Programm downloaden - Evangelische Martinskirche Sindelfingen
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Das Studium verschiedener Ergänzungsversuche der letzten 30 Jahre ergab, dass die<br />
Süßmayr-Fassung weiterhin hohe Authentizität besitzt und zudem allen anderen Versionen<br />
gegenüber den höchsten Grad gewachsener Assoziation bedeutet. Die<br />
Ergänzungskomposition Richard Maunders (1988) der Amen-Fuge nach dem Lacrymosa<br />
entspricht am ehesten den Vorstellungen und Äußerungen Mozarts (Engführung,<br />
Umkehrung, Diminuition). Sie wurde in die Süßmayr-Fassung aufgenommen.<br />
Lateinisches Requiem - eine protestantische Herausforderung<br />
Seit dem 15. Jh. entwickelt sich die Totenmesse oder „Missa pro defunctis“ zu einer<br />
Sondergattung polyphoner Messvertonung und wird zum bevorzugten repräsentativliturgischen<br />
Gelegenheitswerk. Das trifft auch heute noch auf Akzeptanz: Persönliche<br />
letztendliche Verantwortung/ Wunsch nach einer höheren moralischen Instanz/<br />
Widmungsdenken/ irdisches Schicksal und Inferno als göttliches Wirken oder als Beweis<br />
göttlicher Ohnmacht und menschlicher Allmacht.<br />
Mit der mittelalterlichen Requiems-Theologie, einer Androhung des Endgerichtes mit<br />
Fegefeuer und ewiger Verdammnis hat das evangelische Luthertum gebrochen. Sie predigt<br />
einen Glauben an einen liebenden und gnädigen Gott, die Erlösung durch den Liebes- und<br />
Sühnetod Jesu und die Auferstehung Christi von den Toten. Theologisch kontrastierend wird<br />
dem 50-minütigen Requiem daher oftmals eine Bach-Kantate vorangestellt. Eine wirkliche<br />
Auseinandersetzung mit dem theologischen Widerspruch geschieht aber nicht.<br />
Eine Ergänzung sollte die lateinische Totenmesse durch verständliche und theologisch<br />
gedeutete deutschsprachige Bibelzitate aus dem Fundus der Passions- und Ostertexte<br />
brechen und den Bezug zum Palmsonntag (1.4.) herstellen. Die Musik sollte aus dem Umfeld<br />
Mozarts kommen.<br />
Mit Mozarts Kyrie-Thema des Requiems, das aus dem Händel-Messias „Durch seine<br />
Wunden“ entnommen ist, lenkt Mozart selbst den Blick auf den anglikanisch geprägten<br />
Protestanten Händel.<br />
Händel (1685-1759) komponiert den Messias 1741 in London in einer atemberaubenden<br />
Zeit von 22.8.-12.9. (etwa drei Wochen). UA in Dublin als Wohltätigkeitsveranstaltung.<br />
Das englische Messias-Libretto von Charles Jennens ist kein poetisches Werk. Es werden nur<br />
Bibeltexte verwendet. In der Zeit der englischen Frühaufklärung nimmt Jennens nur einmal<br />
das Wort Jesus auf, nutzt ansonsten prophetische Texte und Psalmen des AT oder<br />
Paulinische Deutungen. Jesus selbst kommt nicht zu Wort. Jennens zitiert weder<br />
Evangelienberichte noch Gleichnisse. Seine Grundlage ist das anglikanische Common Prayer<br />
Book, quasi die Agende der Anglikanischen Kirche, die auch Lesungen und Gebete für das<br />
ganze Kirchenjahr beinhaltete. Es handelt sich also um eine Sammlung liturgischer Vorlagen<br />
für feierliche Gottesdienste mit Anbetung, Bekenntnis und Gebet zu Jesus als den Christus.<br />
Diese Feierlichkeit berührt bis heute den Hörer unabhängig von seiner wie auch immer<br />
gearteten kirchlichen Sozialisation. Wegweisend sind drei Zitate, die Jennens seinem Libretto<br />
voranstellt: