01.12.2014 Aufrufe

Lehrertag 2006 - Pädagogisches Institut der EKvW

Lehrertag 2006 - Pädagogisches Institut der EKvW

Lehrertag 2006 - Pädagogisches Institut der EKvW

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

- 14 -<br />

das dort Erlittene zu sprechen. Es erfüllt uns mit Scham, was dabei zutage tritt. Aber<br />

wir dürfen uns davor nicht verschließen; denn wenn dieses Unrecht nicht beim<br />

Namen genannt wird, wird die Würde <strong>der</strong> betroffenen Menschen heute genauso<br />

verletzt wie damals. Das Wort <strong>der</strong> evangelischen Kirche zur Schulfrage atmet einen<br />

an<strong>der</strong>en Geist. Es stellt eine Absage an alle geschlossenen, totalitären und<br />

weltanschaulich-religiös überhöhten Bildungs- und Erziehungskonzepte dar – auch<br />

an alle mo<strong>der</strong>nen Zwänge funktionaler Verwertbarkeit von Bildungsleistungen.<br />

Dieser Ansatz reicht bis in die Zeit <strong>der</strong> Bekennenden Kirche zurück. Allerdings muss<br />

man sich auch deutlich machen, welches Verständnis von Freiheit dabei im Blick<br />

war. Exemplarisch kann man sich das an Überlegungen Dietrich Bonhoeffers<br />

verdeutlichen, dessen einhun<strong>der</strong>tsten Geburtstag wir vor einem Monat begangen<br />

haben. Das Leitbild, das er entwirft, ist durch verantwortete und verantwortliche<br />

Freiheit geprägt. Ein an<strong>der</strong>es Verständnis von Freiheit ist also leitend als dasjenige,<br />

das in den letzten Jahrzehnten unter <strong>der</strong> Vorherrschaft individualistischer Kategorien<br />

entworfen worden ist. Freiheit wird in diesem Leitbild niemals als nur je eigene<br />

Freiheit verstanden. Vielmehr muss gefragt werden, ob <strong>der</strong> Gebrauch <strong>der</strong> eigenen<br />

Freiheit auch gegenüber dem an<strong>der</strong>en verantwortet werden kann. Auf seine Freiheit<br />

Rücksicht zu nehmen, gilt nicht als Einschränkung <strong>der</strong> eigenen Freiheit, son<strong>der</strong>n als<br />

<strong>der</strong>en<br />

angemessener, nämlich verantwortlicher Gebrauch. Eines <strong>der</strong> Beispiele Dietrich<br />

Bonhoeffers bezieht sich ausdrücklich auf den pädagogischen Bereich. Ein Schüler,<br />

<strong>der</strong> von seinem Lehrer – unter Missachtung jeglichen pädagogischen Taktes – vor<br />

<strong>der</strong> Klasse gefragt wird, ob sein Vater oft betrunken nach Hause komme, reagiert, so<br />

Bonhoeffer, angemessen, wenn er diese Frage verneint. Denn er muss einen<br />

Lebenszusammenhang schützen, in den <strong>der</strong> Lehrer in unangemessener Weise<br />

eingedrungen ist. Die Verweigerung <strong>der</strong> – an sich zutreffenden – Auskunft ist die<br />

einzige Form, in <strong>der</strong> er nicht nur die eigene Freiheit, son<strong>der</strong>n auch die Freiheit seiner<br />

Nächsten wahren kann. Dieses Leitbild verantworteter und verantwortlicher Freiheit<br />

muss auch das Ethos des Lehrerberufs prägen. Das ist gewiss ein hoher Anspruch,<br />

<strong>der</strong> nicht in je<strong>der</strong> Situation und auch nicht von je<strong>der</strong> Lehrerin o<strong>der</strong> jedem Lehrer<br />

eingelöst werden kann.<br />

Je<strong>der</strong> kennt aus seiner Schülerbiographie überfor<strong>der</strong>te Lehrkräfte, bei denen<br />

sarkastische Bemerkungen, ironische Herabsetzungen, subtile Drohungen an <strong>der</strong><br />

Tagesordnung waren, o<strong>der</strong> solche, die ihren Narzissmus ungehemmt an den<br />

Schülerinnen und Schülern ausagierten. Auch Sie kennen Ihre Kollegien. Und wer<br />

ehrlich ist, wird sich selbst hier nicht einfach freisprechen. Und das ist gut so. Denn<br />

<strong>der</strong> unverstellte Blick <strong>der</strong> Lehrenden auf ihre eigene Unzulänglichkeit bedingt eine<br />

innere Freiheit, ohne die Lehren und Lernen nicht gelingen. Sie muss allerdings mit<br />

einer äußeren Freiheit korrespondieren, die nicht in Schulgesetzen,<br />

Organisationserlassen und<br />

Stoffplänen untergehen darf. Nur in dieser doppelten pädagogischen Freiheit können<br />

Lehrerinnen und Lehrer ihren Beruf kompetent, gerecht und verantwortungsbewusst,<br />

wie es die Kultusministerkonferenz ausdrückt, ausüben.<br />

2. Lehrer und Lehrerinnen brauchen ein realistisches Menschenbild.<br />

Mit Recht wünscht man dem Lehrer die Gesundheit und Kraft eines Germanen, den<br />

Scharfsinn eines Lessing, das Gemüt eines Hebbel, die Begeisterung eines<br />

Pestalozzi, die Wahrheit eines Tillich, die Beredsamkeit eines Salzmann, die

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!