8. MAI - Antifaschistische Linke Berlin
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GESCHICHTE WIRD GEMACHT<br />
Nation präsentieren kann. Es geht darum,<br />
gleichberechtigter Akteur im globalen Konkurrenzgeschehen<br />
des Neoliberalismus zu<br />
werden. Es geht darum, zu den Mächtigsten<br />
der Welt zu gehören. Darum, seine nationalen<br />
Interessen geltend machen zu können –<br />
ein altes Lied mit immer neuer Melodie.<br />
Und in diesem Zusammenhang ist das Ziehen<br />
eines endgültigen »Schlussstrichs« unter<br />
die Vergangenheit für die Herrschaftsprojekte<br />
des neuen Deutschland vonnöten,<br />
damit der Vorwurf der Kontinuität und<br />
Durchsetzung deutscher Interessen etwa mit<br />
militärischen Mitteln im Keim erstickt werden<br />
kann. Dieses ideologische Bestreben<br />
gibt es schon lange, doch bewegte es sich<br />
bislang auf Bahnen, die sich um die Frage<br />
der Schuld bildeten – nachzuzeichnen an<br />
der unsäglichen These der Verführung der<br />
deutschen Gesellschaft durch Hitler, des Abladens<br />
der Verantwortung auf hohe Funktionäre<br />
des Nationalsozialismus, die sich<br />
wiederum mit einem vermeintlichen »Befehlsnotstand«<br />
herausgeredet haben. Ging<br />
das Bekenntnis zur Schuld schon mühsam<br />
über die Lippen, scheute man sich, jemals<br />
politische Verantwortung für die Gräuel<br />
des Nationalsozialismus zu übernehmen.<br />
Die jeweiligen Herrschenden sind aber<br />
die Erben aller, die je gesiegt haben<br />
Dies hat sich mit der rotgrünen Regierung<br />
geändert, jedoch keineswegs zum Guten:<br />
Das Bekenntnis der Schuld wird in die durch<br />
die Geschichte vorgegebene Pfl icht, Verantwortung<br />
zu übernehmen, umgepolt. Gerade<br />
aufgrund der Barbarei des Faschismus,<br />
so das Argument, trage Deutschland eine<br />
besondere Verantwortung in der Durchsetzung<br />
»humanitärer Politik«. Nicht trotz,<br />
sondern wegen Auschwitz hieß die Parole,<br />
mit der Deutschland 1999 das dritte Mal<br />
im 20. Jahrhundert Soldaten auf den Balkan<br />
schickte, um im Jugoslawienkrieg mitzumischen.<br />
Und nicht zufällig passt sich dieser<br />
Tenor in die neu formulierten Werte eines<br />
»zivilisierten« Europa ein, das momentan<br />
dabei ist, sich im Kanon der westlichen<br />
Welt zum authentischen Repräsentanten des<br />
wahren Humanismus zu profilieren. Und<br />
dies heißt eben nicht, sich einer antimilitaristischen<br />
Haltung verpfl ichtet zu fühlen,<br />
sondern über den Bezug auf die Geschichte<br />
wieder zum militärischen Akteur zu werden.<br />
Nicht Verantwortung für die Vergangenheit<br />
wird hier übernommen, sondern<br />
zukünftiger Führungsanspruch angemeldet.<br />
Wir erleben also eine erneute Version der<br />
Integration der Geschichte in die Logik<br />
von Profit, Ausbeutung und Krieg. Möglich<br />
wird dies gerade über die persönliche Geschichte<br />
der Ex-68er, die heute die Regierung<br />
bilden. Der von ihnen vorgetragene<br />
Wille, der Geschichte ihren Platz einzuräumen,<br />
bekommt dadurch Glaubwürdigkeit,<br />
dass sie die Auseinandersetzung mit<br />
dem Nationalsozialismus zur Grundlage<br />
der eigenen politischen Haltung stilisieren.<br />
Wie aber sieht diese Integration genau aus?<br />
In der ›<strong>Berlin</strong>er Republik‹ werden dem Erinnern<br />
feste Orte zugewiesen – die Topographie<br />
des Terrors etwa oder das baldig<br />
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