Lehrertag 2006 - Pädagogisches Institut der EKvW
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- 63 - - die Profilierung von Schule fordert und erfordert die pädagogischen Gaben und Engagements der Lehrerinnen und Lehrer. Profilbildung nimmt sie als Menschen und Pädagogen mit individuellem Profil und Ethos ernst – und schreibt sie nicht länger auf eine Rolle als pädagogische Vollzugsbeamte fest. - die Profilierung von Schule ermöglicht ihr Eingehen auf örtliche Gegebenheiten: auf die Schülerschaft, auf kommunale gesellschaftliche Konstellationen, auf besondere Lernchancen, die sich etwa aus der Präsenz bestimmter Wirtschaftsbetriebe, bestimmter kultureller Einrichtungen etc. ergeben („Öffnung von Schule“). - die Profilierung von Schule ermöglicht den Aufbau ungewöhnlicher Bildungsangebote und trägt dem Umstand Rechnung, dass es in der Schule nicht nur standardisierbares Wissen und standardisierbare Fähigkeiten zu erwerben gibt, sondern jeweils neue methodische und fachliche Wege in den Kosmos des Wissens und Könnens gebahnt werden. - die Profilierung von Schule wertet „Schulleben“, „Erziehungsarbeit“ und „überfachliche“ methodische oder didaktische Optionen für Unterricht auf – der Fachunterricht tritt relativ zurück. 13 Es ist gut, dass all dies gleichsam „offiziell“ wiederentdeckt wird – viele mögen darum gewusst haben und aus diesen Motiven in Schulen gearbeitet haben, aber nun erst findet es ausdrücklich Anerkennung als schulisch sinnvolle Optionen. Freilich sind mit der Profilierung von Schule auch Schwierigkeiten verbunden: - Die erste Schwierigkeit ist einem Paradox geschuldet: Die Profilierung von Schule soll vom Kollegium gestaltet und gewollt werden – und eben dies wird nun von oben angeordnet. Wie gesagt: Hier begegnet ein schulpolitisches Paradox, das dem allgemeinen pädagogischen Paradox strukturell verwandt ist. - Die zweite Schwierigkeit: Über der Individualität von Schule darf nun nicht ins Hintertreffen geraten, dass Schulen junge Menschen mit vergleichbarem Wissen und Können ausstatten sollen. Die Einführung von Bildungsstandards ist insofern ein sachnotwendig komplementäres Moment gegenwärtiger Schulpolitik. Ob Standards ein taugliches Instrument sind, ob die Orientierung an ihnen die Profilierung von Schule gleichsam aufsaugen wird, ob sie den Ungeist des „teaching for testing“ in Schulen verstärken werden – das muss man sehen. Doch die Spannung zwischen sinnvoller pädagogischer Profilierung der Einzelschule und notwendiger Allgemeinheit schulischer Bildung muss man sehen und bearbeiten. - Eine dritte Schwierigkeit: Bemerkenswert wenig ist bei all den Reformen derzeit von der Grundidee pädagogischen Handelns die Rede – von der Förderung des Einzelnen, von „Bildung“ im emphatischen Sinne als Hilfe auf dem Weg vom Person-sein zum Subjekt-werden. Ausgangspunkt der Reformen ist vielmehr die mangelnde Leistungsfähigkeit des Bildungswesens, die Ertragsverbesserung von Schule ist ihr Ziel. Kurz: Es geht um die Verbesserung der Organisation „Schule“, nicht um die Schüler/innen oder gar die Lehrerinnen. Und schließlich möchte ich eine vierte Problemanzeige einspeisen, die unmittelbar zu unserem heutigen Thema führt. So groß die Koalition der Fürsprecher einer 13 Vgl. Landesinstitut für Schule und Weiterbildung (Hg.): Schulprogrammarbeit auf dem Prüfstand. Ergebnisse der Evaluation, Soest/Bönen 2002, 19.
