Lehrertag 2006 - Pädagogisches Institut der EKvW

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01.12.2014 Aufrufe

- 77 - Angebot – nicht mehr, aber auch nicht weniger – dessen Annahme oder Nichtannahme in jedem Fall freiwillig bleiben muss. Soviel an dieser Stelle zum Recht der Schule, christliche Präsenz in der Schule zu stärken. Warum aber kann und sollte sie ein Interesse daran haben? Weil sie ein Interesse an ganzheitlicher, die Person betreffender Bildung (hier: unter Einschluss von Sinn- und Wertfragen) hat. Weil sie ein Interesse an der Unterstützung bestimmter sozialer Überzeugungen und Verhaltensmuster hat, deren Verbreitung durch christliche Präsenz in der Schule zwar nicht intendiert, de facto aber geleistet wird (hier etwa: altruistisches Engagement, soziale Verbindlichkeit, ästhetisches Interesse). Weil sie ein Interesse an der Stärkung und Stabilisierung der einzelnen Schülerinnen und Schüler (hier: seelsorglich-gottesdienstlich-jugendbegleitende Zuwendung) hat. Weil sie ein Interesse an der Einbindung von Schule in das Gemeinwesen und seine Institutionen (hier: die Kirche) hat. Und weil sie ein Interesse daran hat, dass Schüler wie Lehrer sich bewusst halten, dass sie von Voraussetzungen leben, die sie nicht selbst geschaffen haben, dass menschliche Leistung und gesellschaftlich-schulische Wertsetzungen nicht verabsolutiert werden dürfen. Wenn man so will: Der Schule liegt an christlicher Präsenz um ihrer Selbstbegrenzung willen. Religion tut Not um pädagogischer Selbstbescheidung willen (genauer: um die regulative Idee pädagogischer Selbstbescheidung institutionell präsent zu halten). 40 Diese Selbstbescheidung als regulative Idee tut Not angesichts der Wertvorstellungen, die in den aktuell favorisierten Reformvorschlägen wirksam werden: „Entfaltung von Individualität“ und Verantwortung (NRW, Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft), Selbständigkeit und Effizienz (Heinz Klippert) 41 , vor allem aber Leistungsfähigkeit und Elitebildung und nicht zuletzt Sozialisation in die Konkurrenzgesellschaft (Schulzeitverkürzung). Evangelisches Bildungsverständnis, das im RU ebenso wie in christlicher Präsenz in der Schule Ausdruck finden soll, hält demgegenüber bewusst: „Im Prozeß der Bildung geht es ... um den Prozeß der Subjektwerdung des Menschen in der Gesellschaft als ein ständiges Freilegen seiner ihm gewährten Möglichkeiten. Diesem Prozeß bleibt das Personsein als Grund der menschlichen Freiheit und Selbstbestimmung stets voraus. Subjekt muß der Mensch im Prozeß seiner Bildung erst werden. Person ist er immer schon“ 42 – daraufhin gilt es die Schule zu optimieren, nicht zuerst und allein auf die effiziente Organisation hin. 6. Was Religionslehrer/innen tun und weiterhin tun sollten um der christlichen Präsenz im und außerhalb des RU willen Keine Angst: Keineswegs schwebt mir vor, dass die Religionslehrerinnen und -lehrer „christliche Präsenz in der Schule“ gänzlich selbst in die Hand nehmen und nun auch diese Aufgabe noch schultern. Sie können und sollen alles dies nicht selber „machen“. Was sie selber sollten, ist nach meiner Meinung Folgendes: - Sie sollten den Religionsunterricht nicht unter Wert verkaufen, d.h. sich nicht scheuen, existentielle Fragen anzusprechen, den Platz daseins- und 40 Diesen Gedanken stellt Karl Ernst Nipkow dar, um das Interesse des Staates am RU in der Schule zu begründen; vgl. ders.: Bildung als Lebensbegleitung und Erneuerung, Gütersloh (1990) 2. durchges. A. 1992, 436f. 41 Heinz Klippert: Pädagogische Schulentwicklung, Weinheim/Basel 2000. 42 Peter Biehl: Die Gottebenbildlichkeit des Menschen und das Problem der Bildung. Zur Neufassung des Bildungsbegriffs in religionspädagogischer Perspektive, in: ders.: Erfahrung, Glaube und Bildung, Gütersloh 1991, 124-223, hier 156.

