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Lehrertag 2006 - Pädagogisches Institut der EKvW

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Malewitschs Bild ist keine Illustration und hat nicht einfach eine Aussage, die man<br />

aufnimmt, son<strong>der</strong>n for<strong>der</strong>t heraus. Durch den Kontext <strong>der</strong> Christusgeschichte, in dem<br />

es steht, sind die Assoziationen aber auch nicht beliebig. Gerade so provoziert das<br />

Bild auch die Wi<strong>der</strong>stände, die Lernprozesse brauchen: Der Gekreuzigte,<br />

ausgebreitet wie lebendig und doch <strong>der</strong> Christus am Kreuz, im Gesicht starr und tot?<br />

Ist es überhaupt Christus o<strong>der</strong> nicht ein namenloser Gekreuzigter? Das Bild wird<br />

frem<strong>der</strong>, uneindeutiger, je länger man hinsieht. Sind es die Kreuze <strong>der</strong> Schächer im<br />

Hintergrund o<strong>der</strong> Grabkreuze, rechts ein Grabgebäude o<strong>der</strong> eine militärische<br />

Wachstation? Eine Schülerin entdeckte im Gekreuzigten den Papst: Was an<strong>der</strong>e als<br />

Gesicht wahrnehmen, hat sie als Mitra gedeutet; <strong>der</strong> Stellvertreter Christi am Kreuz?<br />

Assoziationen sind produktiv: Was ist das Kreuz <strong>der</strong> Kirche - hängt sie nicht schon<br />

längst am Kreuz? Ist sie für die Schüler längst gestorben?<br />

Das Bild for<strong>der</strong>t nicht Antworten; das Bild nimmt erst einmal hinein in ein Gespräch,<br />

in einen Raum, in dem die Christusgeschichte dabei ist. Unterrichtspraktisch hat das<br />

auch die Funktion, daß das Bild die Assoziationen sortiert und lenkt, so daß Schüler<br />

und Lehrer bei diesem Gekreuzigten bleiben. Das Unterrichtsgespräch bleibt um den<br />

auch zunächst namenlosen Gekreuzigten zentriert, aber es ist nicht determiniert. Die<br />

Lücken, die das Bild läßt, erlauben, daß Erfahrungen des Leides, Ängste, und die<br />

Sehnsucht nach dem Ende von Leid und Tod Bil<strong>der</strong> und Sprache finden.<br />

Malewitsch’ Bild des Gekreuzigten ermöglicht in elementarer und sicher sehr<br />

anfänglicher Weise Lernwege, die mit dem zusammenhängen, was ich als<br />

„Christusbekenntnis“ bezeichnet habe. Im eigenen Wahrnehmen und<br />

Nachbuchstabieren <strong>der</strong> eigenen Eindrücke kann man sich lösen von eingefahrenen<br />

Gedankenwegen und sich probeweise zubewegen auf eine Geschichte, in <strong>der</strong><br />

vielleicht auch die Schüler ihren Platz finden können. Wie hier religiöse Individualität<br />

und Christusbekenntnis zusammenkommen können, indem Vertrautes wie Fremdes<br />

<strong>der</strong> Christusgeschichte in neuem Zusammenhang erscheint, wird noch zu bedenken<br />

sein. Im tastenden, explorativen Gespräch ist es zunächst die Aufgabe <strong>der</strong><br />

Religionslehrerinnen und -lehrer, die Schüler bei ihrer Sprachfindung zu<br />

unterstützen; die Lehrenden sind gleichsam Anwalt <strong>der</strong> religiösen Individualität <strong>der</strong><br />

Schüler.<br />

Ich fasse diesen ersten Teil zusammen: Die Begegnung mit dem Christus des<br />

Glaubens erfor<strong>der</strong>t didaktisch offene Wege, die es ermöglichen, die eigene religiöse<br />

Individualität in Eindrücken und Erfahrungen, aber auch in Wi<strong>der</strong>stand und<br />

Zustimmung zu artikulieren.<br />

Bisher habe ich von religiöser Individualität gesprochen, als wäre dieser Begriff<br />

unproblematisch vorauszusetzen. Jetzt muß freilich dieser Begriff genauer bedacht<br />

werden.<br />

Die Ambivalenzen religiöser Individualität<br />

Ich habe diesen Begriff bisher unterminologisch gebraucht für die religiösen<br />

Einstellungen, Orientierungen, aber auch Vorbehalte <strong>der</strong> Schüler, die sie in den<br />

Religionsunterricht mitbringen. Der Begriff ist aber auch in <strong>der</strong> gegenwärtigen<br />

Religionspädagogik und Religionssoziologie geradezu programmatisch.

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