzuweisen. Eine Teilstudie beschäftigt<br />

sich mit der Übernahme der radikalen<br />

französischen Methoden durch spanische<br />

und deutsche Aktivisten. Auch hier<br />

gilt aber, dass die jeweilige Ausgestaltung<br />

und der Erfolg solcher grenzüberschreitender<br />

Diffusionsprozesse von den nationalen<br />

Kontextbedingungen abhängen.<br />

Fazit<br />

Obwohl sich <strong>als</strong>o summarisch das Bild einer<br />

vielschichtigen Verflechtung von nationalen<br />

und transnationalen Prozessen ergibt,<br />

liefern bisherigen Befunde deutliche<br />

Belege dafür, dass der politische und soziale<br />

Kontext des Nation<strong>als</strong>taats Aufbau,<br />

H<strong>and</strong>lungsweise und Erfolg sozialer Bewegungen<br />

nach wie vor am stärksten prägt.<br />

Literatur<br />

• Franz Seifert: Consensual NIMBYs, Contentious<br />

NIABYs: Explaining Contrasting Forms<br />

of Farmers GMO Opposition in Austria <strong>and</strong><br />

France, in: Sociologica Ruralis 49 (1) 2009,<br />

20-40.<br />

• Franz Seifert: Back to Politics at Last. Orthodox<br />

Inertia in the Transatlantic Conflict over<br />

Agro-Biotechnology, in: Science, Technology<br />

& Innovation Studies 6 (2) 2010, 101-126<br />

(www.sti-studies.de). ■<br />

Soziale Technik 2/2011<br />

18


Frauen & Technik<br />

Mobile Frauen in der<br />

Wissenschaft<br />

Wissenschaftskarrieren im Kontext der Ost-West-Migration<br />

Der Beitrag befasst sich mit Ingenieur- und Naturwissenschaftlerinnen<br />

aus postsozialistischen Ländern, die im Kontext internationaler Wissenschaftsmobilität<br />

ihre Karrieren an deutschen Hochschulen vor dem Hintergrund<br />

migrations- und geschlechtsbezogener Barrieren gestalten.<br />

Andrea Wolffram<br />

Promotion 2002 an der TU Braunschweig zu<br />

Frauen im Technikstudium, anschließend stell -<br />

vertretende Leitung der Arbeitsgruppe „Arbeit-<br />

<strong>Gender</strong>-Technik“ an der TU Hamburg-Harburg,<br />

seit 2008 stellvertretende Leitung der Stabstelle<br />

Integration Team – <strong>Human</strong> <strong>Resources</strong>, <strong>Gender</strong> <strong>and</strong><br />

<strong>Diversity</strong> Management an der RWTH Aachen.<br />

Arbeits-und Forschungsschwerpunkte im Bereich<br />

der diversitygerechten Personal- und Organisations -<br />

entwicklung sowie <strong>Gender</strong> und <strong>Diversity</strong> in der<br />

