Lehrertag 2006 - Pädagogisches Institut der EKvW
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vorgesehene wöchentliche professionelle Kooperations- und Austauschphasen im<br />
Rahmen spezifischer, auf die Schülerschaft und das Umfeld abgestimmter<br />
Schulprofile und -kulturen.<br />
Wenn die Hinweise zu den Verschiebungen hin zu Bildungszwang,<br />
Bildungsparadoxon und Schule als Risiko beachtet werden, dann muss daraus ein<br />
immer sensiblerer und vorsichtigerer Umgang mit Selektion und ein geschärftes<br />
Bewusstsein von Lehrkräften dafür resultieren, dass sie – auch jenseits eines engen<br />
professionellen Selbstverständnisses als Fachlehrer – tief- und weitreichend in die<br />
Selbstentwicklung und den Lebenslauf von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen eingreifen. Die<br />
Sensibilisierung und die Reflexion dieser Selektionsentscheidungen ist zwar von<br />
einzelnen Lehrern und Lehrergruppen im Rahmen von Einzelschulen zu leisten,<br />
stößt aber auf Handlungsgrenzen, weil es letztlich um grundlegende Probleme <strong>der</strong><br />
Schulorganisation geht. Hier sind die im Sinne stärkerer Bildungsgerechtigkeit<br />
fungierenden Schul-, Län<strong>der</strong>- und internationalen Vergleiche einerseits zu begrüßen:<br />
Sie ermöglichen – bei einem <strong>der</strong>art stark selektiven Schulsystem wie dem deutschen<br />
unerlässlich – eine stärkere Vergleichbarkeit und damit eine stärkere Gerechtigkeit<br />
und Gleichbehandlung. Zugleich kann mit diesen Vergleichen aber auch die Gefahr<br />
einher gehen, dass Leistung zum immer dominanteren Bezugspunkt in Schulen wird,<br />
was die Selektionsaufgabe von Lehrkräften eher noch stärker ins Zentrum rücken<br />
könnte. Insgesamt muss – vor dem Hintergrund <strong>der</strong> skizzierten Verschärfung <strong>der</strong><br />
Selektionsproblematik – das selektive Handeln in den Horizont <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />
Aufgabenkreise eingebettet werden. Selektion muss daran orientiert sein,<br />
Bildungsprozesse nicht zu belasten, son<strong>der</strong>n Bildungswege möglichst offen zu<br />
halten. Von daher sind Selektionsentscheidungen – z. B. das Ausson<strong>der</strong>n von<br />
Schülern o<strong>der</strong> das „Abschieben“ aus höheren Schulformen – beson<strong>der</strong>s<br />
begründungsbedürftig, auf die daraus resultierenden Probleme und Risiken für die<br />
Bildungswege von Schüler abzuklopfen und wie<strong>der</strong>um nur im Interesse (und im<br />
Gespräch) mit den betroffenen Jugendlichen und Eltern legitimierbar. Diese<br />
Orientierung verträgt sich gut mit einer Humankapitalperspektive, in <strong>der</strong> es letztlich<br />
darum geht, möglichst umfassend Bildungspotenziale zur Entfaltung zu bringen und<br />
dieselben möglichst nicht zu blockieren. Bei aller <strong>der</strong>artigen Sensibilität werden aber<br />
die strukturellen Wi<strong>der</strong>spruchsmomente zwischen <strong>der</strong> frühen und starken Selektion<br />
im deutschen Schulsystem und <strong>der</strong> professionellen Aufgabe <strong>der</strong> Initiierung und<br />
Beför<strong>der</strong>ung umfassen<strong>der</strong> Bildungsprozesse nicht wirklich aufzuheben sein.<br />
Weitreichen<strong>der</strong>e Entlastungen <strong>der</strong> Lehrerarbeit sind also nur im Rahmen<br />
umfassen<strong>der</strong> Umstrukturierungen des deutschen Bildungssystems zu erwarten, die<br />
entwe<strong>der</strong> in Richtung integrativerer Schulsysteme und späterer<br />
Selektionsentscheidungen o<strong>der</strong> <strong>der</strong> stärkeren Öffnung zwischen Schulformen und<br />
<strong>der</strong> Erleichterung von Übergängen weisen müssen.<br />
Wenn die Diagnosen stimmig sind, dass Schule als Bildungs- und Lernraum von<br />
an<strong>der</strong>en Bildungs- und Erfahrungsräumen Konkurrenz erhält, eher veralltäglicht und<br />
entauratisiert wird und Jugendliche gleichzeitig in eine stärker auf Begründung und<br />
Legitimation drängende Haltung eintreten, dann resultieren daraus Konsequenzen<br />
für das professionelle Lehrerhandeln:<br />
1. Diese Herausfor<strong>der</strong>ung zu einer stärkeren Begründung und schulischen<br />
Sinnstiftung muss angenommen werden. Sowohl in expliziter Hinsicht, also<br />
immer dann, wenn mehr o<strong>der</strong> weniger grundlegende Anfragen nach dem<br />
Sinn, dem Zweck, warum überhaupt, warum nicht an<strong>der</strong>s etc. auftauchen.<br />
Vor allem aber auch in <strong>der</strong> Arbeit an <strong>der</strong> Sache, in <strong>der</strong> stärker als bislang die