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2/11 Aktueller Schwerpunkt: Fukushima
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- Seite 6 und 7: Technologie & Politik Energiesparen
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- Seite 14 und 15: Gastredaktion Organisatorische Stru
- Seite 16 und 17: Gastredaktion ckelt. Demnach könne
- Seite 18 und 19: Neue Biotechnologien rier/Der Stand
- Seite 20 und 21: Frauen & Technik führt, die im Ser
- Seite 22 und 23: Aus dem IFZ Institute for Advanced
- Seite 24 und 25: Magazin Green Products Informatione
- Seite 26 und 27: Magazin Neue Bücher Globalisierung
- Seite 28: SOZIALE TECHNIK Nummer 2 - Juni 201
2/11<br />
Aktueller Schwerpunkt:<br />
Fukushima
Inhalt / Fotos<br />
Inhalt<br />
Fotos<br />
Fotos<br />
Manuel Haider<br />
Manuel Haider . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2<br />
Technologie & Politik<br />
Wolfgang Kromp<br />
Fukushima – „technologisch undenkbar“<br />
Zwei mögliche Szenarien zur Gestaltung der Zukunft angesichts der Folgen<br />
des Erdbebens in Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3<br />
Udo E. Simonis<br />
Energiewende in Japan<br />
Chancen eines Exit aus der Atomtechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7<br />
Informations- & Kommunikationstechnologien (IKT)<br />
S<strong>and</strong>y Ross<br />
Think Before You Tweet: Improving Awareness of ICTs <strong>and</strong> Emissions.<br />
Why should we think critically about information <strong>and</strong><br />
communications technologies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10<br />
Gastredaktion<br />
Uwe Schneidewind, Manfred Fischedick, Dorle Riechert<br />
20 Jahre Transformationskompetenz.<br />
Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13<br />
Neue Biotechnologien<br />
Franz Seifert<br />
Bewegung ohne Grenzen<br />
Wie transnational ist die europäische Anti-Gentechnikbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . 17<br />
Frauen & Technik<br />
Andrea Wolffram<br />
Mobile Frauen in der Wissenschaft.<br />
Wissenschaftskarrieren im Kontext der Ost-West-Migration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19<br />
Aus dem IFZ<br />
Institute for Advanced Studies on Science, Technology <strong>and</strong> Society.<br />
Fellowship Programme 2012-2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22<br />
Critical Issues in Science <strong>and</strong> Technology Studies.<br />
10 th IAS-STS Annual Conference: 2 nd -3 rd May 2011. Graz, Austria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23<br />
International Symposium on “Engaging with Genomics.<br />
Comparing Modes of Social <strong>and</strong> Philosophical Research in the Life Sciences“ . . . . . . . . . 23<br />
Magazin<br />
Green Products . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24<br />
Biotech-News . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25<br />
Neue Bücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .26<br />
Neuer Leitfaden.<br />
„Nachhaltig H<strong>and</strong>eln im beruflichen und privaten Alltag“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26<br />
Conference: “Governing Futures. Imagining,<br />
Negotiating & Taming Emerging Technosciences” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27<br />
Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28<br />
Working People – Working Places<br />
Der Arbeitsalltag in den Niedriglohn -<br />
ländern Bolivien und China ist oftm<strong>als</strong><br />
fern von humanen Arbeitsbedingungen<br />
und europäischen St<strong>and</strong>ards. Ein geregelter<br />
Acht-Stunden-Tag ist hier den meisten<br />
Menschen fremd. Viele nutzen die Zeit in<br />
den öffentlichen Verkehrsmitteln, um sich<br />
ein wenig auszuruhen. Doch geschlafen<br />
wird oft auch direkt am Arbeitsplatz – und<br />
sei es zwischen herabhängenden Fleischkeulen<br />
in einer Markthalle.<br />
Sicherheitsvorschriften werden von vielen<br />
Firmen nachlässig beh<strong>and</strong>elt, so tragen die<br />
ArbeiterInnen der bolivarischen Nähfabrik<br />
beispielsweise bloß einen dünnen Mundschutz,<br />
um sich vor Dämpfen und Staub<br />
zu schützen.<br />
Der wirtschaftliche Aufstieg der beiden<br />
Länder wird mit Sicherheit auch die<br />
Arbeitsrealität verändern, fraglich ist<br />
jedoch, ob dieser auch menschenwürdigere<br />
Arbeitsbedingungen schafft.<br />
Manuel Haider,<br />
geboren 1979 in Ried im Innkreis,<br />
angehender Facharzt für<br />
Augenheilkunde,<br />
lebt und arbeitet in Linz.<br />
Kontakt:<br />
sankar@gmx.at<br />
Soziale Technik 2/2011<br />
2
Technologie & Politik<br />
Fukushima –<br />
„technologisch undenkbar“<br />
Zwei mögliche Szenarien zur Gestaltung der Zukunft<br />
angesichts der Folgen des Erdbebens in Japan<br />
Im Bericht Japans an die „Convention of Nuclear Safety“ des Jahres 2010 ist<br />
über die getroffenen Sicherheitsmaßnahmen zu lesen: „In Japan, through<br />
these measures, it is possible to reduce the potential for the occurrence of a severe<br />
accident to the extent that its actual occurrence would be technologically inconceivable.”<br />
Auf Deutsch heißt das in etwa: „In Japan ist durch diese Maß -<br />
nahmen möglich geworden, die Möglichkeit des Eintretens eines schweren<br />
Unfalls in einem Ausmaß zu verringern, dass ein tatsächliches Eintreten technologisch<br />
undenkbar wird.“<br />
Wolfgang Kromp<br />
ist Leiter des Instituts für Sicherheits- und Risikowissenschaften<br />
an der Universität für Bodenkultur<br />
Wien. 1975 bis 1991 Gastwissenschaftler am<br />
Max-Planck Institut in Stuttgart bzw. Gastprofessor<br />
an der Carnegie-Mellon University in Pittsburg,<br />
USA. Konrad-Lorenz-Preis 1991. Mitglied des<br />
Beratungsgremiums des Österreichischen Umweltministers<br />
„Forum für Atomfragen“. Anwendungs -<br />
orientierte werkstoffwissenschaftliche Forschung<br />
sowie interdisziplinäre Befassung mit Risikofragen<br />
zu gesellschaftlich relevanten Themen wie Risiken<br />
der Kernenergie, sozioökonomische Begleitforschung<br />
zur Kernfusion oder Risiken nachhaltiger<br />
Energiebereitstellung aus Biomasse und Wind<br />
sowie erdölfreie Nahrungsmittelproduktions -<br />
sicherheit.<br />
E-Mail: wolfgang.kromp@boku.ac.at<br />
Hätte nicht ein Erdbeben und ein Tsunami<br />
im März 2011 alles verändert, die Delegierten<br />
zur CNS-Sitzung in Wien im April 2011<br />
hätten den Bericht Japans wohlwollend zur<br />
Kenntnis genommen. Und hätte ein verirrter<br />
Skeptiker bei dieser Sitzung gefragt, ob<br />
man in der Lage sei, den gleichzeitigen<br />
Ausfall der Kühlung in mehreren Reaktorblöcken<br />
zu beherrschen, wäre ihm wohl mit<br />
dem Brustton der Überzeugung erklärt<br />
worden, dass solche Situationen nicht<br />
denkbar seien. Das Kraftwerk sei gegen<br />
Erdbeben und Tsunamis – <strong>als</strong> mögliche<br />
Auslöser – bestens geschützt.<br />
Die Wirklichkeit hat die ExpertInnen überholt:<br />
Am 11. März erschütterte zuerst ein<br />
Erdbeben unerwarteter Magnitude Japan,<br />
dann überrollte ein Tsunami mit Wellen<br />
jenseits der Berechnungen die Nordostküste<br />
Japans. Nur wenige Stunden später traten<br />
Kernschmelzen im Kernkraftwerk Fukushima<br />
auf, und das gleich in drei Blöcken –<br />
allerdings wurde dies erst nach 6 Wochen<br />
zugegeben. Dies gab den selben Fachleuten,<br />
die schon vorher nicht müde wurden, zu<br />
versichern, dass Kernkraftwerke sicher<br />
seien, die Möglichkeit, sich nochm<strong>als</strong><br />
öffentlich zu blamieren: In Medien weltweit<br />
versicherten sie, dass die Reaktoren, Druckbehälter<br />
und Confinements in Fukushima<br />
intakt seien und dass lediglich externe<br />
Systeme wie die Kühlung versagt hätten.<br />
Ein neuerlicher Beweis für die Robustheit<br />
und Sicherheit der Kernenergie.<br />
Vergleich mit Tschernobyl<br />
Den bisherigen Verlauf der Katastrophe von<br />
Fukushima versuche ich, wie viele <strong>and</strong>ere<br />
auch, an dem bisher größten Nuklearunfall<br />
und damit vermutlich größten Unfall der<br />
gesamten Technikgeschichte, der Katastrophe<br />
von Tschernobyl, zu messen. Ausgehend<br />
von den jeweils betroffenen Mengen<br />
an Kernbrennstoff unterschiedlichen Anreicherungsgrades<br />
hatten wir es in Tschernobyl<br />
mit 180 Tonnen zu etwas über 2 Prozent<br />
mit spaltbarem Uran angereichertem<br />
Brennstoff zu tun, in Fukushima mit vielleicht<br />
300 oder mehr Tonnen zu drei bis<br />
fünf Prozent angereichertem Brennstoff, der<br />
im Falle des Blocks 3 darüber hinaus noch<br />
mit Mischoxid (MOX), das heißt mit Plutonium,<br />
angereichert war.<br />
In Tschernobyl startete die Katastrophe<br />
mit einer explosionsartigen nuklearen<br />
Leistungsexkursion eines einzigen Reaktorblocks,<br />
wobei mindestens 90 Prozent<br />
des Brennstoffes aus dem Reaktor hinausgeschleudert<br />
wurden und zum Großteil<br />
im Umkreis von einigen 100 Metern zu<br />
liegen kamen. Aus den von innen aufgebrochenen<br />
Brennelementen sind mit<br />
Sicherheit alle gasförmigen und flüchtigen<br />
radioaktiven Stoffe in die Umwelt<br />
entkommen. Durch die verstreute Lage<br />
der zunächst glühenden Brennelementtrümmer<br />
und die dabei verhältnismäßig<br />
rasche Abkühlung konnte sich außerhalb<br />
des Reaktors keine Kernschmelze bilden –<br />
<strong>and</strong>ers <strong>als</strong> bei den höchstens 10 Prozent<br />
des Brennstoffs, <strong>als</strong>o keine 20 Tonnen, die<br />
in den Reaktor zurückgefallen sind und<br />
durch gegenseitiges Aufheizen schmolzen.<br />
Die damit verbundenen Temperaturen<br />
von 2.000 bis 3.000 Grad Celsius<br />
führten zur verstärkten Emission auch<br />
schwererer Radionuklide, die durch die<br />
Thermik in höhere Schichten der Atmosphäre<br />
gelangt sind und von raschen<br />
Winden vertragen die Welt in einigermaßen<br />
bekannt gewordener Weise heimgesucht<br />
haben.<br />
Soziale Technik 2/2011<br />
3
Technologie & Politik<br />
Kernschmelze in Fukushima<br />
In Fukushima wurden durch Erdbeben,<br />
Tsunami und nachfolgende Explosionen<br />
vier Reaktorblöcke mehr oder weniger<br />
zugleich havariert – drei zu diesem Zeitpunkt<br />
laufende und ein bereits wegen<br />
Revision abgeschalteter Reaktor bzw.<br />
dessen temporär besonders stark mit<br />
Brennstoff beladenes Abklingbecken. Bei<br />
diesen allen war es zu – mindestens teilweisen<br />
– Kernschmelzen gekommen,<br />
dessen Gesamtmenge die maximal 20<br />
Tonnen von Tschernobyl erheblich übertroffen<br />
haben muss. Wiederholt wurde<br />
von an unterschiedlichen Positionen teilweise<br />
aus der Kühlflüssigkeit herausragenden<br />
Brennelementen berichtet: Brennelemente<br />
können durch Luft nicht ausreichend<br />
gekühlt werden, können daher<br />
nicht lange herausragen, ohne sehr bald zu<br />
schmelzen und zu kollabieren zu beginnen.<br />
Die Reaktordruckbehälter von Block<br />
eins bis drei, <strong>als</strong> die innersten und wichtigesten<br />
Sicherheitsbarrieren, waren sogar<br />
schon kurz nach Beginn der Katastrophe<br />
durchgeschmolzen, wie die Betreiberfirma<br />
erst Wochen nach dem auslösenden Erdbeben<br />
zugegeben hatte. Die Brisanz der<br />
Explosion von Block 3 in Verbindung mit<br />
im Umkreis bis zu zwei Kilometer verstreut<br />
gefundenen Brennstofffragmenten sowie<br />
in große Distanzen bis an die Westküste<br />
Amerikas und nach Haiti vertragenen<br />
schweren Radionukliden – Transurane wie<br />
Plutonium und Americium – könnten<br />
sogar auf eine nukleare Leistungsexkursion<br />
wie in Tschernobyl hindeuten, wie kontrovers<br />
beurteilte Videos erläutern 1,2 . Wie dem<br />
auch sei, in den vier Reaktorblöcken<br />
können kaum mehr dichte Brennelemente<br />
vorh<strong>and</strong>en sein – womit die gasförmigen<br />
und flüchtigen Stoffe, ebenfalls wie in<br />
Tschernobyl, aus dem Brennstoff ausgetreten<br />
sein müssen.<br />
Im Meer verborgen<br />
Zu diesen Tatsachen scheint die Beobachtung<br />
im Widerspruch zu stehen, dass sich<br />
Fukushima in seinen radiologischen<br />
Auswirkungen bislang weltweit weniger<br />
bemerkbar macht <strong>als</strong> Tschernobyl. Dafür<br />
gibt es eine einfache Erklärung: Das wahre<br />
Ausmaß der Katastrophe wird vom Meer<br />
verdeckt! Was immer auch der Brennstoff<br />
entließ, es hatte gute Chancen, mit dem<br />
Kühlwasser ins Meer geschwemmt oder<br />
vom vorherrschenden Westwind aufs Meer<br />
hinaus geweht zu werden und in den<br />
Weiten des Ozeans großteils zu versinken.<br />
Das wahre Ausmaß der Katastrophe findet<br />
Soziale Technik 2/2011<br />
sich <strong>als</strong>o im Meer verborgen – zum großen<br />
Glück der Insel und seiner Nachbarn. Allerdings<br />
ist zu befürchten, dass das Meer die<br />
Rechnung noch präsentieren wird. Hinweise<br />
liefert die Erfahrung von Sellafield, wo<br />
aus der britischen Wiederaufbereitungsanlage<br />
für Kernbrennstoff Radioaktivität ins<br />
Meer abgelassen wird – unter den zulässigen<br />
Limits. Dennoch f<strong>and</strong>en sich im hohen<br />
Norden Eskimos mit verstrahlten Fischen<br />
konfrontiert. Meere in Oberflächennähe –<br />
glücklicherweise noch – dicht bevölkernde<br />
Kleinlebewesen wie Plankton etc. nehmen<br />
radioaktive Stoffe auf und dienen größeren<br />
Lebewesen <strong>als</strong> Nahrung, diese wieder noch<br />
größeren usw., bis der Mensch <strong>als</strong> Endverbraucher<br />
mit höchsten Anreicherungsgraden<br />
beglückt wird.<br />
Welche Ausmaße dieser Aspekt Fukushimas<br />
annehmen wird, wird erst die Zukunft<br />
weisen. Die Kleinlebewesen dienen nicht<br />
nur der Bereicherung unseres Speisezettels.<br />
Ihnen kommen entscheidende Rollen in<br />
der Ökologie zu: Beispielsweise sind sie <strong>als</strong><br />
Phytoplankton die wichtigsten Sauerstoffregeneratoren<br />
unseres Planeten (die zweitwichtigsten,<br />
unsere Urwälder, werden von<br />
uns ebenfalls vernichtet). Wir machen den<br />
Kleinlebenwesen ohnehin bereits auf vielfältige<br />
Weise das Leben sauer – im Vollsinn<br />
des Wortes, da wir die Meere durch die von<br />
uns verursachte Anreicherung der Atmosphäre<br />
mit Kohlendioxyd systematisch<br />
ansäuern 3 – wodurch beispielsweise die<br />
Kalkskelette aufgelöst werden 4 . Wir erhöhen<br />
durch den Klimaw<strong>and</strong>el die Temperatur der<br />
Meere, bedecken sie mit Ölfilmen und<br />
Plastikmüll, missbrauchen sie überhaupt <strong>als</strong><br />
Müllkippe und betreiben letztlich auf ein<br />
gutes Dutzend verschiedene Weisen die<br />
Zerstörung des ökologischen Gleichgewichts<br />
im Meer 5 .<br />
Szenarien zur Gestaltung der Zukunft<br />
Wir können nicht in die Zukunft schauen –<br />
wir können sie jedoch gestalten helfen. Als<br />
Hilfe zur Frage des „Wie“ können vorgestellte<br />
Szenarien helfen. Wir wollen dies an<br />
zwei weit ausein<strong>and</strong>er liegenden wie folgt<br />
versuchen.<br />
■ Szenario eins: Es gelang den Freunden der<br />
Kernenergie, das Problem zu verharmlosen:<br />
Wir hier in Europa, inmitten des Festl<strong>and</strong>es,<br />
hätten keine Tsunamis zu fürchten gehabt,<br />
wir hätten viel weniger Erdbeben gehabt,<br />
die Kernenerie wäre für Wirtschaftswachstum,<br />
die Erhaltung unserer Arbeitsplätze<br />
und unseres Wohlst<strong>and</strong>es unverzichtbar gewesen.<br />
Es war <strong>als</strong>o kaum zu nennenswerten<br />
Außerbetriebnahmen gekommen – ein paar<br />
4<br />
alte Kraftwerke, deren Sicherheitsniveau<br />
auch seitens der Betreiber bereits angezweifelt<br />
worden war, wurden zur Beruhigung der<br />
Bevölkerung geopfert. Der Großteil des globalen<br />
Kernkraftwerkparks wurde weiterbetrieben<br />
– bis eben das Risiko wieder schlagend<br />
wurde. Obwohl es in Fachkreisen<br />
längst allgemein bekannt war, dass sich die<br />
Auslöser nuklearer Katastrophen nicht nur<br />
auf Erdbeben in Kombination mit Tsunamis<br />
beschränkten, war vergebens darauf hingewiesen<br />
worden, dass die Kernkraftwerke<br />
(KKW) am Festl<strong>and</strong> wegen des Kühlbedarfs<br />
allesamt an Flüssen gebaut wurden. Dass<br />
letztere auf Teilstrecken gerne Erdbebenlinien<br />
folgten und dass diese wiederum Orte<br />
erhöhter Erdbebentätigkeit darstellten, die<br />
<strong>als</strong> solche oft wegen der großen Wiederholungszeiträume<br />
von Starkbeben der historischen<br />
Erdbebenforschung entgangen waren.<br />
Man hätte diese zwar mittels eines aus<br />
Amerika stammenden alternativen Verfahrens<br />
– „Paleoseismologie“, der Datierung<br />
vergangener Starkbeben – mit einiger Wahrscheinlichkeit<br />
erkennen können – vielleicht<br />
wollten verschiedene Einflussgremien dies<br />
gar nicht so genau wissen –, jedenfalls wurden<br />
keinen nennenswerten Untersuchungen<br />
in Auftrag gegeben.<br />
Nachträglich betrachtet wundert man sich,<br />
dass sich nicht die Erkenntnis durchgesetzt<br />
hatte, dass an die Stelle von Tsunamis Flutwellen<br />
treten konnten, die durch gleichzeitig<br />
entst<strong>and</strong>ene Zerstörungen von Staumauern<br />
über das beschädigte Kraftwerk hinwegfluten.<br />
Zusätzlich waren eine ganze Reihe<br />
auslösender externer und interner Ereignisse<br />
gut bekannt, die einen schweren KKW-<br />
Unfall bewirken konnten – auch solche<br />
unabhängig von Erdbeben.<br />
Dazu kamen sich verschlechternde<br />
Rahmenbedingungen, die trotz aller Fortschritte<br />
