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Lehrertag 2006 - Pädagogisches Institut der EKvW

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das Bild führt in das Gegenüber zum Gekreuzigten: Wir sehen ihn wie <strong>der</strong><br />

Hauptmann. Ich würde diese Gestalt des Hauptmanns zunächst einführen, ohne sein<br />

Bekenntnis zu zitieren. „Was meinen Sie: Was sagt <strong>der</strong> römische Hauptmann, <strong>der</strong><br />

hier dabeisteht?“ Erst in einem weiteren Schritt wäre in <strong>der</strong> Lektüre des Bibeltexts<br />

dieser Wendung des Bekenntnisses angesichts des Leidens nachzudenken.<br />

Auch die Schüler erreicht dieses Angesicht des Leidens: Wer könnte dieser für mich<br />

sein? Für eine wie immer vorläufige Antwort brauchen die Schüler Raum und Zeit.<br />

Daß solches Nachdenken schon vor aller religiösen Bestimmtheit in unserer<br />

gegenwärtigen Kultur schwierig genug ist, kann ich hier nur nennen. Der Hauptmann<br />

gibt ihnen nun eine Verstehenshilfe vor. Er ermöglicht damit die Öffnung des<br />

Christusbekenntnisses auf die Schüler hin. Man könnte sagen, mit diesem<br />

Bekenntnis geht die Auseinan<strong>der</strong>setzung um diesen Jesus am Kreuz, <strong>der</strong> Diskurs um<br />

diesen Christus weiter.<br />

Um in diese Bewegung des Christusbekenntnisses hineinzuführen, die dem<br />

christlichen Glauben eigentümlich ist, braucht es beides: Phasen offener<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung und Phasen des Abarbeitens an geprägter Tradition; dabei sind<br />

didaktisch sehr genau offene Lernwege, die die Erfahrungen und Perspektiven <strong>der</strong><br />

Schüler zulassen, auszubalancieren mit solchen Einheiten, die dieser Offenheit<br />

Orientierung geben, damit sie nicht zur Beliebigkeit wird. Orientierung am Bekenntnis<br />

heißt demnach nicht, daß die Gegenstände des Unterrichts vorgezeichnet wären,<br />

son<strong>der</strong>n daß alle Fragen des Lebens letztlich in einer Perspektive erscheinen, die<br />

durch das Christusbekenntnis bestimmt ist.<br />

Das Ziel des Religionsunterrichts kann demnach nicht die Herbeiführung von<br />

Glauben o<strong>der</strong> die Zustimmung zum Bekenntnis sein; es wäre schon viel erreicht,<br />

wenn die Schüler die Bedeutung des Christusbekenntnisses verstehen lernen sowohl<br />

nach seiner inhaltliche, kognitiven Seite wie nach seiner existenziellen Relevanz. In<br />

dieser Bestimmung sehe ich auch eine notwendige Entlastung <strong>der</strong><br />

Religionslehrerinnen und -lehrer: Weil das Gelingen <strong>der</strong> Lernwege ohnehin keiner<br />

garantieren kann 14 , genügt es, diese Orientierung im Blick zu behalten. Daß es zu<br />

einer Begegnung von Christusbekenntnis und religiöser Identität kommt, die sich<br />

dann als überzeugend und tragfähig erweisen kann, kann pädagogisch und<br />

didaktisch nicht hergestellt werden; es muß am Ende offen bleiben, wie die Schüler<br />

mit ihrer Lebensgeschichte jeweils darauf antworten.<br />

Ich kann die Richtung hier nur andeuten, in <strong>der</strong> sich religiöse Individualität und<br />

Christubekenntnis noch einmal neu durchdringen. Denn vom leidenden Christus her<br />

geraten die Kategorien in Bewegung, an denen wir Individualität normalerweise<br />

messen. Hier sehe ich auch Ansatzpunkte, um mit dem eingangs zitierten Schüler ins<br />

Gespräch zu kommen, <strong>der</strong> für seine lichten wie für seine dunklen Stunden selbst<br />

verantwortlich sein will. Der Gekreuzigte durchbricht die Fiktion des selbstmächtigen<br />

Subjekts, die mein Schüler so eigensinnig durchhalten wollte. Auch wo ihm das<br />

Dunkel wi<strong>der</strong>fährt, will er es nicht passiv hinnehmen, son<strong>der</strong>n will es wenigstens<br />

selbst gemacht haben. Wie kann dem Schüler die Gelegenheit gegeben werden,<br />

seine trotzige Selbstbehauptung einmal hinter sich zu lassen? Hier verbinden sich<br />

14<br />

Oelkers, Jürgen: Erziehen und Unterrichten. Grundbegriffe <strong>der</strong> Pädagogik in analytischer<br />

Sicht, Darmstadt 1985, (EdF), 218: „Der Lehrer weiß nie, was <strong>der</strong> Schüler wirklich lernt, selbst wenn<br />

dieser intendiert, zu lernen, weil auch <strong>der</strong> beste Test immer nur einen Ausschnitt des Gelernten<br />

verdeutlichen würde.“

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