- 78 - wertorientierender Fragen im Unterricht und die Grenzen ihrer unterrichtlichen Behandlung ausdrücklich markieren, auch durchaus über den Unterricht hinaus in den Raum und auf die Notwendigkeit gelebter Religion verweisen. - Sie können besser als niemand sonst im Blick auf christliche Präsenz in der Schule Handlungsbedarf identifizieren, ggf. entsprechende Angebote anstoßen und im Kollegium begründen, Kontakt aufnehmen zu Menschen, die hier hilfreich sein können. Sie können umgekehrt so gut wie niemand anders sonst schulexternen Trägern christlich-religiöser Elemente des Schullebens beratend zur Seite stehen, ihre Angebote zu koordinieren und zu vertreten, oder – zumindest – nicht skeptisch-abweisend reagieren, wenn eine Kirchengemeinde, ein Zweig der evangelischen/katholischen Jugendarbeit oder eine Caritas oder ein Diakonisches Werk einschlägige Aktivitäten anbietet. Sie als Religionslehrer/innen sind de facto die leibhaftigen „Schnittstellen“, Mittler zwischen Schule und Gemeinde – und ich bitte Sie, diese Aufgabe als Ihre zu erkennen. - Und auch Sie können wie die kirchlichen Mitarbeiter/innen „dran bleiben“ am Know-how für christliche Präsenz in der Schule: Kinder- und jugendgerechte Gottesdienste, Seelsorge an Kindern und Jugendlichen, Formen sozialpädagogischer Arbeit gehören nicht zum originären Kompetenzbereich von Religionslehrerinnen und -lehrern, wohl aber in den Horizont schul- und religionspädagogischer Arbeit. Angesichts dessen, dass Liturgik, Poimenik und z.T. auch Sozialpädagogik ihrerseits beachtliche Scheu vor schulbezogenen Fragen haben, können Sie sich bereits durch die bloße beharrliche Frage nach Gottesdienst, Seelsorge und Sozialarbeit mit Schüler/inne/n große Verdienste erwerben. Damit komme ich zum Schluss: Wenn Schule mehr sein soll als Unterricht, gerade auch im Bereich der Religion, dann erfordert dies Mut. Nicht jeder und jede im Kollegium wird Ihr Engagement gutheißen, die meisten werden Sie vielmehr kritisch beäugen und kommentieren. Auch die Schülerinnen und Schüler werden Ihnen – je nach Schulform – nicht unbedingt um den Hals fallen. Deshalb erfordern einzelne Schritte den Mut, sich als Repräsentant christlicher Religion in Anspruch nehmen zu lassen, und zugleich den Mut zum Experiment. Aber beides lohnt sich – denn es wird vielen Schülerinnen und Schülern christliche Religion von einer bisher unbekannten Seite zeigen, wird in ihnen vielleicht bisher stumme Saiten zum Klingen bringen, wird ihnen hoffentlich zu der Erfahrung verhelfen, dass christliche Religion keine weltfremde Angelegenheit ist, sondern ihrem Leben dienen will. Theologisch wie pädagogisch ist es jedenfalls an der Zeit nach Spuren Gottes im Alltag der Schule, in unserer zwar „religionsproduktiven“ (Joachim Höhn), aber glaubenssubversiven Lebenswelt zu suchen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

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Angebot – nicht mehr, aber auch nicht weniger – dessen Annahme o<strong>der</strong><br />

Nichtannahme in jedem Fall freiwillig bleiben muss.<br />

Soviel an dieser Stelle zum Recht <strong>der</strong> Schule, christliche Präsenz in <strong>der</strong> Schule zu<br />

stärken. Warum aber kann und sollte sie ein Interesse daran haben?<br />

Weil sie ein Interesse an ganzheitlicher, die Person betreffen<strong>der</strong> Bildung (hier: unter<br />

Einschluss von Sinn- und Wertfragen) hat.<br />

Weil sie ein Interesse an <strong>der</strong> Unterstützung bestimmter sozialer Überzeugungen und<br />

Verhaltensmuster hat, <strong>der</strong>en Verbreitung durch christliche Präsenz in <strong>der</strong> Schule<br />

zwar nicht intendiert, de facto aber geleistet wird (hier etwa: altruistisches<br />