der Technik seit Three Miles Isl<strong>and</strong>,<br />
Tschernobyl und Fukushima die Risikofaktoren<br />
hatten überwiegen lassen: Dazu<br />
zählen u. a. der verschärfte Konkurrenzkampf<br />
am Strommarkt infolge der Markt -<br />
liberalisierung, wodurch auch für die<br />
Sicherheit weniger Geld vorh<strong>and</strong>en war; die<br />
Motivation zur Erhöhung der Leistung und<br />
zur Verlängerung der Lebensdauer der Anlagen,<br />
die durch einen Mangel an St<strong>and</strong>orten<br />
für Neuanlagen gefördert wurde; die Alterung<br />
von Komponenten und ein Mangel an<br />
einschlägig ausgebildeten Nachwuchskräften<br />
und an Firmen, die Ersatzteile in<br />
Nuklearqualität herstellen konnten. Obendrauf<br />
best<strong>and</strong> noch die sich ständig<br />
erhöhende Gefahr kriegerischer Konflikte<br />
auf allen Ebenen, angeheizt durch globale
Technologie & Politik<br />
Bevölkerungszunahme, Ressourcenverknappung<br />
und zunehmende Verteilungsungerechtigkeit.<br />
Es hatte <strong>als</strong>o nach Fukushima im Jahr 2011<br />
noch eines weiteren nuklearen Großereignisses<br />
mitten in Europa oder Amerika mit<br />
weiträumigen Sperrzonen bedurft, bevor<br />
sich die Menschheit zur raschen und vollständigen<br />
Abkehr durchringen musste. Im<br />
auf die Katastrohe folgenden Chaos konnten<br />
– in Fortsetzung der Tradition von<br />
Tschernobyl und Fukushima – noch viel<br />
weniger die eigentlichen Auslöser und<br />
Unfallverläufe aufgehellt werden – bis heute<br />
herrscht hier Dunkel. Denn am Festl<strong>and</strong><br />
verfügte man über kein gnädiges Meer, das<br />
dann monatelang die radioaktiven Stoffe<br />
verschluckte. Wo immer der Wind hinwehte<br />
und wo immer es dann regnete – ausgedehnte<br />
Sperrgbiete für geologische Zeiträume<br />
in dicht besiedelten Gebieten auf altem<br />
Kulturboden sehen wir heute <strong>als</strong> dominante<br />
Folge. Weitere Folgen der seinerzeitigen<br />
wirtschaftlichen Zusammenbrüche, teilweise<br />
militanten Konflikte und Unruhen –<br />
meist gegen die in ihrer Glaubwürdigkeit<br />
geschwächten Regierungen und nahestehende<br />
Institutionen – sind bis heute nicht<br />
überwunden. Die laufenden Anstrengungen,<br />
ein System erneuerbarer Energien in<br />
wirtschaftlich schwierigen Zeiten, verschärft<br />
durch den immer rascher voranschreitenden<br />
Klimaw<strong>and</strong>el, zu entwickeln, werden vor<br />
allem durch die verbreitete Ansicht behindert,<br />
dass dies nicht mehr helfe, da angesichts<br />
der sich mehr und mehr ausweitenden<br />
Ressourcenkonflikte die Tage der<br />
Menschheit ohnehin bereits gezählt seien.<br />
■ Szenario zwei: Angst vor weiteren Nuklearkatastrophen<br />
führte in Westeuropa<br />
und USA zum weitgehenden Ausstieg aus<br />
der Kernenergie. Deutschl<strong>and</strong>, die Schweiz,<br />
Italien – sie hatten den Ausstieg beschlossen.<br />
Wie die Vergangenheit zwar gezeigt<br />
hatte, waren solche Entscheidungen nicht<br />
unumkehrbar. Aber diesmal hatten sie gehalten,<br />
und <strong>and</strong>ere schlossen sich an: Japan,<br />
USA, mit den meisten Reaktoren des Fuku -<br />
shima-Typs – es waren damit zunächst rund<br />
40% der Anlagen vom Netz. Seinerzeit hatte<br />
sich die Erkenntnis durchzusetzen begonnen,<br />
den drohenden Klimaw<strong>and</strong>el auch mit<br />
Hilfe verbesserter Kernspaltungstechnologien<br />
mit stark reduziertem Katastrophenpotenzial<br />
nicht abwenden zu können, da man<br />
sich die Begrenztheit der Uranressourcen sowie<br />
die Unlösbarkeit der Strahlenmüllentsorgung<br />
eingestehen musste. In einer Zeit<br />
verknappender Energieressourcen brachte<br />
dieses Szenario Umwälzungen aller Art mit<br />
sich, die ebenfalls ihre Risiken hatten, wie<br />
der verstärkte Rückgriff auf Kohle. Von der<br />
zunächst vertärkten Verwendung der glücklicherweise<br />
zunehmend <strong>als</strong> „rückschrittlich“<br />
erkannten traditionellen fossilen Energieträger<br />
wurde schließlich angesichts des<br />
rasch immer sichbarer werdenden Klimaw<strong>and</strong>els<br />
abgegangen.<br />
Es blieb der Menschheit <strong>als</strong>o keine <strong>and</strong>ere<br />
Wahl, <strong>als</strong> sich mit den erneuerbaren Energieträgern<br />
abzufinden – und man begann<br />
auch anzuerkennen, je schneller desto<br />
besser und je früher die Energiewende<br />
gelingt, desto mehr Wahlfreiheiten<br />
hinsichtlich ihrer Gestaltung würde man<br />
haben. Die dafür erforderlichen Maßnahmen,<br />
beginnend bei den Technologien, in<br />
erster Linie solche zur Erleichterung des<br />
Soziale Technik 2/2011<br />
5
Technologie & Politik<br />
Energiesparens, dann Einsatz von Solar,<br />
Wind, Wasserkraft, Biomasse bis hin zu steuerlichen<br />
Strategien – wie Ressourcenbesteuerung<br />
– waren ja schon alle hinreichend in<br />
ausgereifter Form vorh<strong>and</strong>en, um diese in<br />
der Breite umzusetzen. Was vor aller neuer<br />
Technik noch gebraucht wurde, war Veränderung<br />
in den Köpfen, weg von der Jagd<br />
nach fast ausschließlich materiellen Werten.<br />
Der breiten Durchsetzung bereits vorh<strong>and</strong>ener<br />
Alternativtechnologien und -verhaltensweisen<br />
war der Mensch selbst im Wege<br />
gest<strong>and</strong>en – Angst der Etablierten vor<br />
Machtverlust, traditionelles Konkurrenzdenken<br />
und <strong>and</strong>ere überkommene, aber<br />
zementierte Verhaltensweisen waren die<br />
Ursache. Die eigentlichen Machthaber<br />
waren die globalisierten Konzerne, die<br />
auch die Medienmacht besaßen. Sie hatten<br />
sich selbst in ihrem System verfangen.<br />
Jene, die dam<strong>als</strong> zugunsten der Nachhaltigkeit<br />
nicht in erster Linie auf Gewinn<br />
schauten, mußten fürchten, in Kürze<br />
feindlich übernommen zu werden. Verliehen<br />
wurde diese Macht jedoch durch<br />
nichts <strong>and</strong>eres <strong>als</strong> die – allzu oft f<strong>als</strong>chen –<br />
Kaufentscheidungen. Dies wurde glücklicherweise<br />
rasch erkannt und der Hebel<br />
angesetzt. Dazu nötige Informationen<br />
wären ja längst vorh<strong>and</strong>en – waren in Literatur<br />
und Internet zu finden, waren von<br />
immer mehr Menschen ernst genommen<br />
worden. Oft hatte man mit den Stichworten<br />
„Ökologischer Fußabdruck“ bzw.<br />
„Ökologischer Rucksack“ einen Einstieg<br />
gefunden. Man hatte sich auf die Suche<br />
gemacht – und war letztlich erfolgreich.<br />
Mit sich bald kettenreaktionsschnell<br />
veränderndem Denken und nachfolgenden<br />
Bildungsoffensiven gelang es, nicht<br />
nur die Energiewende zu schaffen, sondern<br />
– insbesondere durch Verbesserung der<br />
Lebensumstände der Frauen in armen<br />
Ländern – auch das Bevölkerungswachstum<br />
soweit in den Griff zu bekommen,<br />
sodass der Menschheit heute eine kontrollierte<br />
Rückführung der Bevölkerungszahlen<br />
wie auch des Ressourcenverbrauchs<br />
gelingt. In gleichem Maße konnten sich<br />
die ökologischen Bedingungen in Ozeanen<br />
und am L<strong>and</strong> bessern. Damit war der Weg<br />
in den Zust<strong>and</strong> einer friedlichen, in<br />
Einklang mit der Natur befindlichen Zivilisation<br />
<strong>als</strong> Ziel erkennbar geworden.<br />
Schlussbemerkung<br />
Ob die Zukunft eher Szenario eins oder<br />
zwei oder eben noch <strong>and</strong>ers sein wird,<br />
wird aufgrund unserer großen Zahl und<br />
unserer hohen Ansprüche entscheidend<br />
von unserem weiteren Verhalten abhängen.<br />
Dies gilt für jede/n Einzelne/n von<br />
uns – und ab sofort.<br />
Anmerkungen<br />
1 Arnie Gundersen, Fairewinds Associates<br />
Inc., http://vimeo.com/22865967;<br />
http://vimeo.com/23680177, etc.<br />
2 Scott Portzline, Consultant to 3-Mile<br />
Isl<strong>and</strong> Alert, Coast To Coast AM, 26.5.<br />
2011, 2/4 – Contamination, Fish Deaths,<br />
http://www.youtube.com/watchv=<br />
gkXL59tfNi4.<br />
3 T. Seilnacht: Verschmutzung der Meere,<br />
http://www.seilnacht.com/Lexikon/<br />
Meere.htm.<br />
4 Deutschl<strong>and</strong>radio, 27.6.2010, Organismen<br />
verlieren einen Großteil ihrer Kalkskelette,<br />
http://www.dradio.de/dkultur/<br />
sendungen/wissenschaft/1211016/.<br />
5 Nt-v, 13.7.2010, Versauerung der Ozeane<br />
– Plankton verändert sich stark,<br />
http://www.n-tv.de/wissen/Planktonveraendert-sich-stark-article104<br />
9961.html. ■<br />
Bezahlte Anzeige<br />
Soziale Technik 2/2011<br />
6
Technologie & Politik<br />
Energiewende in Japan<br />
Chancen eines Exit aus der Atomtechnik<br />
Wie wird es in Japan nach der Katastrophe von Fukushima weitergehen<br />
Ganz wird das L<strong>and</strong> nicht auf die Atomenergie verzichten. Doch Umdenken<br />
und Umlenken sind möglich. Traditionen könnten dabei helfen.<br />
Udo E. Simonis<br />
ist Professor Emeritus für Umweltpolitik am Wissenschaftszentrum<br />
Berlin (WZB). Er studierte Wirtschafts-<br />
und Sozialwissenschaften an den Universitäten<br />
Mainz, Freiburg und Wien. 1973-88<br />
Professor für Ökonomie an der Technischen Universität<br />
Berlin; 1981-87 Direktor des Internationalen<br />
Instituts für Umwelt und Gesellschaft (IIUG), Berlin;<br />
1988-2004 Forschungsprofessor für Umweltpolitik<br />
am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB). Simonis<br />
ist Herausgeber und Redakteur des<br />
„Jahrbuch Ökologie“ (1992-2011).<br />
E-mail: simonis@wzb.eu<br />
Wie lernt der Mensch, wie lernt ein Volk<br />
Lester Brown, der langjährige und welterfahrene<br />
Präsident des Worldwatch-Instituts<br />
verwendet dazu in seinen Büchern<br />
zum Plan B drei strategische Metaphern:<br />
„S<strong>and</strong>wich“, „Berlin Wall“ oder „Pearl Habour“<br />
– das heißt: Lernen durch Kooperation,<br />
durch Interessenausgleich oder durch<br />
die Katastrophe.<br />
Japan erlebt derzeit die Folgen einer multiplen<br />
Katastrophe: das Erdbeben der Stärke<br />
9,0 Mw, den gewaltigen Tsunami in der Region<br />
Tohoku am 11. März und die anhaltende<br />
Kernschmelze im Atomkraftwerk Fukushima-Daiichi.<br />
Bei einem so lernbegierigen<br />
Volk wie den JapanerInnen wird – das<br />
lässt sich zum Trost unterstellen – das Lernen-Wollen<br />
aus dieser Katastrophe groß sein.<br />
Anzeichen dafür gibt es ja einige. Das Erdbeben<br />
hat ein bewegendes Moment gemeinsamer<br />
Trauer ausgelöst und ein beeindruckendes<br />
Maß an sozialer Hilfsbereitschaft<br />
bewirkt. Der Tsunami bringt außergewöhnliche<br />
Anstrengungen zum Wiederaufbau<br />
hervor, so wie es auch in <strong>and</strong>eren<br />
Fällen historisch belegt ist. Kooperation<br />
und Interessenausgleich waren und werden<br />
dabei wichtige Leitprinzipien sein.<br />
Doch was wird die tragische Verkettung<br />
von natürlicher und menschen-gemachter<br />
Katastrophe an Lerneffekten bewirken<br />
Wird sie ein „Wunder der Erneuerung“<br />
hervorbringen, wie das nach dem Erdbeben<br />
von Yokohama und Tokio 1923, nach<br />
den Atombombenabwürfen auf Hiroshima<br />
und Nagasaki 1945, nach dem Erdbeben<br />
von Kobe 1995 der Fall war Und lernt Japan<br />
vielleicht stellvertretend für all die <strong>and</strong>eren<br />
Länder, die sich von der Atomenergie<br />
abhängig gemacht haben<br />
Multiple Katastrophe und ihre Folgen<br />
Die Kernschmelze in Fukushima wird, besonders<br />
wenn sie noch länger anhält, ökonomisch<br />
wie ökologisch gigantische Kosten<br />
und großes menschliches und gesellschaftliches<br />
Leid zur Folge haben. Sie hat<br />
bereits zu einer Opferbereitschaft der an-<br />
Soziale Technik 2/2011<br />
7
Technologie & Politik<br />
Soziale Technik 2/2011<br />
derswo undenkbaren Art geführt: dem Einsatz<br />
von freiwilligen Helfern, der mit<br />
Krankheit und Tod beglichen wird. Wird<br />
die Katastrophe von Fukushima aber auch<br />
bewirken, dass Japan, so wie für Deutschl<strong>and</strong><br />
derzeit breit und parteiübergreifend<br />
diskutiert, schnell und zügig aus dem<br />
Atomzeitalter aus- und ins Solarzeitalter<br />
einsteigt<br />
Viele können es nicht begreifen, und ich<br />
gehöre dazu, dass ein Volk, das die tödliche<br />
Gewalt der Atombombe erlitten hat, jem<strong>als</strong><br />
in die so genannte friedliche Nutzung der<br />
Atomtechnik investieren konnte, dass zahlreiche<br />
Atomkraftwerke in geologisch superaktiven<br />
Regionen gebaut wurden, ohne<br />
dass die Bevölkerung dagegen aufst<strong>and</strong><br />
oder der Oberste Gerichtshof des L<strong>and</strong>es<br />
Einhalt gebot. Dazu muss man sich allerdings<br />
vergegenwärtigen, dass die japanische<br />
Umwelt- und Energiepolitik von Anfang<br />
an von einem Auf und Ab, einem regelrechten<br />
Schlingerkurs geprägt war.<br />
Einerseits wurde in Japan eine überdurchschnittlich<br />
hohe allgemeine Energieeffizienz<br />
erreicht, <strong>and</strong>ererseits war dies mit einer<br />
höchst einseitigen Energiestruktur erkauft.<br />
Einerseits wurden bei gravierenden<br />
Konfliktfällen in Rekordzeit technische<br />
Substitutionen vorgenommen und eine<br />
Umkehr der Beweislast verfügt, <strong>and</strong>ererseits<br />
wurden in großer Trägheit und entgegen aller<br />
Erfahrung mit politischen Verkrustungen<br />
unflexible Strukturen zementiert.<br />
Als zu Beginn der 1970er Jahre die Luft in<br />
Tokio und <strong>and</strong>eren Großstädten des L<strong>and</strong>es<br />
lebensgefährlich versmogt war, wurde<br />
die Versorgung in kürzester Zeit von Kohle<br />
und schmutzigem Öl auf Gas und relativ<br />
sauberes Öl umgestellt. Der Einbau von Katalysatoren<br />
in Autos wurde in Japan bereits<br />
zur Pflicht, <strong>als</strong> die europäische Automobilindustrie<br />
diese Technik noch boykottierte.<br />
Und <strong>als</strong> die Verschmutzung von Luft, Wasser,<br />
Böden und Nahrungsmitteln ungewohnte<br />
gesundheitliche Schäden hervorbrachte<br />
– wie Yokkaichi Asthma, Minamata<br />
und Itai-itai-Krankheit – wurden japanische<br />
Richter zu radikalen Umweltschützern.<br />
Die Kritik an der Fokussierung der Wirtschaftspolitik<br />
auf das Wachstum des Bruttosozialprodukts<br />
(der „GNPism“) wurde<br />
von Seiten des Japanischen Wirtschaftsrates<br />
auf die Entwicklung eines nationalen<br />
Nettowohlfahrtsindikators („NNW“) zu<br />
lenken versucht (NNW Measurement Committee<br />
1974), wenn auch ohne durchgreifende<br />
Konsequenzen. Trotz des weiter dominanten<br />
nationalen Wachstumsfetischismus<br />
ließ die internationale Nachhaltigkeitsdebatte<br />
in Japan jedoch vielfältige Initiativen<br />
entstehen, so unter <strong>and</strong>erem einen<br />
der besten Nachrichtenkanäle, den „Japan<br />
Sustainability Newsletter“. Doch es war<br />
(und ist) der enorme Energiehunger einer<br />
wachsenden Wirtschaft und die vermeintliche<br />
Ressourcen-Armut des L<strong>and</strong>es, die zu<br />
einer verkrusteten Energiestruktur führte –<br />
zur nahezu totalen Verengung des Energiemix<br />
auf fossil-nukleare Energieträger.<br />
8<br />
Vernachlässigung des Nächstliegenden<br />
Selbst das Nächstliegende wurde in Japan<br />
sträflich vernachlässigt: die energetische<br />
Nutzung der Erdwärme in den Regionen<br />
des L<strong>and</strong>es, in denen es überall sprudelt<br />
und die Badekultur mit Ofuro (privates<br />
B<strong>and</strong>), Onsen und Sento (öffentliches Bad,<br />
heiße Quellen) historisch hoch entwickelt<br />
ist; die groß angelegte Entwicklung der Gezeitenenergie<br />
in einem Inselreich, das<br />
rundum von Meer umgeben ist; die systematische<br />
Nutzung der Sonne, die auch in<br />
Japan lange scheint; die planmäßige Nutzung<br />
des Windes, der kräftig, gelegentlich<br />
allerdings auch gewaltig bläst; die umfassende<br />
Nutzung der Biomasse, die in der<br />
L<strong>and</strong>- und Forstwirtschaft wie auch bei<br />
den Abfällen der Industriewirtschaft in<br />
großen Massen anfällt.<br />
Und dann die <strong>and</strong>ere, die eklatante technische<br />
Baisse: Wie konnte es geschehen, dass<br />
eine Volkswirtschaft, die rund 30% der<br />
Weltproduktion an Halbleitern hervorbringt<br />
und mehr <strong>als</strong> 40% aller Technologiekomponenten<br />
herstellt, die für moderne<br />
High-Tech-Geräte erforderlich sind, dieses<br />
Potenzial nicht allerorten einsetzt, wo es<br />
um die Diversifizierung der heimischen wie<br />
der globalen Energieversorgung gehen<br />
könnte – in der Photovoltaik<br />
Der Weg in eine strikten Nachhaltigkeitskriterien<br />
entsprechende Energieversorgung ist<br />
lang, länger <strong>als</strong> vielen – <strong>als</strong> mir – lieb ist. Insofern<br />
dürfte der Ausstieg Japans aus der<br />
Atomtechnik, selbst wenn er ernsthaft in<br />
den Blick genommen würde, wohl länger<br />
dauern. Er müsste aber nicht so lang dauern<br />
wie etwa in Frankreich. Was aber nichts daran<br />
ändert, dass Japan mit derzeit 55 Atomkraftwerken<br />
und rund 30% an nuklearer<br />
Stromversorgung echt in der Falle sitzt.<br />
Die Kernschmelze von Fukushima wird,<br />
wenn alles gut geht, in einigen der derzeit<br />
32 Atomstrom-Länder das atomare Zeitalter<br />
beenden helfen. Was aber wird, was<br />
kann in Japan geschehen Führen die Erfahrungen<br />
mit Fukushima zu der Einsicht,<br />
dass Atomtechnik grundsätzlich problematisch<br />
ist oder dass die Technologie einfach<br />
nur verbessert werden muss Gibt die Katastrophe<br />
auch Anlass für eine <strong>and</strong>ere Art des<br />
