Lehrertag 2006 - Pädagogisches Institut der EKvW
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- 35 - stützendes Feld ausfällt (Familie als „verlängerter Arm der Schule“ bzw. „Überanpassung der Familie an die Schule“); 4. schließlich Jugendliche aus bildungsorientierten Familien mit hohen Schulabschlüssen und Bildungstiteln der Eltern, wobei diese Jugendlichen deutlich unter diesen Bildungsabschlüssen bleiben (sogenannte „missratene Söhne und Töchter“). - Allerdings kann es Jugendlichen gelingen, sich gegen derartige Belastungen aus schulischen Versagenskarrieren zu immunisieren. Insbesondere dann, wenn sie starke Einbindungen in subkulturelle Szenen und Cliquen aufweisen, die deutlich schuldistanziert oder schuloppositionell sind und darin auf der Ebene der Peers umfassende Anerkennung und emotionale Stützung erfahren (vgl. Fend 2000). Das Fatale daran ist, dass diese Stützung ihres Selbst und die Kompensation ihrer Entwertung durch diese Peermilieus zugleich eine weitere Verstärkung der Schuldistanz impliziert, weil sie nun für schuloppositionelle Haltungen die Anerkennung ihrer Freunde erhalten. Kurz: Je nachdem welche Schulform und hier wiederum: welche Schule, mit welchen konkreten Bedingungen, Einzugsgebieten und regionalen Milieubezügen Jugendliche besuchen, erfahren sie eine sehr unterschiedliche Förderung und Unterstützung ihrer kognitiven Bildungsprozesse, ihrer Kompetenz- und Wissensentfaltung oder auch weitere Problemverschärfungen, Belastungen und Exklusion. Und für einen relevanten Teil der versagenden oder unter starkem Erfolgsdruck stehenden Jugendlichen resultieren daraus zusätzliche psychosoziale Belastungen und Destabilisierungen, die ihre schulischen Bildungsprozesse zusätzlich erheblich behindern. Vom schulischen Bildungsmonopol zur Diversifizierung von Bildungs- und Lernorten Jugendlicher - Dieser These muss eine Relativierung vorausgeschickt werden: Das schulische Bildungsmonopol ist nämlich schon immer durch familiäre Bildung relativiert, denn die Familie ist neben der Schule ein zweiter zentraler Ort von Lernprozessen, die geradezu die Basis für schulische Bildungsprozesse darstellen. Gerade für das deutsche Schulsystem, das zeigt sich im internationalen Vergleich, sind diese familiär erworbenen Bildungsressourcen und das familiäre kulturelle Kapital hoch bedeutsam für den Erfolg in den schulischen Bildungsprozessen (vgl. Baumert u.a. 2003). - Daneben aber – und dies ist mit der These der Relativierung des schulischen Bildungsmonopols im Kern gemeint – entfalten sich vielfältige Möglichkeiten für Lernen und Bildung außerhalb der Schule: Im Rahmen von Vereinen und außerschulischen kulturellen Einrichtungen, im Kontext jugendkultureller Netzwerke und Peerzusammenhänge, im Zusammenhang neuer medialer, virtueller Lern- und Erfahrungsräume. All dies wird unter dem Stichwort einer Ausweitung und Pluralisierung informellen Lernens oder informeller Bildung gefasst (vgl. Grunert 2005). - Damit entstehen für Kinder und Jugendliche neue und erweiterte Möglichkeiten eines freieren, offenen, selbstgesteuerten, insbesondere auch medialen Zugangs zu umfassenden Wissensbeständen jenseits der Schule: Jugendliche können sich verstärkt eigengesteuerte Wissens- und Bildungszugänge, die sie viel stärker selbstständig gestalten können und die enger mit ihren Interessen verbunden sind, jenseits von Schule und Lehrern und den dort gegebenen asymmetrischen und zwangsförmigen Erfahrungsräumen eröffnen.