- 64 - Profilbildung von Schule auch ist, bei aller Renaissance von Schulleben spielt Religion, insbesondere christliche Religion bisher kaum eine Rolle. Das ist um so bemerkenswerter als bis Ende des 19. Jahrhunderts (vielerorts bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts!) Religion die Säule des Schullebens war. Mit den Worten Karl Ernst Nipkows formuliert: „Nicht ohne geschichtliche Ironie ist nun eine Situation im Entstehen begriffen, in der die Freiheit und der plurale Spielraum, die die Kirchen anderen lange Zeit nicht zugestehen wollten, ihnen selbst vorenthalten wird. Das Christentum wird in seiner Bedeutung für das Schulcurriculum und die Schulkultur in Schulgesetzen nicht mehr erwähnt, und der Religionsunterricht, das Kernstück der ehemals christlichen Schule, wird marginalisiert.“ 14 Heute gilt: Schulpolitik und pädagogische Schulforschung sind auf dem Auge „Religion“ weitgehend blind!! - In den schulpolitischen Agenden der Bundesländer jedenfalls spielt Religionsund Ethikunterricht, spielt der gesamte Bereich pädagogischer Daseins- und Wertorientierung kaum eine Rolle. Schaut man zurück auf die reformerischen Ansätze der vergangenen Jahre stehen im Mittelpunkt jedenfalls organisatorische Optionen: Verkürzung der Schulzeit (G 8), Ganztagsschule, Bildungsstandards und die Verbesserung der Leistungsfähigkeit im Blick auf künftige internationale Vergleichsuntersuchungen – und zwar dezidiert nur in den vermeintlichen Kernfächern Deutsch, Mathe, dazu eine Fremdsprache und eine Naturwissenschaft, schließlich auch die Schulentwicklung in allen Facetten, die ich eingangs nannte – von religiöser Bildung und Wertorientierung als Aufgabe der Schule ist dabei so gut wie nie die Rede. Am deutlichsten wird diese Leerstelle an den nordrhein-westfälischen Reformschriften – angefangen vom Rahmenkonzept „Gestaltung des Schullebens und Öffnung der Schule“ (1988) über die Denkschrift „Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft“ (1995) bis hin zum Modellvorhaben „Selbständige Schule“ (2002/2003). Sie alle verlieren über Werte und Religion kaum ein Wort. Das hat den Vorzug, dass Werte und christliche Religion nicht in den Geruch kommen, staatlich funktionalisiert zu werden; es hat den Nachteil, dass sie überhaupt kaum mehr in den Blick kommen. - Noch drastischer fällt der Blick auf die schultheoretische und pädagogische Literatur aus. Kaum ein Autor oder eine Autorin, der Werte und christliche Religion reflexiv berücksichtigt. Mit Dietrich Benner, Hartmut von Hentig, Wolfgang Klafki, Jürgen Oelkers und einigen wenigen anderen sind die Namen der gegenwärtigen Pädagogen schnell benannt, die sich auf den Diskurs über Wertfragen oder gar Religion einlassen. 15 - Und schließlich: Die gesellschaftliche und politische Stimmungslage spiegelt Schwierigkeiten bei der Orientierung in Fragen der Lebensführung. Weniger die Orientierung an Idealen oder unverrechenbaren Kriterien ist gefragt als vielmehr das Ergreifen von – primär: ökonomischen – Chancen in einer Lebenswelt, deren Spielräume mittlerweile im Prinzip unbegrenzt sind, 14 Karl Ernst Nipkow: Bildung in einer pluralen Welt, Gütersloh 1998, hier Bd. 2, 93. 15 Entsprechend resümieren auch Albert Biesinger / Friedrich Schweitzer: „Von Religion ist in dieser Literatur [gemeint ist: erziehungswissenschaftliche Literatur zum Thema Schulentwicklung] so gut wie gar nicht die Rede“ (in: Religionspädagogische Perspektiven, in: Achim Battke u.a. (Hg.): Schulentwicklung – Religion – Religionsunterricht, Freiburg u.a. 2002, 77-99, hier 78). Vgl. dazu Karl Ernst Nipkow: Religiöse Bildung in einer pluralen Welt, Gütersloh 1998, hier Bd. 2, 96ff., Friedrich Schweitzer: Pädagogik und Religion, Stuttgart u.a. 2003.
