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Motorische, kognitive und sozial-emotionale Entwicklung von 11 ...

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16 Laucht, M. et al.: Risikokinder<br />

Fällen in eine dauerhafte Beeinträchtigung individueller<br />

<strong>Entwicklung</strong>schancen einmünden (Breslau & Chilcoat,<br />

2000; Gross et al., 2001; Saigal et al., 2000; Sameroff &<br />

Seifer, 1990; Wolke & Meyer, 1999). Schienen die Bef<strong>und</strong>e<br />

älterer Untersuchungen noch zu belegen, dass frühe<br />

<strong>Entwicklung</strong>srückstände <strong>von</strong> Risikokindern im Verlauf<br />

der <strong>Entwicklung</strong> weitgehend kompensiert werden können,<br />

so mehren sich inzwischen die Hinweise für ein Persistieren<br />

der Folgen früher Belastungen bis in die Adoleszenz<br />

<strong>und</strong> das frühe Erwachsenenalter (Botting et al.,<br />

1998). Dies gilt – über schwere <strong>Entwicklung</strong>sstörungen<br />

(wie z.B. Zerebralparese) hinaus – offensichtlich auch für<br />

leichtere <strong>und</strong> mittlere Ausprägungen <strong>von</strong> <strong>Entwicklung</strong>sproblemen<br />

(wie z.B. Lernschwierigkeiten), die eine deutliche<br />

Tendenz zur Chronifizierung aufweisen <strong>und</strong> sich in<br />

ihrer Summe vermehrt in einer ungünstigen schulischen<br />

Prognose niederschlagen (Meyer-Probst & Reis, 1999).<br />

Da<strong>von</strong> betroffen ist etwa ein Viertel bis ein Drittel der mit<br />

Risiken hoch belasteten Kinder.<br />

Sowohl organische als auch psycho<strong>sozial</strong>e Risiken<br />

tragen zu einer ungünstigen <strong>Entwicklung</strong>sprognose <strong>von</strong><br />

Risikokindern bei. Bei einer vergleichenden Betrachtung<br />

zeigt sich, dass die negativen Konsequenzen beider Arten<br />

früher Belastungen nach <strong>11</strong> Jahren annähernd gleich<br />

schwerwiegend, aber auch spezifisch sind: Während prä<strong>und</strong><br />

perinatale Komplikationen vor allem motorische <strong>und</strong><br />

<strong>kognitive</strong> Funktionen beeinträchtigen, konzentrieren sich<br />

die Auswirkungen benachteiligter familiärer Lebensverhältnisse<br />

auf die <strong>kognitive</strong> <strong>und</strong> <strong>sozial</strong>-<strong>emotionale</strong> <strong>Entwicklung</strong>.<br />

Dabei verschieben sich die relativen Gewichte<br />

früher Risiken im Verlauf der <strong>Entwicklung</strong>. Während organische<br />

Faktoren in der frühen Kindheit dominieren, gewinnen<br />

psycho<strong>sozial</strong>e Faktoren mit zunehmendem Alter<br />

an Bedeutung (Laucht et al., 2000a). Mit Beginn des<br />

Schulalters verstärkt sich erneut der Einfluss organischer<br />

Risiken auf die <strong>kognitive</strong> <strong>Entwicklung</strong>, so dass Spätschäden<br />

<strong>von</strong> Schwangerschafts- <strong>und</strong> Geburtskomplikationen<br />

in Defiziten <strong>kognitive</strong>r Funktionen erkennbar werden.<br />

Diese manifestieren sich – wie aus genaueren Analysen<br />

hervorgeht (Steigleider et al., in Druck) – vor allem im<br />

Bereich nonverbaler Leistungen.<br />

Auch in der späten Kindheit ergibt sich eine Kumulation<br />

der Effekte organischer <strong>und</strong> psycho<strong>sozial</strong>er Risiken,<br />