Wissenschafts- und Technikforschung.<br />

E-Mail: <strong>and</strong>rea.wolffram@igad.rwth-aachen.de<br />

Transnationale Karrierewege<br />

In modernen Wissensgesellschaften sind<br />

Wissenschaft und Forschung von zentraler<br />

Bedeutung für die Fortentwicklung von<br />

Wirtschaft und Gesellschaft. Wissenschaft<br />

und Forschung haben sich zu einem Bereich<br />

entwickelt, der durch zunehmende<br />

internationale Vernetzung und die Mobilität<br />

von Wissen und WissenschaftlerInnen<br />

charakterisiert ist. Inzwischen gilt grenzüberschreitende<br />

Mobilität von Studierenden<br />

und WissenschaftlerInnen <strong>als</strong> ein Qualitätsmerkmal<br />

von wissenschaftlicher Ausbildung<br />

und gehört zu den Imperativen für<br />

eine Karriere in der Wissenschaft (Ackers<br />

2008). Entsprechend gestalten WissenschaftlerInnen<br />

ihre Karrierewege in der<br />

Wissenschaft zunehmend transnational,<br />

um ihre Karrierechancen zu erhöhen.<br />

Mit dem Ende der ehemaligen sozialistischen<br />

Regime in den damaligen Ostblockstaaten,<br />

der damit einhergehenden EU-<br />

Osterweiterung sowie dem deutschen Zuw<strong>and</strong>erungsgesetz<br />

von 2005 wurde Hochqualifizierten<br />

und damit auch WissenschaftlerInnen<br />

aus postsozialistischen Staaten<br />

der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt<br />

und an die Hochschulen ermöglicht.<br />

Da in den sozialistischen Staaten die<br />

Ausbildungssysteme gut ausgebaut waren,<br />

verfügen viele MigrantInnen aus Osteuropa<br />

über eine Hochschulausbildung. Unter<br />

ihnen befindet sich eine erhebliche Anzahl<br />

von Frauen mit einer akademischen<br />

Ausbildung in den Natur- und Ingenieurwissenschaften,<br />

da diese Berufsfelder in<br />

diesen Ländern weitaus weniger geschlechtlich<br />

segregiert waren <strong>als</strong> in<br />

Deutschl<strong>and</strong>. Laut Mikrozensus haben<br />

2008 in Deutschl<strong>and</strong> rund 1,6 Millionen<br />

Personen mit einer osteuropäischen Nationalität,<br />

von denen wiederum ca. 60%<br />

weiblich sind, gelebt (Statistisches Bundesamt<br />

2010). Nach EUROSTAT haben von<br />

diesen Osteuropäerinnen im Jahr 2008<br />

rund 80.000 Frauen einen Universitätsabschluss,<br />

ca. 10.000 der Akademikerinnen<br />

haben diesen in den Natur- und Ingenieurwissenschaften<br />

erworben. 1 Aus der Auswertung<br />

des HIS (Hochschul-Informations-<br />

System GmbH, Hannover) der ICE-Datenbank<br />

des Deutschen Akademischen Austauschdiensts<br />

DAAD (ICE = Information,<br />

Controlling, Entscheidung) geht hervor,<br />

dass aber nur 842 Wissenschaftlerinnen in<br />

Natur- und Ingenieurwissenschaften aus<br />

den osteuropäischen Staaten im Jahr 2007<br />

an deutschen Hochschulen beschäftigt waren.<br />

2 Vor diesem Hintergrund zeichnet sich<br />

somit ein Bild ab, wonach zwar eine bedeutsame<br />

Anzahl an hochqualifizierten<br />

Migrantinnen in Naturwissenschaft und<br />

Technik aus den postsozialistischen Staaten<br />

in der BRD leben, diese jedoch gleichzeitig<br />

in den spezifischen beruflichen Feldern<br />

unterrepräsentiert sind.<br />

Das Projekt „Hochqualifizierte Migrantinnen<br />

in der technologischen Spitzenforschung<br />

an Hochschulen“ 3 hat vor diesem<br />

Hintergrund untersucht, welche Karrierestrategien<br />

osteuropäischer Wissenschaftlerinnen<br />

im Gebiet der Ingenieur- und Naturwissenschaften<br />

an deutschen Universitäten<br />

zum Erfolg führen. Bei der Verfolgung dieser<br />

Fragestellungen wurde ein Schwerpunkt<br />

insbesondere auf das intersektionelle Zusammenspiel<br />

der Strukturkategorien Geschlecht<br />

und Migration gelegt und deren<br />

Einfluss auf die Karriereverläufe von osteuropäischen<br />

Wissenschaftlerinnen gelegt.<br />

Im Folgenden werden die Ergebnisse aus<br />

zehn biografischen Interviews mit Wissenschaftlerinnen<br />

osteuropäischer Herkunft<br />

vorgestellt, die an einer deutschen Hochschule<br />

eine Karriere in der Wissenschaft<br />

verfolgen. Die Interviews wurden im Wintersemester<br />

2009/10 geführt. Zuvor wurden<br />

drei Interviews mit ExpertInnen ge-<br />

Soziale Technik 2/2011<br />

19


Frauen & Technik<br />

führt, die im Service- und Beratungsbereich<br />

hochqualifzierter Migration arbeiten.<br />

Die Ergebnisse fokussieren zum einen auf<br />

die Strategien der Befragten, mit denen sie<br />

ethnisch und geschlechtlich bedingte<br />

Schließungsmechanismen umgehen konnten.<br />

Zum <strong>and</strong>eren geben die Ergebnisse<br />

Aufschluss über die persönlichen Bedingungen<br />

und strukturellen Konstellationen,<br />

die letztlich eine erfolgreiche berufliche<br />

Platzierung und Etablierung bewirkten.<br />

Karrierehemmnisse und -strategien<br />

Osteuropäische Wissenschaftlerinnen,<br />

die mit einem Arbeitsvertrag eingereist<br />

sind, befinden sich in einer priviligierten<br />

Situation gegenüber <strong>and</strong>eren migrierten<br />

Wissenschaftlerinnen bzw. <strong>and</strong>eren MigrantInnen<br />

mit einer akademischen technisch-naturwissenschaftlichen<br />

Ausbildung,<br />

die jedoch ohne Arbeitsvertrag migriert<br />

sind. Wenn Stellenangebote, beziehungsweise<br />

erfolgreiche Bewerbungen aus<br />

dem Herkunftsl<strong>and</strong> ersteren einen direkten<br />

Zugang in die deutsche Scientific Community<br />

ermöglichten, dann konnten sie jene<br />

Barrieren umgehen, die hochqualifizierte<br />

MigrantInnen oftm<strong>als</strong> überwinden müssen,<br />

wenn sie bereits in Deutschl<strong>and</strong> leben und<br />

von hier aus Zugang zum Arbeitsmarkt bzw.<br />

zur Hochschule suchen, um ihre Karrieren<br />

weiterzuführen. Sie übersprangen dadurch<br />

die kritische Übergangsphase in der Migrationspassage,<br />

die sich insbesondere durch<br />

eine mangelnde Anerkennung von Abschlüssen<br />

und durch weitere Probleme im<br />

Kontext von Aufenthalts- und Arbeitsrecht<br />

charakterisieren lässt. Den befragten Migrantinnen<br />

eröffneten sich Stellenangebote<br />

oftm<strong>als</strong> über zuvor bestehende Kontakte zu<br />

deutschen ProfessorInnen, die dann zumeist<br />

die späteren Doktorväter bzw. -mütter<br />

wurden. Diese Kontakte resultierten häufig<br />

aus den Netzwerken der betreuenden ProfessorInnen<br />

im Herkunftsl<strong>and</strong>. Auch der<br />

Migration vorangegangene Ausl<strong>and</strong>saufenthalte<br />

in Deutschl<strong>and</strong> sowie die Teilnahme<br />

an internationalen Konferenzen trugen<br />

maßgeblich dazu bei, sich Kontakte zum<br />

deutschen Wissenschaftssystem aufzubauen.<br />

Dennoch mussten auch sie während<br />

ihrer beruflichen Integration spezifische<br />

Hürden überwinden, die sich <strong>als</strong> unmittelbare<br />

Folge aus der Migration ergaben. Trotz<br />

häufig guter Vorkenntnisse der deutschen<br />

Sprache zeigte sich die Sprache <strong>als</strong> eine der<br />

stärksten Barrieren, um sich im Alltag nach<br />

der Migration sowohl sozial integrieren <strong>als</strong><br />

auch fachlich profilieren zu können, da an<br />

deutschen Hochschulen die deutsche Sprache<br />

<strong>als</strong> St<strong>and</strong>ardsprache fast noch alternativlos<br />