Lernens Helfen die neuen Erfahrungen zu<br />
der Einsicht, dass, wo immer von Alternativlosigkeit<br />
geredet und entsprechend geh<strong>and</strong>elt<br />
wird, doch eine Alternative gedacht<br />
und angestrebt werden kann<br />
Strategische Trias für den Exit<br />
So makaber es auch klingen mag: Die japanische<br />
Energiepolitik nach Fukushima<br />
dürfte vor allem vom tatsächlichen Ausmaß<br />
und Umfang der Katastrophe selbst abhängen.<br />
Sind die gravierenden Folgen eher<br />
räumlich begrenzt Wie bedeutsam und anhaltend<br />
sind die sektoralen Effekte Was<br />
sind letztendlich die globalen Folgen Die<br />
Fatalität bestimmter Hochrisiko-Technologien<br />
und die menschliche Wahrnehmung<br />
passen nicht zusammen, meint Volker von<br />
Prittwitz. Sind auch die JapanerInnen mit<br />
dem von ihnen selbst geschaffenen Risiko<br />
kognitiv und psychisch überfordert<br />
Nun, wie immer man solche Fragen beantworten<br />
mag, ein simples „Weiter-So“<br />
dürfte es auch in einem so technikgläubigen<br />
und risikoaffinen L<strong>and</strong> wie Japan<br />
nicht geben. Zu einem Teil werden der nationalen<br />
Politik die Themen nun ankündigungslos<br />
auch international diktiert, nicht<br />
nur von etablierten Institutionen, sondern<br />
auch von der spontanen öffentlichen Weltmeinung.<br />
Doch ein strukturelles Moment<br />
gilt es zu bedenken: Die energetische<br />
Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft<br />
hängt nicht nur vom Lernen-Wollen,<br />
sie hängt auch vom (möglichst schnellen)<br />
Lernen-Können ab.<br />
Wo eine tatkräftige Anti-Atom-Bewegung<br />
nicht oder erst rudimentär existiert, muss<br />
sie erst einmal exp<strong>and</strong>ieren und besser vernetzt<br />
werden. Wo politische und wirtschaftliche<br />
Hierarchien traditionell stark<br />
sind, wo die Zivilgesellschaft gegenüber<br />
der Politikerklasse schwach ist, haben es<br />
dezentrale ökonomische und technische<br />
Innovationen grundsätzlich schwer. Dennoch<br />
sollten die drei zentralen, in allen<br />
theoretischen Traktaten über Zukunftsfähigkeit<br />
wie nachhaltige Entwicklung postulierten<br />
Strategien – Effizienz, Suffizienz<br />
und Konsistenz – genau jetzt zum Zuge<br />
kommen, auch und gerade in einem L<strong>and</strong><br />
wie Japan: Alles vielm<strong>als</strong> besser machen,<br />
<strong>als</strong> es derzeit gemacht wird („Faktor Vier“);<br />
vieles bescheidener angehen, <strong>als</strong> bisher gewohnt<br />
oder über Jahrzehnte angewöhnt<br />
(„Besser statt Mehr“); die Technologien<br />
fehlerfreundlich, sozial- und umweltver-
Technologie & Politik<br />
träglich gestalten, den industriellen Stoffwechsel<br />
nachhaltiger machen („Industrielle<br />
Ökologie“). Diese strategische Trias<br />
könnte grundsätzlich zu einem attraktiven<br />
neuen Wohlst<strong>and</strong>smodell für Japan, ein<br />
L<strong>and</strong> mit stolzer Geschichte und zugleich<br />
großer Leiderfahrung, werden.<br />
Doch was lässt die politökonomische Betrachtung<br />
der Energiefrage in Japan wirklich<br />
erwarten Wie steht es insbesondere<br />
um die konkreten R<strong>and</strong>bedingungen, die<br />
erfüllt sein müssen, damit die drei „E’s“ relevant<br />
werden: dass die drastische Energieeinsparung<br />
zur höchsten Priorität, die massive<br />
Steigerung der Energieeffizienz zum gesellschaftlichen<br />
Anliegen und der forcierte<br />
Ausbau der Erneuerbaren Energien zum<br />
zentralen Auftrag der nationalen, regionalen<br />
und lokalen Politik werden können<br />
In jüngster Zeit haben mehrere umfassende<br />
Studien für Deutschl<strong>and</strong>, für Europa,<br />
aber auch für Japan gezeigt, dass eine radikale<br />
„Energiewende“ in relativ kurzer Zeit<br />
technisch möglich ist (vgl. hierzu ISUSI<br />
2003; Öko-Institut 2009; SRU 2011; WGBU<br />
2011; ZSW 2011). Sie haben allerdings<br />
auch deutlich werden lassen, dass es dazu<br />
nicht nur erheblicher finanzieller Anstrengungen,<br />
sondern auch eines radikalen Bewusstseinsw<strong>and</strong>els<br />
und eines durchgreifenden<br />
Politikwechsels bedarf, der Einsicht<br />
und Einkehr fördert, der ambitionierte<br />
Ziele vorgibt, drastische Maßnahmen einsetzt,<br />
schlagkräftige Institutionen und<br />
neue demokratische Kontrollmechanismen<br />
einführt – und eine ehrliche Antwort<br />
auf die Grundfrage nach dem Verhältnis<br />
von Technik, Natur und Gesellschaft erfordert,<br />
weil nur so die „Ära der Ökologie“<br />
(Radkau) Früchte bringen kann.<br />
Diese grundlegende Erkenntnis dürfte<br />
auch für die Energiewende in Japan relevant<br />
sein – für ein Exit aus der Atomenergie.<br />
Ob <strong>als</strong>o die technisch und ökonomisch<br />
bedingte Katastrophe von Fukushima zu<br />
einer sozial und ökologisch begründeten<br />
Erneuerung des L<strong>and</strong>es, einer zukunftsfähigen<br />
Energieversorgung, einer „grünen<br />
Transformation“ führen wird Wann,<br />
wenn nicht jetzt! Zeigen, dass es geht – das<br />
könnte auch eine angemessene Würdigung<br />
der Opfer der multiplen Katastrophe sein.<br />
„Und Japan wäre“, so wie Joachim Wille es<br />
symbolhaft formulierte, „am Ende der<br />
Nacht von Fukushima, das L<strong>and</strong> der aufgehenden<br />
Sonne“.<br />
Literatur<br />
• Institute for Sustainable Solutions <strong>and</strong> Innovations<br />
(ISUSI) et al.: Energy Rich Japan-Project.<br />
Solare Vollversorgung Japans. Aachen 2003.<br />
• Japan for Sustainability: JFS Weekly Digest;<br />
Internet: http://www.japanfs.org.en.<br />
• NNW Measurement Committee, Economic<br />
Council of Japan: Measuring Net National<br />
Welfare. Tokyo 1974.<br />
• Öko-Institut, Prognos AG & Dr. Ziesing: Modell<br />
Deutschl<strong>and</strong>. Klimaschutz bis 2050. Vom<br />
Ziel her denken. Freiburg 2009<br />
• Radkau, J.: Die Ära der Ökologie. Eine Weltgeschichte.<br />
München 2011.<br />
• Sachverständigenrat für Umweltfragen<br />
(SRU): Wege zur 100% erneuerbaren Stromversorgung.<br />
Sondergutachten. Berlin 2011.<br />
• Wille, J.: Beschönigt und geschwiegen, in:<br />
Frankfurter Rundschau, 13. April 2011.<br />
• Wissenschaftlicher Beirat Globale Umweltveränderungen<br />
(WBGU): Gesellschaftsvertrag<br />
für eine Große Transformation. Hauptgutachten.<br />
Berlin 2011.<br />
• Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung<br />
Baden-Württemberg (ZSW):<br />
Ökostrom kann Kernkraft in neun Jahren ersetzen.<br />
Presseerklärung vom 4. 4. 2011.<br />
http://www.zswbw/index.phdid=111. ■<br />
Soziale Technik 2/2011<br />
9
IKT<br />
Think Before You Tweet: Improving<br />
Awareness of ICTs <strong>and</strong> Emissions<br />
Why should we think critically about information <strong>and</strong> communications<br />
technologies<br />
The overwhelming majority of greenhouse gas emissions generated by an<br />
electronic device – between 70% <strong>and</strong> 80% – are generated by consumer use.<br />
Though we need to address a range of issues around ICT infrastructure<br />
sustainability, we must begin with small steps, by talking about our<br />
technological practices.<br />
S<strong>and</strong>y Ross<br />
is a doctoral c<strong>and</strong>idate at the London School of<br />
Economics <strong>and</strong> Political Science, in the Department<br />
of Sociology, <strong>and</strong> a former Research Fellow at the<br />
IAS-STS. Her primary interests are lay theories of<br />
economics, especially monies <strong>and</strong> exchange; <strong>and</strong><br />
lay theories of the environment, with a particular<br />
focus on energy use <strong>and</strong> ICTs.<br />
E-Mail: s.ross@lse.ac.uk<br />
We live in a material world that is increasingly<br />
filled with virtual goods <strong>and</strong> services,<br />
from the pixellated simplicity of Facebook<br />
gifts <strong>and</strong> the plain text of Twitter, to sophisticated<br />
virtual worlds of massively multiplayer<br />
online games. Yet these apparently<br />
virtual domains of online services <strong>and</strong> commodities<br />
are inextricably linked to urgent<br />
<strong>and</strong> troubling material realities at each stage<br />
of their life cycle that are often invisible to<br />
consumers <strong>and</strong> end users. Digital consumption<br />
has quantifiable effects on the environment<br />
– from green house gas emissions<br />
from energy-hungry high-density computer<br />
facilities to heavy metal concentrations in<br />
water <strong>and</strong> soil in regions where discarded<br />
electronics are illegally dumped – as well as<br />
more complex impacts on human beings<br />
<strong>and</strong> communities. Previous work on ICT externalities<br />
has focused on unsafe working<br />
conditions in electronics factories <strong>and</strong> mines,<br />
pollution generated in production <strong>and</strong><br />
refining, <strong>and</strong> unsafe disposal practices<br />
which link our digital pleasures in the global<br />
north to social injustice <strong>and</strong> environmental<br />
degradation in the global south. Yet<br />
the overwhelming majority of greenhouse<br />
gas (GHG) equivalent emissions generated<br />
by an electronic device during its life cycle<br />
are created through consumer use, which<br />
relies upon energy intensive infrastructures<br />
that support online services <strong>and</strong> digital consumption.<br />
These enormous infrastructures are invisible<br />
to most users <strong>and</strong> are unproblematised by<br />
users, ICT profession<strong>als</strong> <strong>and</strong> even environmental<br />
activism groups. In public <strong>and</strong> professional<br />
discourse, there is very little critical<br />
reflection on ICTs <strong>and</strong> energy use. In<br />
fact, further expansion of the IT sector is often<br />
portrayed as “excuseable” or justified<br />
because of purported green house gas emissions<br />
“savings” created by ICTs. This Panglossian<br />
approach from the professional<br />
sector does not lend itself to critical reflection<br />
on the role of ICTs in contemporary<br />
Western consumer societies. The very notion<br />
of ecological materialities associated<br />
with virtual activities is <strong>als</strong>o alien to how ordinary<br />
users think about ICTs. Before we<br />
can have meaningful public debate about<br />
sustainable ICTs, we need a better public<br />
underst<strong>and</strong>ing of how our current infrastructures<br />
are unsustainable, because<br />
change will not arise within these industries<br />
of its own accord.<br />
Invisible Infrastructures <strong>and</strong> Emissions<br />
Communicating the scale of ICT infrastructures<br />
to everyday users is complicated<br />
by widespread lack of knowledge about<br />
how these technologies work. To ask where<br />
a Facebook status update or Tweet goes after<br />
we click “Send”, seems a nonsensical question.<br />
It must go somewhere before it appears<br />
on our screens <strong>and</strong> the news feeds of all our<br />
friends, we did press a button marked<br />
“Send” after all. But where exactly does the<br />
message go Where is that update three<br />
weeks later Is it still sitting somewhere in<br />
the ether The answer is not “It goes to a<br />
server” or “It goes to the Internet” – those<br />
are too simple <strong>and</strong> easy, they absolve us<br />
from critical engagement. Like the illusion<br />
of garbage, which many Western consumers<br />
believe simply “goes away” when we<br />
put it into a trash bin, Facebook status updates,<br />
Tweets or emails are subject to a magical<br />
thinking. We use ICTs without thinking,<br />
or wishing to think, about how or<br />
why they work.<br />
The biography of a Facebook status update<br />
is not a frivolous question, because it brings<br />
us – as regular users of information <strong>and</strong><br />
communication technologies – face-to-face<br />
with the material realities of what seem to<br />
be immaterial, virtual services <strong>and</strong> goods. In<br />
the moments between being visible only to<br />
me <strong>and</strong> being broadcast to the people who<br />
are bored enough to look at my Facebook<br />
Soziale Technik 2/2011<br />
10
IKT<br />
profile, a status update may take a very complicated<br />
route through multiple digital “gate<br />
keeping” devices – a router, my university's<br />
local network servers, the university's Internet<br />
Service Provider’s servers – before reaching<br />
an Internet backbone, <strong>and</strong> from there<br />
striking out for the nearest Facebook data<br />
centre. This digital voyage – even more<br />
complicated for messages from mobile devices<br />
– requires more than some plastic boxes<br />
filled with silicon, it <strong>als</strong>o needs a telephone<br />
system <strong>and</strong> fibre optic cables, some of<br />
which are on the ocean floor. However, all<br />
this equipment just keeps the Internet running;<br />
it doesn't give us Facebook or 4chan.<br />
Online service providers such as Google, Facebook,<br />
Flickr <strong>and</strong> Twitter require hundreds<br />
of thous<strong>and</strong>s more servers running continuously<br />
that <strong>als</strong>o require energy-intensive cooling<br />
<strong>and</strong> dehumidifying systems. Green<br />
Grid (2007: 3), an IT industry corporate social<br />
responsibility think tank, estimated that<br />
most data centres have a Power Usage Effectiveness<br />
ratio of 3.0 or higher, meaning<br />
data centres are highly energy inefficient,<br />
using only 25% of their energy for running<br />
servers, with the rest devoted to cooling <strong>and</strong><br />
non-server power consumption. The Global<br />
eSustainability Initiative’s (2008: 17) report,<br />
“Smart 2020”, estimates ICT emissions in<br />
2007 at approximately 2% of total green<br />
house gas emissions, or 830 Mt CO 2 e.<br />
However, simply saying that these machines<br />
exist <strong>and</strong> that they consume energy,<br />
which then produces emissions, does little<br />
to stimulate a critical conversation on ICTs.<br />
GHG emissions or energy consumed is not<br />
enough to start a critical debate about ICTs,<br />
because this information does not make<br />
energy consumption relevant to the ordinary<br />
activities of users. The next, more difficult,<br />
step is to problematise these issues <strong>and</strong><br />
encourage critical debate.<br />
Problematising ICT Infrastructures<br />
<strong>and</strong> Emissions<br />
In the mass media, <strong>and</strong> even by industry<br />
profession<strong>als</strong>, ICTs are widely portrayed as<br />
environmentally friendly or capable of creating<br />
or popularising new practices – such as<br />
telework, video conferencing, virtual meetings,<br />
smart motors <strong>and</strong> devices used in industry<br />
– that will reduce transportation <strong>and</strong><br />
production emissions. Absent from this<br />
techno-utopian view is the reality that ICT<br />
infrastructures are exp<strong>and</strong>ing rapidly.<br />
Growth in ICT energy use from 2007 to<br />
2020 is an estimated 6% per annum (GeSI<br />
2008: 17-18), under a “Business as Usual”<br />
scenario. This expansion, <strong>and</strong> its corresponding<br />
emissions increase, is justified by pointing<br />
to the emissions savings in other<br />
sectors facilitated by ICTs (GeSI 2008: 3, 7,<br />
16). Of the report's four chapters, the shortest<br />
substantive one is on energy use in the<br />
IT sector, <strong>and</strong> the longest is devoted to how<br />
ICTs can “save” energy <strong>and</strong> emissions in<br />
other sectors. The GeSI “Smart 2020” report<br />
is a metonymy for problems in the IT sector<br />
as a whole. There is a tremendous amount<br />
of back-patting <strong>and</strong> an unrealistic perception<br />
that ICTs can be permitted to grow<br />
while every other economic sector needs to<br />
reduce emissions. Industry experts <strong>and</strong> profession<strong>als</strong><br />
are deeply invested in this image<br />
of ICTs as “environmentally enabling” <strong>and</strong><br />
“energy efficient”. The strength of these<br />
messages, put forth in corporate social responsibility<br />
reports <strong>and</strong> by sustainable computing<br />
groups like the GeSI, Green Grid <strong>and</strong><br />
Uptime Institute, reinforces a view in which<br />
industry is managing environmental impacts<br />
<strong>and</strong> consumers need not worry, which<br />
obstructs critical, ecologically-minded engagement<br />
with these issues.<br />
Despite Greenpeace’s campaign “Get Facebook<br />
to Unfriend Coal”, there has been a<br />
decided lack of discussion about ICT emissions<br />
<strong>and</strong> what the expansion of this sector<br />
means for our planet. In 2002, ICTs <strong>and</strong> the<br />
aviation industry both contributed 2% of<br />
global GHG emissions. By 2008, ICTs generated<br />
more emissions than airlines (GeSI<br />
2008: 18). Curiously, air travel has been the<br />
focus of intense scrutiny <strong>and</strong> protest, while<br />
ICTs remain unproblematised. In Britain,<br />
thous<strong>and</strong>s of environmental activists built a<br />
“Climate Change Camp” <strong>and</strong> protested a<br />
