Lehrertag 2006 - Pädagogisches Institut der EKvW
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- 67 - Sozialisationstheoretisch kann Religionsunterricht als zwei- oder gar nur einstündiges Fach allein kaum effizient sein – zu wenig wird er gestützt durch eine quasi selbstverständliche Partizipation der Schüler/innen an Kirche, durch private kirchennahe Frömmigkeit, durch homogene Sozialisationsimpulse unter peers und anderen signifikanten Anderen. Das Thema des RU, die Frage nach Gott und nach dem Sinn des Lebens, kann nur davon profitieren, wenn es gleichsinnig an anderen Orten außerhalb wie innerhalb der Schule thematisiert wird. An dieser Effizienz muss nicht nur die Kirche als (Mit-)Verantwortliche für den RU Interesse haben, sondern auch der Staat als verantwortlicher Träger und die Schule vor Ort. Sie profitiert davon, wenn in der Selektions- und Allokationsinstanz Schule Fenster zur Selbstreflexion, zu altruistischem Verhalten, zu zweckfreiem Engagement offen gehalten werden. Christlicher Präsenz nicht allein im RU kommt eine korrektiv-kompensatorische Funktion zu, die gerade in der Schule Not tut, weil die Aufenthaltsdauer von Kindern und Jugendlichen in der Schule immer länger und immer prägender wird. Viertens: eine theologische Begründung Christliche Präsenz in der Schule jenseits des RU ist legitim und notwendig, weil darin christliche Religion authentisch Gestalt findet. Die Mitte christlicher Religion ist nicht der Diskurs darüber, sondern die religiöse Praxis. Glauben ist eine existentielle Grundhaltung, die sich nicht auf Kognition beschränken lässt, sondern auf ethische Bewährung und spirituellen Ausdruck drängt. Christliche Religion ist mehr als Wissen, sie will gestaltet werden: fides quaerens expressionem. Von dieser schlichten Grundüberlegung her ergibt sich, dass einerseits die Inhalte des Religionsunterrichts auf Angebote gelebter Religion verweisen und angewiesen sind, dass andererseits Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer, die sich dem Christentum verbunden fühlen, im Zeichen positiver Religionsfreiheit in der Schule Raum finden sollten, ihrer Religiosität Ausdruck zu verleihen – zumal dann, wenn diese zeitlich und sachlich zunehmend als ihr Lebensmittelpunkt fungiert (Ganztagsschule). Fünftens: ein ekklesiologisches bzw. kirchenschulpolitisches Argument Christliche Präsenz in der Schule jenseits des RU ist legitim und notwendig, weil sich darin das Bildungsengagement und das Bildungspotential der Kirche niederschlägt, eben ihr bildungsdiakonisches Selbstverständnis. Schulgottesdienste, seelsorgliche Angebote u.ä. sind nicht als Streben nach kirchlich-christlicher (Fremd-)Bestimmung und Überformung der Schule zu verstehen, sondern, ökonomisch gesprochen, als Dienstleistung bzw., theologisch formuliert, als diakonische Tat. Kirche erweist sich in diesen Angeboten als ‚Kirche für andere’ (Dietrich Bonhoeffer), der es damit nicht um Rekrutierung von Mitgliedern, Selbsterhalt oder Machtausübung geht, sondern um Hilfestellung im Bereich der Daseins- und Wertorientierung, auch um Hilfestellung bei der Bewältigung konkreter Übergangsund Krisensituationen für junge Menschen. Diese Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist niemand verpflicht, doch es steht jedermann frei. Für die Zielgruppe handelt es sich also um ein freiwillig wählbares Angebot; für die Kirche bzw. die Christ/innen als Anbieter handelt es sich so gesehen – ich verweise auf das „Wort zur Schulfrage“ der Synode der EKD von 1958 – um einen „freien Dienst an einer freien Schule“.
- 68 - Fünf Gründe habe ich genannt; fünf Gründe, warum sich Religionspädagoginnen und -pädagogen nicht auf Unterricht allein konzentrieren, sondern christliche Präsenz in der Schule auch jenseits des RU in Blick nehmen sollten. 3. Christliche Präsenz nicht allein im RU – was ist gemeint? Gestatten Sie mir an dieser Stelle zunächst eine Bemerkung zur Begrifflichkeit: Es ist nicht ganz einfach, für christlich-religiöse Angebote zum Schulprogramm bzw. zum Schulprofil eine angemessene Bezeichnung zu finden. Im katholischen Bereich ist die Rede von „Schulseelsorge“ oder „Schulpastoral“ üblich geworden – manche evangelischen Kirchen übernehmen diesen Begriff; doch mir scheint er als Programmbegriff nicht besonders glücklich gewählt. Denn die Breite der Angebote vom Gottesdienst bis zur schulnahen Jugendarbeit ist – jedenfalls in evangelischer Tradition – schwerlich unter dem Dach der „Seelsorge“ zu bündeln. Gerade außerhalb der Poimenik, also des wissenschaftlichen Fachgespräches über Seelsorge, wird unter „Seelsorge“ wie selbstverständlich Vier- Augen-Begegnung, individualisierte seelische Stärkung verstanden – also etwas, das im Schulleben eher die Ausnahme als die Regel, auf keine Fall aber gemeinsamer Nenner aller Angebote ist. Auch die Rede von der „schulbezogenen Arbeit der Kirchen“ birgt problematische Aspekte, denn sie betont zu sehr die (Initial-)Bedeutung der schulexternen Institution Kirche. Schulprogramme sollten jedoch aus der Schule selbst heraus entstehen; innerschulische Schaltstelle christlich-religiös geprägter Angebote sind in der Regel die Religionslehrer/innen. Erst bei der Realisierung von Angeboten sind die Kirchen mit ihren Ressourcen unverzichtbar. 