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10/11 - Evangelische Kirchen in Erfurt

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KOLUMNE 4<br />

Die Kraft der Kerzen<br />

Ilse Neumeister<br />

Zu Zeiten, als an Demonstrationen längst nicht zu denken war und als Missstände und<br />

Sorgen vieler Art oft unerträglich waren, begannen die Friedensgebete. In <strong>Erfurt</strong> war das<br />

1987. Da konnten wir <strong>in</strong> Fürbitten vor Gott br<strong>in</strong>gen, was „draußen“ kaum möglich war. Wir<br />

hofften auf das Unmögliche und wollten derweil das Mögliche tun. Den Segen des Anfangs<br />

bekamen wir von den Bischöfen Aufderbeck und Krusche, denn uns war auch die Oekumene<br />

wichtig. Drum war auch egal, ob wir <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e katholische oder e<strong>in</strong>e evangelische Kirche<br />

g<strong>in</strong>gen. Der günstigen Lage wegen ist es bis heute die St. Lorenzkirche. Während der bald<br />

darauf beg<strong>in</strong>nenden Friedensdekaden gab es dann mit Sand gefüllte Blechbehälter, die ständig<br />

voller Kerzen standen. Vielleicht hatten wir die Illusion, dass wir den Gebeten damit<br />

Nachdruck verleihen konnten. In den drauffolgenden Jahren gab es die Oekumenische Versammlung<br />

<strong>in</strong> Dresden und e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>ternationale Bischofskonferenz hier <strong>in</strong> <strong>Erfurt</strong>, die mit Kerzenprozessionen<br />

endeten.<br />

Und dann kam 1989 der „Gang der Betroffenheit“. Angeführt von Studenten der <strong>Evangelische</strong>n<br />

Predigerschule und des Katholischen Priestersem<strong>in</strong>ars zogen noch wenige Leute vom<br />

Friedensgebet aus zur Andreaskirche. Sie wollten e<strong>in</strong> Vaterunser beten und s<strong>in</strong>gen „Sonne<br />

der Gerechtigkeit“ – vor der Kirche – wenn ich mich recht er<strong>in</strong>nere, hat sie der heutige<br />

Senior Eras aber <strong>in</strong> die Kirche h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geholt, denn gegenüber war die Stasi-Zentrale. Das war<br />

der Beg<strong>in</strong>n der Demonstrationen, denn e<strong>in</strong>e Woche später war die Lorenzkirche und der<br />

Platz davor brechend voll und wir entschlossen uns, noch drei weitere <strong>Kirchen</strong> jeden Donnerstag<br />

17 Uhr zu öffnen, nämlich die Kaufmannskirche, Wigbertkirche und Predigerkirche.<br />

Die Vorbereitungen fanden jeweils am Dienstag oekumenisch im Pfarrhaus der Wigbertgeme<strong>in</strong>de<br />

statt. Obwohl wir ja alle aus „dem gleichen Stall“ kamen, g<strong>in</strong>g das nicht im gleichen<br />

Raum – sicher sollten wir Kirche und Marktplatz nicht durche<strong>in</strong>ander br<strong>in</strong>gen... wir <strong>in</strong>formierten<br />

uns gegenseitig und g<strong>in</strong>gen unserer Wege. Ich er<strong>in</strong>nere mich nicht, jemals darum<br />

gebeten zu haben, dass Kerzen mitgebracht werden sollten. Sie waren plötzlich da. Und<br />

wer es selbst miterlebt hat, kann es bestätigen: Die Menschen waren so zornig über vieles,<br />

was sich die Woche über ereignet hatte – aber wenn sie <strong>in</strong> den <strong>Kirchen</strong> ihre Lichter angezündet<br />

hatten, g<strong>in</strong>gen sie anders h<strong>in</strong>aus und immer mit der Bitte: „Ke<strong>in</strong>e Gewalt – ke<strong>in</strong><br />

Hass!“<br />

Der Untergang der DDR hatte viele Gründe. Der gewaltlose Umbruch ist den Menschen <strong>in</strong><br />

den <strong>Kirchen</strong> und dann mit den Kerzen auf den Straßen zuzuschreiben. Und davon waren<br />

sicher nur die wenigsten praktizierende Christen. Wer Woche für Woche betet: „Herr, mach<br />

mich zum Werkzeug de<strong>in</strong>es Friedens...“, der muss doch immun se<strong>in</strong> gegen Gewalt!<br />

Das Thema für diese Kolumne hatte ich mir schon zu Beg<strong>in</strong>n des Jahres vorgenommen, nicht<br />

nur, weil jetzt 15 Jahre vergangen s<strong>in</strong>d. Dass die Er<strong>in</strong>nerung aber jetzt so aktuell werden<br />

würde, ahnte ich nicht. Es tut mir nur leid, dass jetzt jeden Donnerstag zu der Zeit, da <strong>in</strong> der<br />

Kirche um Frieden gebetet wird, draußen hasserfüllte Reden über Lautsprecher dröhnen.<br />

Gerechtigkeit ist sicher nicht mit Hass zu erreichen.<br />

Übrigens gehörte ich 1992 e<strong>in</strong>em Unabhängigen Ausschuss an, der auf der Bonner Hardthöhe<br />

die Übernahmegespräche der NVA-Offizieren <strong>in</strong> die Bundeswehr zu führen hatte. Für<br />

diese Berufung spielte me<strong>in</strong>e Vergangenheit <strong>in</strong> der kirchlichen Friedensarbeit e<strong>in</strong>e Rolle.<br />

Und me<strong>in</strong>e letzte Frage am Ende war meist: „...und wie war das 1989?“ Da kam vielfach die<br />

Antwort ...die Kerzen. Die orig<strong>in</strong>ellste im schönsten Sächsisch: „Mensch, mit ihrn Kerzen<br />

hamsen Mielke erschreckt“.

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