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Motorische, kognitive und sozial-emotionale Entwicklung von 11 ...

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Laucht, M. et al.: Risikokinder 7<br />

<strong>und</strong> 2) Risikofaktoren, die psycho<strong>sozial</strong>e Merkmale der<br />

Umwelt des Individuums (sog. Stressoren) betreffen. Dazu<br />

zählen u.a. disharmonische Familienverhältnisse, Alkoholmissbrauch<br />

eines Elternteils oder geringes Einkommen<br />

der Familie (Rutter, 1988).<br />

Ob unterschiedliche (organische <strong>und</strong> psycho<strong>sozial</strong>e)<br />

Risikofaktoren spezifische Auswirkungen auf die kindliche<br />

<strong>Entwicklung</strong> haben, wird in der Forschung kontrovers<br />

diskutiert. <strong>Entwicklung</strong>spsychopathologische Vorstellungen<br />

gehen <strong>von</strong> der Annahme aus (Cicchetti & Cohen,<br />

1995), dass verschiedene Risikofaktoren zu ein <strong>und</strong> demselben<br />

<strong>Entwicklung</strong>sergebnis führen können (Äquifinalität),<br />

während umgekehrt ein Risikofaktor mit unterschiedlichen<br />

Folgen assoziiert sein kann (Multifinalität).<br />

Bei der empirischen Analyse der Auswirkungen organischer<br />

<strong>und</strong> psycho<strong>sozial</strong>er Risiken ergaben sich jedoch in<br />

verschiedenen Untersuchungen Hinweise auf spezifische<br />

Zusammenhänge in Abhängigkeit <strong>von</strong> der betrachteten<br />

<strong>Entwicklung</strong>sfunktion (Meyer-Probst & Teichmann, 1984).<br />

So schlugen sich die <strong>Entwicklung</strong>sfolgen biologischer Risiken<br />

vermehrt in Beeinträchtigungen reifungsabhängiger<br />

Funktionen (motorische <strong>Entwicklung</strong>) nieder, während<br />

sich der negative Einfluss psycho<strong>sozial</strong>er Risiken stärker<br />

im Bereich erfahrungsabhängiger <strong>Entwicklung</strong>sbereiche<br />

(<strong>kognitive</strong> <strong>und</strong> <strong>sozial</strong>-<strong>emotionale</strong> <strong>Entwicklung</strong>) manifestierte<br />

(Bendersky & Lewis, 1994; Laucht et al., 1998).<br />

Dass Risikofaktoren selten isoliert auftreten, sondern<br />

sich in bestimmten Familien <strong>und</strong> bei bestimmten Kindern<br />

häufen (Risikokumulation), ist ein weiteres Ergebnis der<br />

Risikoforschung (Sameroff et al., 1993). Den Risikofaktor<br />

«psychische Erkrankung der Mutter» z.B. fand man<br />

gehäuft in Familien, die eine Vielzahl weiterer psycho<strong>sozial</strong>er<br />

Belastungen aufwiesen (Laucht et al., 1994). Bei<br />

der Betrachtung einzelner Risiken ist also zu berücksichtigen,<br />

dass sie zumeist nicht nur für sich selbst stehen, sondern<br />

für eine Konstellation <strong>von</strong> Risiken. In diesem Zusammenhang<br />

ist auch die Unterscheidung <strong>von</strong> distalen<br />

<strong>und</strong> proximalen Risikofaktoren relevant: Während letztere<br />

einen direkten negativen Einfluss auf die kindliche <strong>Entwicklung</strong><br />

