Lehrertag 2006 - Pädagogisches Institut der EKvW

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01.12.2014 Aufrufe

- 13 - Lehrer untersagt ist, ein bestimmtes Instrument zu spielen, damit die Gleichberechtigung aller Instrumente nicht in Frage gestellt wird. Für ein umfassendes Verständnis von Bildung – unter Einschluss eines guten Religionsunterrichts und bei bewusster Pflege der Dialogkultur zwischen unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Positionen – sollte sich in meinem Verständnis die Gesellschaft im Ganzen engagieren. Sie muss insgesamt ein Interesse daran haben, dass Bildung nicht auf Ausbildung reduziert, sondern ganzheitlich wahrgenommen wird. Sie sollte im Ganzen die Forderung, dass junge Menschen auf gesellschaftliche und arbeitsweltorientierte Anforderungen vorbereitet werden, mit dem Widerstand dagegen verbinden, dass Bildung im Ganzen verzweckt und ökonomisiert wird. Wir brauchen in unserer Gesellschaft insgesamt einen neuen Bildungsdiskurs. Der besondere Beruf der Lehrerin und des Lehrers hat in diesem Rahmen seinen Ort. Der Begriff des Berufs ist ja eine reformatorische Prägung. Luther hat darauf beharrt, dass nicht nur diejenigen von Gott in ihren Stand berufen sind, die ein besonders heiligmäßiges Leben führen, die Mönche und Nonnen also. Sondern jeder Mensch führt sein Leben vor Gott. Jeder ist dazu berufen, einem besonderen Auftrag Gottes zu entsprechen und darin eine Aufgabe wahrzunehmen, die dem Nächsten zu Gute kommt. Göttlicher Auftrag und Liebe zum Nächsten bestimmen die Wahrnehmung jeder Tätigkeit, von der Stallmagd bis zum Fürsten, wie Luther sagen kann. Ehrenamtliche Tätigkeit und Familienarbeit sind in diesen Blick auf den Beruf gleichberechtigt einbezogen. Die stellvertretende Wahrnehmung einer gesellschaftlichen Schlüsselaufgabe und die Orientierung am Auftrag Gottes wie an der Liebe zum Nächsten – das sind also die beiden Grundzüge am Begriff des Berufs, der Profession, wie sie uns bisher entgegengetreten sind. Gesellschaftliche Anerkennung, persönliche Professionalität und Einsatzbereitschaft sowie die angemessene und faire Ausgestaltung und Ausstattung des Berufs – das sind die Folgerungen, die sich aus einem solchen Ansatz ergeben. Diese Gesichtspunkte sollen im Blick bleiben, wenn ich mich vertiefend Überlegungen zur Profession der Lehrerin und des Lehrers in evangelischer Perspektive zuwende. Dabei orientiere ich mich an dem Leitwort für den heutigen Tag, das vollständig so heißt: Der Herr ist der Geist; wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit. Ich tue das umso lieber, als es sich dabei um ein persönliches Leitwort von mir handelt. Immerhin wurde es meiner Frau - die übrigens Lehrerin ist - und mir vor vierzig Jahren als Trauspruch mit auf den Weg gegeben. Das prägt, wie alle wissen, die Vergleichbares erlebt haben. Deshalb muss ich mich wohl auch heute trauen, mich an dieses Wort zu halten. 1. Lehrerinnen und Lehrer brauchen Freiheit und fördern Freiheit. Das evangelische Bildungs- und Erziehungsverständnis ist vom Gedanken der Freiheit geprägt. Das hat die EKD-Synode in Berlin-Spandau in ihrem legendären Wort zur Schulfrage 1958, vor bald einem halben Jahrhundert also, erklärt. Sie hat sich auf die Freiheit berufen, zu der allein Christus befreit, und sich zu einem freien Dienst an einer freien Schule bereit erklärt. Das sind starke Worte. Denn man darf nicht vergessen: Das war eine Zeit, in der in den Schulen die Prügelstrafe noch an der Tagesordnung war und in vielen Heimen und Erziehungsanstalten – auch in evangelischer Trägerschaft – eine erschreckende Unfreiheit herrschte. Erst jetzt finden etliche Betroffene den Mut und die Kraft, über