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bemerkenswerter als bis Ende des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts (vielerorts bis in die 60er Jahre<br />
des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts!) Religion die Säule des Schullebens war. Mit den Worten Karl<br />
Ernst Nipkows formuliert: „Nicht ohne geschichtliche Ironie ist nun eine Situation im<br />
Entstehen begriffen, in <strong>der</strong> die Freiheit und <strong>der</strong> plurale Spielraum, die die Kirchen<br />
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Christentum wird in seiner Bedeutung für das Schulcurriculum und die Schulkultur in<br />
Schulgesetzen nicht mehr erwähnt, und <strong>der</strong> Religionsunterricht, das Kernstück <strong>der</strong><br />
ehemals christlichen Schule, wird marginalisiert.“ 14 Heute gilt: Schulpolitik und<br />
pädagogische Schulforschung sind auf dem Auge „Religion“ weitgehend blind!!<br />
- In den schulpolitischen Agenden <strong>der</strong> Bundeslän<strong>der</strong> jedenfalls spielt Religionsund<br />
Ethikunterricht, spielt <strong>der</strong> gesamte Bereich pädagogischer Daseins- und<br />
Wertorientierung kaum eine Rolle.<br />
Schaut man zurück auf die reformerischen Ansätze <strong>der</strong> vergangenen Jahre<br />
stehen im Mittelpunkt jedenfalls organisatorische Optionen: Verkürzung <strong>der</strong><br />
Schulzeit (G 8), Ganztagsschule, Bildungsstandards und die Verbesserung<br />
<strong>der</strong> Leistungsfähigkeit im Blick auf künftige internationale<br />
Vergleichsuntersuchungen – und zwar dezidiert nur in den vermeintlichen<br />
Kernfächern Deutsch, Mathe, dazu eine Fremdsprache und eine<br />
Naturwissenschaft, schließlich auch die Schulentwicklung in allen Facetten,<br />
die ich eingangs nannte – von religiöser Bildung und Wertorientierung als<br />
Aufgabe <strong>der</strong> Schule ist dabei so gut wie nie die Rede. Am deutlichsten wird<br />
diese Leerstelle an den nordrhein-westfälischen Reformschriften –<br />
angefangen vom Rahmenkonzept „Gestaltung des Schullebens und Öffnung<br />
<strong>der</strong> Schule“ (1988) über die Denkschrift „Zukunft <strong>der</strong> Bildung – Schule <strong>der</strong><br />
Zukunft“ (1995) bis hin zum Modellvorhaben „Selbständige Schule“<br />
(2002/2003). Sie alle verlieren über Werte und Religion kaum ein Wort. Das<br />
hat den Vorzug, dass Werte und christliche Religion nicht in den Geruch<br />
kommen, staatlich funktionalisiert zu werden; es hat den Nachteil, dass sie<br />
überhaupt kaum mehr in den Blick kommen.<br />
- Noch drastischer fällt <strong>der</strong> Blick auf die schultheoretische und pädagogische<br />
Literatur aus. Kaum ein Autor o<strong>der</strong> eine Autorin, <strong>der</strong> Werte und christliche<br />
Religion reflexiv berücksichtigt.<br />
Mit Dietrich Benner, Hartmut von Hentig, Wolfgang Klafki, Jürgen Oelkers und<br />
einigen wenigen an<strong>der</strong>en sind die Namen <strong>der</strong> gegenwärtigen Pädagogen<br />
schnell benannt, die sich auf den Diskurs über Wertfragen o<strong>der</strong> gar Religion<br />
einlassen. 15<br />
- Und schließlich: Die gesellschaftliche und politische Stimmungslage spiegelt<br />
Schwierigkeiten bei <strong>der</strong> Orientierung in Fragen <strong>der</strong> Lebensführung.<br />
Weniger die Orientierung an Idealen o<strong>der</strong> unverrechenbaren Kriterien ist<br />
gefragt als vielmehr das Ergreifen von – primär: ökonomischen – Chancen in<br />
einer Lebenswelt, <strong>der</strong>en Spielräume mittlerweile im Prinzip unbegrenzt sind,<br />
14 Karl Ernst Nipkow: Bildung in einer pluralen Welt, Gütersloh 1998, hier Bd. 2, 93.<br />
15 Entsprechend resümieren auch Albert Biesinger / Friedrich Schweitzer: „Von Religion ist in dieser<br />
Literatur [gemeint ist: erziehungswissenschaftliche Literatur zum Thema Schulentwicklung] so gut wie<br />
gar nicht die Rede“ (in: Religionspädagogische Perspektiven, in: Achim Battke u.a. (Hg.):<br />
Schulentwicklung – Religion – Religionsunterricht, Freiburg u.a. 2002, 77-99, hier 78). Vgl. dazu Karl<br />
Ernst Nipkow: Religiöse Bildung in einer pluralen Welt, Gütersloh 1998, hier Bd. 2, 96ff., Friedrich<br />
Schweitzer: Pädagogik und Religion, Stuttgart u.a. 2003.