verwendet wird. Entsprechend wurde<br />

ein gutes Sprachvermögen nahezu von allen<br />

Befragten <strong>als</strong> extrem wichtige Ressource<br />

und Grundvorrausetzung für die Karriereentwicklung<br />

angesehen. Die eigenen<br />

Sprachfähigkeiten wurden demzufolge sehr<br />

kritisch beurteilt und <strong>als</strong> begrenzender Faktor<br />

in der eigenen beruflichen Entwicklung<br />

wahrgenommen.<br />

Schließlich mussten sich die befragten Migrantinnen<br />

ein Verständnis über das deutsche<br />

Hochschulsystem und dessen Strukturen<br />

erarbeiten und in diesem neuen Kontext<br />

die Karriereplanung anpassen. Dieser<br />

Orientierungsprozess wurde in der Folge<br />

<strong>als</strong> nachteilig für den Fortgang in der wissenschaftlichen<br />

Karriere gewertet. Allerdings<br />

erfuhren die Befragten in diesem<br />

Prozess oftm<strong>als</strong> Unterstützung durch von<br />

ihnen <strong>als</strong> „Mentoren“ bezeichnete (stets<br />

männliche) Professoren sowie durch KollegInnen.<br />

Darüber hinaus wurden die Wissenschaftlerinnen<br />

in ihrem privaten wie<br />

beruflichen Umfeld positiv und offen aufgenommen,<br />

was sie <strong>als</strong> wichtige Erleichterung<br />

während ihrer Integration empf<strong>and</strong>en.<br />

Ihr soziales Umfeld erhielt damit eine<br />

zentrale Bedeutung im Integrationsprozess.<br />

Insgesamt erzählten die Wissenschaftlerinnen<br />

nur vereinzelt von Benachteiligungen<br />

aufgrund ihrer Herkunft. Auf dieser empirischen<br />

Basis lassen sich somit keine Rückschlüsse<br />

auf durchgehende, ethnisch bedingte<br />

diskriminierende Strukturen an<br />

deutschen Hochschulen feststellen.<br />

Dagegen thematisierten die Wissenschaftlerinnen<br />

diskriminierende Erfahrungen<br />

verstärkt in Bezug auf ihren Status <strong>als</strong> Frau<br />

im Wissenschaftssystem. Die Biografieanalysen<br />

der Migrantinnen belegen, wie sich<br />

die Kategorie Geschlecht in unterschiedlicher<br />

Weise erschwerend auf die berufliche<br />

Positionierung und die Karriereentwicklung<br />

der Frauen auswirkt.<br />

Wenngleich die Migrantinnen die geschlechtliche<br />

Segregation ihrer Fächer in<br />

Deutschl<strong>and</strong> stärker wahrnahmen, schildern<br />

sie dennoch vergleichbare geschlechtliche<br />

Strukturierungen in ihren Herkunftsländern.<br />

Ihren Aussagen folgend kommt<br />

Frauen in Osteuropa beispielsweise in der<br />

Mathematik zwar im Vergleich zu Deutschl<strong>and</strong><br />

eine deutlich größere Selbstverständ-<br />

Bezahlte Anzeige<br />

Soziale Technik 2/2011<br />

20


Frauen & Technik<br />

lichkeit zu, jedoch stellen sie in den Ingenieurwissenschaften<br />

dort ebenfalls eine<br />

Minderheit dar.<br />

Besonders starke Benachteiligungen erleben<br />

die Wissenschaftlerinnen vielmehr<br />

durch die massive Vereinbarkeitsproblematik<br />

von Beruf und Familie, vor allem in höheren<br />

akademischen Positionen. Diese<br />

nahmen sie insbesondere vor ihrem kulturellen<br />

Hintergrund wahr, da sie aus ihren<br />

Herkunftsländern deutlich unterstützendere<br />

Strukturen der Vereinbarkeit von Familie<br />

und Beruf gewöhnt waren. Strukturelle<br />

Benachteiligungen äußern sich für sie<br />

in einer ihnen entgegengebrachten Antizipation<br />

eines reduzierten Arbeitskraftpotenzi<strong>als</strong><br />

<strong>als</strong> Frauen mit Kind(ern) beziehungsweise<br />

mit Betreuungsaufgaben. Die Vereinbarkeit<br />

von Beruf und Familie kostet die<br />

Wissenschaftlerinnen nichtsdestotrotz<br />

sehr viel Kraft, Zeit und Organisationstalent.<br />

Kinderbetreuung ist angesichts nicht<br />

ausreichender Angebote in Qualität und<br />

Quantität für die Wissenschaftlerinnen<br />

schwer zu organisieren.<br />

Im Gegensatz zu vielen deutschen Wissenschaftlerinnen<br />

findet sich bei den Wissenschaftlerinnen<br />

mit osteuropäischer Herkunft<br />

eine deutliche kulturelle Prägung im<br />

Hinblick auf Ehe und Mutterschaft, die<br />

sich bei vielen der befragten Frauen in einer<br />

hohen Familienpriorisierung äußert.<br />

Diese wird dabei mit einer gänzlich selbstverständlichen<br />

und gleichzeitigen Berufstätigkeit<br />

verbunden. Gemäß ihrer Familienorientierung<br />

sind fast alle der Befragten<br />

verheiratet und haben ein oder zwei Kinder,<br />

deren Betreuung und Erziehung sie<br />

nur mit sehr großem Aufw<strong>and</strong> mit den Anforderungen<br />

ihrer beruflichen Situation in<br />

Deutschl<strong>and</strong> harmonisieren können. Die<br />

vergleichsweise hohe Familienpriorisierung<br />

der Migrantinnen hat damit angesichts<br />

der schwierigen Vereinbarkeitsstrukturen<br />

an Hochschulen in Deutschl<strong>and</strong><br />

nachteilige Auswirkungen auf ihre wissenschaftlichen<br />

Karrieren. Dass sie jedoch<br />

dennoch ihre beruflichen wie familiären<br />

Ziele verwirklichen können, lässt sich vor<br />

diesem Hintergrund nur mit ihrer sehr ausgeprägten<br />

Leistungsbereitschaft, Zielorientierung,<br />

Ausdauer sowie hoher Frustrationstoleranz<br />

erklären, die allen befragten<br />

Wissenschaftlerinnen gemein ist.<br />

Schlussfolgerungen<br />

Vor dem Hintergrund des starken Internationalisierungstrends<br />

deutscher Hochschulen<br />

öffnen sich diese Organisationen zunehmend<br />

hochqualifizierten Ingenieurund<br />

Naturwissenschaftlerinnen aus postsozialistischen<br />

Staaten. Diese Öffnung erfolgt<br />

jedoch im Kontext transnationaler Mobilität<br />

von Studierenden und Wissenschaftlerinnen<br />

und Wissenschaftlern. Zugangshürden<br />

bestehen weiterhin nicht nur an Hochschulen,<br />

sondern auch in Unternehmen für<br />

jene osteuropäische Akademikerinnen und<br />

Akademiker, die nicht im Kontext der Wissenschafts-<br />

bzw. Arbeitsmigration eingew<strong>and</strong>ert<br />

sind. Neben aufenthalts- und arbeitsrechtlichen<br />

Regelungen für WissenschaftlerInnen<br />

aus nicht EU-Staaten stellen<br />

insbesondere eine mangelnde Anerkennung<br />

ausländischer Abschlüsse solche Hürden<br />

dar. Der Zugang zu adäquaten Positionen<br />

ist insofern für ausländische WissenschaftsmigrantInnen<br />

stark durch die Kategorie<br />

Nationalität strukturiert, wenn sie<br />

nicht im Vorfeld der Migration Zugangsstrategien<br />

zum deutschen Wissenschaftssystem<br />

angewendet haben, die ihnen eine<br />

Einreise mit Arbeitsvertrag ermöglicht hat.<br />

Jedoch vor allem in naturwissenschaftlichtechnischen<br />

Disziplinen mit ihrer starken<br />

geschlechtlichen Strukturiertheit stellt die<br />

Kategorie Geschlecht in ihrer Intersektion<br />

mit der Kategorie Nationalität ein weiteres<br />

erschwerendes Hemmnis für die erfolgreichen<br />

Karriereverläufe und die Erreichung<br />

von Spitzenpositionen osteuropäischer<br />

Wissenschaftlerinnen dar.<br />

Anmerkungen<br />

1 Auf Anfrage von EUROSTAT zur Verfügung<br />

gestellte Daten.<br />

2 Vgl. Deutscher Akademischer Austauschdienst<br />

(DAAD)/Hochschul-Informations-<br />

System GmbH (HIS): Online-Plattform Wissenschaft<br />

weltoffen, http://www.wissenschaft-weltoffen.de/<br />

[14.06.2010] sowie auf<br />

Anfrage zur Verfügung gestellte Daten.<br />

3 Das Projekt ist Teil des vom BMBF und ESF<br />

geförderten Verbundprojektes „Die Integration<br />

hochqualifizierter Migrantinnen auf<br />

dem deutschen Arbeitsmarkt – Effekte der<br />

Migration auf die Karriereverläufe hochqualifizierter<br />

Frauen in Technologiebranchen“<br />

(Vgl. www.hochqualifizierte-migrantinnen.de).<br />

Literatur<br />

• Ackers, L.: Internationalisation, Mobility<br />

<strong>and</strong> Metrics. A New Form of Indirect Discrimination<br />

In: Minerva 46/2008, 411-435.<br />

• Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Bevölkerung<br />

und Erwerbstätigkeit. Bevölkerung mit<br />

Migrationshintergrund – Ergebnisse des Mikrozensus<br />

2008, Fachserie 1, Reihe 2.2. Wiesbaden:<br />

Statistisches Bundesamt 2010. ■<br />

Soziale Technik 2/2011<br />

21


Aus dem IFZ<br />

Institute for Advanced Studies on<br />

Science, Technology <strong>and</strong> Society<br />

IAS-STS-Fellowship Programme<br />

2012-2013<br />

The IAS-STS in Graz, Austria, promotes the<br />

interdisciplinary investigation of the links<br />

<strong>and</strong> interactions between science, technology<br />

<strong>and</strong> society as well as technology<br />

assessment <strong>and</strong> research into the development<br />

<strong>and</strong> implementation of socially <strong>and</strong><br />

environmentally sound technologies. The<br />

IAS-STS is broadly speaking an institute for<br />

the enhancement of science <strong>and</strong> technology<br />

studies.<br />

The IAS-STS invites researchers to apply for<br />

a stay between 1 October 2012 <strong>and</strong> 30<br />

June 2013 as a Research Fellow (up to<br />

nine months) or as a Visiting Scholar<br />

(shorter period, e. g. a month).<br />

The IAS-STS offers excellent research infrastructure.<br />

Close co-operation with<br />

researchers at the IFZ (Inter-University<br />

Research Centre for Technology, Work <strong>and</strong><br />

Culture; see: www.ifz.tugraz.at), guest<br />

lectures, workshops <strong>and</strong> conferences<br />

provide an atmosphere of creativity <strong>and</strong><br />

