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10/11 - Evangelische Kirchen in Erfurt

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LANDNAHMEPREDIGT 18<br />

kommen: Den Missionsauftrag ernst nehmen.<br />

Ich möchte hier aus der Charta Oecumenica<br />

von 2001 zitieren, dem ökumenischen Leitdokument<br />

der europäischen <strong>Kirchen</strong>: „Die<br />

wichtigste Aufgabe der <strong>Kirchen</strong> <strong>in</strong> Europa ist<br />

es, geme<strong>in</strong>sam das Evangelium durch Wort<br />

und Tat für das Heil aller Menschen zu verkündigen.<br />

Angesichts vielfältiger Orientierungslosigkeit,<br />

der Entfremdung von christlichen<br />

Werten, aber auch mannigfacher Suche<br />

nach S<strong>in</strong>n s<strong>in</strong>d die Christ<strong>in</strong>nen und Christen<br />

besonders herausgefordert, ihren Glauben zu<br />

bezeugen.“<br />

Das Dokument fährt aber fort und entfaltet<br />

e<strong>in</strong>en zweiten Aspekt: „Ebenso wichtig ist es,<br />

dass das ganze Volk Gottes geme<strong>in</strong>sam das<br />

Evangelium <strong>in</strong> die gesellschaftliche Öffentlichkeit<br />

h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> vermittelt wie auch durch sozialen<br />

E<strong>in</strong>satz und die Wahrnehmung von<br />

politischer Verantwortung zur Geltung<br />

br<strong>in</strong>gt.“<br />

Mit anderen Worten: Die Sendung <strong>in</strong> die Welt<br />

– die missio dei – ist ke<strong>in</strong>eswegs auf Evangelisation<br />

im engeren S<strong>in</strong>ne beschränkt. Denn<br />

e<strong>in</strong> weiterer wesentlicher Aspekt tritt h<strong>in</strong>zu:<br />

Es geht um die Wiedergew<strong>in</strong>nung, den Rückgew<strong>in</strong>n<br />

des öffentlichen Raums im pluralistischen,<br />

postsäkularen Europa – mith<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Landnahme eigener Art, e<strong>in</strong>e virtuelle Landnahme.<br />

Ich sehe die Aufgabe der <strong>Kirchen</strong>, der Christen<br />

dar<strong>in</strong>, <strong>in</strong> den öffentlichen Diskurs, <strong>in</strong> den<br />

kulturellen, geistigen, politischen Raum auszugreifen<br />

– europaweit.<br />

Allzu lange, allzu leicht ließen wir uns <strong>in</strong> den<br />

Privatbereich verbannen, pflegten wir unseren<br />

Glauben im Verborgenen, huldigten wir<br />

e<strong>in</strong>em Quietismus.<br />

Von Luther stammt e<strong>in</strong> schönes Bild: Der<br />

Mensch sei „<strong>in</strong>curvatus <strong>in</strong> se ipse“, <strong>in</strong> sich<br />

selbst h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>verkrümmt. Dieses Bild möchte<br />

ich auf die Kirche übertragen. Wir brauchen<br />

ke<strong>in</strong>e <strong>in</strong> sich selbst h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>verkrümmte Kirche,<br />

die nur Nabelschau betreibt. Wir sollten dem<br />

teils auferlegten, teils selbstgewählten Zug<br />

zur religiösen Individualisierung entgegentreten,<br />

wir sollten der gegenwärtigen Tendenz<br />

zur Selbstsäkularisierung und „Selbstlaizisierung“<br />

wehren. Es geht mith<strong>in</strong> um e<strong>in</strong>e Umorientierung:<br />

Weg von der Privatisierung des<br />

Religiösen h<strong>in</strong> zur Teilnahme am öffentlichen<br />

ethischen und politischen Diskurs.<br />

Lassen wir uns dabei nicht e<strong>in</strong>schüchtern.<br />

Wie die französischen Bischöfe – allem Laizismus<br />

zum Trotz – die Atomversuche auf dem<br />

Mururoa-Atoll kritisierten, wollte sie e<strong>in</strong> General<br />

mit den Worten <strong>in</strong> die Schranken weisen<br />

„Messieurs, kümmern sie sich um das<br />

Seelenheil ihrer Gläubigen“.<br />

In Thür<strong>in</strong>gen habe ich Beispiele der von uns<br />

geforderten Landnahme vor Augen: Die Segnung<br />

e<strong>in</strong>es Feuerwehrhauses bei dessen E<strong>in</strong>weihung,<br />

von der mir e<strong>in</strong>mal Senior Eras berichtete.<br />

Oder die Öffnung der kirchlichen<br />

Räume h<strong>in</strong> zur Gesellschaft anlässlich des<br />

Gutenbergdramas.<br />

Blicken wir wieder nach Europa. Die neue<br />

Europäische Verfassung ermöglicht den <strong>Kirchen</strong><br />

die Teilnahme am europaweiten Diskurs<br />

– e<strong>in</strong> außerordentlicher Erfolg. Sicher, es gibt<br />

ke<strong>in</strong>e Anrufung Gottes <strong>in</strong> der Präambel,<br />

bedauerlicherweise. Aber dar<strong>in</strong> wie Kard<strong>in</strong>al<br />

Ratz<strong>in</strong>ger e<strong>in</strong>en Selbsthass des Abendlandes<br />

zu sehen, g<strong>in</strong>ge zu weit. Hat Europa nun die<br />

Nabelschnur zur Religion endgültig zertrennt?<br />

Europa ohne Gott? Ne<strong>in</strong>.<br />

Denn zum e<strong>in</strong>en formuliert die Präambel der<br />

Europäischen Verfassung: „Schöpfend aus den<br />

kulturellen, religiösen (!) und humanistischen<br />

Überlieferungen Europas, deren Werte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

Erbe weiter lebendig s<strong>in</strong>d und die die<br />

zentrale Stellung des Menschen und die Unverletzlichkeit<br />

und Unveräußerlichkeit se<strong>in</strong>er<br />

Rechte sowie den Vorrang des Rechts <strong>in</strong> der<br />

Gesellschaft verankert haben“ – e<strong>in</strong> Bekenntnis<br />

zu den fortwirkenden, lebendigen religiösen<br />

Wurzeln Europas.<br />

Zum anderen lautet Art. 51 – <strong>in</strong> dem Kapitel<br />

„Das demokratische Leben der Union“ – wie<br />

folgt: „Die Union pflegt <strong>in</strong> Anerkennung der<br />

Identität und des besonderen Beitrags der<br />

<strong>Kirchen</strong> und religiösen wie weltanschaulichen<br />

Geme<strong>in</strong>schaften e<strong>in</strong>en offenen, transparenten<br />

und regelmäßigen Dialog mit ihnen.“<br />

Damit können die <strong>Kirchen</strong> und wir Christen<br />

mitreden, mitbestimmen auf den ethischen<br />

Konfliktfeldern der Zukunft. Anhand der Debatten<br />

im Grundrechtekonvent – der europä-

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