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Lehrertag 2006 - Pädagogisches Institut der EKvW

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die Aufgabenbereiche 3 bis 5, die nur in einer verallgemeinerten Perspektive auf die<br />

Gesamtbedeutung <strong>der</strong> Schule in den Blick geraten, sind häufig gegenüber <strong>der</strong><br />

Dominanz von und <strong>der</strong> Begrenzung auf die Fachinhalte abgeblendet. Gerade darin<br />

aber wird die eminente Bedeutung <strong>der</strong> Schule im vollen Umfang sichtbar, an <strong>der</strong><br />

je<strong>der</strong> Lehrer partizipiert und zu <strong>der</strong> er beiträgt.<br />

2. Strukturwandel des Aufwachsens<br />

Ich möchte im Folgenden nun die Herausfor<strong>der</strong>ungen in den Mittelpunkt rücken, die<br />

für Schule und Lehrer aus den Verän<strong>der</strong>ungen im Verhältnis von Jugend und Schule<br />

resultieren. Dabei werde ich in einem ersten Schritt diese Verän<strong>der</strong>ungen skizzieren<br />

und insbeson<strong>der</strong>e auf Ambivalenzen hinweisen, die sich im Laufe <strong>der</strong> letzten<br />

Jahrzehnte im Verhältnis von Schule und Jugend herausgebildet haben (vgl. auch<br />

Helsper/Böhme 2002).<br />

Jugend und Schule – dieses Verhältnis erscheint, nicht nur auf den ersten Blick, als<br />

spannungsreich. Mitunter gar so spannungsreich, dass Hartmut von Hentig einmal<br />

vorgeschlagen hat, den frühadoleszenten Jugendlichen doch eine Auszeit von <strong>der</strong><br />

Schule zu gönnen, weil sie von grundsätzlichen Entwicklungs- und<br />

Individuationsprozessen umfassend in Anspruch genommen und Kopf und Sinne für<br />

die Schule nicht frei seien. Dazu ist – bei aller Relevanz, die dieser Hinweis besitzt –<br />

anzumerken, dass die Schule für die Entstehung von Jugend in ihrer mo<strong>der</strong>nisierten<br />

Gestalt zentral ist: Erst die Einführung <strong>der</strong> Schule für alle und die daran<br />

anschließende Expansion schulischer Bildung (auf 9 o<strong>der</strong> 10 Schuljahre) sowie die<br />

Expansion <strong>der</strong> „höheren“ Bildung haben die Freisetzung von Jugend als Zeit für<br />

Bildung, Auseinan<strong>der</strong>setzung, Reflexion und Wissenserwerb auch in<br />

außerschulischen Formen ermöglicht. Darin ruht das transformatorische, das<br />

innovative und Heranwachsende in ein Distanzverhältnis zu ihrer Herkunft und ihren<br />

bisherigen Weltsichten setzende Dezentrierungspotenzial <strong>der</strong> Schule: Schule<br />

ermöglicht die Erfahrung <strong>der</strong> Differenz, des An<strong>der</strong>s-Seins und -Werdens, <strong>der</strong><br />

Neuerung und Verän<strong>der</strong>ung sowohl im Sinne <strong>der</strong> Statustransformation als auch <strong>der</strong><br />

Transformation von Welt- und Selbstsichten. Daran gilt es gegenüber einer zu<br />

überbordenden Schulkritik zu erinnern: Schule ist historisch gesehen Raum <strong>der</strong><br />

Freisetzung und Optionsentfaltung von Jugend.<br />

Es ist dann schon fast ein historisches Paradox, dass dieser schulische Raum<br />

zunehmend als Raum <strong>der</strong> Verordnung, des Zwangs, <strong>der</strong> Heteronomie, <strong>der</strong><br />

Langeweile o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Sinnlosigkeit für Jugendliche in Erscheinung tritt. Das, was<br />

historisch gesehen Freisetzung ist, tritt Jugendlichen dann als <strong>Institut</strong>ion mit eigenen<br />

Zwängen, Regeln, heteronom gesetzten Ansprüchen und damit gerade nicht als von<br />

ihnen gestalteter und gewollter Bildungsraum entgegen. Allerdings nur „fast“ ein<br />

historisches Paradox: Denn Schule ist von Anfang an – neben den idealen Entwürfen<br />

von Bildung – immer auch Ort <strong>der</strong> Sozialdisziplinierung, <strong>der</strong> Unterwerfung und<br />

Unterordnung, <strong>der</strong> Erzeugung „gelehriger Körper“, disziplinierter Charaktere, williger<br />

Untertanen in unterschiedlicher Deutlichkeit gewesen – am schärfsten in den zwei<br />

erziehungsstaatlichen Diktaturen <strong>der</strong> deutschen Geschichte. Dies markiert von<br />

Anfang an die Ambivalenz des Schulischen: Als Versprechen <strong>der</strong> Freisetzung und<br />

Erweiterung und als Einfor<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> disziplinierenden Unterwerfung.

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