scholarly discussion.<br />

Furthermore we can offer five grants (up to<br />

EUR 940,- per month) for long-term<br />

Research Fellows at the IAS-STS.<br />

The Fellowship Programme 2012-2013 is<br />

dedicated to projects investigating the<br />

following issues:<br />

promising research will <strong>als</strong>o shed more<br />

light on the interrelation between individu<strong>als</strong>’<br />

concepts <strong>and</strong> media representations<br />

of gender <strong>and</strong> technology.<br />

2. Genetics <strong>and</strong> Biotechnology<br />

A focus of the Fellowship Programme lies<br />

on research providing a critical analysis of<br />

the life sciences. Researchers investigating<br />

either social aspects of biomedicine or risk<br />

<strong>and</strong> wider governance issues related to<br />

agricultural biotechnology are especially<br />

encouraged to apply.<br />

3. Sustainable Consumption <strong>and</strong><br />

Production (SCP)<br />

SCP seeks to promote social <strong>and</strong> economic<br />

development within the carrying capacity<br />

of ecosystems. New strategies <strong>and</strong> concrete<br />

tools are needed to change individual <strong>and</strong><br />

institutional patterns of consumption <strong>and</strong><br />

to enhance corporate responsibility (CR) of<br />

organisations. Researchers investigating<br />

patterns of consumption <strong>and</strong> intervention<br />

strategies to promote sustainable lifestyles<br />

among both public <strong>and</strong> private consumers<br />

or working within the thematic field of<br />

ecological product policy are encouraged<br />

to apply. Research projects integrating<br />

product assessment tools such as LCA,<br />

carbon footprint, MIPS or related methods<br />

are <strong>als</strong>o of special interest.<br />

4. Energy <strong>and</strong> Climate<br />

On basis of the analysis of social, technological<br />

<strong>and</strong> organisational framework of<br />

energy use projects should contribute to<br />

the shaping of sustainable energy, climate<br />

<strong>and</strong> technology policies. They should aim<br />

at socio-economic aspects of energy technologies<br />

or at strategies of environmental<br />

technology policy. They should develop<br />

measures <strong>and</strong> strategies for the promotion<br />

of renewable energy sources, for the transition<br />

to a sustainable energy system or<br />

contribute to the field of sustainable<br />

construction. Regional governance,<br />

climate policy strategies, innovation policy<br />

<strong>and</strong> the role of users are important<br />

themes. In addition, the Manfred<br />

Heindler grant is awarded for research<br />

projects on the increased use of renewable<br />

energies <strong>and</strong> on a more efficient use of<br />

energy.<br />

5. Information <strong>and</strong><br />

Communication Technologies (ICTs)<br />

Novel developments in ICT-related fields<br />

are investigated from the perspective of<br />

the social studies <strong>and</strong> the philosophy of<br />

science <strong>and</strong> technology. The inquiry<br />

covers a variety of research areas concerning<br />

ICTs <strong>and</strong> human agency. Topics may<br />

include Artificial Intelligence, ubiquitous<br />

computing, intelligent environments or<br />

ICTs <strong>and</strong> mobility. These topics are<br />

analysed with respect to their wider social,<br />

ethical <strong>and</strong> political implications. Further<br />

possible issues of interest are the social<br />

shaping of ICTs, ICT risk management<br />

<strong>and</strong> ICTs <strong>and</strong> innovation policies.<br />

Applications must be submitted to the<br />

IAS-STS by 31 December 2011.<br />

1. <strong>Gender</strong> – Technology –<br />

Environment<br />

This area of research particularly focuses<br />

on gender dimensions of science <strong>and</strong> technology.<br />

On the one h<strong>and</strong> individual<br />

perspectives of actors in the technological<br />

field are taken into account, on the other<br />

h<strong>and</strong> educational, organisational, societal,<br />

environmental <strong>and</strong> political issues are<br />

gaining more <strong>and</strong> more relevance. Current<br />

Soziale Technik 2/2011<br />

22<br />

For application forms <strong>and</strong> further information<br />

please visit our website:<br />

www.sts.tugraz.at<br />

Institute for Advanced Studies on Science, Technology <strong>and</strong> Society<br />

(IAS-STS)<br />

Attn. Guenter Getzinger<br />

Kopernikusgasse 9, 8010 Graz – Austria<br />

E-mail: info@sts.tugraz.at


Aus dem IFZ<br />

Critical Issues in Science <strong>and</strong><br />

Technology Studies<br />

10 th IAS-STS Annual Conference: 2 nd -3 rd May 2011, Graz, Austria<br />

Bei der sich heuer zum zehnten Mal jährenden Konferenz nahmen mehr <strong>als</strong><br />

90 Wissenschafterinnen und Wissenschafter aus 14 Nationen aus dem Bereich<br />

der interdisziplinären Wissenschafts- und Technikforschung teil.<br />

Die thematische Vielfalt der in rund 50<br />

Vorträgen vorgestellten Forschungsprojekte<br />

und -ergebnisse reichte vom diesjährigen<br />

Konferenzschwerpunkt Transdisziplinarität<br />

in der Nachhaltigkeitsforschung<br />

über ICT-bezogene Problemstellungen,<br />

Herausforderungen des Umweltmanagements,<br />

Themen zu Energie und Klima,<br />

<strong>Gender</strong>bezügen in der Technikforschung,<br />

nachhaltiger Konsum- und Produktgestaltung<br />

bis zu sozialwissenschaftlichen<br />

Aspekten von Biotechnologien.<br />

Eröffnet wurde die Konferenz von Dr. in<br />

Irmgard Schultz vom Institut für sozialökologische<br />

Forschung (Frankfurt am<br />

Main) mit ihrem Vortrag „Transdisciplinarity<br />

in sustainability studies: Theoretical<br />

debates – methodological challenges <strong>and</strong><br />

empirically gained experiences“. Dieser<br />

legte den Grundstein für jenen Schwerpunkt,<br />

der über beide Konferenztage in<br />

zahlreichen Vorträgen sowie am Nachmittag<br />

des ersten Tages in der eingebetteten<br />

Abschlusskonferenz des Projektes „Nachhaltig<br />

H<strong>and</strong>eln im beruflichen und privaten<br />

Alltag“ diskutiert wurde. Daneben f<strong>and</strong>en<br />

Sessions zu verschiedenen Problemstellungen<br />

aus dem Bereich Informations- und<br />

Kommunikationstechnologien statt, im<br />

Themenschwerpunkt „Energie und Klima“<br />

wurden organisations- und konsumbezogene<br />

Untersuchungen diskutiert, ein Workshop<br />

widmete sich dem Konzept der Heteronormativität<br />

und dessen methodologischen<br />

Implikationen, und ein weiterer<br />

großer Vortragsblock beschäftigte sich<br />

damit, wie Mensch-Umwelt Beziehungen<br />

von verschiedenen Akteuren „gema naged“,<br />

<strong>als</strong>o gedeutet, gesteuert, verwaltet und<br />

bewältigt werden. Den ersten Konferenztag<br />

schloss Assoc. Prof. Dr. Harald Rohracher<br />

mit Betrachtungen zu „Socio-technical transitions<br />

towards sustainable energy systems“.<br />

Mit dem dritten Hauptvortrag der Konferenz<br />

leitete Prof. in Dr. in Heike Wiesner von<br />

der Hochschule für Wirtschaft und Recht<br />

Berlin den zweiten Tag ein und sprach<br />

über „Web 2.0 & <strong>Diversity</strong>: <strong>Gender</strong> <strong>and</strong><br />

Technology in Action“. An diesen schloss<br />

eine Session zum Thema Inklusion und<br />

Exklusion in Web 2.0 an. Des Weiteren<br />

wurden im Rahmen des Themenclusters<br />

„Energie und Klima“ Herausforderungen<br />

der Regionalentwicklung und im dritten<br />

Tagesschwerpunkt ethische, rechtliche<br />

und soziale Aspekte der Biotechnologie<br />

und Biomedizin diskutiert. Nachhaltige<br />

Produktion und Konsumverhalten war<br />

ebenfalls ein Bereich, der von zahlreichen<br />

Präsentationen abgedeckt wurde.<br />

Mit einem gemeinsamen Abend im<br />

südsteirischen Weinl<strong>and</strong> ließen die teilnehmenden<br />

Wissenschafterinnen und<br />

Wissenschafter die zweitägige Veranstaltung<br />

gemütlich ausklingen. ■<br />

International Symposium on “Engaging with Genomics.<br />

Comparing Modes of Social <strong>and</strong> Philosophical Research<br />

in the Life Sciences“<br />

20–21 June 2011 – Graz/Austria<br />

The symposium invites international scholars from social sciences <strong>and</strong> humanities involved in the study of genomics<br />

to reflect on their research experiences. It addresses the conditions that shape the ways in which the social <strong>and</strong> philo -<br />

sophical studies of genomics are carried out. Thereby the symposium makes explicit the specific arrangements by which<br />

social scientists <strong>and</strong> philosophers are brought together with colleagues from the life sciences. Working in a contentious<br />

field, across academic disciplines, <strong>and</strong> often with the assignment to produce policy relevant outcomes, researchers from<br />

social sciences <strong>and</strong> humanities face fundamental methodological <strong>and</strong> conceptual challenges, especially when using<br />

interactive methods of inquiry. The symposium provides a platform for discussing these essential <strong>and</strong> timely issues.<br />