proposed third runway at Heathrow Airport,<br />
on the grounds that a bigger airport<br />
Soziale Technik 2/2011<br />
11
IKT<br />
would mean more flights <strong>and</strong> more carbon<br />
emissions. Yet no environmental groups<br />
have protested over the opening of new<br />
data centres; there is no “Climate Change<br />
Camp” at Pineville, the site of Facebook's<br />
controversial coal-powered data centre; <strong>and</strong><br />
there is certainly no ICT equivalent for<br />
bourgeois anxieties about air travel. Pressure<br />
is needed from activists <strong>and</strong> ordinary users,<br />
but such a movement requires informed,<br />
critically engaged actors. These actors, <strong>and</strong><br />
the critical ecological discourses on ICTs<br />
that would support <strong>and</strong> inform their activism,<br />
are as yet barely formed.<br />
How do we produce an ICT-related climate<br />
change debate Problematising ICTs <strong>and</strong><br />
energy use requires informed actors with a<br />
critical attitude toward these technologies,<br />
which may be the most difficult part. Information<br />
<strong>and</strong> communications technologies<br />
present themselves as friendly <strong>and</strong> even<br />
sensual – the iPad <strong>and</strong> iPhone are tactile,<br />
pleasurable devices as much as they are<br />
computing <strong>and</strong> communications devices.<br />
Being critical of pleasure in consumer society<br />
is anathema, as it contradicts the very<br />
engine of consumer society: desire (Bauman<br />
2001: 12). A simple entry point for stimulating<br />
the development of a critically engaged<br />
ecological approach to ICTs in consumer societies<br />
is a discussion of user practices, one<br />
that acknowledges an old truism of computer<br />
support technicians: a Problem Exists<br />
Between Keyboard <strong>and</strong> Chair (PEBKAC).<br />
Only when users have knowledge about<br />
their own practices can they be empowered<br />
to take action over unsustainable ICT infrastructures.<br />
To expect otherwise is to put the<br />
horse before the cart.<br />
A Polemical Conclusion<br />
The fatal illusion of our times is not climate<br />
scepticism; apocalyptic religious fanaticism;<br />
or neo-liberal market rhetoric. The psychological<br />
disease of the Information Age is a<br />
belief in purely virtual things <strong>and</strong> services, a<br />
kind of magical thinking supported by ICT<br />
industries that obscures the very real costs<br />
<strong>and</strong> impacts of these technologies. Our virtual<br />
pleasures in the global north are inextricably<br />
linked with climate change through<br />
increasing energy dem<strong>and</strong>s <strong>and</strong> expansion<br />
of extensive infrastructures, <strong>and</strong> with human<br />
misery in the global south. We cannot<br />
think critically about social media <strong>and</strong> ICTs<br />
without confronting these uncomfortable<br />
topics.<br />
If we are to have meaningful public debate<br />
about ICTs <strong>and</strong> their contribution to climate<br />
change, we need to build up public<br />
knowledge <strong>and</strong> encourage critical approaches<br />
to these technologies. Such a debate<br />
can be initiated through critical engagement<br />
with user practices <strong>and</strong> behaviours,<br />
promoting awareness that there are limits<br />
to even virtual consumption on a finite planet.<br />
Though a focus on individual practice<br />
may not be ideal, as it fails to address problematic<br />
infrastructures that constrain sustainable<br />
choices (Shove 2010), it is a first<br />
step toward a more sustainable, ecologically-minded<br />
critical engagement with ICTs.<br />
References<br />
• Bauman, Z. (2001): Consuming Life. In: Journal<br />
of Consumer Culture 1(1): 9-29.<br />
• GeSI – Global eSustainability Initiative (2008):<br />
Smart 2020. http://www.smart2020.org/<br />
_assets/files/03_Smart2020Report_lo_res.pdf.<br />
• Green Grid (2007): Green Grid Metrics: Describing<br />
Datacenter Power Efficiency.<br />
http://www.thegreengrid.org/~/media/White<br />
Papers/Green_Grid_Metrics_WP.ashxlang=en.<br />
• Shove, E. (2010): Beyond the ABC: climate<br />
change policy <strong>and</strong> theories of social change. In:<br />
Environment <strong>and</strong> Planning A. 42(6): 1273-<br />
1285. ■<br />
Bezahlte Anzeige<br />
Soziale Technik 2/2011<br />
12
Gastredaktion<br />
20 Jahre<br />
Transformationskompetenz<br />
Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH<br />
Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH<br />
Döppersberg 19<br />
42103 Wuppertal<br />
Deutschl<strong>and</strong><br />
Tel.: +49/202 2492-0<br />
Fax: +49/202 2492-108<br />
E-mail: info@wupperinst.org<br />
Web: www.wupperinst.org<br />
Uwe Schneidewind<br />
ist seit März 2010 Präsident des Wuppertal Insti -<br />
tutes. Davor war er Professor für umweltorientierte<br />
Betriebswirtschaftslehre und Präsident an der Universität<br />
Oldenburg.<br />
uwe.schneidewind@wupperinst.org<br />
Manfred Fischedick<br />
ist Vizepräsident des Wuppertal Institutes und<br />
Professor an der Bergischen Universität Wuppertal.<br />
manfred.fischedick@wupperinst.org<br />
Dorle Riechert<br />
ist die Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit am<br />
Wuppertal Institut.<br />
E-mail: dorle.riechert@wupperinst.org<br />
Mission des Wuppertal Instituts<br />
Das Wuppertal Institut erforscht und<br />
entwickelt Leitbilder, Strategien und Instrumente<br />
für Übergänge zu einer nachhaltigen<br />
Entwicklung auf regionaler, nationaler<br />
und internationaler Ebene. Im<br />
Zentrum stehen Ressourcen-, Klima- und<br />
Energieherausforderungen sowie deren<br />
Wechselbeziehungen mit Wirtschaft und<br />
Gesellschaft. Die Analyse und Induzierung<br />
von Innovationen zur Entkopplung<br />
von Naturverbrauch und Wohlst<strong>and</strong>sentwicklung<br />
bilden einen Schwerpunkt<br />
seiner Forschung.<br />
Gegründet von Johannes Rau, dem damaligen<br />
Ministerpräsidenten des L<strong>and</strong>es Nordrhein-Westfalen,<br />
nahm das Wuppertal Institut<br />
für Klima, Umwelt, Energie im Jahr 1991<br />
seine Arbeit auf. Gründungspräsident war<br />
Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker, der<br />
das Institut bis November 2000 leitete. In<br />
dem im Gesellschaftervertrag festgelegten<br />
Auftrag des Instituts st<strong>and</strong> an erster Stelle<br />
„Die Förderung von Maßnahmen und Initiativen<br />
zur Sicherung der Klimasituation,<br />
zur Verbesserung der Umwelt und zur Energieeinsparung<br />
<strong>als</strong> Schnittstelle zwischen<br />
wissenschaftlicher Erkenntnissuche und<br />
praktischer Umsetzung“. Das Wuppertal Institut<br />
wird in der Rechtsform der gemeinnützigen<br />
GmbH geführt. Die Grundfinanzierung<br />
aus dem L<strong>and</strong>eshaushalt ermöglichte<br />
in der Anfangsphase die Arbeit von<br />
zunächst 40 WissenschaftlerInnen und weiteren<br />
Angestellten. Ihnen wurde ein internationaler<br />
wissenschaftlicher Beirat zur<br />
Seite gestellt, der das Institut in grundsätzlichen<br />
strategischen Forschungsfragen berät<br />
sowie die wissenschaftliche Qualität und die<br />
Unabhängigkeit der Forschung sichert. Eine<br />
erste wissenschaftliche Vernetzung ergab<br />
sich durch die Mitgliedschaft im Wissenschaftszentrum<br />
Nordrhein-Westfalen.<br />
Mit der Gründung verb<strong>and</strong> die L<strong>and</strong>esregierung<br />
„ein kritisches Begleiten durch das<br />
Wuppertal Institut“ 1 beim ökologischen<br />
Strukturw<strong>and</strong>el Nordrhein-Westfalens <strong>als</strong><br />
Energiel<strong>and</strong> Nummer Eins. In die Gründungsphase<br />
fiel die Vorbereitung des Weltgipfels<br />
von Rio, der 1992 ein Aktionsprogramm<br />
zur nachhaltigen Entwicklung verabschiedete,<br />
die „Agenda 21“ aus der Taufe<br />
hob und eine Klimarahmenkonvention beschloss.<br />
Die Forschungsstrategie des Wuppertal<br />
Instituts entsprach den damit gestellten<br />
Herausforderungen. Von Weizsäckers<br />
Ansatz war eine Ressourcenstrategie, die auf<br />
eine Minderung des Umweltverbrauchs<br />
durch eine „Effizienzrevolution“ setzte und<br />
auch den Weg in „neue Wohlst<strong>and</strong>smodelle“<br />
aufzeigte. Für einen wirksamen Klimaschutz<br />
besonders wichtig ist nach wie<br />
vor die Umsetzung beider Strategien im<br />
Energie- und Verkehrsbereich, <strong>als</strong> größte<br />
Emittenten. Nach diesem Konzept wurden<br />
die Forschungsabteilungen eingerichtet mit<br />
den vier Abteilungen: Klima, Energie, Stoffströme<br />
und Strukturw<strong>and</strong>el sowie Verkehr<br />
und der Arbeitsgruppe „Neue Wohlst<strong>and</strong>smodelle“.<br />
Die Teams der Abteilungen wurden<br />
interdisziplinär zusammengestellt.<br />
Querschnittsaufgaben wurden von den Bereichen<br />
„Systemanalyse und Simulation“<br />
sowie „Kommunikation und Öffentlichkeit“<br />
übernommen.<br />
Durch zwei Publikationen wurde das Institut<br />
in den Anfangsjahren national wie international<br />
bekannt: 1995 erschien die von<br />
BUND und MISEREOR in Auftrag gegebene<br />
Studie „Zukunftsfähiges Deutschl<strong>and</strong>“. Mit<br />
ihr betrat das Team am Wuppertal Institut<br />
methodisches Neul<strong>and</strong>. Ausgehend von einer<br />
Abschätzung der Tragekapazität der<br />
Erde, des „Umweltraumes“, entwickelte<br />
diese Studie Leitbilder, nach welchen eine<br />
Übernutzung des uns „zustehenden“ Um-<br />
Soziale Technik 2/2011<br />
13
Gastredaktion<br />
Organisatorische Struktur der Wuppertal Institut-Forschung seit 2003<br />
wurde dies methodisch und inhaltlich unter<br />
dem Stichwort „Sustainability Research“<br />
in der Forschungsagenda des Wuppertal Instituts<br />
umgesetzt.<br />
Im Ergebnis entst<strong>and</strong>en vier Forschungsgruppen:<br />
„Zukünftige Energie- und Mobilitätsstrukturen“,<br />
„Energie-, Verkehrs- und<br />
Klimapolitik“, „Stoffströme und Ressourcenmanagement“<br />
sowie „Nachhaltiges<br />
Produzieren und Konsumieren“. Mit dieser<br />
Struktur wurden bewusst die sektoralen<br />
Abgrenzungen aufgebrochen und ein integrierter<br />
Forschungsansatz gefördert, der<br />
sich stärker an H<strong>and</strong>lungsebenen orientiert.<br />
Dabei ist die Forschung am Wuppertal<br />
Institut:<br />
■ integrativ, d. h. sie verbindet Klima-, Umwelt-<br />
und Energieaspekte bei ihren ökologischen<br />
Betrachtungen;<br />
■ multiskalig, d. h. sie verbindet Analysen<br />
auf Mikro- (lokal, einzelne<br />
Unternehmen/Akteure), Meso- (regional,<br />
Branchen-Ebene) und Makro-Ebene (national/international).<br />
■ interdisziplinär und akteursorientiert,<br />
d. h. sie greift auf die Wissensbestände natur-,<br />
ingenieurs-, sozial-, kultur- und wirtschaftswissenschaftlicher<br />
Disziplinen zurück<br />
(und verknüpft diese mit Wissensbeständen<br />
von Akteuren in Politik, Wirtschaft<br />
und Gesellschaft).<br />
Seit 2005 hat das Wuppertal Institut ein<br />
Programm zur Förderung von Doktor<strong>and</strong>innen<br />
und Doktor<strong>and</strong>en eingerichtet, das<br />
eine kontinuierlich steigende Zahl von Anfragen<br />
aus dem In- und Ausl<strong>and</strong> verzeichnet.<br />
In Kooperation mit namhaften Universitäten<br />
fördert das Institut den akademischen<br />
Nachwuchs und stärkt seine akademische<br />
Verankerung. Zudem wurde die wissenschaftliche<br />
Kooperation mit Hochschulen<br />
im In- und Ausl<strong>and</strong> auch in <strong>and</strong>eren Feldern<br />
stark ausgebaut.<br />
Übergreifende Forschungsfragen wurden in<br />
„Quergruppen“ unter Beteiligung aller Forschungsgruppen<br />
bearbeitet. Ein sichtbares<br />
Ergebnis einer solchen Zusammenarbeit waren<br />
das im Jahr 2010 abgeschlossene Großprojekt<br />
MaRess zu Strategien einer Steigerung<br />
der Material- und Ressourceneffizienz<br />
sowie das Erscheinen der über 600 Seiten<br />
starken Studie „Zukunftsfähiges Deutschl<strong>and</strong><br />
in einer globalisierten Welt“ im Herbst<br />
2008, die von 30 Autor(inn)en unter der<br />
Leitung von Wolfgang Sachs erstellt wurde.<br />
Heute arbeiten rund 200 Personen im<br />
Wuppertal Institut.<br />
weltraumes vermieden werden kann. Diese<br />
stützten sich auf „Effizienz“ und „Suffizienz“.<br />
1997 erschien das Buch „Faktor Vier.<br />
Doppelter Wohlst<strong>and</strong> – halbierter Naturverbrauch“<br />
von Ernst Ulrich von Weizsäcker,<br />
Amory und Hunter Lovins (Rocky Mountain<br />
Institute, USA). Sie trugen fünfzig Beispiele<br />
für komfortable Produkte mit halbiertem<br />
Naturverbrauch. Die These: Durch den<br />
effizienten Umgang mit Ressourcen gelingt<br />
es, den Naturverbrauch zu halbieren und<br />
gleichzeitig den Wohlst<strong>and</strong> zu verdoppeln.<br />
Das Buch wurde <strong>als</strong> „Bericht an den Club of<br />
Rome“ akzeptiert und blieb mehrere Monate<br />
auf den Bestsellerlisten. Es ist inzwischen<br />
in mehr <strong>als</strong> zehn Sprachen übersetzt<br />
worden.<br />
Der zunehmende Akteursbezug in der<br />
Nachhaltigkeitsforschung manifestierte sich<br />
beim Wuppertal Institut auch in der Wissenschaftsorganisation.<br />
So wurde im Jahr<br />
2000 die Arbeitsgruppe „Ökoeffizienz & Zukunftsfähige<br />
Unternehmen“ gegründet mit<br />
einem Schwerpunkt auf der ökonomischen,<br />
ökologischen und sozialverträglichen Entwicklung<br />
von Branchen, Unternehmen und<br />
Produktlinien.<br />
Zehn Jahre nach der Rio-Konferenz wurden<br />
auf dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung<br />
in Johannesburg im September 2002<br />
die internationalen Vereinbarungen zu<br />
nachhaltiger Entwicklung mit neuen Zeitzielen<br />
und H<strong>and</strong>lungsprioritäten fortgeschrieben.<br />
In seinem „Plan of Implementation“<br />
formulierte der Weltgipfel auch ein integriertes<br />
Wissenschafts- und Politikverständnis.<br />
Mit der Neukonzipierung des<br />
Wuppertaler Forschungsprogramms 2003<br />
Die neue Herausforderung:<br />
Übergänge gestalten<br />
Seit 2010 konzentriert sich das Institut noch<br />
stärker auf die Gestaltung der Übergangsprozesse<br />
zu einer ressourcenleichten und<br />
klimaverträglichen Lebens- und Wirtschaftsweise.<br />
Mit dieser Perspektive löst es<br />
die erst kürzlich in ihrer Bedeutung vom<br />
Wissenschaftlichen Beirat für Globale Umweltveränderungen<br />
WBGU (2011) unterstrichene<br />
Forderung nach verstärkter „transformativer<br />
Forschung“ für eine Nachhaltige<br />
Entwicklung ein.<br />
Mit seiner Mission einer angew<strong>and</strong>ten<br />
Nachhaltigkeitsforschung ist das Wuppertal<br />
Institut faktisch seit seiner Gründung eine<br />
internationale Vorreiterinstitution einer so<br />
verst<strong>and</strong>enen transformativen Forschung<br />
im Kontext nachhaltiger Entwicklung: Neben<br />
umfassenden technologischen Systemanalysen<br />
auf unterschiedlichen Ebenen hat<br />
es Akzente beim Zielwissen (Vgl. „Faktor 4“,<br />
„Faktor 10“) und mit Akteuren erarbeiteten<br />
Transformationswissen (vgl. Zukunftsfähiges<br />
Deutschl<strong>and</strong> 1996/2008) gesetzt.<br />
In seiner Arbeit baut das Wuppertal Institut<br />
auf (inter-)disziplinärer Grundlagenforschung<br />
einer großen Zahl an Disziplinen<br />
auf. Es konzentriert sich auf die Schaffung<br />
von Transformationswissen eines Zyklus aus<br />
1. Problemanalyse,<br />
2. Visions-Entwicklung,<br />
3. Experimenten und daraus gewonnenen<br />
Erkenntnissen für die<br />
4. Diffusion von Lösungen (Transition-Zyklus<br />
nach Loorbach u. a. 2007).<br />
Seit 2010 erfolgt die Definition zentraler<br />
Forschungsthemen, -schwerpunkte und<br />
-projekte über den gemeinsamen Rahmen<br />
Soziale Technik 2/2011<br />
14
Gastredaktion<br />
der „Transition-Perspektive“. Die Transition-Perspektive<br />
integriert dabei die Kompetenzen<br />
der unterschiedlichen Forschungsgruppen.<br />
Das enge Zusammenspiel von Systemanalyse,<br />
Visionsentwicklung, begleitenden<br />
Experimenten und der Organisation<br />
von Lernprozessen („Transition-Zyklus“)<br />
über die unterschiedlichen Forschungsgruppen<br />
hinweg ist konstituierend für die übergreifende<br />
Forschung des Institutes. Sie fließt<br />
einmal <strong>als</strong> Orientierung in die Forschungsprogramme<br />
der einzelnen Forschungsgruppen<br />
ein, zum <strong>and</strong>eren ist sie Grundlage für<br />
die Definition aktueller institutsübergreifender<br />
Projekte und Themenentwicklung.<br />
Urban Transitions – Städte <strong>als</strong><br />
Experimentierorte für einen<br />
nachhaltigen W<strong>and</strong>el<br />
In der Forschung des Wuppertal Institutes<br />
spielen im Sinne der oben skizzierten Transition-Forschung<br />
in jüngster Zeit Projekte zu<br />
nachhaltigkeitsorientierten W<strong>and</strong>lungsprozessen<br />
in Städten eine wichtige Rolle. In<br />
Städten entscheidet sich global die Frage<br />
nach einer nachhaltigen Zukunft. 2050 werden<br />
weit über die Hälfte aller Menschen in<br />
Städten leben, hier findet der größte Teil des<br />
Ressourcenverbrauches und der CO 2 -Emissionen<br />
statt. Gleichzeitig sind Städte die kulturellen<br />
Taktgeber für die Entwicklung neuer<br />
Wohlst<strong>and</strong>s- und Zivilisationsmodelle.<br />
Das Wuppertal Institut nähert sich den damit<br />
verbundenen Fragen einmal aus der Perspektive<br />
technologischer Szenarien. So hat<br />
das Institut im Jahr 2009 im Auftrag der Siemens<br />
AG ein technologisches Transformationsszenario<br />
für eine CO 2 -freie Zukunft für<br />
die Stadt München im Jahre 2058 entwi-<br />
Soziale Technik 2/2011<br />
15
Gastredaktion<br />
ckelt. Demnach können die CO 2 -Emissionen<br />
Münchens bis zum 900-sten Stadtjubiläum<br />
im Jahr 2058 durch flächendeckende<br />
und konsequente Effizienzmaßnahmen sowie<br />
eine Substitution fossiler Energieträger<br />
um etwa 90 Prozent auf nur noch 750 Kilogramm<br />
pro Einwohner/in und Jahr verringert<br />
werden. Für 2008 lag der CO 2 -Ausstoß<br />
pro Münchner/in noch bei 6,5 Tonnen.<br />
Zu einer großmaßstäblichen Umsetzung<br />
solcher technologischen Szenarien wird es<br />
aber nur dann kommen, wenn die vorliegenden<br />
Konzepte die h<strong>and</strong>elnden Akteure<br />
zu überzeugen wissen und zum Mitmachen<br />
ermuntern. Technologische Entwürfe müssen<br />
daher durch gemeinsam entwickelte Visionen<br />
einer zukunftsfähigen Stadtentwicklung<br />
begleitet werden. Eine solche ist die<br />
Studie „Zukunftsfähiges Hamburg – Zeit<br />
zum H<strong>and</strong>eln“ 2 , die das Wuppertal Institut<br />
im Jahr 2010 im Auftrag von Umweltverbänden<br />
und Kirchen erarbeitet hat. Hier ist<br />
ein gemeinsamer Zukunftsentwurf für ein<br />
ökologisch und sozial gerechtes Hamburg<br />
entst<strong>and</strong>en, der auf der umfassenden Studie<br />
„Zukunftsfähiges Deutschl<strong>and</strong> in einer globalisierten<br />
Welt“ 3 beruht.<br />
Realisierbare und für die Akteure überzeugende<br />
sowie h<strong>and</strong>lungsleitende Konzepte<br />
brauchen zudem das Zusammenspiel von<br />
Wissenschaftler/innen, Praktiker/innen, Politiker/innen<br />
und Bürger/innen. Hier<br />
entsteht transdisziplinäres Wissen über Problemlösungsstrategien,<br />
allerdings nicht am<br />
„Reißbrett“, sondern nur in der realen Erprobung<br />
auf möglichst umfassenden Experimentierfeldern.<br />
Einen solchen Weg geht die<br />
„InnovationCity Ruhr“. In diesem im Jahr<br />
2009 durch den Initiativkreis Ruhr gestarteten<br />
Projekt wurde im Jahr 2010 die Stadt<br />
Bottrop <strong>als</strong> Pilotstadt im Ruhrgebiet ausgewählt,<br />
um auf der Grundlage umfassender<br />
Investitionen zu zeigen, wie eine bestehende<br />
Industriestadt innerhalb von zehn Jahren ihren<br />
CO 2 -Ausstoß halbieren kann. Das Wuppertal<br />
Institut wird neben <strong>and</strong>eren Forschungseinrichtungen<br />
diesen Prozess begleiten.<br />
Ein wichtiger Baustein der Begleitforschung<br />
ist – ganz im Sinne des Transition-<br />
Zyklus –, frühzeitig den Transfer erfolgreicher<br />
Konzepte in <strong>and</strong>ere Städte zu unterstützen.<br />
Dieser Transfer hat dann eine besondere<br />
Wirkung, wenn er im internationalen<br />
Rahmen passiert. Hier hat das Wuppertal<br />
Institut Anfang 2011 ein von der Stiftung<br />
Mercator gefördertes Projekt gestartet, in der<br />
die Städte Düsseldorf und Wuxi in China<br />
sich gemeinsam auf den Weg einer Low-<br />
Carbon und Low-Resource-Strategie begeben,<br />
um möglichst umfassend von gegenseitigen<br />
technologischen und institutionellen<br />
Lernprozessen zu profitieren.<br />
Arbeit in Netzwerken<br />
Ein solches umfassendes Forschungsprogramm<br />
ist nur in einem engmaschigen<br />
Partnernetzwerk einzulösen. Das Wuppertal<br />
Institut kooperiert daher weltweit mit<br />
weit über 100 wissenschaftlichen Partner-<br />
Einrichtungen. Dabei spielen sowohl<br />
Theorie-/Konzeptpartner (insbesondere im<br />
Feld Ingenieur-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften),<br />
Methodenpartner (insbesondere<br />
bei der Entwicklung neuer trans-<br />
disziplinärer Methoden zur Begleitung<br />
von Transformationsprozessen) <strong>als</strong> auch<br />
Regionenpartner (zur Durchführung von<br />
Transformationsprojekten unter <strong>and</strong>erem<br />
in China, Indien oder Südamerika) eine<br />
wichtige Rolle.<br />
Kontakt<br />
Über die Arbeit und alle Projekte des<br />
Wuppertal Instituts informiert ausführlich<br />
die Homepage www.wupperinst.org.<br />
Am 30.09.2011 findet eine große Tagung<br />
zur 20-Jahrfeier des Instituts statt.<br />
Informationen dazu finden sich<br />
ebenfalls auf der Homepage unter<br />
http://20jahre.wupperinst.org<br />
Anmerkungen<br />
1 Günther Einert: Die Vision des L<strong>and</strong>es<br />
Nordrhein-Westfalen. Rede des Ministers<br />
a. D. für Wirtschaft, Mittelst<strong>and</strong> und Technologie<br />
des L<strong>and</strong>es Nordrhein-Westfalen,<br />
stellvertretend gehalten für den Ministerpräsidenten<br />
des L<strong>and</strong>es Nordrhein-Westfalen,<br />
Johannes Rau, am 19. September 1991<br />
auf dem Eröffnungskongress des Wuppertal<br />
Instituts.<br />
2 BUND Hamburg, Diakonisches Werk<br />
Hamburg, Zukunftsrat Hamburg (Hrsg.):<br />
Zukunftsfähiges Hamburg – Zeit zum<br />
H<strong>and</strong>eln. Eine Studie des Wuppertal Instituts<br />
für Klima, Umwelt, Energie. Hamburg:<br />
Dölling und Galitz Verlag 2010.<br />
3 Zukunftsfähiges Deutschl<strong>and</strong> in einer<br />
globalisierten Welt. Ein Anstoß zur gesellschaftlichen<br />
Debatte. Frankfurt/Main:<br />
Fischer Taschenbuch Verlag 2008. ■<br />
Einbettung der Forschung des Wuppertal Instituts zwischen Grundlagenforschung und Anwendung<br />
Soziale Technik 2/2011<br />
16
Neue Biotechnologien<br />
Bewegung ohne Grenzen<br />
Wie transnational ist die europäische Anti-Gentechnikbewegung<br />
Die Frage, welche Rolle die europäischen Nation<strong>als</strong>taaten, das supra -<br />
nationale Gefüge der EU und internationale Organisationen für die in<br />
hohem Maß transnational agierende Anti-Gentechnik Bewegung spielt,<br />
steht im Zentrum des vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF<br />
geförderten Projektes „Transnationale Bewegungen jenseits des Staates“<br />
Franz Seifert<br />
ist Sozialwissenschaftler und Biologe, erhielt<br />
zahlreiche Stipendien im In- und Ausl<strong>and</strong>.<br />
Lehrtätigkeit am Institut für Politikwissenschaft der<br />
Universität Wien. Derzeit Leitung eines FWF-<br />
Forschungsprojektes zur Rolle des Staates in der<br />
transnationalen Protestbewegung gegen die l<strong>and</strong>wirtschaftliche<br />
Gentechnik, einer Vergleichsstudie<br />
der Länder Deutschl<strong>and</strong>, Frankreich, Großbritannien,<br />
Österreich und Spanien.<br />
E-Mail: fseifert@gmx.at<br />
Verliert der Nation<strong>als</strong>taat an<br />
Bedeutung<br />
Vor dem Hintergrund der fortschreitenden<br />
wirtschaftlichen Globalisierung und der<br />
Einbettung des Nation<strong>als</strong>taats in supraund<br />
internationale Regelungsgefüge liegt<br />
die Vermutung nahe, dass Nation<strong>als</strong>taaten<br />
ihre Bedeutung für das Engagement sozialer<br />
Bewegungen einbüßen. Ist es nicht folgerichtig,<br />
dass in einer polyzentrischen<br />
Welt Instanzen jenseits des Nation<strong>als</strong>taats<br />
– multinationale Industrien oder internationale<br />
Organisationen und Verh<strong>and</strong>lungsprozesse<br />
etwa – zu den primären Angriffszielen<br />
von Protestbewegungen werden<br />
Und sind soziale Bewegungen nicht<br />
Vernetzungsspezialisten, die mit Hilfe billiger<br />
Transportmittel und digitaler Kommunikationsnetze<br />
mit nie dagewesener Leichtigkeit<br />
nationale Grenzen überschreiten<br />
Der Konflikt um die l<strong>and</strong>wirtschaftliche<br />
Gentechnik in der EU bietet hier interessantes<br />
Material. So wurde der Konflikt<br />
scheinbar in einer gesamteuropäischen<br />
Öffentlichkeit ausgetragen, wesentliche<br />
Hauptakteure sind transnational agierende<br />
NGOs, und auch der gesamten EU-Raum<br />
reagiert auf diese Bewegung.<br />
Nationale Kontextbedingungen<br />
Die hier favorisierte These lautet dennoch,<br />
dass der Nation<strong>als</strong>taat bzw. nationale Öffentlichkeiten<br />
trotz allem die wichtigsten<br />
„Ansprechpartner“ der Anti-Gentechnik-<br />
Bewegung bleiben. Diese Annahme ergibt<br />
sich aus bisherigen Forschungsarbeiten,<br />
die ergeben haben, dass der nationale Rahmen<br />
letztlich den entscheidenden Kontext<br />
großer öffentlicher Debatten, auch solcher<br />
europäischer Dimension, abgibt. Zwar können<br />
diese vielen nationalen Debatten EU-<br />
Entscheidungsprozesse beeinflussen, doch<br />
„wissen“ nationale Debatten in der Regel<br />
„nichts vonein<strong>and</strong>er“, bleiben in Inhalten<br />
und Dynamik <strong>als</strong>o weitgehend autonom.<br />
Bezogen auf das Engagement sozialer Bewegungen,<br />
die stets in Tuchfühlung mit<br />
der Öffentlichkeit operieren, legt das eine<br />
Reihe von Voraussagen über deren Ziele,<br />
Strategien und Reichweite nahe. Mit diesen<br />
Voraussagen wiederum lassen sich<br />
diese Grundannahmen empirisch überprüfen.<br />
Wenn es zum Beispiel stimmt, dass soziale<br />
Bewegungen in nationalen Öffentlichkeiten<br />
verhaftet bleiben, dann müsste<br />
deren Verhalten und Erscheinungsbild<br />
auch empirisch nachweislich durch den<br />
nationalen Kontext geprägt sein. Nationale<br />
Bewegungen müssten erhebliche nationale<br />
Unterschiede aufweisen, und diese müssten<br />
systematisch aus nationalen Kontextbedingungen<br />
resultieren. Betrachtet man die<br />
Anti-Gentechnikbewegung hingegen <strong>als</strong><br />
„Bewegung ohne Grenzen“, gelangt man zu<br />
<strong>and</strong>eren Voraussagen. Man würde dann<br />
zwischen nationalen Arenen nur geringe<br />
Unterschiede erwarten, da mittels transnationaler<br />
Koordination und Diffusion Kampagnen<br />
und Proteststrategien von Bewegungen<br />
synchronisiert und ein<strong>and</strong>er angeglichen<br />
würden.<br />
Forschungsdesign<br />
Das Forschungsdesign umfasst vier „vertikale“<br />
Ebenen – <strong>als</strong>o die regionale, nationale,<br />
supra- und internationale Ebene, sein<br />
Herzstück bildet allerdings die systematische<br />
Vergleichsuntersuchung auf „horizontaler“<br />
Ebene: ein Vergleich der Anti-<br />
Gentechnikbewegungen in fünf ausgewählten<br />
Ländern der EU – Deutschl<strong>and</strong>,<br />
Frankreich, Großbritannien, Österreich<br />
und Spanien – über einen Zeitraum von 15<br />
Jahren. Die Daten dazu werden über quantitative<br />
wie qualitative Methoden erhoben.<br />
Qualitativ werden eine Vielzahl an Quellen<br />
ausgewertet, neben Aktivistenmaterialien<br />
und Medienberichten auch Interviews mit<br />
Schlüsselakteuren und Protokolle aus teilnehmender<br />
Beobachtung, die in mehrwöchigen<br />
Rechercheaufenthalten in den untersuchten<br />
Ländern entst<strong>and</strong>en. Der quantitative<br />
Ansatz folgt der Protestereignisanalyse:<br />
über den besagten Zeitraum werden<br />
aus nationalen Medien (Le Monde, El País,<br />
The Guardian, Süddeutsche Zeitung, Ku-<br />
Soziale Technik 2/2011<br />
17
Neue Biotechnologien<br />
rier/Der St<strong>and</strong>ard) sämtliche relevanten<br />
H<strong>and</strong>lungen von Bewegungsakteuren erfasst,<br />
was einen systematischen Vergleich<br />
von Verläufen, Intensitäten und H<strong>and</strong>lungsrepertoires<br />
erlaubt. Diese Zeitreihen<br />
sind in ihrer Art einzigartig und werden<br />
sich zu einer Reihe <strong>and</strong>erer systematisch<br />
gewonnener Datenreihen in Bezug setzen<br />
lassen, etwa zu Entscheidungsverläufen nationaler<br />
Regierungen oder auch zum reichen<br />
Fundus vergleichender Meinungsumfragen<br />
des Eurobarometer.<br />
Nationale Unterschiede, Vorreiter<br />
Frankreich, Diffusion<br />
Aus dem quantitativen Vergleich geht bereits<br />
klar die Unterschiedlichkeit nationaler<br />
Bewegungen in den untersuchten Ländern<br />
hervor. Das gilt für deren zeitlichen<br />
Verlauf und deren Intensität, die Wahl ihrer<br />
Mittel und ihre politische Durchschlagskraft.<br />
Eine Bestätigung <strong>als</strong>o für die<br />
konservative These. In Spanien beispielsweise<br />
ist nach langen Bemühungen eines<br />
kleinen, regional zersplitterten Aktivistenkreises<br />
erst in den letzten Jahren eine nationale<br />
Bewegung mit einem gewissen Mobilisierungspotenzial<br />
entst<strong>and</strong>en. Dabei ist<br />
Spanien das einzige EU-L<strong>and</strong> mit großflächigem<br />
Anbau von gentechnisch verändertem<br />
Mais. Jedoch gelingt es der Bewegung<br />
kaum, öffentliche Resonanz zu erzeugen.<br />
Im Gegensatz dazu hatte die Anti-Gentechnikbewegung<br />
in Österreich schon zu einem<br />
sehr frühen Zeitpunkt einen durchschlagenden<br />
Erfolg, und dies ohne jem<strong>als</strong><br />
radikale Mittel eingesetzt zu haben.<br />
Deutschl<strong>and</strong> wiederum, das in den achtziger<br />
und frühen neunziger Jahren zu den<br />
größten Skeptikern der Gentechnik zählte,<br />
überrascht durch die relativ späte Radikalisierung<br />
der Bewegung gegen deren l<strong>and</strong>wirtschaftliche<br />
Anwendungen. Erst durch<br />
das von lokalen Bewegungsakteuren entscheidend<br />
mitverursachte „Kippen“ der<br />
Meinung in Bayern, und damit der Position<br />
der CSU, schwenkte Deutschl<strong>and</strong> in<br />
jüngster Zeit auch europäisch auf seinen<br />
traditionell kritischeren Kurs zurück. Im<br />
Vereinigten Königreich wiederum ist die<br />
Bewegung seit Jahren verebbt, nachdem sie<br />
nach einer kurzen, aber heftigen Radikalisierung<br />
1999 und in den frühen 2000er<br />
Jahren, die massiv auf die Zerstörung von<br />
Freisetzungsversuchen setzte, zumindest<br />
im eigenen L<strong>and</strong> ihre Ziele erreicht hat.<br />
Deutlich aber hebt sich Frankreich von allen<br />
<strong>and</strong>eren Ländern ab. Frankreich hat offenbar<br />
die längste und intensivste Kontroverse<br />
in Europa durchgemacht und auch<br />
die radik<strong>als</strong>te Anti-Gentechnikbewegung<br />
hervorgebracht. Außergewöhnlich ist die<br />
Wahl ihrer Mittel: die offene Zerstörung<br />
von GVO-Feldern – teils kommerziellen,<br />
großteils aber Versuchsfeldern – und das<br />
Ausfechten der rechtlichen Konsequenzen<br />
dieser Aktionen im Scheinwerfer der Medien.<br />
Außergewöhnlich ist aber auch ihre<br />
ausgeprägte Neigung zur Personalisierung:<br />
nirgendwo sonst konnte sich eine so charismatische<br />
Führungspersönlichkeit wie<br />
der Ökologie-, Antiglobalisierungs- und<br />
Bauernaktivist José Bové ins Zentrum der<br />
Debatte setzen.<br />
Aber auch Belege für Transnationalisierung<br />
lassen sich anführen. So weist die europäische<br />
Anti-Gentechnikbewegung bei aller<br />
nationaler Fragmentierung auch ein hohes<br />
Maß an grenzüberschreitender Koordination<br />
und Diffusion von Ideen, Diskursen<br />
und Praktiken auf. Eine Schlüsselrolle in<br />
diesen Prozessen spielen transnationale,<br />
professionelle Organisationen wie Greenpeace<br />
und Friends of the Earth (eine<br />
Schirmorganisation für eigenständige nationale<br />
Umweltgruppen), die im Rahmen<br />
der europäischen Anti-Gentechnikbewegung<br />
eine Reihe spezifischer Kampagnen<br />
koordiniert haben. Diffusion ist aber auch<br />
zwischen lokal verankerten Bewegungsakteuren<br />
nachzuweisen. Eine Teilstudie beschäftigt<br />
sich mit der Übernahme der radikalen<br />
französischen Methoden durch spanische<br />
und deutsche Aktivisten. Auch hier<br />
gilt aber, dass die jeweilige Ausgestaltung<br />
und der Erfolg solcher grenzüberschreitender<br />
Diffusionsprozesse von den nationalen<br />
Kontextbedingungen abhängen.<br />
Fazit<br />
Obwohl sich <strong>als</strong>o summarisch das Bild einer<br />
vielschichtigen Verflechtung von nationalen<br />
und transnationalen Prozessen ergibt,<br />
liefern bisherigen Befunde deutliche<br />
Belege dafür, dass der politische und soziale<br />
Kontext des Nation<strong>als</strong>taats Aufbau,<br />
H<strong>and</strong>lungsweise und Erfolg sozialer Bewegungen<br />
nach wie vor am stärksten prägt.<br />
Literatur<br />
• Franz Seifert: Consensual NIMBYs, Contentious<br />
NIABYs: Explaining Contrasting Forms<br />
of Farmers GMO Opposition in Austria <strong>and</strong><br />
France, in: Sociologica Ruralis 49 (1) 2009,<br />
20-40.<br />
• Franz Seifert: Back to Politics at Last. Orthodox<br />
Inertia in the Transatlantic Conflict over<br />
Agro-Biotechnology, in: Science, Technology<br />
& Innovation Studies 6 (2) 2010, 101-126<br />
(www.sti-studies.de). ■<br />
Soziale Technik 2/2011<br />
18
Frauen & Technik<br />
Mobile Frauen in der<br />
Wissenschaft<br />
Wissenschaftskarrieren im Kontext der Ost-West-Migration<br />
Der Beitrag befasst sich mit Ingenieur- und Naturwissenschaftlerinnen<br />
aus postsozialistischen Ländern, die im Kontext internationaler Wissenschaftsmobilität<br />
ihre Karrieren an deutschen Hochschulen vor dem Hintergrund<br />
migrations- und geschlechtsbezogener Barrieren gestalten.<br />
Andrea Wolffram<br />
Promotion 2002 an der TU Braunschweig zu<br />
Frauen im Technikstudium, anschließend stell -<br />
vertretende Leitung der Arbeitsgruppe „Arbeit-<br />
<strong>Gender</strong>-Technik“ an der TU Hamburg-Harburg,<br />
seit 2008 stellvertretende Leitung der Stabstelle<br />
Integration Team – <strong>Human</strong> <strong>Resources</strong>, <strong>Gender</strong> <strong>and</strong><br />
<strong>Diversity</strong> Management an der RWTH Aachen.<br />
Arbeits-und Forschungsschwerpunkte im Bereich<br />
der diversitygerechten Personal- und Organisations -<br />