so dass mit beiden Risiken hoch belastete Kinder die<br />

ungünstigste <strong>Entwicklung</strong> aufweisen. Dabei entspricht<br />

der gemeinsame Einfluss zumeist der Addition der Einzeleffekte.<br />

Lediglich in Einzelbereichen lässt sich eine wechselseitige<br />

Verstärkung der Risikoeffekte (im Sinne einer<br />

Super-Additivität) nachweisen. Dies gilt beispielsweise<br />

für das Auftreten schwerer <strong>Entwicklung</strong>sstörungen, die<br />

gehäuft in mehrfach belasteten Familien vorkommen. Mit<br />

diesem Ergebnis steht die hier dargestellte Untersuchung<br />

im Einklang mit der Literatur, die – bei aller Heterogenität<br />

der vorliegenden Bef<strong>und</strong>e – mehrheitlich über fehlende<br />

Interaktionen zwischen Risikofaktoren berichtet (Breslau<br />

& Chilcoat, 2000). Ganz offensichtlich sind Wechselwirkungen<br />

zwischen Risiken <strong>von</strong> spezifischen Rahmenbedingungen<br />

abhängig, die bislang nur unzureichend aufgeklärt<br />

sind.<br />

Die reduzierten <strong>Entwicklung</strong>schancen <strong>von</strong> Risikokindern<br />

spiegeln sich bei den <strong>11</strong>-Jährigen auch in ihrem schulischen<br />

Leistungsniveau wieder. Von Einbußen betroffen<br />

sind nicht nur Kinder mit schweren Belastungen (die erwartungsgemäß<br />

häufiger eine Förderschule <strong>und</strong> seltener<br />

ein Gymnasium besuchen). Die nachteiligen Folgen leichter<br />

Belastungen zeigen sich in einem deutlich geringeren<br />

Anteil an Gymnasialschülern. Ganz offensichtlich schlagen<br />

sich auch schon geringere Ausprägungsgrade frühkindlicher<br />

Risiken in merklichen Beeinträchtigungen<br />

schulischer Leistungen nieder (s.a. Weindrich et al. eingereicht.<br />

Die ungünstige schulische <strong>Entwicklung</strong> korrespondiert<br />

mit den Bef<strong>und</strong>en zum Verlauf der <strong>kognitive</strong>n <strong>Entwicklung</strong><br />

<strong>von</strong> Risikokindern, deren <strong>Entwicklung</strong>srückstand<br />

sich mit dem Übergang in das Gr<strong>und</strong>schulalter drastisch<br />

vergrößert. Dieses Ergebnis lässt sich im Zusammenhang<br />

mit entwicklungspsychopathologischen Überlegungen<br />

interpretieren, die dem Schulalter mit seinen neuen Herausforderungen<br />

an die <strong>kognitive</strong> Leistungsfähigkeit des<br />

Kindes eine besondere Bedeutung für die Spätmanifestation<br />

<strong>von</strong> <strong>Entwicklung</strong>sdefiziten als Folge früher Belastungen<br />

einräumen (Likeman & Merlvin, 1993). Dass die<br />

Vergrößerung des <strong>Entwicklung</strong>srückstands mit acht Jahren<br />

keine vorübergehende Anpassungsstörung darstellt,<br />

zeigt der weitere Verlauf bis zum Alter <strong>von</strong> <strong>11</strong> Jahren. Vieles<br />

spricht also dafür, dass sich hier persistierende Beeinträchtigungen<br />

ankündigen, die mit der ungünstigen schulichen<br />

<strong>Entwicklung</strong> (vor allem obstetrisch) belasteter<br />

Kinder im Zusammenhang zu sehen sind.<br />

Abweichend vom aktuellen Stand der Forschung lässt<br />

sich in der vorliegenden Arbeit keine signifikant erhöhte<br />

Rate psychischer Auffälligkeiten unter den organisch belasteten<br />

Kindern nachweisen (vgl. Botting et al., 1997).<br />

Dies ist hauptsächlich durch die hier gewählte globale Betrachtungsweise<br />

begründet. Bei einer differenzierteren<br />

Analyse auf dem Niveau einzelner Symptome oder einzelner<br />

Skalen psychischer Auffälligkeiten bestätigt sich<br />

das aus der Literatur bekannte Muster vermehrter Aufmerksamkeitsstörungen<br />

<strong>und</strong> <strong>sozial</strong>er Probleme bei Kindern<br />

mit niedrigem Geburtsgewicht (Laucht et al., 2000c).<br />

In Übereinstimmung mit vielen anderen Risikokinderstudien<br />

zeigen unsere Ergebnisse aber auch, dass kindliche<br />

Reaktionen auf frühe Belastungen eine große interindividuelle<br />

Variabilität besitzen. Viele Risikokinder entwickelten<br />

sich trotz massiver Belastungen günstig, während<br />

andere unter den gleichen Bedingungen eine negative Ent-<br />

Z. Kinder-Jugendpsychiatr. 30 (1), 2002, © Verlag Hans Huber, Bern

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