Engagement, soziale Verbindlichkeit, ästhetisches Interesse).<br />

Weil sie ein Interesse an <strong>der</strong> Stärkung und Stabilisierung <strong>der</strong> einzelnen Schülerinnen<br />

und Schüler (hier: seelsorglich-gottesdienstlich-jugendbegleitende Zuwendung) hat.<br />

Weil sie ein Interesse an <strong>der</strong> Einbindung von Schule in das Gemeinwesen und seine<br />

<strong>Institut</strong>ionen (hier: die Kirche) hat.<br />

Und weil sie ein Interesse daran hat, dass Schüler wie Lehrer sich bewusst halten,<br />

dass sie von Voraussetzungen leben, die sie nicht selbst geschaffen haben, dass<br />

menschliche Leistung und gesellschaftlich-schulische Wertsetzungen nicht<br />

verabsolutiert werden dürfen. Wenn man so will: Der Schule liegt an christlicher<br />

Präsenz um ihrer Selbstbegrenzung willen. Religion tut Not um pädagogischer<br />

Selbstbescheidung willen (genauer: um die regulative Idee pädagogischer<br />

Selbstbescheidung institutionell präsent zu halten). 40<br />

Diese Selbstbescheidung als regulative Idee tut Not angesichts <strong>der</strong> Wertvorstellungen, die in den<br />

aktuell favorisierten Reformvorschlägen wirksam werden: „Entfaltung von Individualität“ und<br />

Verantwortung (NRW, Zukunft <strong>der</strong> Bildung – Schule <strong>der</strong> Zukunft), Selbständigkeit und Effizienz (Heinz<br />

Klippert) 41 , vor allem aber Leistungsfähigkeit und Elitebildung und nicht zuletzt Sozialisation in die<br />

Konkurrenzgesellschaft (Schulzeitverkürzung). Evangelisches Bildungsverständnis, das im RU ebenso<br />

wie in christlicher Präsenz in <strong>der</strong> Schule Ausdruck finden soll, hält demgegenüber bewusst: „Im<br />

Prozeß <strong>der</strong> Bildung geht es ... um den Prozeß <strong>der</strong> Subjektwerdung des Menschen in <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

als ein ständiges Freilegen seiner ihm gewährten Möglichkeiten. Diesem Prozeß bleibt das<br />

Personsein als Grund <strong>der</strong> menschlichen Freiheit und Selbstbestimmung stets voraus. Subjekt muß <strong>der</strong><br />

Mensch im Prozeß seiner Bildung erst werden. Person ist er immer schon“ 42 – daraufhin gilt es die<br />

Schule zu optimieren, nicht zuerst und allein auf die effiziente Organisation hin.<br />

6. Was Religionslehrer/innen tun und weiterhin tun sollten um <strong>der</strong> christlichen<br />

Präsenz im und außerhalb des RU willen<br />

Keine Angst: Keineswegs schwebt mir vor, dass die Religionslehrerinnen und -lehrer<br />

„christliche Präsenz in <strong>der</strong> Schule“ gänzlich selbst in die Hand nehmen und nun auch<br />

diese Aufgabe noch schultern. Sie können und sollen alles dies nicht selber<br />

„machen“. Was sie selber sollten, ist nach meiner Meinung Folgendes:<br />

- Sie sollten den Religionsunterricht nicht unter Wert verkaufen, d.h. sich nicht<br />

scheuen, existentielle Fragen anzusprechen, den Platz daseins- und<br />

40 Diesen Gedanken stellt Karl Ernst Nipkow dar, um das Interesse des Staates am RU in <strong>der</strong> Schule<br />

zu begründen; vgl. <strong>der</strong>s.: Bildung als Lebensbegleitung und Erneuerung, Gütersloh (1990) 2.<br />

durchges. A. 1992, 436f.<br />

41 Heinz Klippert: Pädagogische Schulentwicklung, Weinheim/Basel 2000.<br />

42 Peter Biehl: Die Gottebenbildlichkeit des Menschen und das Problem <strong>der</strong> Bildung. Zur Neufassung<br />

des Bildungsbegriffs in religionspädagogischer Perspektive, in: <strong>der</strong>s.: Erfahrung, Glaube und Bildung,<br />

Gütersloh 1991, 124-223, hier 156.

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