- 36 - - Insbesondere im Zusammenhang jugendlicher Szenen und jugendkultureller Bildungsräume werden auch virtuose Bildungskarrieren möglich, indem sich Jugendliche im Zusammenhang jugendkultureller Praktiken, ästhetischer jugendkultureller Gestaltungsformen, im Zusammenhang jugendlicher Stile und Inszenierungsformen im Bereich von Musik, Tanz, Events, Körperpraktiken und Sport sowie der Gestaltung und Nutzung der virtuellen Medienwelten umfassend jugendkulturelles Kapital aneignen, das sie zu Vorreitern kultureller Neuerungen und Trends werden lässt (vgl. du Bois-Reymond 2000). - Damit ist auch eine Relativierung der Bildungsbedeutsamkeit von Schule und Unterricht für Jugendliche verbunden, die teilweise die für sie wesentlichen und zentralen Bildungs- und Erfahrungsprozesse neben und außerhalb der Schule vollziehen. So setzen sich kindlich-jugendliche Bildungsbiographien zunehmend aus ausdifferenzierten und pluralisierten Erfahrungsräumen und Bildungsorten zusammen, so dass Bildungsbiographien entstehen, die aus vielfältigen Puzzleteilen bestehen, die neben nach wie vor schulischen Bildungssegmenten zunehmend auch aus informellen, medialen und Peersegmenten bestehen. Kurz: Aus diesen Entwicklungen resultiert, dass die Schule und die Schulabschlüsse zwar einerseits immer bedeutsamer werden, zugleich aber die Schule durch andere Wege der Wissensaneignung, des Lernens, der Entfaltung von Fähigkeiten neben, jenseits und auch gegen die Schule Konkurrenz erhält. Lehrer als Wissensvermittler werden in ihrer Position relativiert und der inhaltliche Sinn der Schule und der Schulzeit wird damit begründungsbedürftiger und ist weniger selbstverständlich. Bildung wird nicht mehr ausschließlich von der Schule erwartet und die Schule kann in den Augen Jugendlicher sogar zu einem rigiden, mit weniger Optionen versehenen Bildungsraum werden, der sie von ihren eigentlichen Bildungs- und Erfahrungsprozessen eher abhält. Vom Befehls- zum Verhandlungshaushalt – zur Ambivalenz von Individuationsund Autonomieansprüchen von Jugendlichen - Insgesamt ist die Jugendphase dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht nur lebensgeschichtlich „länger“ andauert, sondern dass es zu einer Vorverlagerung von Ansprüchen auf Teilhabe, Mitsprache, auf eigene Entscheidungs- und Handlungsspielräume bei Jugendlichen kommt. Jugendliche stellen also früher und weitergehendere Ansprüche auf eigene Autonomie. Und sie erleben – selbst in schulischen Kulturen, die längst nicht mehr die Autorität und Machtasymmetrie früherer Jahrzehnte aufweisen – die Schule als fremd bestimmten, wenig partizipativen Raum, vor allem wenn es um die Kernzonen des Schulischen geht, etwa die Festlegung von Regeln oder die Gestaltung des Unterrichts (vgl. Krüger u.a. 2002, Helsper u.a. 2006). - Dies ist eingebunden in eine Relativierung starrer und stark asymmetrischer Autoritäts- und Generationsbeziehungen zwischen Alt und Jung, Groß und Klein, Erwachsenen und Jugendlichen. Erwachsene und somit auch Lehrer werden fraglicher und befragbarer. Erwachsenen kommt angesichts schneller kultureller, technologischer und sozialer Wandlungsprozesse nicht mehr per se Achtung und Anerkennung zu. Alte sind nicht mehr, wie noch in traditionalen oder moderat modernisierten Gesellschaften, die Erfahrenen, Weisen und Wissenden, sondern eher diejenigen, die nicht mehr mitkommen oder längst veraltetes Wissen als Ballast mitschleppen. Akzeptable Erwachsene und Ältere erscheinen vielmehr „jugendlich“, also: offen für Neues, flexibel, wandlungsfähig, suchend und kreativ.
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zunehmend auch aus informellen, medialen und Peersegmenten bestehen.<br />
Kurz: Aus diesen Entwicklungen resultiert, dass die Schule und die Schulabschlüsse<br />
zwar einerseits immer bedeutsamer werden, zugleich aber die Schule durch an<strong>der</strong>e<br />
Wege <strong>der</strong> Wissensaneignung, des Lernens, <strong>der</strong> Entfaltung von Fähigkeiten neben,<br />
jenseits und auch gegen die Schule Konkurrenz erhält. Lehrer als Wissensvermittler<br />
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Bildung wird nicht mehr ausschließlich von <strong>der</strong> Schule erwartet und die Schule kann<br />
in den Augen Jugendlicher sogar zu einem rigiden, mit weniger Optionen<br />
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Erfahrungsprozessen eher abhält.<br />
Vom Befehls- zum Verhandlungshaushalt – zur Ambivalenz von Individuationsund<br />
Autonomieansprüchen von Jugendlichen<br />
- Insgesamt ist die Jugendphase dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht nur<br />
lebensgeschichtlich „länger“ andauert, son<strong>der</strong>n dass es zu einer Vorverlagerung<br />
von Ansprüchen auf Teilhabe, Mitsprache, auf eigene Entscheidungs- und<br />
Handlungsspielräume bei Jugendlichen kommt. Jugendliche stellen also früher<br />
und weitergehen<strong>der</strong>e Ansprüche auf eigene Autonomie. Und sie erleben – selbst<br />
in schulischen Kulturen, die längst nicht mehr die Autorität und Machtasymmetrie<br />
früherer Jahrzehnte aufweisen – die Schule als fremd bestimmten, wenig<br />
partizipativen Raum, vor allem wenn es um die Kernzonen des Schulischen geht,<br />
etwa die Festlegung von Regeln o<strong>der</strong> die Gestaltung des Unterrichts (vgl. Krüger<br />
u.a. 2002, Helsper u.a. <strong>2006</strong>).<br />
- Dies ist eingebunden in eine Relativierung starrer und stark asymmetrischer<br />
Autoritäts- und Generationsbeziehungen zwischen Alt und Jung, Groß und Klein,<br />
Erwachsenen und Jugendlichen. Erwachsene und somit auch Lehrer werden<br />
fraglicher und befragbarer. Erwachsenen kommt angesichts schneller kultureller,<br />
technologischer und sozialer Wandlungsprozesse nicht mehr per se Achtung und<br />
Anerkennung zu. Alte sind nicht mehr, wie noch in traditionalen o<strong>der</strong> mo<strong>der</strong>at<br />
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eher diejenigen, die nicht mehr mitkommen o<strong>der</strong> längst veraltetes Wissen als<br />
Ballast mitschleppen. Akzeptable Erwachsene und Ältere erscheinen vielmehr<br />
„jugendlich“, also: offen für Neues, flexibel, wandlungsfähig, suchend und kreativ.