entwicklung sowie <strong>Gender</strong> und <strong>Diversity</strong> in der<br />
Wissenschafts- und Technikforschung.<br />
E-Mail: <strong>and</strong>rea.wolffram@igad.rwth-aachen.de<br />
Transnationale Karrierewege<br />
In modernen Wissensgesellschaften sind<br />
Wissenschaft und Forschung von zentraler<br />
Bedeutung für die Fortentwicklung von<br />
Wirtschaft und Gesellschaft. Wissenschaft<br />
und Forschung haben sich zu einem Bereich<br />
entwickelt, der durch zunehmende<br />
internationale Vernetzung und die Mobilität<br />
von Wissen und WissenschaftlerInnen<br />
charakterisiert ist. Inzwischen gilt grenzüberschreitende<br />
Mobilität von Studierenden<br />
und WissenschaftlerInnen <strong>als</strong> ein Qualitätsmerkmal<br />
von wissenschaftlicher Ausbildung<br />
und gehört zu den Imperativen für<br />
eine Karriere in der Wissenschaft (Ackers<br />
2008). Entsprechend gestalten WissenschaftlerInnen<br />
ihre Karrierewege in der<br />
Wissenschaft zunehmend transnational,<br />
um ihre Karrierechancen zu erhöhen.<br />
Mit dem Ende der ehemaligen sozialistischen<br />
Regime in den damaligen Ostblockstaaten,<br />
der damit einhergehenden EU-<br />
Osterweiterung sowie dem deutschen Zuw<strong>and</strong>erungsgesetz<br />
von 2005 wurde Hochqualifizierten<br />
und damit auch WissenschaftlerInnen<br />
aus postsozialistischen Staaten<br />
der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt<br />
und an die Hochschulen ermöglicht.<br />
Da in den sozialistischen Staaten die<br />
Ausbildungssysteme gut ausgebaut waren,<br />
verfügen viele MigrantInnen aus Osteuropa<br />
über eine Hochschulausbildung. Unter<br />
ihnen befindet sich eine erhebliche Anzahl<br />
von Frauen mit einer akademischen<br />
Ausbildung in den Natur- und Ingenieurwissenschaften,<br />
da diese Berufsfelder in<br />
diesen Ländern weitaus weniger geschlechtlich<br />
segregiert waren <strong>als</strong> in<br />
Deutschl<strong>and</strong>. Laut Mikrozensus haben<br />
2008 in Deutschl<strong>and</strong> rund 1,6 Millionen<br />
Personen mit einer osteuropäischen Nationalität,<br />
von denen wiederum ca. 60%<br />
weiblich sind, gelebt (Statistisches Bundesamt<br />
2010). Nach EUROSTAT haben von<br />
diesen Osteuropäerinnen im Jahr 2008<br />
rund 80.000 Frauen einen Universitätsabschluss,<br />
ca. 10.000 der Akademikerinnen<br />
haben diesen in den Natur- und Ingenieurwissenschaften<br />
erworben. 1 Aus der Auswertung<br />
des HIS (Hochschul-Informations-<br />
System GmbH, Hannover) der ICE-Datenbank<br />
des Deutschen Akademischen Austauschdiensts<br />
DAAD (ICE = Information,<br />
Controlling, Entscheidung) geht hervor,<br />
dass aber nur 842 Wissenschaftlerinnen in<br />
Natur- und Ingenieurwissenschaften aus<br />
den osteuropäischen Staaten im Jahr 2007<br />
an deutschen Hochschulen beschäftigt waren.<br />
2 Vor diesem Hintergrund zeichnet sich<br />
somit ein Bild ab, wonach zwar eine bedeutsame<br />
Anzahl an hochqualifizierten<br />
Migrantinnen in Naturwissenschaft und<br />
Technik aus den postsozialistischen Staaten<br />
in der BRD leben, diese jedoch gleichzeitig<br />
in den spezifischen beruflichen Feldern<br />
unterrepräsentiert sind.<br />
Das Projekt „Hochqualifizierte Migrantinnen<br />
in der technologischen Spitzenforschung<br />
an Hochschulen“ 3 hat vor diesem<br />
Hintergrund untersucht, welche Karrierestrategien<br />
osteuropäischer Wissenschaftlerinnen<br />
im Gebiet der Ingenieur- und Naturwissenschaften<br />
an deutschen Universitäten<br />
zum Erfolg führen. Bei der Verfolgung dieser<br />
Fragestellungen wurde ein Schwerpunkt<br />
insbesondere auf das intersektionelle Zusammenspiel<br />
der Strukturkategorien Geschlecht<br />
und Migration gelegt und deren<br />
Einfluss auf die Karriereverläufe von osteuropäischen<br />
Wissenschaftlerinnen gelegt.<br />
Im Folgenden werden die Ergebnisse aus<br />
zehn biografischen Interviews mit Wissenschaftlerinnen<br />
osteuropäischer Herkunft<br />
vorgestellt, die an einer deutschen Hochschule<br />
eine Karriere in der Wissenschaft<br />
verfolgen. Die Interviews wurden im Wintersemester<br />
2009/10 geführt. Zuvor wurden<br />
drei Interviews mit ExpertInnen ge-<br />
Soziale Technik 2/2011<br />
19
Frauen & Technik<br />
führt, die im Service- und Beratungsbereich<br />
hochqualifzierter Migration arbeiten.<br />
Die Ergebnisse fokussieren zum einen auf<br />
die Strategien der Befragten, mit denen sie<br />
ethnisch und geschlechtlich bedingte<br />
Schließungsmechanismen umgehen konnten.<br />
Zum <strong>and</strong>eren geben die Ergebnisse<br />
Aufschluss über die persönlichen Bedingungen<br />
und strukturellen Konstellationen,<br />
die letztlich eine erfolgreiche berufliche<br />
Platzierung und Etablierung bewirkten.<br />
Karrierehemmnisse und -strategien<br />
Osteuropäische Wissenschaftlerinnen,<br />
die mit einem Arbeitsvertrag eingereist<br />
sind, befinden sich in einer priviligierten<br />
Situation gegenüber <strong>and</strong>eren migrierten<br />
Wissenschaftlerinnen bzw. <strong>and</strong>eren MigrantInnen<br />
mit einer akademischen technisch-naturwissenschaftlichen<br />
Ausbildung,<br />
die jedoch ohne Arbeitsvertrag migriert<br />
sind. Wenn Stellenangebote, beziehungsweise<br />
erfolgreiche Bewerbungen aus<br />
dem Herkunftsl<strong>and</strong> ersteren einen direkten<br />
Zugang in die deutsche Scientific Community<br />
ermöglichten, dann konnten sie jene<br />
Barrieren umgehen, die hochqualifizierte<br />
MigrantInnen oftm<strong>als</strong> überwinden müssen,<br />
wenn sie bereits in Deutschl<strong>and</strong> leben und<br />
von hier aus Zugang zum Arbeitsmarkt bzw.<br />
zur Hochschule suchen, um ihre Karrieren<br />
weiterzuführen. Sie übersprangen dadurch<br />
die kritische Übergangsphase in der Migrationspassage,<br />
die sich insbesondere durch<br />
eine mangelnde Anerkennung von Abschlüssen<br />
und durch weitere Probleme im<br />
Kontext von Aufenthalts- und Arbeitsrecht<br />
charakterisieren lässt. Den befragten Migrantinnen<br />
eröffneten sich Stellenangebote<br />
oftm<strong>als</strong> über zuvor bestehende Kontakte zu<br />
deutschen ProfessorInnen, die dann zumeist<br />
die späteren Doktorväter bzw. -mütter<br />
wurden. Diese Kontakte resultierten häufig<br />
aus den Netzwerken der betreuenden ProfessorInnen<br />
im Herkunftsl<strong>and</strong>. Auch der<br />
Migration vorangegangene Ausl<strong>and</strong>saufenthalte<br />
in Deutschl<strong>and</strong> sowie die Teilnahme<br />
an internationalen Konferenzen trugen<br />
maßgeblich dazu bei, sich Kontakte zum<br />
deutschen Wissenschaftssystem aufzubauen.<br />
Dennoch mussten auch sie während<br />
ihrer beruflichen Integration spezifische<br />
Hürden überwinden, die sich <strong>als</strong> unmittelbare<br />
Folge aus der Migration ergaben. Trotz<br />
häufig guter Vorkenntnisse der deutschen<br />
Sprache zeigte sich die Sprache <strong>als</strong> eine der<br />
stärksten Barrieren, um sich im Alltag nach<br />
der Migration sowohl sozial integrieren <strong>als</strong><br />
auch fachlich profilieren zu können, da an<br />
deutschen Hochschulen die deutsche Sprache<br />
<strong>als</strong> St<strong>and</strong>ardsprache fast noch alternativlos<br />
verwendet wird. Entsprechend wurde<br />
ein gutes Sprachvermögen nahezu von allen<br />
Befragten <strong>als</strong> extrem wichtige Ressource<br />
und Grundvorrausetzung für die Karriereentwicklung<br />
angesehen. Die eigenen<br />
Sprachfähigkeiten wurden demzufolge sehr<br />
kritisch beurteilt und <strong>als</strong> begrenzender Faktor<br />
in der eigenen beruflichen Entwicklung<br />
wahrgenommen.<br />
Schließlich mussten sich die befragten Migrantinnen<br />
ein Verständnis über das deutsche<br />
Hochschulsystem und dessen Strukturen<br />
erarbeiten und in diesem neuen Kontext<br />
die Karriereplanung anpassen. Dieser<br />
Orientierungsprozess wurde in der Folge<br />
<strong>als</strong> nachteilig für den Fortgang in der wissenschaftlichen<br />
Karriere gewertet. Allerdings<br />
erfuhren die Befragten in diesem<br />
Prozess oftm<strong>als</strong> Unterstützung durch von<br />
ihnen <strong>als</strong> „Mentoren“ bezeichnete (stets<br />
männliche) Professoren sowie durch KollegInnen.<br />
Darüber hinaus wurden die Wissenschaftlerinnen<br />
in ihrem privaten wie<br />
beruflichen Umfeld positiv und offen aufgenommen,<br />
was sie <strong>als</strong> wichtige Erleichterung<br />
während ihrer Integration empf<strong>and</strong>en.<br />
Ihr soziales Umfeld erhielt damit eine<br />
zentrale Bedeutung im Integrationsprozess.<br />
Insgesamt erzählten die Wissenschaftlerinnen<br />
nur vereinzelt von Benachteiligungen<br />
aufgrund ihrer Herkunft. Auf dieser empirischen<br />
Basis lassen sich somit keine Rückschlüsse<br />
auf durchgehende, ethnisch bedingte<br />
diskriminierende Strukturen an<br />
deutschen Hochschulen feststellen.<br />
Dagegen thematisierten die Wissenschaftlerinnen<br />
diskriminierende Erfahrungen<br />
verstärkt in Bezug auf ihren Status <strong>als</strong> Frau<br />
im Wissenschaftssystem. Die Biografieanalysen<br />
der Migrantinnen belegen, wie sich<br />
die Kategorie Geschlecht in unterschiedlicher<br />
Weise erschwerend auf die berufliche<br />
Positionierung und die Karriereentwicklung<br />
der Frauen auswirkt.<br />
Wenngleich die Migrantinnen die geschlechtliche<br />
Segregation ihrer Fächer in<br />
Deutschl<strong>and</strong> stärker wahrnahmen, schildern<br />
sie dennoch vergleichbare geschlechtliche<br />
Strukturierungen in ihren Herkunftsländern.<br />
Ihren Aussagen folgend kommt<br />
Frauen in Osteuropa beispielsweise in der<br />
Mathematik zwar im Vergleich zu Deutschl<strong>and</strong><br />
eine deutlich größere Selbstverständ-<br />
Bezahlte Anzeige<br />
Soziale Technik 2/2011<br />
20
Frauen & Technik<br />
lichkeit zu, jedoch stellen sie in den Ingenieurwissenschaften<br />
dort ebenfalls eine<br />
Minderheit dar.<br />
Besonders starke Benachteiligungen erleben<br />
die Wissenschaftlerinnen vielmehr<br />
durch die massive Vereinbarkeitsproblematik<br />
von Beruf und Familie, vor allem in höheren<br />
akademischen Positionen. Diese<br />
nahmen sie insbesondere vor ihrem kulturellen<br />
Hintergrund wahr, da sie aus ihren<br />
Herkunftsländern deutlich unterstützendere<br />
Strukturen der Vereinbarkeit von Familie<br />
und Beruf gewöhnt waren. Strukturelle<br />
Benachteiligungen äußern sich für sie<br />
in einer ihnen entgegengebrachten Antizipation<br />
eines reduzierten Arbeitskraftpotenzi<strong>als</strong><br />
<strong>als</strong> Frauen mit Kind(ern) beziehungsweise<br />
mit Betreuungsaufgaben. Die Vereinbarkeit<br />
von Beruf und Familie kostet die<br />
Wissenschaftlerinnen nichtsdestotrotz<br />
sehr viel Kraft, Zeit und Organisationstalent.<br />
Kinderbetreuung ist angesichts nicht<br />
ausreichender Angebote in Qualität und<br />
Quantität für die Wissenschaftlerinnen<br />
schwer zu organisieren.<br />
Im Gegensatz zu vielen deutschen Wissenschaftlerinnen<br />
findet sich bei den Wissenschaftlerinnen<br />
mit osteuropäischer Herkunft<br />
eine deutliche kulturelle Prägung im<br />
Hinblick auf Ehe und Mutterschaft, die<br />
sich bei vielen der befragten Frauen in einer<br />
hohen Familienpriorisierung äußert.<br />
Diese wird dabei mit einer gänzlich selbstverständlichen<br />
und gleichzeitigen Berufstätigkeit<br />
verbunden. Gemäß ihrer Familienorientierung<br />
sind fast alle der Befragten<br />
verheiratet und haben ein oder zwei Kinder,<br />
deren Betreuung und Erziehung sie<br />
nur mit sehr großem Aufw<strong>and</strong> mit den Anforderungen<br />
ihrer beruflichen Situation in<br />
Deutschl<strong>and</strong> harmonisieren können. Die<br />
vergleichsweise hohe Familienpriorisierung<br />
der Migrantinnen hat damit angesichts<br />
der schwierigen Vereinbarkeitsstrukturen<br />
an Hochschulen in Deutschl<strong>and</strong><br />
nachteilige Auswirkungen auf ihre wissenschaftlichen<br />
Karrieren. Dass sie jedoch<br />
dennoch ihre beruflichen wie familiären<br />
Ziele verwirklichen können, lässt sich vor<br />
diesem Hintergrund nur mit ihrer sehr ausgeprägten<br />
Leistungsbereitschaft, Zielorientierung,<br />
Ausdauer sowie hoher Frustrationstoleranz<br />
erklären, die allen befragten<br />
Wissenschaftlerinnen gemein ist.<br />
Schlussfolgerungen<br />
Vor dem Hintergrund des starken Internationalisierungstrends<br />
deutscher Hochschulen<br />
öffnen sich diese Organisationen zunehmend<br />
hochqualifizierten Ingenieurund<br />
Naturwissenschaftlerinnen aus postsozialistischen<br />
Staaten. Diese Öffnung erfolgt<br />
jedoch im Kontext transnationaler Mobilität<br />
von Studierenden und Wissenschaftlerinnen<br />
und Wissenschaftlern. Zugangshürden<br />
bestehen weiterhin nicht nur an Hochschulen,<br />
sondern auch in Unternehmen für<br />
jene osteuropäische Akademikerinnen und<br />
Akademiker, die nicht im Kontext der Wissenschafts-<br />
bzw. Arbeitsmigration eingew<strong>and</strong>ert<br />
sind. Neben aufenthalts- und arbeitsrechtlichen<br />
Regelungen für WissenschaftlerInnen<br />
aus nicht EU-Staaten stellen<br />
insbesondere eine mangelnde Anerkennung<br />
ausländischer Abschlüsse solche Hürden<br />
dar. Der Zugang zu adäquaten Positionen<br />
ist insofern für ausländische WissenschaftsmigrantInnen<br />
stark durch die Kategorie<br />
Nationalität strukturiert, wenn sie<br />
nicht im Vorfeld der Migration Zugangsstrategien<br />
zum deutschen Wissenschaftssystem<br />
angewendet haben, die ihnen eine<br />
Einreise mit Arbeitsvertrag ermöglicht hat.<br />
Jedoch vor allem in naturwissenschaftlichtechnischen<br />
Disziplinen mit ihrer starken<br />
geschlechtlichen Strukturiertheit stellt die<br />
Kategorie Geschlecht in ihrer Intersektion<br />
mit der Kategorie Nationalität ein weiteres<br />
erschwerendes Hemmnis für die erfolgreichen<br />
Karriereverläufe und die Erreichung<br />
von Spitzenpositionen osteuropäischer<br />
Wissenschaftlerinnen dar.<br />
Anmerkungen<br />
1 Auf Anfrage von EUROSTAT zur Verfügung<br />
gestellte Daten.<br />
2 Vgl. Deutscher Akademischer Austauschdienst<br />
(DAAD)/Hochschul-Informations-<br />
System GmbH (HIS): Online-Plattform Wissenschaft<br />
weltoffen, http://www.wissenschaft-weltoffen.de/<br />
[14.06.2010] sowie auf<br />
Anfrage zur Verfügung gestellte Daten.<br />
3 Das Projekt ist Teil des vom BMBF und ESF<br />
geförderten Verbundprojektes „Die Integration<br />
hochqualifizierter Migrantinnen auf<br />
dem deutschen Arbeitsmarkt – Effekte der<br />
Migration auf die Karriereverläufe hochqualifizierter<br />
Frauen in Technologiebranchen“<br />
(Vgl. www.hochqualifizierte-migrantinnen.de).<br />
Literatur<br />
• Ackers, L.: Internationalisation, Mobility<br />
<strong>and</strong> Metrics. A New Form of Indirect Discrimination<br />
In: Minerva 46/2008, 411-435.<br />
• Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Bevölkerung<br />
und Erwerbstätigkeit. Bevölkerung mit<br />
Migrationshintergrund – Ergebnisse des Mikrozensus<br />
2008, Fachserie 1, Reihe 2.2. Wiesbaden:<br />
Statistisches Bundesamt 2010. ■<br />
Soziale Technik 2/2011<br />
21
Aus dem IFZ<br />
Institute for Advanced Studies on<br />
Science, Technology <strong>and</strong> Society<br />
IAS-STS-Fellowship Programme<br />
2012-2013<br />
The IAS-STS in Graz, Austria, promotes the<br />
interdisciplinary investigation of the links<br />
<strong>and</strong> interactions between science, technology<br />
<strong>and</strong> society as well as technology<br />
assessment <strong>and</strong> research into the development<br />
<strong>and</strong> implementation of socially <strong>and</strong><br />
environmentally sound technologies. The<br />
IAS-STS is broadly speaking an institute for<br />
the enhancement of science <strong>and</strong> technology<br />
studies.<br />
The IAS-STS invites researchers to apply for<br />
a stay between 1 October 2012 <strong>and</strong> 30<br />
June 2013 as a Research Fellow (up to<br />
nine months) or as a Visiting Scholar<br />
(shorter period, e. g. a month).<br />
The IAS-STS offers excellent research infrastructure.<br />
Close co-operation with<br />
researchers at the IFZ (Inter-University<br />
Research Centre for Technology, Work <strong>and</strong><br />
Culture; see: www.ifz.tugraz.at), guest<br />
lectures, workshops <strong>and</strong> conferences<br />
provide an atmosphere of creativity <strong>and</strong><br />
scholarly discussion.<br />
Furthermore we can offer five grants (up to<br />
EUR 940,- per month) for long-term<br />
Research Fellows at the IAS-STS.<br />
The Fellowship Programme 2012-2013 is<br />
dedicated to projects investigating the<br />
following issues:<br />
promising research will <strong>als</strong>o shed more<br />
light on the interrelation between individu<strong>als</strong>’<br />
concepts <strong>and</strong> media representations<br />
of gender <strong>and</strong> technology.<br />
2. Genetics <strong>and</strong> Biotechnology<br />
A focus of the Fellowship Programme lies<br />
on research providing a critical analysis of<br />
the life sciences. Researchers investigating<br />
either social aspects of biomedicine or risk<br />
<strong>and</strong> wider governance issues related to<br />
agricultural biotechnology are especially<br />
encouraged to apply.<br />
3. Sustainable Consumption <strong>and</strong><br />
