Lehrertag 2006 - Pädagogisches Institut der EKvW
Lehrertag 2006 - Pädagogisches Institut der EKvW
Lehrertag 2006 - Pädagogisches Institut der EKvW
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
- 98 -<br />
ankommen. Dieses Bild benennt kurz und knapp Überfor<strong>der</strong>ung. An Lehrer richten<br />
sich die unterschiedlichsten Erwartungen von Schülern, Eltern, Wirtschaft,<br />
Gesellschaft und Politik. Überfor<strong>der</strong>ung lähmt. Überfor<strong>der</strong>ung zieht nach unten.<br />
Überfor<strong>der</strong>ung geht Menschen auf den Geist. Ain’t gotten no spirit.<br />
Mich hat Schule auch überfor<strong>der</strong>t. Ich habe in meiner Schulkarriere hautnah erlebt,<br />
was Auslesen statt För<strong>der</strong>n bedeutet. Mit 10 Jahren kam ich aufs Gymnasium, vom –<br />
auch sprachlich-platten Land in eine Klasse mit Jungen nur aus <strong>der</strong> Stadt. Hast Du<br />
Schiss?, fragte mich einer. Ich wusste nicht zu antworten, kannte ich den Ausdruck<br />
doch nicht. Überfor<strong>der</strong>ung verschlägt einem im Wortsinn die Sprache. Sie ist dann<br />
nicht mehr bunt und vielgestaltig. Es gilt nur noch, irgendwie user und server<br />
aufeinan<strong>der</strong> zu justieren, um den Code zu entschlüsseln. Dabei schrumpft <strong>der</strong> Geist<br />
bis zur Unkenntlichkeit. Eine wahrhaft gut erfundene Geschichte mag diesen<br />
Zusammenhang illustrieren: Ein Sprachcomputer soll den Satz: Der Geist ist willig,<br />
aber das Fleisch ist schwach zuerst ins Russische und dann zurück ins Deutsche<br />
übersetzen. Das Ergebnis lautet: Der Schnaps ist gut, aber das Fleisch taugt nichts.<br />
Geist verkommt zum Spiritus, zum Sprit. Bis heute kann ich den Geist von Schule<br />
riechen, wenn man mich mit verbundenen Augen hineinführt. Ich rieche und<br />
assoziiere dann das Althochdeutsche geist, nie<strong>der</strong>ländisch geest, englisch ghost von<br />
<strong>der</strong> Wurzel gheis = aufgebracht sein, schau<strong>der</strong>n, erschrecken. Der Geist wird zum<br />
Gespenst.<br />
Wie kommt das – nicht nur sprachlich – überfor<strong>der</strong>te Ich dann noch zu sich selbst?<br />
Wohl nur durch Ichsteigerung. Je<strong>der</strong> Mensch hat doch die Freiheit, etwas aus sich zu<br />
machen. Es scheint doch auf <strong>der</strong> Hand zu liegen, dass ein Menschen das ist, was er<br />
aus sich macht. Man sagt, Freiheit erschöpfe sich in <strong>der</strong> Sorge des Menschen um<br />
sich selbst und man sei dann am Ziel, wenn man es im Leben möglichst weit<br />
gebracht hat. Je<strong>der</strong> ist seines Glückes Schmied. Wer frei sein will, muss bereit sein,<br />
an<strong>der</strong>e Menschen auszunutzen. Die Menschen sind schlecht, sie denken an sich.<br />
Nur ich denk an mich. Man kann das sagen und schöner noch singen, sogar im<br />
Kanon, so dass ein Wohlklang daraus wird. Aber den Wi<strong>der</strong>spruch singt man nicht<br />
weg. Kein Mensch kann von sich aus sprechen. Er muss zuvor hören. Kein Mensch<br />
kann von sich aus lieben, er muss zuvor geliebt werden. Kein Mensch kann von sich<br />
aus vertrauen, er muss zuvor Vertrauen erfahren. Es überfor<strong>der</strong>t jeden Menschen,<br />
wenn er sich nur um sich selbst drehen, und dabei ein eigenes Ich werden soll.<br />
Was gehört dazu, ein Ich zu werden?<br />
III<br />
Der Herr ist Geist. Geist - hebräisch ruach; griechisch pneuma - hat in <strong>der</strong> Bibel viele<br />
Bedeutungen, nur eine nicht: es heißt dort nie Gespenst. Aber: ruach hat die<br />
Bedeutung Wind, Atem, Geist, Leben, Charisma, Antriebskraft, Energie, Dynamik,<br />
Vitalität...<br />
Beim Propheten Ezechiel befindet sich ein bemerkenswerter Satz (Ez. 1,28b; 2,1f)<br />
Und ich hörte eine Stimme, sprechend. Und sie sprach zu mir: Menschenkind, stell<br />
dich auf deine Füße, ich will mit dir reden! Da kam ruach in mich (Geist, Wind, Atem,<br />
Lebenskraft) und sie (die ruach) stellte mich auf meine Füße, und ich hörte, was er<br />
zu mir sprach.<br />
Wer o<strong>der</strong> was stellt Ezechiel hier auf seine Füße? Er sich selbst? Er hört ja: Stell dich<br />
auf deine Füße. O<strong>der</strong> etwas, das von außen in ihn hin einkommt? Da kam ruach in