17 Vorschlagen möchte ich Ihnen deshalb einen anderen Begriff, nämlich diesen: „Christliche Präsenz in der Schule nicht allein im Religionsunterricht“. Dieser Begriff umschließt viele Handlungsfelder und er betont, darin sehe ich vor allem seinen Vorzug, die Initiative und Verantwortung christlicher Schulangehöriger für die entsprechenden Angebote. Denn, dies ist ein entscheidender Punkt, christlichreligiöse Angebote zum Schulleben legitimieren sich rechtlich und sachlich vor allem daraus, dass sie den Bedürfnissen und Interessen der Schulangehörigen genügen – nicht aus den Handlungsmöglichkeiten der Institution Kirche. Die Begriffsklärung führt insofern auch zu einer sachlich gewichtigen Einsicht: Christliche Religion und Kirche können nur so viel zur Schule beitragen, wie die Schulangehörigen selbst abrufen, anstoßen oder auch selbst einbringen! Typisierend sind vor allem vier Formen christlicher Präsenz in der Schule jenseits des Religionsunterrichts zu unterscheiden (Schulgottesdienst, Schulseelsorge, Schulsozialarbeit, schulnahe Jugendarbeit), hinzu kommen unterrichtsbezogene oder aus dem Unterricht erwachsene Projekte. [Folie: Christliche Präsenz in der Schule nicht allein im RU] Näher erläutern möchte ich zwei, die das Potential der Kooperation von Schule und Kirche illustrieren. Das Kirchliche Angebot (Evangelische Kontaktstunde) betrifft bislang lediglich Grundschulen – obwohl es prinzipiell auch auf die Sekundarstufe I zu beziehen wäre. Es ist eine Besonderheit Nordrhein-Westfalens. 17 Systemtheoretisch wird die Rolle der Kirchen bei der „Schulseelsorge“ reflektiert in Gundo Lames: Schulseelsorge als soziales System, Stuttgart u.a. 2000.
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3. Christliche Präsenz nicht allein im RU – was ist gemeint?<br />
Gestatten Sie mir an dieser Stelle zunächst eine Bemerkung zur Begrifflichkeit: Es ist<br />
nicht ganz einfach, für christlich-religiöse Angebote zum Schulprogramm bzw. zum<br />
Schulprofil eine angemessene Bezeichnung zu finden.<br />
Im katholischen Bereich ist die Rede von „Schulseelsorge“ o<strong>der</strong> „Schulpastoral“<br />
üblich geworden – manche evangelischen Kirchen übernehmen diesen Begriff; doch<br />
mir scheint er als Programmbegriff nicht beson<strong>der</strong>s glücklich gewählt. Denn die<br />
Breite <strong>der</strong> Angebote vom Gottesdienst bis zur schulnahen Jugendarbeit ist –<br />
jedenfalls in evangelischer Tradition – schwerlich unter dem Dach <strong>der</strong> „Seelsorge“<br />
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Fachgespräches über Seelsorge, wird unter „Seelsorge“ wie selbstverständlich Vier-<br />
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„Christliche Präsenz in <strong>der</strong> Schule nicht allein im Religionsunterricht“. Dieser<br />
Begriff umschließt viele Handlungsfel<strong>der</strong> und er betont, darin sehe ich vor allem<br />
seinen Vorzug, die Initiative und Verantwortung christlicher Schulangehöriger für die<br />
entsprechenden Angebote. Denn, dies ist ein entscheiden<strong>der</strong> Punkt, christlichreligiöse<br />
Angebote zum Schulleben legitimieren sich rechtlich und sachlich vor allem<br />
daraus, dass sie den Bedürfnissen und Interessen <strong>der</strong> Schulangehörigen genügen –<br />
nicht aus den Handlungsmöglichkeiten <strong>der</strong> <strong>Institut</strong>ion Kirche. Die Begriffsklärung führt<br />
insofern auch zu einer sachlich gewichtigen Einsicht: Christliche Religion und Kirche<br />
können nur so viel zur Schule beitragen, wie die Schulangehörigen selbst abrufen,<br />
anstoßen o<strong>der</strong> auch selbst einbringen!<br />
Typisierend sind vor allem vier Formen christlicher Präsenz in <strong>der</strong> Schule jenseits<br />
des Religionsunterrichts zu unterscheiden (Schulgottesdienst, Schulseelsorge,<br />
Schulsozialarbeit, schulnahe Jugendarbeit), hinzu kommen unterrichtsbezogene o<strong>der</strong><br />
aus dem Unterricht erwachsene Projekte.<br />
[Folie: Christliche Präsenz in <strong>der</strong> Schule nicht allein im RU]<br />
Näher erläutern möchte ich zwei, die das Potential <strong>der</strong> Kooperation von Schule und<br />
Kirche illustrieren.<br />
Das Kirchliche Angebot (Evangelische Kontaktstunde) betrifft bislang lediglich<br />
Grundschulen – obwohl es prinzipiell auch auf die Sekundarstufe I zu beziehen wäre.<br />
Es ist eine Beson<strong>der</strong>heit Nordrhein-Westfalens.<br />
17 Systemtheoretisch wird die Rolle <strong>der</strong> Kirchen bei <strong>der</strong> „Schulseelsorge“ reflektiert in Gundo Lames:<br />
Schulseelsorge als soziales System, Stuttgart u.a. 2000.