Production (SCP)<br />
SCP seeks to promote social <strong>and</strong> economic<br />
development within the carrying capacity<br />
of ecosystems. New strategies <strong>and</strong> concrete<br />
tools are needed to change individual <strong>and</strong><br />
institutional patterns of consumption <strong>and</strong><br />
to enhance corporate responsibility (CR) of<br />
organisations. Researchers investigating<br />
patterns of consumption <strong>and</strong> intervention<br />
strategies to promote sustainable lifestyles<br />
among both public <strong>and</strong> private consumers<br />
or working within the thematic field of<br />
ecological product policy are encouraged<br />
to apply. Research projects integrating<br />
product assessment tools such as LCA,<br />
carbon footprint, MIPS or related methods<br />
are <strong>als</strong>o of special interest.<br />
4. Energy <strong>and</strong> Climate<br />
On basis of the analysis of social, technological<br />
<strong>and</strong> organisational framework of<br />
energy use projects should contribute to<br />
the shaping of sustainable energy, climate<br />
<strong>and</strong> technology policies. They should aim<br />
at socio-economic aspects of energy technologies<br />
or at strategies of environmental<br />
technology policy. They should develop<br />
measures <strong>and</strong> strategies for the promotion<br />
of renewable energy sources, for the transition<br />
to a sustainable energy system or<br />
contribute to the field of sustainable<br />
construction. Regional governance,<br />
climate policy strategies, innovation policy<br />
<strong>and</strong> the role of users are important<br />
themes. In addition, the Manfred<br />
Heindler grant is awarded for research<br />
projects on the increased use of renewable<br />
energies <strong>and</strong> on a more efficient use of<br />
energy.<br />
5. Information <strong>and</strong><br />
Communication Technologies (ICTs)<br />
Novel developments in ICT-related fields<br />
are investigated from the perspective of<br />
the social studies <strong>and</strong> the philosophy of<br />
science <strong>and</strong> technology. The inquiry<br />
covers a variety of research areas concerning<br />
ICTs <strong>and</strong> human agency. Topics may<br />
include Artificial Intelligence, ubiquitous<br />
computing, intelligent environments or<br />
ICTs <strong>and</strong> mobility. These topics are<br />
analysed with respect to their wider social,<br />
ethical <strong>and</strong> political implications. Further<br />
possible issues of interest are the social<br />
shaping of ICTs, ICT risk management<br />
<strong>and</strong> ICTs <strong>and</strong> innovation policies.<br />
Applications must be submitted to the<br />
IAS-STS by 31 December 2011.<br />
1. <strong>Gender</strong> – Technology –<br />
Environment<br />
This area of research particularly focuses<br />
on gender dimensions of science <strong>and</strong> technology.<br />
On the one h<strong>and</strong> individual<br />
perspectives of actors in the technological<br />
field are taken into account, on the other<br />
h<strong>and</strong> educational, organisational, societal,<br />
environmental <strong>and</strong> political issues are<br />
gaining more <strong>and</strong> more relevance. Current<br />
Soziale Technik 2/2011<br />
22<br />
For application forms <strong>and</strong> further information<br />
please visit our website:<br />
www.sts.tugraz.at<br />
Institute for Advanced Studies on Science, Technology <strong>and</strong> Society<br />
(IAS-STS)<br />
Attn. Guenter Getzinger<br />
Kopernikusgasse 9, 8010 Graz – Austria<br />
E-mail: info@sts.tugraz.at
Aus dem IFZ<br />
Critical Issues in Science <strong>and</strong><br />
Technology Studies<br />
10 th IAS-STS Annual Conference: 2 nd -3 rd May 2011, Graz, Austria<br />
Bei der sich heuer zum zehnten Mal jährenden Konferenz nahmen mehr <strong>als</strong><br />
90 Wissenschafterinnen und Wissenschafter aus 14 Nationen aus dem Bereich<br />
der interdisziplinären Wissenschafts- und Technikforschung teil.<br />
Die thematische Vielfalt der in rund 50<br />
Vorträgen vorgestellten Forschungsprojekte<br />
und -ergebnisse reichte vom diesjährigen<br />
Konferenzschwerpunkt Transdisziplinarität<br />
in der Nachhaltigkeitsforschung<br />
über ICT-bezogene Problemstellungen,<br />
Herausforderungen des Umweltmanagements,<br />
Themen zu Energie und Klima,<br />
<strong>Gender</strong>bezügen in der Technikforschung,<br />
nachhaltiger Konsum- und Produktgestaltung<br />
bis zu sozialwissenschaftlichen<br />
Aspekten von Biotechnologien.<br />
Eröffnet wurde die Konferenz von Dr. in<br />
Irmgard Schultz vom Institut für sozialökologische<br />
Forschung (Frankfurt am<br />
Main) mit ihrem Vortrag „Transdisciplinarity<br />
in sustainability studies: Theoretical<br />
debates – methodological challenges <strong>and</strong><br />
empirically gained experiences“. Dieser<br />
legte den Grundstein für jenen Schwerpunkt,<br />
der über beide Konferenztage in<br />
zahlreichen Vorträgen sowie am Nachmittag<br />
des ersten Tages in der eingebetteten<br />
Abschlusskonferenz des Projektes „Nachhaltig<br />
H<strong>and</strong>eln im beruflichen und privaten<br />
Alltag“ diskutiert wurde. Daneben f<strong>and</strong>en<br />
Sessions zu verschiedenen Problemstellungen<br />
aus dem Bereich Informations- und<br />
Kommunikationstechnologien statt, im<br />
Themenschwerpunkt „Energie und Klima“<br />
wurden organisations- und konsumbezogene<br />
Untersuchungen diskutiert, ein Workshop<br />
widmete sich dem Konzept der Heteronormativität<br />
und dessen methodologischen<br />
Implikationen, und ein weiterer<br />
großer Vortragsblock beschäftigte sich<br />
damit, wie Mensch-Umwelt Beziehungen<br />
von verschiedenen Akteuren „gema naged“,<br />
<strong>als</strong>o gedeutet, gesteuert, verwaltet und<br />
bewältigt werden. Den ersten Konferenztag<br />
schloss Assoc. Prof. Dr. Harald Rohracher<br />
mit Betrachtungen zu „Socio-technical transitions<br />
towards sustainable energy systems“.<br />
Mit dem dritten Hauptvortrag der Konferenz<br />
leitete Prof. in Dr. in Heike Wiesner von<br />
der Hochschule für Wirtschaft und Recht<br />
Berlin den zweiten Tag ein und sprach<br />
über „Web 2.0 & <strong>Diversity</strong>: <strong>Gender</strong> <strong>and</strong><br />
Technology in Action“. An diesen schloss<br />
eine Session zum Thema Inklusion und<br />
Exklusion in Web 2.0 an. Des Weiteren<br />
wurden im Rahmen des Themenclusters<br />
„Energie und Klima“ Herausforderungen<br />
der Regionalentwicklung und im dritten<br />
Tagesschwerpunkt ethische, rechtliche<br />
und soziale Aspekte der Biotechnologie<br />
und Biomedizin diskutiert. Nachhaltige<br />
Produktion und Konsumverhalten war<br />
ebenfalls ein Bereich, der von zahlreichen<br />
Präsentationen abgedeckt wurde.<br />
Mit einem gemeinsamen Abend im<br />
südsteirischen Weinl<strong>and</strong> ließen die teilnehmenden<br />
Wissenschafterinnen und<br />
Wissenschafter die zweitägige Veranstaltung<br />
gemütlich ausklingen. ■<br />
International Symposium on “Engaging with Genomics.<br />
Comparing Modes of Social <strong>and</strong> Philosophical Research<br />
in the Life Sciences“<br />
20–21 June 2011 – Graz/Austria<br />
The symposium invites international scholars from social sciences <strong>and</strong> humanities involved in the study of genomics<br />
to reflect on their research experiences. It addresses the conditions that shape the ways in which the social <strong>and</strong> philo -<br />
sophical studies of genomics are carried out. Thereby the symposium makes explicit the specific arrangements by which<br />
social scientists <strong>and</strong> philosophers are brought together with colleagues from the life sciences. Working in a contentious<br />
field, across academic disciplines, <strong>and</strong> often with the assignment to produce policy relevant outcomes, researchers from<br />
social sciences <strong>and</strong> humanities face fundamental methodological <strong>and</strong> conceptual challenges, especially when using<br />
interactive methods of inquiry. The symposium provides a platform for discussing these essential <strong>and</strong> timely issues.<br />
More information: www.ifz.tugraz.at/genomics<br />
Soziale Technik 2/2011<br />
23
Magazin<br />
Green Products<br />
Informationen zur ökologischen Beschaffung und Produktbewertung<br />
Broschüre „Umweltfreundliche Wiener<br />
Gastlichkeit 2011“ ab sofort erhältlich!<br />
Die Wiener Umweltschutzabteilung hat ihre<br />
Broschüre „Umweltfreundliche Wiener<br />
Gastlichkeit“ aktualisiert und neu aufgelegt.<br />
Darin finden sich alle Kaffeehäuser, Heurige,<br />
Restaurants, Hotels und Cateringbetriebe<br />
sowie Campingplätze in Wien, die<br />
mit dem Österreichischen Umweltzeichen<br />
ausgezeichnet sind.<br />
Die ausgezeichneten Betriebe erfüllen weit<br />
über 70 Muss-Anforderungen in den Bereichen<br />
Abfall- und Abwasservermeidung, effizienter<br />
Energieeinsatz, umweltfreundlicher<br />
Einkauf und ökologische Reinigung. So wird<br />
etwa beim Speiseangebot auf regionale Lebensmittel<br />
und Bio-Produkte geachtet. Der<br />
Verein für Konsumenteninformation überprüft<br />
regelmäßig, ob alle Kriterien für die<br />
Vergabe des Gütesiegels erfüllt sind.<br />
„Umweltfreundliche Wiener Gastlichkeit<br />
2011“ – gratis zu bestellen:<br />
Wiener Umweltschutzabteilung<br />
Tel.: 4000-73 420<br />
E-mail: uk@m22.magwien.gv.at<br />
Website: www.wien.gv.at/formulare/<br />
umweltschutz/oekobusiness/unterlagen<br />
Software für die Erstellung eines<br />
Leistungsverzeichnisses mit<br />
ökologischen Kriterien<br />
Die neue ABK7-Öko-Bau Edition, die kostenlos<br />
erhältlich ist, kombiniert die Bau-<br />
Software von ABK mit den ökologischen<br />
Kriterien von „ÖkoKauf Wien“ (AG 08 Innenausbau)<br />
und den Kriterien der Internetplattform<br />
„baubook öffentliche gebäude“<br />
(www.baubook.info/oeg).<br />
Die Software unterstützt Sie dabei, bei der<br />
Beschaffung von Bauleistungen ökologische<br />
Aspekte zu berücksichtigen. Mit der<br />
ABK7-Öko-Bau Edition stellen Sie sicher,<br />
dass umweltfreundliche Produkte angeboten<br />
werden, die eine gute Innenraumluftqualität<br />
sicherstellen.<br />
Die ökologischen Kriterien sind <strong>als</strong> „Musskriterien“<br />
vom Bieter sowohl bei der Angebotsabgabe<br />
<strong>als</strong> auch im Auftragsfall bei der<br />
Leistungserbringung einzuhalten. Der Auftragnehmer<br />
bzw. Bieter ist verpflichtet,<br />
eine Produkt-Deklarationsliste inklusive<br />
der geforderten Nachweise wie Produktbeschreibungen,<br />
Sicherheitsdatenblätter oder<br />
Herstellerbestätigungen über alle verwendeten<br />
Produkte vorzulegen. Als Nachweis,<br />
dass die Produkte den ökologischen Kriterien<br />
entsprechen, gilt auch die Listung auf<br />
der Datenbank „baubook öffentliche gebäude“.<br />
Alle Texte sind auf Einhaltung der<br />
ÖNORM-Regeln bezüglich Inhalt und Datenformat<br />
sowie der Vergabegrundsätze<br />
(ÖNORM A 2050) geprüft. Es ist auch sichergestellt,<br />
dass die Texte unterein<strong>and</strong>er<br />
sowie mit der neutralen LB-Hochbau „verträglich<br />
sind“.<br />
Die ABK7-Öko-Bau Edition wurde in einem<br />
durch die Technologieagentur der Stadt<br />
Wien (ZIT) geförderten Projekt gemeinsam<br />
von der ib data GmbH und dem Österreichisches<br />
Institut für Baubiologie und Bauökologie<br />
(IBO) entwickelt.<br />
Die ABK7-Öko-Bau Edition können Sie<br />
bestellen unter: www.abk.at/<br />
download/is_oeko.asp<br />
Ausgezeichnet Tagen mit dem<br />
Österreichischen Umweltzeichen<br />
Seit 1. Juli 2010 können Meetings mit dem<br />
Österreichischen Umweltzeichen ausgezeichnet<br />
werden. Veranstaltungen gelten<br />
dann <strong>als</strong> „Green Meeting“, wenn Anforderungen<br />
an die Anreise, die Nächtigung, das<br />
Catering sowie den Veranstaltungsort erfüllt<br />
sind. Darüber hinaus sind Kriterien in<br />
den Bereichen umweltfreundliche Beschaffung,<br />
soziales Engagement und Kommunikation<br />
einzuhalten.<br />
VeranstalterInnen von Kongressen und<br />
Messen setzen zunehmend auf Klimaschutz,<br />
regionale Wertschöpfung und Sozialverträglichkeit.<br />
Anstatt viel Müll und viel<br />
Verkehr zu verursachen, zeichnen sich<br />
„Green Meetings“ durch erhöhte Energieeffizienz,<br />
Abfallvermeidung und umweltschonende<br />
An- und Abreise der Gäste aus.<br />
Beschaffungs<br />
Service<br />
Austria<br />
Tel.: +43(0)316/813909-9<br />
E-mail: beschaffung@ifz.tugraz.at<br />
http://www.ifz.tugraz.at/bsa<br />
Zentrale Aspekte sind auch regionale Wertschöpfung<br />
und soziale Verantwortung. Die<br />
Veranstaltung erhält damit ein positives<br />
Image bei der Bevölkerung, den Gästen<br />
und den Sponsoren.<br />
Das Austrian Convention Bureau (ACB)<br />
hat sich mit Unterstützung des Österreichischen<br />
Ökologie Instituts <strong>als</strong> Vorreiter<br />
positioniert und war die erste Organisation,<br />
die eine Lizenz für das Österreichische Umweltzeichen<br />
für „Green Meetings“ erhielt.<br />
„Wenn wir künftig nur mehr Green Meetings<br />
abhalten, werden wir Ressourcen sparen<br />
und Kosten senken. Unsere Veranstaltungsorte<br />
werden moderner, umweltfreundlicher<br />
und konkurrenzfähiger“, so<br />
ACB-Präsident Christian Mutschlechner.<br />
Die Bearbeitung der Kriterien und in Folge<br />
die Zertifizierung eines Meetings können<br />
mittels einer speziellen Software online erfolgen.<br />
Bis dato sind 5 Organisationen Lizenznehmer<br />
des Österreichischen Umweltzeichens<br />
für „Green Meetings“:<br />
■ Austrian Convention Bureau, Wien,<br />
■ Bregenzer Festspiel- und Kongresshaus<br />
GmbH, Vorarlberg,<br />
■ Alpbach Tourismus GmbH, Tirol/Congress<br />
Centrum Alpbach<br />
■ Event Company Opitz & Hasil,<br />
Niederösterreich,<br />
■ Steinschaler Naturhotels Annemarie<br />
Weiß, Niederösterreich.<br />
Weitere Informationen erhalten Sie<br />
unter www.umweltzeichen.at und bei<br />
Mag. a Barbara Dusek, Verein für Konsumenteninformation,<br />
E-Mail: bdusek@vki.at ■<br />
Soziale Technik 2/2011<br />
24
Magazin<br />
Biotech-News<br />
Aktuelle Nachrichten über Gen- und Biotechnologien<br />
Weltweiter Anstieg des Anbaus von<br />
gentechnisch veränderten Pflanzen –<br />
rückläufiger Trend in Europa<br />
Auch im Jahr 2010 hat der weltweite Anbau<br />
von gentechnisch veränderten Pflanzen zugenommen.<br />
Die Flächen stiegen gegenüber<br />
2009 um 14 auf 148 Millionen Hektar; damit<br />
betrug der Zuwachs in den Industrieländern<br />
3,8 Millionen Hektar, was rund<br />
fünf Prozent entspricht. In den Entwicklungs-<br />
und Schwellenländern stieg der Anbau<br />
um 10,2 Millionen Hektar und damit<br />
um 17 Prozent. Die Länder, die gentechnisch<br />
veränderte Pflanzen auf den größten<br />
Flächen anbauen, sind die USA (66,8 Mio.<br />
Hektar), Brasilien (25,4), Argentinien (22,9),<br />
Indien (9,4) und Kanada (8,8). 2010 listet<br />
der aktuelle Report des „International Service<br />
for the Acquisition of Agri-Biotech Applications“<br />
(ISAAA) 29 Länder auf, die gentechnisch<br />
veränderte Pflanzen l<strong>and</strong>wirtschaftlich<br />
nutzen. Weltweit nutzen 15,4<br />
Millionen L<strong>and</strong>wirte gentechnisch veränderte<br />
Pflanzen, überwiegend in Entwicklungs-<br />
und Schwellenländern (14,4 Mio.).<br />
Gegenüber 2009 sind 1,4 Millionen L<strong>and</strong>wirte<br />
neu hinzugekommen. Die kommerzielle<br />
Nutzung von gentechnisch veränderten<br />
Sorten konzentriert sich weiterhin auf<br />
Sojabohnen, Mais, Baumwolle und Raps.<br />
Laut ISAAA-Report wurde Soja auf 73,3 Mio.<br />
Hektar angepflanzt (4 Mio. ha mehr <strong>als</strong><br />
2009), Mais wuchs auf 46,8 Mio. Hektar<br />
(Zuwachs 5,8 Mio. ha), Baumwolle auf 21<br />
Mio. Hektar (Zuwachs 3,8 Mio. ha). Raps erreichte<br />
im vergangenen Jahr 7 Mio. Hektar<br />
(Zuwachs 0,4 Mio. ha). Exotischere und oft<br />
nur in einigen wenigen Länder in geringem<br />
Maßstab angebaute Sorten sind Zuckerrüben,<br />
Kürbis, Papaya, Luzerne (Alfalfa), Nelken,<br />
Tomaten, Pappeln, Petunien, Paprika.<br />
In Europa entwickelt sich die l<strong>and</strong>wirtschaftliche<br />
Nutzung der grünen Gentechnik<br />
gegen den weltweiten Trend. In nennenswertem<br />
Umfang wird nur in Spanien<br />
gentechnisch veränderter Mais angebaut.<br />
Neben dem Bt-Mais MON810 war 2010<br />
erstm<strong>als</strong> auch der Anbau der gv-Kartoffel<br />
Amflora erlaubt. 2010 sind in insgesamt<br />
acht EU-Mitgliedstaaten gentechnisch veränderte<br />
Pflanzen l<strong>and</strong>wirtschaftlich genutzt<br />
worden, davon wurde in sechs Ländern<br />
(Spanien, Portugal, Tschechien, Slowakei,<br />
Rumänien und Polen) Bt-Mais MON810<br />
angebaut. Die gesamten Anbauflächen dafür<br />
gingen 2010 um gut 3.000 auf nunmehr<br />
91.500 Hektar zurück. 2007 hatten die Flächen<br />
noch 107.500 Hektar betragen.<br />
In Frankreich und Deutschl<strong>and</strong> gelten seit<br />
2008 bzw. 2009 nationale Anbauverbote für<br />
gentechnisch veränderten Bt-Mais MON810.<br />
Beide Länder haben die nach EU-Recht erteilte<br />
Zulassung ausgesetzt. Französische<br />
L<strong>and</strong>wirte hatten 2007 Bt-Mais auf etwa<br />
21.000 Hektar ausgesät, in Deutschl<strong>and</strong><br />
wurde 2008 auf etwas über 3.000 Hektar<br />
