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Lehrertag 2006 - Pädagogisches Institut der EKvW

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ankommen. Dieses Bild benennt kurz und knapp Überfor<strong>der</strong>ung. An Lehrer richten<br />

sich die unterschiedlichsten Erwartungen von Schülern, Eltern, Wirtschaft,<br />

Gesellschaft und Politik. Überfor<strong>der</strong>ung lähmt. Überfor<strong>der</strong>ung zieht nach unten.<br />

Überfor<strong>der</strong>ung geht Menschen auf den Geist. Ain’t gotten no spirit.<br />

Mich hat Schule auch überfor<strong>der</strong>t. Ich habe in meiner Schulkarriere hautnah erlebt,<br />

was Auslesen statt För<strong>der</strong>n bedeutet. Mit 10 Jahren kam ich aufs Gymnasium, vom –<br />

auch sprachlich-platten Land in eine Klasse mit Jungen nur aus <strong>der</strong> Stadt. Hast Du<br />

Schiss?, fragte mich einer. Ich wusste nicht zu antworten, kannte ich den Ausdruck<br />

doch nicht. Überfor<strong>der</strong>ung verschlägt einem im Wortsinn die Sprache. Sie ist dann<br />

nicht mehr bunt und vielgestaltig. Es gilt nur noch, irgendwie user und server<br />

aufeinan<strong>der</strong> zu justieren, um den Code zu entschlüsseln. Dabei schrumpft <strong>der</strong> Geist<br />

bis zur Unkenntlichkeit. Eine wahrhaft gut erfundene Geschichte mag diesen<br />

Zusammenhang illustrieren: Ein Sprachcomputer soll den Satz: Der Geist ist willig,<br />

aber das Fleisch ist schwach zuerst ins Russische und dann zurück ins Deutsche<br />

übersetzen. Das Ergebnis lautet: Der Schnaps ist gut, aber das Fleisch taugt nichts.<br />

Geist verkommt zum Spiritus, zum Sprit. Bis heute kann ich den Geist von Schule<br />

riechen, wenn man mich mit verbundenen Augen hineinführt. Ich rieche und<br />

assoziiere dann das Althochdeutsche geist, nie<strong>der</strong>ländisch geest, englisch ghost von<br />

<strong>der</strong> Wurzel gheis = aufgebracht sein, schau<strong>der</strong>n, erschrecken. Der Geist wird zum<br />

Gespenst.<br />

Wie kommt das – nicht nur sprachlich – überfor<strong>der</strong>te Ich dann noch zu sich selbst?<br />

Wohl nur durch Ichsteigerung. Je<strong>der</strong> Mensch hat doch die Freiheit, etwas aus sich zu<br />

machen. Es scheint doch auf <strong>der</strong> Hand zu liegen, dass ein Menschen das ist, was er<br />

aus sich macht. Man sagt, Freiheit erschöpfe sich in <strong>der</strong> Sorge des Menschen um<br />

sich selbst und man sei dann am Ziel, wenn man es im Leben möglichst weit<br />

gebracht hat. Je<strong>der</strong> ist seines Glückes Schmied. Wer frei sein will, muss bereit sein,<br />

an<strong>der</strong>e Menschen auszunutzen. Die Menschen sind schlecht, sie denken an sich.<br />

Nur ich denk an mich. Man kann das sagen und schöner noch singen, sogar im<br />

Kanon, so dass ein Wohlklang daraus wird. Aber den Wi<strong>der</strong>spruch singt man nicht<br />

weg. Kein Mensch kann von sich aus sprechen. Er muss zuvor hören. Kein Mensch<br />

kann von sich aus lieben, er muss zuvor geliebt werden. Kein Mensch kann von sich<br />

aus vertrauen, er muss zuvor Vertrauen erfahren. Es überfor<strong>der</strong>t jeden Menschen,<br />

wenn er sich nur um sich selbst drehen, und dabei ein eigenes Ich werden soll.<br />

Was gehört dazu, ein Ich zu werden?<br />

III<br />

Der Herr ist Geist. Geist - hebräisch ruach; griechisch pneuma - hat in <strong>der</strong> Bibel viele<br />

Bedeutungen, nur eine nicht: es heißt dort nie Gespenst. Aber: ruach hat die<br />

Bedeutung Wind, Atem, Geist, Leben, Charisma, Antriebskraft, Energie, Dynamik,<br />

Vitalität...<br />

Beim Propheten Ezechiel befindet sich ein bemerkenswerter Satz (Ez. 1,28b; 2,1f)<br />

Und ich hörte eine Stimme, sprechend. Und sie sprach zu mir: Menschenkind, stell<br />

dich auf deine Füße, ich will mit dir reden! Da kam ruach in mich (Geist, Wind, Atem,<br />

Lebenskraft) und sie (die ruach) stellte mich auf meine Füße, und ich hörte, was er<br />

zu mir sprach.<br />

Wer o<strong>der</strong> was stellt Ezechiel hier auf seine Füße? Er sich selbst? Er hört ja: Stell dich<br />

auf deine Füße. O<strong>der</strong> etwas, das von außen in ihn hin einkommt? Da kam ruach in

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