ausüben (wie z.B. mangelnde mütterliche Responsivität)<br />

<strong>und</strong> im weiteren Sinn als kausal betrachtet werden<br />

können, wirken sich distale Faktoren (wie z.B. Armut)<br />

indirekt auf das Kind aus, indem ihr Einfluss über<br />

andere (proximale) Faktoren vermittelt wird; sie indizieren<br />

also lediglich eine ungünstige Risikokonstellation.<br />

Wenn bei der Risikokumulation mehrere Risikofaktoren<br />

in Wechselwirkung treten, stellt sich die Frage, ob es<br />

dabei zu einer Addition, einem Ausgleich oder sogar zu<br />

einer Verstärkung der einzelnen Risikoeffekte kommt. Aus<br />

den Ergebnissen verschiedener Längsschnittstudien geht<br />

hervor, dass die negativen Folgen frühkindlicher Belastungen<br />

durch ungünstige familiäre Lebensumstände verschärft<br />

<strong>und</strong> durch günstige Bedingungen abgemildert oder<br />

ausgeglichen werden können (Meyer-Probst & Reis,<br />

1999). In vielen Fällen summierten sich dabei die Effekte<br />

mehrerer Risiken, d.h. mit zunehmender Risikobelastung<br />

wuchs auch die zu erwartende <strong>Entwicklung</strong>sbeeinträchtigung<br />

(Laucht et al., 2000a). In einigen Studien fand man<br />

darüber hinaus, dass sich die Effekte mehrerer Risiken<br />

auch überproportional verstärken können (Werner &<br />

Smith, 1982). Auf diese Weise entstand eine Gruppe <strong>von</strong><br />

Kindern mit besonders hoher <strong>Entwicklung</strong>sgefährdung.<br />

Bei der Beurteilung der <strong>Entwicklung</strong>sfolgen <strong>von</strong> Risikofaktoren<br />

spielt zunehmend auch die zeitliche Dimension<br />

eine wichtige Rolle. Dabei geht man gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

da<strong>von</strong> aus, dass die Auswirkungen <strong>von</strong> Risiken umso gravierender<br />

sind, je länger eine damit verb<strong>und</strong>ene Belastung<br />

wirksam ist. Größte Bedeutung haben folglich Faktoren,<br />

deren Einfluss sich über die gesamte <strong>Entwicklung</strong>speriode<br />

erstreckt (wie z.B. schwieriges Temperament des Kindes,<br />

<strong>sozial</strong>e Benachteiligung). Daneben lassen sich aber<br />

auch Risiken abgrenzen, die nur kurzzeitig wirksam oder<br />

in ihrem Einfluss auf bestimmte Phasen der <strong>Entwicklung</strong><br />

beschränkt sind. Letztere markieren <strong>Entwicklung</strong>sübergänge,<br />

die durch erhöhte Anforderungen an die kindliche<br />

Anpassungsfähigkeit gekennzeichnet sind. Beispiele für<br />

solche Phasen erhöhter Vulnerabilität sind die Perinatalzeit,<br />

das Gr<strong>und</strong>schulalter <strong>und</strong> die Pubertät, die jeweils mit<br />

einer deutlichen Zunahme <strong>von</strong> <strong>Entwicklung</strong>s- <strong>und</strong> Verhaltensproblemen<br />

einhergehen.<br />

In diesem Zusammenhang ist auch die Frage nach den<br />

langfristigen Auswirkungen frühkindlicher Belastungen<br />

zu diskutieren. Schienen die Ergebnisse früherer Followup<br />

Untersuchungen zu belegen, dass <strong>Entwicklung</strong>srückstände<br />

<strong>von</strong> Risikokindern bis zum Kindergartenalter weitgehend<br />

kompensiert werden können (Laucht et al., 1996;<br />

Rauh, 1984), so mehren sich die Hinweise darauf, dass die<br />

entwicklungshemmenden Folgen früher Belastungen im<br />

Gr<strong>und</strong>schulalter wieder neu hervortreten <strong>und</strong> bis in die<br />

Adoleszenz <strong>und</strong> das junge Erwachsenenalter andauern<br />

können (Botting et al., 1998; Saigal et al., 2000). Derartige<br />

Bef<strong>und</strong>e stehen im Einklang mit dem oben beschriebenen<br />

Konzept phasenspezifischer Vulnerabilität. Danach manifestieren<br />

sich frühe Belastungen verstärkt im Zusammenspiel<br />

mit der Bewältigung spezifischer <strong>Entwicklung</strong>saufgaben.<br />

In der vorliegenden Arbeit wird über Ergebnisse der<br />

Mannheimer Risikokinderstudie berichtet, in denen sich<br />

die langfristige <strong>Entwicklung</strong> <strong>von</strong> Kindern niederschlägt,<br />

die bei Geburt mit unterschiedlichen Risiken belastet<br />

waren. Dargestellt werden die Auswirkungen früher organischer<br />

<strong>und</strong> psycho<strong>sozial</strong>er Belastungen auf <strong>Entwicklung</strong>s-<br />

<strong>und</strong> Verhaltensdefizite mit <strong>11</strong> Jahren <strong>und</strong> auf Veränderungen<br />

der <strong>Entwicklung</strong>skennwerte <strong>von</strong> der frühen<br />

bis zur späten Kindheit sowie das Zusammenwirken beider<br />

Risikobereiche in Gruppen mit multipler Risikobe-<br />

Z. Kinder-Jugendpsychiatr. 30 (1), 2002, © Verlag Hans Huber, Bern

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