More information: www.ifz.tugraz.at/genomics<br />

Soziale Technik 2/2011<br />

23


Magazin<br />

Green Products<br />

Informationen zur ökologischen Beschaffung und Produktbewertung<br />

Broschüre „Umweltfreundliche Wiener<br />

Gastlichkeit 2011“ ab sofort erhältlich!<br />

Die Wiener Umweltschutzabteilung hat ihre<br />

Broschüre „Umweltfreundliche Wiener<br />

Gastlichkeit“ aktualisiert und neu aufgelegt.<br />

Darin finden sich alle Kaffeehäuser, Heurige,<br />

Restaurants, Hotels und Cateringbetriebe<br />

sowie Campingplätze in Wien, die<br />

mit dem Österreichischen Umweltzeichen<br />

ausgezeichnet sind.<br />

Die ausgezeichneten Betriebe erfüllen weit<br />

über 70 Muss-Anforderungen in den Bereichen<br />

Abfall- und Abwasservermeidung, effizienter<br />

Energieeinsatz, umweltfreundlicher<br />

Einkauf und ökologische Reinigung. So wird<br />

etwa beim Speiseangebot auf regionale Lebensmittel<br />

und Bio-Produkte geachtet. Der<br />

Verein für Konsumenteninformation überprüft<br />

regelmäßig, ob alle Kriterien für die<br />

Vergabe des Gütesiegels erfüllt sind.<br />

„Umweltfreundliche Wiener Gastlichkeit<br />

2011“ – gratis zu bestellen:<br />

Wiener Umweltschutzabteilung<br />

Tel.: 4000-73 420<br />

E-mail: uk@m22.magwien.gv.at<br />

Website: www.wien.gv.at/formulare/<br />

umweltschutz/oekobusiness/unterlagen<br />

Software für die Erstellung eines<br />

Leistungsverzeichnisses mit<br />

ökologischen Kriterien<br />

Die neue ABK7-Öko-Bau Edition, die kostenlos<br />

erhältlich ist, kombiniert die Bau-<br />

Software von ABK mit den ökologischen<br />

Kriterien von „ÖkoKauf Wien“ (AG 08 Innenausbau)<br />

und den Kriterien der Internetplattform<br />

„baubook öffentliche gebäude“<br />

(www.baubook.info/oeg).<br />

Die Software unterstützt Sie dabei, bei der<br />

Beschaffung von Bauleistungen ökologische<br />

Aspekte zu berücksichtigen. Mit der<br />

ABK7-Öko-Bau Edition stellen Sie sicher,<br />

dass umweltfreundliche Produkte angeboten<br />

werden, die eine gute Innenraumluftqualität<br />

sicherstellen.<br />

Die ökologischen Kriterien sind <strong>als</strong> „Musskriterien“<br />

vom Bieter sowohl bei der Angebotsabgabe<br />

<strong>als</strong> auch im Auftragsfall bei der<br />

Leistungserbringung einzuhalten. Der Auftragnehmer<br />

bzw. Bieter ist verpflichtet,<br />

eine Produkt-Deklarationsliste inklusive<br />

der geforderten Nachweise wie Produktbeschreibungen,<br />

Sicherheitsdatenblätter oder<br />

Herstellerbestätigungen über alle verwendeten<br />

Produkte vorzulegen. Als Nachweis,<br />

dass die Produkte den ökologischen Kriterien<br />

entsprechen, gilt auch die Listung auf<br />

der Datenbank „baubook öffentliche gebäude“.<br />

Alle Texte sind auf Einhaltung der<br />

ÖNORM-Regeln bezüglich Inhalt und Datenformat<br />

sowie der Vergabegrundsätze<br />

(ÖNORM A 2050) geprüft. Es ist auch sichergestellt,<br />

dass die Texte unterein<strong>and</strong>er<br />

sowie mit der neutralen LB-Hochbau „verträglich<br />

sind“.<br />

Die ABK7-Öko-Bau Edition wurde in einem<br />

durch die Technologieagentur der Stadt<br />

Wien (ZIT) geförderten Projekt gemeinsam<br />

von der ib data GmbH und dem Österreichisches<br />

Institut für Baubiologie und Bauökologie<br />

(IBO) entwickelt.<br />

Die ABK7-Öko-Bau Edition können Sie<br />

bestellen unter: www.abk.at/<br />

download/is_oeko.asp<br />

Ausgezeichnet Tagen mit dem<br />

Österreichischen Umweltzeichen<br />

Seit 1. Juli 2010 können Meetings mit dem<br />

Österreichischen Umweltzeichen ausgezeichnet<br />

werden. Veranstaltungen gelten<br />

dann <strong>als</strong> „Green Meeting“, wenn Anforderungen<br />

an die Anreise, die Nächtigung, das<br />

Catering sowie den Veranstaltungsort erfüllt<br />

sind. Darüber hinaus sind Kriterien in<br />

den Bereichen umweltfreundliche Beschaffung,<br />

soziales Engagement und Kommunikation<br />

einzuhalten.<br />

VeranstalterInnen von Kongressen und<br />

Messen setzen zunehmend auf Klimaschutz,<br />

regionale Wertschöpfung und Sozialverträglichkeit.<br />

Anstatt viel Müll und viel<br />

Verkehr zu verursachen, zeichnen sich<br />

„Green Meetings“ durch erhöhte Energieeffizienz,<br />

Abfallvermeidung und umweltschonende<br />

An- und Abreise der Gäste aus.<br />

Beschaffungs<br />

Service<br />

Austria<br />

Tel.: +43(0)316/813909-9<br />

E-mail: beschaffung@ifz.tugraz.at<br />

http://www.ifz.tugraz.at/bsa<br />

Zentrale Aspekte sind auch regionale Wertschöpfung<br />

und soziale Verantwortung. Die<br />

Veranstaltung erhält damit ein positives<br />

Image bei der Bevölkerung, den Gästen<br />

und den Sponsoren.<br />

Das Austrian Convention Bureau (ACB)<br />

hat sich mit Unterstützung des Österreichischen<br />

Ökologie Instituts <strong>als</strong> Vorreiter<br />

positioniert und war die erste Organisation,<br />

die eine Lizenz für das Österreichische Umweltzeichen<br />

für „Green Meetings“ erhielt.<br />

„Wenn wir künftig nur mehr Green Meetings<br />

abhalten, werden wir Ressourcen sparen<br />

und Kosten senken. Unsere Veranstaltungsorte<br />

werden moderner, umweltfreundlicher<br />

und konkurrenzfähiger“, so<br />

ACB-Präsident Christian Mutschlechner.<br />

Die Bearbeitung der Kriterien und in Folge<br />

die Zertifizierung eines Meetings können<br />

mittels einer speziellen Software online erfolgen.<br />

Bis dato sind 5 Organisationen Lizenznehmer<br />

des Österreichischen Umweltzeichens<br />

für „Green Meetings“:<br />

■ Austrian Convention Bureau, Wien,<br />

■ Bregenzer Festspiel- und Kongresshaus<br />

GmbH, Vorarlberg,<br />

■ Alpbach Tourismus GmbH, Tirol/Congress<br />

Centrum Alpbach<br />

■ Event Company Opitz & Hasil,<br />

Niederösterreich,<br />

■ Steinschaler Naturhotels Annemarie<br />

Weiß, Niederösterreich.<br />

Weitere Informationen erhalten Sie<br />

unter www.umweltzeichen.at und bei<br />

Mag. a Barbara Dusek, Verein für Konsumenteninformation,<br />

E-Mail: bdusek@vki.at ■<br />

Soziale Technik 2/2011<br />

24


Magazin<br />

Biotech-News<br />

Aktuelle Nachrichten über Gen- und Biotechnologien<br />

Weltweiter Anstieg des Anbaus von<br />

gentechnisch veränderten Pflanzen –<br />

rückläufiger Trend in Europa<br />

Auch im Jahr 2010 hat der weltweite Anbau<br />

von gentechnisch veränderten Pflanzen zugenommen.<br />

Die Flächen stiegen gegenüber<br />

2009 um 14 auf 148 Millionen Hektar; damit<br />

betrug der Zuwachs in den Industrieländern<br />

3,8 Millionen Hektar, was rund<br />

fünf Prozent entspricht. In den Entwicklungs-<br />

und Schwellenländern stieg der Anbau<br />

um 10,2 Millionen Hektar und damit<br />

um 17 Prozent. Die Länder, die gentechnisch<br />

veränderte Pflanzen auf den größten<br />

Flächen anbauen, sind die USA (66,8 Mio.<br />

Hektar), Brasilien (25,4), Argentinien (22,9),<br />

Indien (9,4) und Kanada (8,8). 2010 listet<br />

der aktuelle Report des „International Service<br />

for the Acquisition of Agri-Biotech Applications“<br />

(ISAAA) 29 Länder auf, die gentechnisch<br />

veränderte Pflanzen l<strong>and</strong>wirtschaftlich<br />

nutzen. Weltweit nutzen 15,4<br />

Millionen L<strong>and</strong>wirte gentechnisch veränderte<br />

Pflanzen, überwiegend in Entwicklungs-<br />

und Schwellenländern (14,4 Mio.).<br />

Gegenüber 2009 sind 1,4 Millionen L<strong>and</strong>wirte<br />

neu hinzugekommen. Die kommerzielle<br />

Nutzung von gentechnisch veränderten<br />

Sorten konzentriert sich weiterhin auf<br />

Sojabohnen, Mais, Baumwolle und Raps.<br />

Laut ISAAA-Report wurde Soja auf 73,3 Mio.<br />

Hektar angepflanzt (4 Mio. ha mehr <strong>als</strong><br />

2009), Mais wuchs auf 46,8 Mio. Hektar<br />

(Zuwachs 5,8 Mio. ha), Baumwolle auf 21<br />

Mio. Hektar (Zuwachs 3,8 Mio. ha). Raps erreichte<br />

im vergangenen Jahr 7 Mio. Hektar<br />

(Zuwachs 0,4 Mio. ha). Exotischere und oft<br />

nur in einigen wenigen Länder in geringem<br />

Maßstab angebaute Sorten sind Zuckerrüben,<br />

Kürbis, Papaya, Luzerne (Alfalfa), Nelken,<br />

Tomaten, Pappeln, Petunien, Paprika.<br />

In Europa entwickelt sich die l<strong>and</strong>wirtschaftliche<br />

Nutzung der grünen Gentechnik<br />

gegen den weltweiten Trend. In nennenswertem<br />

Umfang wird nur in Spanien<br />

gentechnisch veränderter Mais angebaut.<br />

Neben dem Bt-Mais MON810 war 2010<br />

erstm<strong>als</strong> auch der Anbau der gv-Kartoffel<br />

Amflora erlaubt. 2010 sind in insgesamt<br />

acht EU-Mitgliedstaaten gentechnisch veränderte<br />

Pflanzen l<strong>and</strong>wirtschaftlich genutzt<br />

worden, davon wurde in sechs Ländern<br />

(Spanien, Portugal, Tschechien, Slowakei,<br />

Rumänien und Polen) Bt-Mais MON810<br />

angebaut. Die gesamten Anbauflächen dafür<br />

gingen 2010 um gut 3.000 auf nunmehr<br />

91.500 Hektar zurück. 2007 hatten die Flächen<br />

noch 107.500 Hektar betragen.<br />

In Frankreich und Deutschl<strong>and</strong> gelten seit<br />

2008 bzw. 2009 nationale Anbauverbote für<br />

gentechnisch veränderten Bt-Mais MON810.<br />

Beide Länder haben die nach EU-Recht erteilte<br />

Zulassung ausgesetzt. Französische<br />

L<strong>and</strong>wirte hatten 2007 Bt-Mais auf etwa<br />

21.000 Hektar ausgesät, in Deutschl<strong>and</strong><br />

wurde 2008 auf etwas über 3.000 Hektar<br />

gv-Mais angebaut. Auch in Österreich,<br />

Griechenl<strong>and</strong>, Luxemburg und Ungarn ist<br />

der Anbau von MON810 verboten.<br />

Zusammenfassung des ISAAA-Reports<br />

2010 unter: www.isaaa.org/resources/<br />

publications/briefs/42/executive<br />

summary/default.asp.<br />

Quelle: www.transgen.de<br />

Tel.: +43(0)316/813909-8<br />

E-mail: infogen@ifz.tugraz.at<br />

http://www.infogen.at<br />

Bericht über sozioökonomische<br />

Effekte beim Anbau von gentechnisch<br />

veränderten Pflanzen in Europa<br />

Die EU-Kommission hat im April 2011 einen<br />

Bericht vorgelegt, der die Erfahrungen<br />

der Mitgliedsländer mit dem Anbau gentechnisch<br />

veränderter Kulturpflanzen zusammenfasst.<br />

Der Bericht erging an das Europäische<br />

Parlament und den Rat und beruht<br />

auf Informationen, die von den<br />

Mitgliedstaaten vorgelegt wurden. Darin<br />

legt die Kommission auch eine Analyse der<br />

sozioökonomischen Tragweite des Anbaus<br />

gentechnisch veränderter Pflanzen (GVO)<br />

vor, wie sie in der internationalen wissenschaftlichen<br />

Literatur und in den Schlussfolgerungen<br />

der aus dem Europäischen Forschungsrahmenprogramm<br />

finanzierten Forschungsprojekte<br />

berichtet wird. Da in der<br />

EU jedoch kaum GVO-Anbau stattfindet,<br />

sind die Erfahrungen damit in Europa beschränkt,<br />

weshalb nur wenige statistisch relevante<br />

Informationen über die sozioökonomischen<br />

Auswirkungen vorliegen.<br />

Die ökonomischen Daten über die europäischen<br />

Erfahrungen betrafen Studien in Mitgliedstaaten,<br />

in denen schon herbizidtolerante<br />

oder schädlingsresistente gentechnisch<br />

veränderte Kulturpflanzen angebaut wurden<br />

oder werden. Daraus würde ersichtlich, dass<br />

die Wirtschaftsanalysen ein gutes Bild der<br />

wirtschaftlichen Auswirkungen auf Ebene<br />

der L<strong>and</strong>wirtschaftsbetriebe weltweit geben,<br />

vor allem für herbizidtolerante und schädlingsresistente<br />

Pflanzen.<br />

Der internationale Verb<strong>and</strong> für ökologischen<br />

L<strong>and</strong>bau (IFOAM) begrüßt zwar die Entwicklung,<br />

wonach sozioökonomische Aspekte in<br />

der Politik Beachtung finden sollen, stellt<br />

aber eine gewisse Bedeutungslosigkeit des<br />

Berichts der EU-Kommission fest, da dieser<br />

keine ausreichende Analyse der Kosten, die<br />

schon jetzt für den gentechnikfrei wirtschaftenden<br />

Lebensmittelsektor entstünden, liefere.<br />

Tatsächlich seien weltweit durch Kontaminationsfälle<br />

auf dem Feld und in der Warenflusskette<br />

bei Bauern und in der Lebensmittelindustrie<br />

bereits Millionen-Schäden<br />

entst<strong>and</strong>en. Allein in Spanien mussten viele<br />

Biobauern ihren Anbau aufgeben, weil sie<br />

durch Auskreuzungen von Transgenen aus<br />

gentechnisch verändertem Mais MON810<br />

ihre Bio-Zertifizierung verloren haben. Hersteller<br />

müssten für die Reinhaltung von konventionellen<br />

und Bio-Produkten enorme<br />

Ausgaben auf sich nehmen. Die Folgen seien<br />

steigende Lebensmittelpreise.<br />

Der vorliegende Bericht soll Ausgangspunkt<br />

für die Mitgliedstaaten, die Kommission, das<br />

Europäische Parlament und alle Beteiligten<br />

sein, ihre Meinung über das Thema sozioökonomischer<br />

Auswirkungen zu vertiefen.<br />

Quelle: http://europa.eu, www.gentechnologie.ch<br />

Zusammengestellt von S<strong>and</strong>ra Karner,<br />

E-mail: karner@ifz.tugraz.at ■<br />

Soziale Technik 2/2011<br />

25


Magazin<br />

Neue Bücher<br />

Globalisierung der Verantwortung<br />

Clive Barnett, Paul Cloke, Nick Clarke,<br />

Alice Malpass: Globalizing Responsibility.<br />

The political rationalities of<br />

ethical consumption. Chichester,<br />

Malden, MA: Wiley-Blackwell 2011,<br />

235 p., € 30,99<br />

Die Arbeit der vier AutorInnen geht von<br />

einer kritischen Analyse verbreiteter Diskurse<br />

über Konsum <strong>als</strong> gesellschaftlichem<br />

H<strong>and</strong>lungsfeld aus und verh<strong>and</strong>elt in Anlehnung<br />

