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Lehrertag 2006 - Pädagogisches Institut der EKvW

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Darin sind Lehrer verstrickt und so erscheinen sie in Bil<strong>der</strong>n und Rückerinnerungen<br />

häufig auch in polarisierten Gestalten. Ich möchte hier – im Unterschied zur eher<br />

dominierenden Negativsicht – auf positive Entwürfe des Lehrers hinweisen:<br />

Etwa bei Sigmund Freud, <strong>der</strong> bei aller Ambivalenz gegenüber <strong>der</strong> Schule, in seiner<br />

Jubiläumsrede an seinem alten Gymnasium, die Bedeutung <strong>der</strong> Lehrer für die<br />

Bildung und Entwicklung <strong>der</strong> Gymnasiasten würdigte. Sie nehmen in den<br />

Entidealisierungsprozessen <strong>der</strong> Jugend, die Stelle des Vaters ein, <strong>der</strong> nun als Ideal<br />

entthront wird: „Diese Männer (die Gymnasialprofessoren, W.H.) die nicht einmal alle<br />

selbst Väter waren, wurden uns zum Vaterersatz. Darum kamen sie uns auch wenn<br />

sie noch sehr jung waren, so gereift, so unerreichbar erwachsen vor. Wir übertrugen<br />

auf sie den Respekt und die Erwartungen von dem allwissenden Vater unserer<br />

Kindheitsjahre, und dann begannen wir, sie zu behandeln wie unsere Väter zuhause.<br />

Wir brachten ihnen die Ambivalenzen entgegen, die wir in <strong>der</strong> Familie erworben<br />

hatten, und mit Hilfe dieser Einstellung rangen wir mit ihnen, wie wir mit unseren<br />

leiblichen Vätern zu ringen gewohnt waren.“ (Freud 1979, S. 240)<br />

O<strong>der</strong> Albert Camus, kurz nachdem er den Literatur-Nobelpreis 1957 verliehen<br />

bekam, in einem Brief an seinen ehemaligen Lehrer: „Doch als ich die Nachricht<br />

erhielt, galt mein erster Gedanke, nach meiner Mutter, Ihnen. Ohne Sie, ohne Ihre<br />

liebevolle Hand, die Sie dem armen, kleinen Kind, das ich war, gereicht haben, ohne<br />

Ihre Unterweisung und Ihr Beispiel wäre nichts von allem geschehen.“ (Camus 1996,<br />

Der erste Mensch, S. 376)<br />

O<strong>der</strong> Pierre Bourdieu, <strong>der</strong> große französische Soziologe in seinem „soziologischen<br />

Selbstversuch“, in dem er die Härte, die Demütigungen, die Not und Kämpfe im<br />

Internat, das „dunkle, nächtliche Gesicht“ <strong>der</strong> Schule, mit dem Unterricht kontrastiert,<br />

„wo völlig an<strong>der</strong>e Werte vermittelt wurden und die Lehrer, vor allem die Frauen, uns<br />

eine ganze Welt geistiger Entdeckungen und menschlicher Beziehungen nahe<br />

brachten, die man nur als verzaubert bezeichnen kann.“ (Bourdieu 2002, S. 103)<br />

Derartige autobiographische Schil<strong>der</strong>ungen o<strong>der</strong> Kommentare zur Bedeutung von<br />

Lehrerinnen und Lehrern muten mitunter an, als wären sie ein Echo vergangener<br />

Bildungszeiten. Aber Vorsicht: Insbeson<strong>der</strong>e in schülerbiographischen Studien wird<br />

immer wie<strong>der</strong>, auch für die letzten Jahrzehnte, auf die große Bedeutung von<br />

Lehrerinnen und Lehrern verwiesen: So hebt etwa Dieter Nittel in seiner<br />

schülerbiographischen Studie zu Gymnasiasten hervor, dass Lehrer signifikante, also<br />

unersetzbare, für die Biographie überaus bedeutsame Erwachsene für Schüler<br />

werden können (Nittel 1992). In einer eigenen schülerbiographischen Studie des<br />

„Abstiegs“ vom Elitegymnasiasten zum Hauptschüler und <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>einmündung in<br />

die gymnasiale Oberstufe einer Gesamtschule (vgl. die Fallstudie „Moritz“ in: Helsper<br />

1997) konnte verdeutlicht werden, dass insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Kunstlehrer in <strong>der</strong><br />

Oberstufe zu einer zentralen Person für die Stabilisierung <strong>der</strong> Bildungslaufbahn<br />

wurde: Über den Kunstunterricht hinaus eröffnete er als selbst praktizieren<strong>der</strong><br />

Künstler durch das Angebot an interessierte Schüler, einmal in <strong>der</strong> Woche bis in den<br />

Abend hinein mit ihm zusammen in seinem Atelier zu arbeiten, einen Diskussionsund<br />

insbeson<strong>der</strong>e ästhetischen Gestaltungs- und Auseinan<strong>der</strong>setzungsraum, <strong>der</strong> für<br />

Moritz zu einem entscheidenden Impuls für seine ästhetischen Bildungsprozesse<br />

sowie zu einem wichtigen Forum für seine biographische Auseinan<strong>der</strong>setzung und<br />

die Entwicklung seines Selbst wurde.<br />

In einer Studie an einem Gymnasium des Ruhrgebietes stießen wir in einem gerade<br />

abgeschlossenen Forschungsprojekt (vgl. Helsper u.a. <strong>2006</strong>) auf den Abiturienten<br />

Tobias Silone, <strong>der</strong> als Sohn italienischer Eltern, die seit Jahrzehnten ein Restaurant<br />

mit bestem Ruf betreiben, in Deutschland geboren wurde. Er ist einer <strong>der</strong> besten<br />

Abiturienten dieser Schule und von Eltern, Mitschülern und insbeson<strong>der</strong>e Lehrern

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