8. MAI - Antifaschistische Linke Berlin
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INTERVIEW<br />
INTERVIEW<br />
Die Schwierigkeiten antifaschistischer<br />
Gedenkpolitik nach 1989/90<br />
? Guten Tag.Vielleicht stellt Du Dich unseren<br />
LeserInnen zunächst kurz vor.<br />
! Ich bin in der Gruppe »Freundinnen des<br />
Sachsenhausenkomitees« aktiv. Seit mehreren<br />
Jahren versuchen wir, die Arbeit des Sachsenhausenkomitees,<br />
d.h. der Organisation<br />
der deutschen Häftlinge des KZ Sachsenhausen,<br />
zu unterstützen. Die Antworten in diesem<br />
Interview geben meine Meinung wieder,<br />
sind kein abgestimmter Gruppenstandpunkt.<br />
? Es ist sehr offensichtlich, dass gerade die<br />
ostdeutschen Gedenkstätten sowohl in ihrer<br />
Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit als<br />
auch in ihren Aufgaben und Zielstellungen<br />
seit der deutsch-deutschen Vereinigung<br />
1990 einen rapiden Wandel erlebt haben.<br />
Dieser hat alle Bereiche ihrer Tätigkeiten erfasst,<br />
so dass insgesamt oft von einem »Paradigmenwechsel«<br />
gesprochen wird. Wodurch<br />
zeichnet sich dieser aus und welche<br />
spezifischen Veränderungen konnten seit<br />
dem Antritt der rot-grünen Bundesregierung<br />
beobachtet werden?<br />
! Die Gedenkstätten in der DDR hat ein besonderes<br />
Faktum ausgezeichnet: sie wurden<br />
von Angehörigen einer Opfergruppe errichtet,<br />
die auf dem Gebiet der DDR nach 1945<br />
von der Roten Armee die Macht übernahm,<br />
den Kommunisten. Die Gedenkstätten hatten<br />
die Funktion, die Bevölkerung durch Aufklärung<br />
über die nationalsozialistischen Verbrechen<br />
zu erziehen und die Machthabenden<br />
zu legitimieren. Theoretische Grundlage<br />
war dabei die Faschismusanalyse, die wir<br />
heute mit dem Namen Dimitroff verbinden.<br />
Alle Unzulänglichkeiten der DDR-Gedenkstätten,<br />
die wir heute kritikwürdig finden,<br />
waren Resultate dieser Voraussetzungen.<br />
Aber bei allen Unzulänglichkeiten darf nicht<br />
vergessen werden: die Gedenkstätten sind<br />
von Überlebenden der KZ mit Unterstützung<br />
eines Staates, den sie als den ihren betrachteten,<br />
eingerichtet worden und das verglichen<br />
mit Westdeutschland sehr früh. Viele<br />
Überlebende, auch aus dem Ausland, sehen<br />
diese Gedenkstätten als »ihre« an. Nach<br />
1990 hat in den Gedenkstätten ein Bildersturm<br />
und Personalaustausch stattgefunden.<br />
Die Delegitimierung der DDR sah ein sehr<br />
großer Teil des neuen Leitungspersonals als<br />
seine erste Aufgabe an. Dies schlug sich in<br />
erster Linie in der veränderten Darstellung<br />
des kommunistischen Widerstandes nieder.<br />
Der Wechsel zu Rot-Grün hat sich m.E. nicht<br />
als Zäsur in den Gedenkstätten bemerkbar<br />
gemacht. Eher sind die Auswirkungen des<br />
veränderten gesamtgesellschaftlichen Geschichts-<br />
und Gedenkdiskurses zu beobachten.<br />
Dass ein deutscher Bundeskanzler auf<br />
einer zentralen Gedenkveranstaltung für<br />
die Befreiung der KZ in Buchenwald spricht<br />
und Joseph Fischer, der den Angriffskrieg<br />
gegen Jugoslawien mit den »Lehren aus<br />
Auschwitz« rechtfertigte, auf der Gedenk-<br />
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