an Foucault die Art der Problematisierung<br />

im Kontext von Globalisierung<br />

und nachhaltiger Entwicklung. Dabei<br />

rückt sie eine politische Entwicklung in<br />

den Blick, die unerwünschte Konsumfolgen<br />

in einen ursächlichen Zusammenhang<br />

stellt mit individuellem Konsumverhalten<br />

und verweist kritisch auf die implizit zugrunde<br />

liegende Annahme einer mechanischen<br />

Beziehung zwischen Aussagen, Einstellungen<br />

und Verhalten. Dieser Tendenz<br />

gegenüber gestellt werden Zugänge, die<br />

den Einfluss von Konsum-Infrastrukturen<br />

thematisieren, <strong>als</strong> Möglichkeitsrahmen<br />

und Gelegenheitsstruktur. Interessant für<br />

forschungspraktische Fragen ist die Reflektion<br />

über „talk data“, <strong>als</strong>o Selbstaussagen,<br />

gegenüber Daten, die auf beobachtbarem,<br />

tatsächlichem Verhalten basieren. Kritische<br />

Überlegungen die Validität betreffend<br />

werden in Beziehung gesetzt zu einem Verständnis<br />

dieser Selbstbeschreibungen <strong>als</strong><br />

diskursive Praxis. Im zweiten Teil des Buches<br />

verschränken die AutorInnen ihre<br />

theoretischen Überlegungen mit empirischen<br />

Ergebnissen aus Fall-Analysen, Fokusgruppen<br />

und Feldforschungen in und<br />

um Bristol. „Globalising Responsibility“<br />

bietet für die deutschsprachige Forschungspraxis<br />

mit ihrer bisherigen Ausrichtung<br />

auf Konsumfelder und Konsumentverhalten<br />

wertvolle Impulse für eine<br />

vertiefte Analyse insbesondere von sich<br />

w<strong>and</strong>elnden Akteurskonstellationen und<br />

Interessenlagen in diesem Feld.<br />

Erfahrung der Philosophen<br />

Markus Arnold: Die Erfahrung der<br />

Philosophen. Wien: Turia + Kant 2010,<br />

479 S., € 40,00<br />

Mit wechselnden Strategien verteidigt die<br />

Philosophie bis heute ihre Form der Erkenntnis<br />

gegenüber den konkurrierenden<br />

Erkenntnisidealen der empirischen Wissenschaften.<br />

Es geht ihr um eine Wahrheit,<br />

die allen Menschen zugänglich ist,<br />

um eine Erfahrung, die alle teilen können.<br />

Um eine befreiende Wissenspraxis,<br />

die sich gegen die Bevormundung durch<br />

wissenschaftliche und politische ExpertInnen<br />

wendet. Markus Arnold untersucht<br />

in diesem B<strong>and</strong> die historischen<br />

Weichenstellungen im Selbstverständnis<br />

der Philosophie: die Entstehung der antiken<br />

Erkenntnispraxis, deren Krise angesichts<br />

des Erfolgs der neuzeitlichen Wissenschaften<br />

und vor allem, wie<br />

PhilosophInnen daraus erneut ihren Anspruch<br />

auf eine eigene Form der Erfahrung<br />

begründeten. Die Erfahrung der<br />

Philosophie eröffnet damit in gelungener<br />

Weise einen historischen Zugang zur<br />

Philosophie und der Entwicklung ihrer<br />

Methoden.<br />

Klimaw<strong>and</strong>el und Gesellschaft<br />

John Urry: Climate Change & Society.<br />

Cambridge: Polity Press 2011, 216 p.,<br />

€ 19,99<br />

This book explores the significance of human<br />

behaviour to underst<strong>and</strong>ing the causes<br />

<strong>and</strong> impacts of changing climates <strong>and</strong><br />

to assessing varied ways of responding to<br />

such changes. So far the discipline that represented<br />

<strong>and</strong> modelled such human behaviour<br />

is economics. By contrast Climate<br />

Change <strong>and</strong> Society tries to place the “social”<br />

at the heart of both the analysis of<br />

climates <strong>and</strong> of the assessment of alternative<br />

futures. Urry thus attempts to replace<br />

economics with sociology as the dominant<br />

discipline in climate change ana -<br />

lysis. Sociology has spent much time examining<br />

the nature of modern societies,<br />

of modernity, but mostly failed to analyze<br />

the carbon resource base of such societies.<br />

This book seeks to remedy that failing. It<br />

should appeal to teachers <strong>and</strong> students in<br />

sociology, as well as to the public concerned<br />

with the long term future of carbon<br />

<strong>and</strong> society.<br />

Neuer Leitfaden<br />

„Nachhaltig H<strong>and</strong>eln im beruflichen und privaten Alltag“<br />

Nachhaltigkeit ist keine Floskel, sondern wird im eben abgeschlossenen Forschungsprojekt „Nachhaltig<br />

H<strong>and</strong>eln im beruflichen und privaten Alltag“ mit Leben gefüllt: Mit mehreren ausgewählten Unternehmen<br />

wurden Interviews und Workshops mit MitarbeiterInnen und Führungskräften durchgeführt,<br />

um betriebliche Rahmenbedingungen sowie realisierte Aktivitäten für ein nachhaltiges H<strong>and</strong>eln zu<br />

erfassen. Die These dahinter ist einfach: Gesundheit ist ein wirtschaftlicher Erfolgsfaktor für Unternehmen.<br />

Gleichzeitig haben gesundheitsförderliche Verhaltensweisen (z. B. mit dem Fahrrad zur Arbeit,<br />

biologische Ernährung) direkte Auswirkungen auf Klimaw<strong>and</strong>el und Umwelt. Umweltmanagement<br />

und Gesundheitsförderung stehen in engem Zusammenhang mitein<strong>and</strong>er.<br />

Der Leitfaden enthält Tipps für Ernährung, Mobilität und Work-Life-Balance. Im beruflichen Umfeld<br />

sollen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die die MitarbeiterInnen dazu animieren, auch in ihrem<br />

privaten Alltag nachhaltig zu h<strong>and</strong>eln. Die Ideen sind sehr unkompliziert umsetzbar.<br />

Kostenloser <strong>Download</strong>: www.ifz.tugraz.at/nachhaltigh<strong>and</strong>eln<br />

