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10/11 - Evangelische Kirchen in Erfurt

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LANDNAHMEPREDIGT 16<br />

„Machet zu Jüngern<br />

alle Völker“<br />

(Matthäus 28, 16-20)<br />

Dr. Mart<strong>in</strong> Borowsky<br />

Im Zyklus „Landnahme-Gottesdienst“ <strong>in</strong> der<br />

<strong>Erfurt</strong>er Kaufmannskirche sprach am 18. Juli<br />

2004 Dr. Mart<strong>in</strong> Borowsky, Richter.<br />

Die Liebe Gottes und die Geme<strong>in</strong>schaft des<br />

Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.<br />

Liebe Geme<strong>in</strong>de,<br />

ist Mission Gewalt? Oder wie soll man sich<br />

das vorstellen: „Machet zu Jüngern alle Völker?“<br />

Wie g<strong>in</strong>g Bonifatius bei der Missionierung<br />

Thür<strong>in</strong>gens und Hessens vor, Bonifatius,<br />

dessen Todestag vor 1250 Jahren wir am 5.<br />

Juni begangen haben? Schreckte er vor Gewalt<br />

nicht zurück, missionierte er mit Feuer<br />

und Schwert, wie bisweilen zu lesen war?<br />

Und ich me<strong>in</strong>e, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Publikation gar auf<br />

den Begriff „Massenmord“ gestoßen zu se<strong>in</strong>.<br />

Bei alledem handelt es sich um e<strong>in</strong>e Mär, um<br />

e<strong>in</strong>e „unfromme Legende“. Im Vorfeld dieses<br />

Gottesdienstes habe ich me<strong>in</strong>en Freund Professor<br />

Karl He<strong>in</strong>emeyer konsultiert, den Thür<strong>in</strong>ger<br />

Bonifatiusexperten. Er bestätigte mir,<br />

dass hier Berichte über das <strong>in</strong> der Tat gewaltsame<br />

Vorgehen Karls des Großen gegen die<br />

Sachsen schlicht <strong>in</strong> die ältere Zeit übertragen<br />

werden. Die Untaten werden Bonifatius<br />

fälschlicherweise zur Last gelegt.<br />

Bleibt die Donar-Eiche <strong>in</strong> Geismar, also im<br />

hessischen Kernland, die Bonifatius durchaus<br />

öffentlichkeitswirksam fällte. E<strong>in</strong> Affront, gewiss.<br />

Das Fällen der Eiche aber als Gewaltmission<br />

zu bezeichnen, ist me<strong>in</strong>es Erachtens<br />

fragwürdig und hergeholt. Denn anders konnte<br />

man e<strong>in</strong> derartiges Heiligtum nicht beseitigen.<br />

Römische Tempel wurden durch Entfernen<br />

der heidnischen Bilder, durch das Aufstellen<br />

e<strong>in</strong>es christlichen Altars umfunktioniert<br />

– bei e<strong>in</strong>em Baum <strong>in</strong> der Natur geht das<br />

nicht. Es musste schließlich verh<strong>in</strong>dert werden,<br />

dass die Menschen die alten Götter<br />

heimlich weiter verehren – e<strong>in</strong> legitimes Anliegen.<br />

Und aus dem Holz der Donar-Eiche<br />

erbaute Bonifatius e<strong>in</strong>e Kirche ...<br />

Vielleicht zeigt sich <strong>in</strong> den geschilderten Behauptungen,<br />

<strong>in</strong> der Infragestellung der Missionstätigkeit<br />

des Bonifatius e<strong>in</strong> Hang zur vorauseilenden<br />

political correctness, verbunden<br />

mit dem Gestus der Selbstanklage – uns Protestanten<br />

nicht fremd.<br />

Und es ist ja richtig: Es gibt etliche dunkle<br />

Flecken der <strong>Kirchen</strong>geschichte, und gerade<br />

der Missionsgeschichte. Die <strong>Kirchen</strong> haben<br />

<strong>in</strong> der Tat schwere Schuld auf sich geladen.<br />

Denken wir nur an die Conquista, an die blutige<br />

Missionierung Südamerikas, an den Kolonialismus<br />

mit se<strong>in</strong>em Überlegenheitsanspruch,<br />

den Triumphalismus mancher europäischer<br />

Missionare. Denken wir an die<br />

schlimmen Zwangstaufen, an die Zwangsassimilierung<br />

der Juden.<br />

Missionare sah man noch vor nicht allzu langer<br />

Zeit als Streiter Christi, mit dem Marschbefehl<br />

im Tornister, e<strong>in</strong>en heiligen Krieg gegen<br />

die Ungläubigen und die geistig-geistliche<br />

F<strong>in</strong>sternis zu führen. Wie bei e<strong>in</strong>em Feldzug<br />

sprach man von Truppen und Versorgung.<br />

Dazu hat sicherlich auch unser Bibeltext verführt<br />

– eigentlich e<strong>in</strong> wunderbarer Text, der<br />

den Schlussste<strong>in</strong> des Matthäus-Evangeliums<br />

bildet: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel<br />

und auf Erden“, spricht Jesus <strong>in</strong> der Kraft<br />

se<strong>in</strong>er Auferstehung.<br />

„Alle Gewalt“, so hat Mart<strong>in</strong> Luther übersetzt.<br />

„Gewalt“ ist e<strong>in</strong> problematischer Begriff, er<br />

hat e<strong>in</strong>en negativen Klang und kann zu Missverständnissen<br />

verleiten – und er hat, zusammen<br />

mit dem „Taufbefehl“, zu Missbrauch<br />

geführt. Unsere Bibelstelle verkam – auch<br />

aufgrund ihrer isolierten Betrachtung – zur<br />

Ideologie.<br />

Geme<strong>in</strong>t ist bei Matthäus aber gerade nicht<br />

brachiale Gewalt – sie würde auch Jesu Lehre<br />

fundamental widersprechen. Blicken wir<br />

auf den Zusammenhang: Nur wenige Kapitel<br />

vorher beschreibt das Matthäus-Evangelium<br />

Jesus – <strong>in</strong> der Leidensgeschichte – als e<strong>in</strong>en<br />

gewaltlosen Erlöser. Jeglicher Gewalt zwischen<br />

Menschen erteilt Jesus e<strong>in</strong>e Absage,<br />

und er lebt es vor – die Sanftmütigen, die<br />

Barmherzigen, die, die ihre Fe<strong>in</strong>de lieben ...<br />

Das griechische Wort exousia, das Luther mit<br />

Gewalt übersetzt, bedeutet „Vollmacht“, e<strong>in</strong>e

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