gv-Mais angebaut. Auch in Österreich,<br />
Griechenl<strong>and</strong>, Luxemburg und Ungarn ist<br />
der Anbau von MON810 verboten.<br />
Zusammenfassung des ISAAA-Reports<br />
2010 unter: www.isaaa.org/resources/<br />
publications/briefs/42/executive<br />
summary/default.asp.<br />
Quelle: www.transgen.de<br />
Tel.: +43(0)316/813909-8<br />
E-mail: infogen@ifz.tugraz.at<br />
http://www.infogen.at<br />
Bericht über sozioökonomische<br />
Effekte beim Anbau von gentechnisch<br />
veränderten Pflanzen in Europa<br />
Die EU-Kommission hat im April 2011 einen<br />
Bericht vorgelegt, der die Erfahrungen<br />
der Mitgliedsländer mit dem Anbau gentechnisch<br />
veränderter Kulturpflanzen zusammenfasst.<br />
Der Bericht erging an das Europäische<br />
Parlament und den Rat und beruht<br />
auf Informationen, die von den<br />
Mitgliedstaaten vorgelegt wurden. Darin<br />
legt die Kommission auch eine Analyse der<br />
sozioökonomischen Tragweite des Anbaus<br />
gentechnisch veränderter Pflanzen (GVO)<br />
vor, wie sie in der internationalen wissenschaftlichen<br />
Literatur und in den Schlussfolgerungen<br />
der aus dem Europäischen Forschungsrahmenprogramm<br />
finanzierten Forschungsprojekte<br />
berichtet wird. Da in der<br />
EU jedoch kaum GVO-Anbau stattfindet,<br />
sind die Erfahrungen damit in Europa beschränkt,<br />
weshalb nur wenige statistisch relevante<br />
Informationen über die sozioökonomischen<br />
Auswirkungen vorliegen.<br />
Die ökonomischen Daten über die europäischen<br />
Erfahrungen betrafen Studien in Mitgliedstaaten,<br />
in denen schon herbizidtolerante<br />
oder schädlingsresistente gentechnisch<br />
veränderte Kulturpflanzen angebaut wurden<br />
oder werden. Daraus würde ersichtlich, dass<br />
die Wirtschaftsanalysen ein gutes Bild der<br />
wirtschaftlichen Auswirkungen auf Ebene<br />
der L<strong>and</strong>wirtschaftsbetriebe weltweit geben,<br />
vor allem für herbizidtolerante und schädlingsresistente<br />
Pflanzen.<br />
Der internationale Verb<strong>and</strong> für ökologischen<br />
L<strong>and</strong>bau (IFOAM) begrüßt zwar die Entwicklung,<br />
wonach sozioökonomische Aspekte in<br />
der Politik Beachtung finden sollen, stellt<br />
aber eine gewisse Bedeutungslosigkeit des<br />
Berichts der EU-Kommission fest, da dieser<br />
keine ausreichende Analyse der Kosten, die<br />
schon jetzt für den gentechnikfrei wirtschaftenden<br />
Lebensmittelsektor entstünden, liefere.<br />
Tatsächlich seien weltweit durch Kontaminationsfälle<br />
auf dem Feld und in der Warenflusskette<br />
bei Bauern und in der Lebensmittelindustrie<br />
bereits Millionen-Schäden<br />
entst<strong>and</strong>en. Allein in Spanien mussten viele<br />
Biobauern ihren Anbau aufgeben, weil sie<br />
durch Auskreuzungen von Transgenen aus<br />
gentechnisch verändertem Mais MON810<br />
ihre Bio-Zertifizierung verloren haben. Hersteller<br />
müssten für die Reinhaltung von konventionellen<br />
und Bio-Produkten enorme<br />
Ausgaben auf sich nehmen. Die Folgen seien<br />
steigende Lebensmittelpreise.<br />
Der vorliegende Bericht soll Ausgangspunkt<br />
für die Mitgliedstaaten, die Kommission, das<br />
Europäische Parlament und alle Beteiligten<br />
sein, ihre Meinung über das Thema sozioökonomischer<br />
Auswirkungen zu vertiefen.<br />
Quelle: http://europa.eu, www.gentechnologie.ch<br />
Zusammengestellt von S<strong>and</strong>ra Karner,<br />
E-mail: karner@ifz.tugraz.at ■<br />
Soziale Technik 2/2011<br />
25
Magazin<br />
Neue Bücher<br />
Globalisierung der Verantwortung<br />
Clive Barnett, Paul Cloke, Nick Clarke,<br />
Alice Malpass: Globalizing Responsibility.<br />
The political rationalities of<br />
ethical consumption. Chichester,<br />
Malden, MA: Wiley-Blackwell 2011,<br />
235 p., € 30,99<br />
Die Arbeit der vier AutorInnen geht von<br />
einer kritischen Analyse verbreiteter Diskurse<br />
über Konsum <strong>als</strong> gesellschaftlichem<br />
H<strong>and</strong>lungsfeld aus und verh<strong>and</strong>elt in Anlehnung<br />
an Foucault die Art der Problematisierung<br />
im Kontext von Globalisierung<br />
und nachhaltiger Entwicklung. Dabei<br />
rückt sie eine politische Entwicklung in<br />
den Blick, die unerwünschte Konsumfolgen<br />
in einen ursächlichen Zusammenhang<br />
stellt mit individuellem Konsumverhalten<br />
und verweist kritisch auf die implizit zugrunde<br />
liegende Annahme einer mechanischen<br />
Beziehung zwischen Aussagen, Einstellungen<br />
und Verhalten. Dieser Tendenz<br />
gegenüber gestellt werden Zugänge, die<br />
den Einfluss von Konsum-Infrastrukturen<br />
thematisieren, <strong>als</strong> Möglichkeitsrahmen<br />
und Gelegenheitsstruktur. Interessant für<br />
forschungspraktische Fragen ist die Reflektion<br />
über „talk data“, <strong>als</strong>o Selbstaussagen,<br />
gegenüber Daten, die auf beobachtbarem,<br />
tatsächlichem Verhalten basieren. Kritische<br />
Überlegungen die Validität betreffend<br />
werden in Beziehung gesetzt zu einem Verständnis<br />
dieser Selbstbeschreibungen <strong>als</strong><br />
diskursive Praxis. Im zweiten Teil des Buches<br />
verschränken die AutorInnen ihre<br />
theoretischen Überlegungen mit empirischen<br />
Ergebnissen aus Fall-Analysen, Fokusgruppen<br />
und Feldforschungen in und<br />
um Bristol. „Globalising Responsibility“<br />
bietet für die deutschsprachige Forschungspraxis<br />
mit ihrer bisherigen Ausrichtung<br />
auf Konsumfelder und Konsumentverhalten<br />
wertvolle Impulse für eine<br />
vertiefte Analyse insbesondere von sich<br />
w<strong>and</strong>elnden Akteurskonstellationen und<br />
Interessenlagen in diesem Feld.<br />
Erfahrung der Philosophen<br />
Markus Arnold: Die Erfahrung der<br />
Philosophen. Wien: Turia + Kant 2010,<br />
479 S., € 40,00<br />
Mit wechselnden Strategien verteidigt die<br />
Philosophie bis heute ihre Form der Erkenntnis<br />
gegenüber den konkurrierenden<br />
Erkenntnisidealen der empirischen Wissenschaften.<br />
Es geht ihr um eine Wahrheit,<br />
die allen Menschen zugänglich ist,<br />
um eine Erfahrung, die alle teilen können.<br />
Um eine befreiende Wissenspraxis,<br />
die sich gegen die Bevormundung durch<br />
wissenschaftliche und politische ExpertInnen<br />
wendet. Markus Arnold untersucht<br />
in diesem B<strong>and</strong> die historischen<br />
Weichenstellungen im Selbstverständnis<br />
der Philosophie: die Entstehung der antiken<br />
Erkenntnispraxis, deren Krise angesichts<br />
des Erfolgs der neuzeitlichen Wissenschaften<br />
und vor allem, wie<br />
PhilosophInnen daraus erneut ihren Anspruch<br />
auf eine eigene Form der Erfahrung<br />
begründeten. Die Erfahrung der<br />
Philosophie eröffnet damit in gelungener<br />
Weise einen historischen Zugang zur<br />
Philosophie und der Entwicklung ihrer<br />
Methoden.<br />
Klimaw<strong>and</strong>el und Gesellschaft<br />
John Urry: Climate Change & Society.<br />
Cambridge: Polity Press 2011, 216 p.,<br />
€ 19,99<br />
This book explores the significance of human<br />
behaviour to underst<strong>and</strong>ing the causes<br />
<strong>and</strong> impacts of changing climates <strong>and</strong><br />
to assessing varied ways of responding to<br />
such changes. So far the discipline that represented<br />
<strong>and</strong> modelled such human behaviour<br />
is economics. By contrast Climate<br />
Change <strong>and</strong> Society tries to place the “social”<br />
at the heart of both the analysis of<br />
climates <strong>and</strong> of the assessment of alternative<br />
futures. Urry thus attempts to replace<br />
economics with sociology as the dominant<br />
discipline in climate change ana -<br />
lysis. Sociology has spent much time examining<br />
the nature of modern societies,<br />
of modernity, but mostly failed to analyze<br />
the carbon resource base of such societies.<br />
This book seeks to remedy that failing. It<br />
should appeal to teachers <strong>and</strong> students in<br />
sociology, as well as to the public concerned<br />
with the long term future of carbon<br />
<strong>and</strong> society.<br />
Neuer Leitfaden<br />
„Nachhaltig H<strong>and</strong>eln im beruflichen und privaten Alltag“<br />
Nachhaltigkeit ist keine Floskel, sondern wird im eben abgeschlossenen Forschungsprojekt „Nachhaltig<br />
H<strong>and</strong>eln im beruflichen und privaten Alltag“ mit Leben gefüllt: Mit mehreren ausgewählten Unternehmen<br />
wurden Interviews und Workshops mit MitarbeiterInnen und Führungskräften durchgeführt,<br />
um betriebliche Rahmenbedingungen sowie realisierte Aktivitäten für ein nachhaltiges H<strong>and</strong>eln zu<br />
erfassen. Die These dahinter ist einfach: Gesundheit ist ein wirtschaftlicher Erfolgsfaktor für Unternehmen.<br />
Gleichzeitig haben gesundheitsförderliche Verhaltensweisen (z. B. mit dem Fahrrad zur Arbeit,<br />
biologische Ernährung) direkte Auswirkungen auf Klimaw<strong>and</strong>el und Umwelt. Umweltmanagement<br />
und Gesundheitsförderung stehen in engem Zusammenhang mitein<strong>and</strong>er.<br />
Der Leitfaden enthält Tipps für Ernährung, Mobilität und Work-Life-Balance. Im beruflichen Umfeld<br />
sollen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die die MitarbeiterInnen dazu animieren, auch in ihrem<br />
privaten Alltag nachhaltig zu h<strong>and</strong>eln. Die Ideen sind sehr unkompliziert umsetzbar.<br />
Kostenloser <strong>Download</strong>: www.ifz.tugraz.at/nachhaltigh<strong>and</strong>eln<br />
Soziale Technik 2/2011<br />
26
Magazin<br />
Governance und<br />
Technikfolgenabschätzung<br />
Georg Aichholzer, Alfons Bora,<br />
Stephan Bröchler, Michael Decker,<br />
Michael Latzer (Hg.): Technology Governance.<br />
Der Beitrag der Technikfolgenabschätzung.<br />
Berlin: edition sigma<br />
2010, 379 S., € 28,70<br />
Der Begriff der Governance ist inzwischen<br />
zu einem Modewort in der sozialwissenschaftlichen<br />
Diskussion geworden. Der Begriff<br />
nimmt eine für Modewörter typische<br />
Karriere: begriffliche Abgrenzung, Ausweitung<br />
des Objektbereichs, Interdisziplinarität,<br />
theoretische Verortungen und Theorienstreit,<br />
Aufzeigen von Defiziten und<br />
Leerstellen, empirische Nützlichkeit und<br />
Praxisbezug und schliesslich Infragestellung<br />
der analytischen, empirischen und<br />
gestalterischen Potenz. In der Flut der Publikationen<br />
zum Thema Governance hat<br />
es deshalb jede Neuerscheinung schwer,<br />
sich Aufmerksamkeit zu verschaffen.<br />
Die vorliegende Publikation hat es sicherlich<br />
verdient, größeres Interesse auf sich<br />
zu ziehen. Skeptisch könnte man an das<br />
Buch herangehen, h<strong>and</strong>elt es sich doch<br />
um eine Publikation, die im Wesentlichen<br />
aus der Konferenz des Netzwerks Technikfolgenabschätzung,<br />
die im Mai 2008 in<br />
Wien abgehalten wurde, hervorgegangen<br />
ist. Diese Tatsache kann jedoch <strong>als</strong> Stärke<br />
des Buches hervorgehoben werden. Einerseits<br />
kommt es damit zu einer thematischen<br />
Eingrenzung, zum <strong>and</strong>eren stellt<br />
sich den AutorInnen jedoch auch die Herausforderung,<br />
das Governance-Konzept in<br />
seiner Vielfalt in die TA-Diskussion einzuordnen.<br />
Das hat dazu geführt, dass die verschiedenen<br />
Beiträge zu einem kohärenten<br />
Buch zusammengefasst wurden, in dem<br />
theoretische, empirische und politisch gestaltende<br />
Artikel vertreten sind.<br />
Der einleitende Artikel der Herausgeber<br />
gibt einen knapp gehaltenen Überblick<br />
über die Karriere des Begriffes und versucht<br />
eine Positionierung von Governance<br />
im Themenfeld TA. Die Autoren sehen<br />
es <strong>als</strong> zentrale Aufgabe an, aufzuzeigen,<br />
dass es sich bei Governance um mehr <strong>als</strong><br />
eine reine Modeerscheinung h<strong>and</strong>elt und<br />
dass aufgrund des erreichten St<strong>and</strong>es der<br />
Ausdifferenzierung und Interdisziplinarität<br />
der Governance-Theorie und -Konzepte<br />
eine wissenschaftliche Ergiebigkeit<br />
und Tragfähigkeit des breit gefächerten<br />
Forschungsansatzes sichergestellt ist. Dies<br />
belegt auch die Komposition des Buches,<br />
das in den Beiträgen verschiedene Governance-Ebenen,<br />
Prozessaspekte und Technologiefelder<br />
anspricht.<br />
Von den Herausgebern werden insbesondere<br />
drei Herausforderungen der Governance-Forschung<br />
im TA-Kontext hervorheben:<br />
die Reflexion gegenwärtiger und<br />
zukünftiger sozio-technischer Folgen vor<br />
dem Hintergrund einer hohen Ungewiss -<br />
heit neuer transformatorischer Technologien<br />
(Anticipative Governance); die Analyse<br />
vielfältiger Verknüpfungen und<br />
Rückbezüge von technischer und gesellschaftlicher<br />
Entwicklung unter dem Gesichtspunkt<br />
von Governance-H<strong>and</strong>eln<br />
(Reflexive Governance) und die Identifizierung<br />
neuer Formen der Bürgerbeteiligung<br />
und kooperativen Entscheidungsfindung<br />
(Participative Governance).<br />
Das Buch gliedert sich in acht Unterkapitel,<br />
zudem sind zwei einleitende Beiträge<br />
vorangestellt, die sich grundlegender mit<br />
der Thematik Technological Governance<br />
und TA befassen. Die im Buch angesprochenen<br />
Themenbereiche sind im Einzelnen:<br />
TA-Konzepte im Lichte von Governance,<br />
TA-Funktionen im Governance<br />
Prozess, Governance und Timing von TA,<br />
Mikrostrukturen der Innovationsgestaltung,<br />
Governance der Biotechnologie,<br />
Governance der Nanotechnologie und<br />
Governance der Nachhaltigkeit. Das letzte<br />
Kapitel gibt einen Überblick über die verschiedenen<br />
Beiträge im Rahmen einer<br />
Pos ter-Session.<br />
Das Buch sollte man <strong>als</strong> einen ständigen<br />
Begleiter bei seiner Beschäftigung mit Problemen<br />
der Governance nutzen, sei es in<br />
der Rolle <strong>als</strong> WissenschaftlerIn, PolitikerIn<br />
oder an praktischen Fragen Interessierte/r.<br />
Es lohnt sich, problem- und themenspezifisch<br />
einzelne Kapitel heraus zu<br />
suchen und in die eigene Arbeit einfließen<br />
zu lassen. Dass die AutorInnen<br />
keine abschließende Würdigung der in<br />
dem Buch zu findenden Schätze präsentieren,<br />
mag man bedauerlich finden, ist<br />
aber wohl der Vielzahl der höchst unterschiedlichen<br />
Beiträge geschuldet. So muss<br />
der Leser/die Leserin selbst auf Schatzsuche<br />
gehen und den Wert seines Fundes<br />
begutachten. ■<br />
Conference “Governing Futures. Imagining,<br />
Negotiating & Taming Emerging Technosciences”<br />
22.-24. September 2011 – Albert Schweitzer Haus, Vienna<br />
Keynote speakers: Barbara Adam (Cardiff University, UK), Bernadette Bensaude-Vincent (Université Paris-X Nanterre, F),<br />
Ulrike Felt (University of Vienna, AT), Arie Rip (University of Twente, NL) <strong>and</strong> Andy Stirling (Sussex University, UK)<br />
The conference gathers academic work that focuses on:<br />
■ discursive <strong>and</strong> material practices through which technoscientific futures are produced, distributed, assessed,<br />
negotiated, enforced or discarded;<br />
■ conditions of access that define who participates in what ways in these processes;<br />
■ the importance of cultural differences <strong>and</strong> the ‘travelling’ of practices <strong>and</strong> futures across different ‘boundaries’<br />
(disciplinary, between science, policy <strong>and</strong> society, or national/cultural);<br />
■ the role of social sciences <strong>and</strong> humanities in these future-related activities;<br />
■ <strong>and</strong> what all this means for the development of technosciences <strong>and</strong> societies <strong>and</strong> their relations respectively.<br />
The conference is organised by the Department of Social Studies of Science, University of Vienna within the project<br />
“Making Futures Present” (funded by the FWF).<br />
For details on registration go to http://sciencestudies.univie.ac.at/events/governing-futures-conference<br />
Soziale Technik 2/2011<br />
27
SOZIALE TECHNIK Nummer 2 – Juni 2011, 21. Jg., Einzelpreis € 6,- / SFr 10,-<br />
P.b.b. Verlagspostamt 8010; GZ 02Z032468M – Erscheinungsort Graz<br />
Eigentümer, Herausgeber, Verleger:<br />
IFZ, A-8010 Graz, Schlögelgasse 2<br />
Tel.: +43/316/81 39 09-0, Fax: +43/316/81 02 74<br />
E-Mail: office@ifz.tugraz.at, http://www.ifz.tugraz.at<br />
Redaktion: Peter Wilding<br />
Aboverwaltung: Reinhard Wächter<br />
ISSN 1022-6893 DVR 0637955<br />
Gefördert durch die Kommunikationsbehörde Austria (KommAustria).<br />
Fotos: Manuel Haider<br />
Basisdesign & typographisches Konzept: RoRo + Zec<br />
Satz: www.koco.at<br />
Druck: Druckerei Bachernegg, Kapfenberg<br />
Gedruckt auf Cyclus Print 90g (Recyclingpapier aus 100% Altpapier),<br />
Umschlag: Magno matt 115g, chlorfrei gebleicht.<br />
Geschäftsbedingungen:<br />
Die Bestellung eines Abonnements unserer Zeitschrift SOZIALE TECHNIK<br />
hat schriftlich zu erfolgen. Ein Abonnement gilt jeweils für ein Kalenderjahr<br />
(4 Nummern). Es verlängert sich automatisch, sofern nicht spätestens<br />
6 Wochen vor Ende des Jahres eine schriftliche Kündigung erfolgt. Nicht<br />
vollständige Jahrgänge werden aliquot verrechnet.<br />
Bankverbindung: Bank Austria Creditanstalt (12.000), Kto-Nr. 436184907<br />
Das IFZ ist der Grazer St<strong>and</strong>ort des Instituts für Technik- und Wissenschaftsforschung<br />
der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.