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Lehrertag 2006 - Pädagogisches Institut der EKvW

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Kenntnis eines Leibniz, die Weisheit eines Sokrates und die Liebe Jesu Christi. So<br />

soll Adolph Diesterweg das, hoffentlich augenzwinkernd, formuliert haben.<br />

Spätestens als ich den Namen Paul Tillichs las, kamen mir daran allerdings Zweifel<br />

(Diesterweg lebte von 1790 bis 1866). Aber von wem auch immer formuliert: auch<br />

ohne solche titanenhaften Ansprüche gibt es idealisierende Lehrerbil<strong>der</strong>. Sie sind<br />

Reflexe von Erfahrungen, aber auch Produkte von Wünschen und Erwartungen, sie<br />

legen sich wie ein Spinnennetz über unsere Beziehungen, bestimmen unser<br />

Verhalten und unsere Gefühle. Wer erinnert sich nicht an die liebevolle Karikatur des<br />

Physiklehrers aus <strong>der</strong> Feuerzangenbowle, <strong>der</strong> seinen Schülern die Dampfmaschine<br />

höchst anschaulich vor Augen malt? Bil<strong>der</strong> haben unterschiedliche Funktionen: Sie<br />

können bestätigen und legitimieren, sie können beschreiben und vorschreiben. Und<br />

sie hängen jeweils von <strong>der</strong> Perspektive ab, aus <strong>der</strong> sie ins Spiel gebracht werden.<br />

Ihre Kraft beziehen sie auch aus <strong>der</strong> Reduktion <strong>der</strong> Wirklichkeit auf überschaubare<br />

Strukturen. Am ehesten leuchten häufig die Bil<strong>der</strong> ein, die einzelne Züge beson<strong>der</strong>s<br />

hervortreten lassen und gar nicht erst den Anspruch erheben, die Spannungen und<br />

die Konflikthaltigkeit des Alltags einzufangen.<br />

Eine heute verbreitete Annahme ist die, das Leben sei – wenn man nur wolle – leicht<br />

zu meistern, die dazu notwendigen Potentiale seien in einem jeden Menschen<br />

vorhanden. Eine an<strong>der</strong>e Annahme ist jene, die erreichten Stützen zur Wertgebung<br />

des eigenen Lebens wie Beruf, Partnerschaft, eigenes Haus, Wohlstand, Freizeit<br />

trügen ihren Sinn hinreichend in sich selbst. Solchen unrealistischen Bil<strong>der</strong>n<br />

gegenüber ist ein Bildungsansatz zu vertreten, <strong>der</strong> eine nüchterne Analyse <strong>der</strong><br />

Wirklichkeit und <strong>der</strong> menschlichen Natur im Guten wie in den Abgründen des Bösen<br />

einschließt. Die Bibel spricht davon, dass <strong>der</strong> Mensch wenig niedriger gemacht ist als<br />

Gott (Psalm 8). Darin liegt ein großartiges Potential. Gleichzeitig zeigt nur zwei<br />

Psalmen davor das Bußgebet Herr, sei mir gnädig, denn ich bin schwach (Psalm 6),<br />

dass sich <strong>der</strong> Mensch<br />

immer wie<strong>der</strong> schmerzlich seines Unvermögens bewusst wird. Diese Maße des<br />

Menschlichen – so <strong>der</strong> Titel <strong>der</strong> EKD-Bildungsdenkschrift aus dem Jahr 2003 –<br />

müssen wir ehrlich und unverstellt wahrnehmen, in <strong>der</strong> Gesellschaft wie in Erziehung<br />

und Bildung. Sollten an<strong>der</strong>e Bil<strong>der</strong> dazu tendieren, den Menschen unter gnadenlose<br />

Imperative eines vermeintlichen Müssens zu zwingen, hat <strong>der</strong> christliche Glaube im<br />

Namen <strong>der</strong> jedem Menschen zugewandten Gnade Gottes zu wi<strong>der</strong>sprechen.<br />

Prinzipiell ist zwischen <strong>der</strong> Lebenslage als objektiver Gegebenheit und als<br />

subjektivem Bild zu unterscheiden. Die Lebenslage eines Menschen besteht nicht<br />

nur aus den von ihm unabhängig gegebenen Momenten (Arbeit haben o<strong>der</strong> nicht<br />

haben, behin<strong>der</strong>t sein o<strong>der</strong> nicht, Mann o<strong>der</strong> Frau sein), son<strong>der</strong>n auch daraus, wie<br />

man sich selbst sieht und deutet: die eigene Lage als Sicht dieser Lage, traditionell<br />

gesprochen als geistige Realität. Wer dies nicht berücksichtigt, verdinglicht den<br />

Menschen. Er stellt ihn und seine Lage als etwas Äußerliches und noch dazu<br />

unbeeinflussbares Schicksal hin. Gegen diese gesellschaftlich und wissenschaftlich<br />

bewirkte Selbstentfremdung (Wilhelm von Humboldt) hat ein selbst-reflexives<br />

Bildungsverständnis seit zweihun<strong>der</strong>t Jahren immer wie<strong>der</strong> aufbegehrt. Erwachsene<br />

müssen genauso wie Kin<strong>der</strong> und Jugendliche als Subjekte darauf angesprochen<br />

bleiben, dass sie sich selbst bestimmen können und dürfen.<br />

Die theoretischen Einteilungen, Kategorisierungen, Typologien helfen nur als<br />

vorläufige Suchinstrumente. Sie sollten zurückgelegt, geradezu vergessen werden,<br />

wenn je<strong>der</strong> es mit dem an<strong>der</strong>en in seiner unverwechselbaren einmaligen Lebenslage<br />

zu tun bekommt, weil er sich auf ihn ganz und gar konkret einlassen muss. Nach

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