Soziale Technik 2/2011<br />

26


Magazin<br />

Governance und<br />

Technikfolgenabschätzung<br />

Georg Aichholzer, Alfons Bora,<br />

Stephan Bröchler, Michael Decker,<br />

Michael Latzer (Hg.): Technology Governance.<br />

Der Beitrag der Technikfolgenabschätzung.<br />

Berlin: edition sigma<br />

2010, 379 S., € 28,70<br />

Der Begriff der Governance ist inzwischen<br />

zu einem Modewort in der sozialwissenschaftlichen<br />

Diskussion geworden. Der Begriff<br />

nimmt eine für Modewörter typische<br />

Karriere: begriffliche Abgrenzung, Ausweitung<br />

des Objektbereichs, Interdisziplinarität,<br />

theoretische Verortungen und Theorienstreit,<br />

Aufzeigen von Defiziten und<br />

Leerstellen, empirische Nützlichkeit und<br />

Praxisbezug und schliesslich Infragestellung<br />

der analytischen, empirischen und<br />

gestalterischen Potenz. In der Flut der Publikationen<br />

zum Thema Governance hat<br />

es deshalb jede Neuerscheinung schwer,<br />

sich Aufmerksamkeit zu verschaffen.<br />

Die vorliegende Publikation hat es sicherlich<br />

verdient, größeres Interesse auf sich<br />

zu ziehen. Skeptisch könnte man an das<br />

Buch herangehen, h<strong>and</strong>elt es sich doch<br />

um eine Publikation, die im Wesentlichen<br />

aus der Konferenz des Netzwerks Technikfolgenabschätzung,<br />

die im Mai 2008 in<br />

Wien abgehalten wurde, hervorgegangen<br />

ist. Diese Tatsache kann jedoch <strong>als</strong> Stärke<br />

des Buches hervorgehoben werden. Einerseits<br />

kommt es damit zu einer thematischen<br />

Eingrenzung, zum <strong>and</strong>eren stellt<br />

sich den AutorInnen jedoch auch die Herausforderung,<br />

das Governance-Konzept in<br />

seiner Vielfalt in die TA-Diskussion einzuordnen.<br />

Das hat dazu geführt, dass die verschiedenen<br />

Beiträge zu einem kohärenten<br />

Buch zusammengefasst wurden, in dem<br />

theoretische, empirische und politisch gestaltende<br />

Artikel vertreten sind.<br />

Der einleitende Artikel der Herausgeber<br />

gibt einen knapp gehaltenen Überblick<br />

über die Karriere des Begriffes und versucht<br />

eine Positionierung von Governance<br />

im Themenfeld TA. Die Autoren sehen<br />

es <strong>als</strong> zentrale Aufgabe an, aufzuzeigen,<br />

dass es sich bei Governance um mehr <strong>als</strong><br />

eine reine Modeerscheinung h<strong>and</strong>elt und<br />

dass aufgrund des erreichten St<strong>and</strong>es der<br />

Ausdifferenzierung und Interdisziplinarität<br />

der Governance-Theorie und -Konzepte<br />

eine wissenschaftliche Ergiebigkeit<br />

und Tragfähigkeit des breit gefächerten<br />

Forschungsansatzes sichergestellt ist. Dies<br />

belegt auch die Komposition des Buches,<br />

das in den Beiträgen verschiedene Governance-Ebenen,<br />

Prozessaspekte und Technologiefelder<br />

anspricht.<br />

Von den Herausgebern werden insbesondere<br />

drei Herausforderungen der Governance-Forschung<br />

im TA-Kontext hervorheben:<br />

die Reflexion gegenwärtiger und<br />

zukünftiger sozio-technischer Folgen vor<br />

dem Hintergrund einer hohen Ungewiss -<br />

heit neuer transformatorischer Technologien<br />

(Anticipative Governance); die Analyse<br />

vielfältiger Verknüpfungen und<br />

Rückbezüge von technischer und gesellschaftlicher<br />

Entwicklung unter dem Gesichtspunkt<br />

von Governance-H<strong>and</strong>eln<br />

(Reflexive Governance) und die Identifizierung<br />

neuer Formen der Bürgerbeteiligung<br />

und kooperativen Entscheidungsfindung<br />

(Participative Governance).<br />

Das Buch gliedert sich in acht Unterkapitel,<br />

zudem sind zwei einleitende Beiträge<br />

vorangestellt, die sich grundlegender mit<br />

der Thematik Technological Governance<br />

und TA befassen. Die im Buch angesprochenen<br />

Themenbereiche sind im Einzelnen:<br />

TA-Konzepte im Lichte von Governance,<br />

TA-Funktionen im Governance<br />

Prozess, Governance und Timing von TA,<br />

Mikrostrukturen der Innovationsgestaltung,<br />

Governance der Biotechnologie,<br />

Governance der Nanotechnologie und<br />

Governance der Nachhaltigkeit. Das letzte<br />

Kapitel gibt einen Überblick über die verschiedenen<br />

Beiträge im Rahmen einer<br />

Pos ter-Session.<br />

Das Buch sollte man <strong>als</strong> einen ständigen<br />

Begleiter bei seiner Beschäftigung mit Problemen<br />

der Governance nutzen, sei es in<br />

der Rolle <strong>als</strong> WissenschaftlerIn, PolitikerIn<br />

oder an praktischen Fragen Interessierte/r.<br />

Es lohnt sich, problem- und themenspezifisch<br />

einzelne Kapitel heraus zu<br />

suchen und in die eigene Arbeit einfließen<br />

zu lassen. Dass die AutorInnen<br />

keine abschließende Würdigung der in<br />

dem Buch zu findenden Schätze präsentieren,<br />

mag man bedauerlich finden, ist<br />

aber wohl der Vielzahl der höchst unterschiedlichen<br />

Beiträge geschuldet. So muss<br />

der Leser/die Leserin selbst auf Schatzsuche<br />

gehen und den Wert seines Fundes<br />

begutachten. ■<br />

Conference “Governing Futures. Imagining,<br />

Negotiating & Taming Emerging Technosciences”<br />

22.-24. September 2011 – Albert Schweitzer Haus, Vienna<br />

Keynote speakers: Barbara Adam (Cardiff University, UK), Bernadette Bensaude-Vincent (Université Paris-X Nanterre, F),<br />

Ulrike Felt (University of Vienna, AT), Arie Rip (University of Twente, NL) <strong>and</strong> Andy Stirling (Sussex University, UK)<br />

The conference gathers academic work that focuses on:<br />

■ discursive <strong>and</strong> material practices through which technoscientific futures are produced, distributed, assessed,<br />

negotiated, enforced or discarded;<br />

■ conditions of access that define who participates in what ways in these processes;<br />

■ the importance of cultural differences <strong>and</strong> the ‘travelling’ of practices <strong>and</strong> futures across different ‘boundaries’<br />

(disciplinary, between science, policy <strong>and</strong> society, or national/cultural);<br />

■ the role of social sciences <strong>and</strong> humanities in these future-related activities;<br />

■ <strong>and</strong> what all this means for the development of technosciences <strong>and</strong> societies <strong>and</strong> their relations respectively.<br />

The conference is organised by the Department of Social Studies of Science, University of Vienna within the project<br />

“Making Futures Present” (funded by the FWF).<br />

For details on registration go to http://sciencestudies.univie.ac.at/events/governing-futures-conference<br />

Soziale Technik 2/2011<br />

27


SOZIALE TECHNIK Nummer 2 – Juni 2011, 21. Jg., Einzelpreis € 6,- / SFr 10,-<br />

P.b.b. Verlagspostamt 8010; GZ 02Z032468M – Erscheinungsort Graz<br />

Eigentümer, Herausgeber, Verleger:<br />

IFZ, A-8010 Graz, Schlögelgasse 2<br />

Tel.: +43/316/81 39 09-0, Fax: +43/316/81 02 74<br />

E-Mail: office@ifz.tugraz.at, http://www.ifz.tugraz.at<br />

Redaktion: Peter Wilding<br />

Aboverwaltung: Reinhard Wächter<br />

ISSN 1022-6893 DVR 0637955<br />

Gefördert durch die Kommunikationsbehörde Austria (KommAustria).<br />

Fotos: Manuel Haider<br />

Basisdesign & typographisches Konzept: RoRo + Zec<br />

Satz: www.koco.at<br />

Druck: Druckerei Bachernegg, Kapfenberg<br />

Gedruckt auf Cyclus Print 90g (Recyclingpapier aus 100% Altpapier),<br />

Umschlag: Magno matt 115g, chlorfrei gebleicht.<br />

Geschäftsbedingungen:<br />

Die Bestellung eines Abonnements unserer Zeitschrift SOZIALE TECHNIK<br />

hat schriftlich zu erfolgen. Ein Abonnement gilt jeweils für ein Kalenderjahr<br />

(4 Nummern). Es verlängert sich automatisch, sofern nicht spätestens<br />

6 Wochen vor Ende des Jahres eine schriftliche Kündigung erfolgt. Nicht<br />

vollständige Jahrgänge werden aliquot verrechnet.<br />

Bankverbindung: Bank Austria Creditanstalt (12.000), Kto-Nr. 436184907<br />

Das IFZ ist der Grazer St<strong>and</strong>ort des Instituts für Technik- und Wissenschaftsforschung<br />

der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

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