- 14 - das dort Erlittene zu sprechen. Es erfüllt uns mit Scham, was dabei zutage tritt. Aber wir dürfen uns davor nicht verschließen; denn wenn dieses Unrecht nicht beim Namen genannt wird, wird die Würde der betroffenen Menschen heute genauso verletzt wie damals. Das Wort der evangelischen Kirche zur Schulfrage atmet einen anderen Geist. Es stellt eine Absage an alle geschlossenen, totalitären und weltanschaulich-religiös überhöhten Bildungs- und Erziehungskonzepte dar – auch an alle modernen Zwänge funktionaler Verwertbarkeit von Bildungsleistungen. Dieser Ansatz reicht bis in die Zeit der Bekennenden Kirche zurück. Allerdings muss man sich auch deutlich machen, welches Verständnis von Freiheit dabei im Blick war. Exemplarisch kann man sich das an Überlegungen Dietrich Bonhoeffers verdeutlichen, dessen einhundertsten Geburtstag wir vor einem Monat begangen haben. Das Leitbild, das er entwirft, ist durch verantwortete und verantwortliche Freiheit geprägt. Ein anderes Verständnis von Freiheit ist also leitend als dasjenige, das in den letzten Jahrzehnten unter der Vorherrschaft individualistischer Kategorien entworfen worden ist. Freiheit wird in diesem Leitbild niemals als nur je eigene Freiheit verstanden. Vielmehr muss gefragt werden, ob der Gebrauch der eigenen Freiheit auch gegenüber dem anderen verantwortet werden kann. Auf seine Freiheit Rücksicht zu nehmen, gilt nicht als Einschränkung der eigenen Freiheit, sondern als deren angemessener, nämlich verantwortlicher Gebrauch. Eines der Beispiele Dietrich Bonhoeffers bezieht sich ausdrücklich auf den pädagogischen Bereich. Ein Schüler, der von seinem Lehrer – unter Missachtung jeglichen pädagogischen Taktes – vor der Klasse gefragt wird, ob sein Vater oft betrunken nach Hause komme, reagiert, so Bonhoeffer, angemessen, wenn er diese Frage verneint. Denn er muss einen Lebenszusammenhang schützen, in den der Lehrer in unangemessener Weise eingedrungen ist. Die Verweigerung der – an sich zutreffenden – Auskunft ist die einzige Form, in der er nicht nur die eigene Freiheit, sondern auch die Freiheit seiner Nächsten wahren kann. Dieses Leitbild verantworteter und verantwortlicher Freiheit muss auch das Ethos des Lehrerberufs prägen. Das ist gewiss ein hoher Anspruch, der nicht in jeder Situation und auch nicht von jeder Lehrerin oder jedem Lehrer eingelöst werden kann. Jeder kennt aus seiner Schülerbiographie überforderte Lehrkräfte, bei denen sarkastische Bemerkungen, ironische Herabsetzungen, subtile Drohungen an der Tagesordnung waren, oder solche, die ihren Narzissmus ungehemmt an den Schülerinnen und Schülern ausagierten. Auch Sie kennen Ihre Kollegien. Und wer ehrlich ist, wird sich selbst hier nicht einfach freisprechen. Und das ist gut so. Denn der unverstellte Blick der Lehrenden auf ihre eigene Unzulänglichkeit bedingt eine innere Freiheit, ohne die Lehren und Lernen nicht gelingen. Sie muss allerdings mit einer äußeren Freiheit korrespondieren, die nicht in Schulgesetzen, Organisationserlassen und Stoffplänen untergehen darf. Nur in dieser doppelten pädagogischen Freiheit können Lehrerinnen und Lehrer ihren Beruf kompetent, gerecht und verantwortungsbewusst, wie es die Kultusministerkonferenz ausdrückt, ausüben. 2. Lehrer und Lehrerinnen brauchen ein realistisches Menschenbild. Mit Recht wünscht man dem Lehrer die Gesundheit und Kraft eines Germanen, den Scharfsinn eines Lessing, das Gemüt eines Hebbel, die Begeisterung eines Pestalozzi, die Wahrheit eines Tillich, die Beredsamkeit eines Salzmann, die

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Lehrer untersagt ist, ein bestimmtes Instrument zu spielen, damit die<br />

Gleichberechtigung aller Instrumente nicht in Frage gestellt wird.<br />

Für ein umfassendes Verständnis von Bildung – unter Einschluss eines guten<br />

Religionsunterrichts und bei bewusster Pflege <strong>der</strong> Dialogkultur zwischen<br />

unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Positionen – sollte sich in<br />

meinem Verständnis die Gesellschaft im Ganzen engagieren. Sie muss insgesamt<br />

ein Interesse daran haben, dass Bildung nicht auf Ausbildung reduziert, son<strong>der</strong>n<br />

ganzheitlich wahrgenommen wird. Sie sollte im Ganzen die For<strong>der</strong>ung, dass junge<br />

Menschen auf gesellschaftliche und arbeitsweltorientierte Anfor<strong>der</strong>ungen vorbereitet<br />

werden, mit dem Wi<strong>der</strong>stand dagegen verbinden, dass Bildung im Ganzen verzweckt<br />

und ökonomisiert wird. Wir brauchen in unserer Gesellschaft insgesamt einen neuen<br />

Bildungsdiskurs. Der beson<strong>der</strong>e Beruf <strong>der</strong> Lehrerin und des Lehrers hat in diesem<br />

Rahmen seinen Ort. Der Begriff des Berufs ist ja eine reformatorische Prägung.<br />

Luther hat darauf beharrt, dass nicht nur diejenigen von Gott in ihren Stand berufen<br />

sind, die ein beson<strong>der</strong>s heiligmäßiges Leben führen, die Mönche und Nonnen also.<br />

Son<strong>der</strong>n je<strong>der</strong> Mensch führt sein Leben vor Gott. Je<strong>der</strong> ist dazu berufen, einem<br />

beson<strong>der</strong>en Auftrag Gottes zu entsprechen und darin eine Aufgabe wahrzunehmen,<br />

die dem Nächsten zu Gute kommt. Göttlicher Auftrag und Liebe zum Nächsten<br />

bestimmen die Wahrnehmung je<strong>der</strong> Tätigkeit, von <strong>der</strong> Stallmagd bis zum Fürsten,<br />

wie Luther sagen kann. Ehrenamtliche Tätigkeit und Familienarbeit sind in diesen<br />

Blick auf den Beruf gleichberechtigt einbezogen.<br />

Die stellvertretende Wahrnehmung einer gesellschaftlichen Schlüsselaufgabe und<br />

die Orientierung am Auftrag Gottes wie an <strong>der</strong> Liebe zum Nächsten – das sind also<br />

die beiden Grundzüge am Begriff des Berufs, <strong>der</strong> Profession, wie sie uns bisher<br />

entgegengetreten sind. Gesellschaftliche Anerkennung, persönliche Professionalität<br />

und Einsatzbereitschaft sowie die angemessene und faire Ausgestaltung und<br />

Ausstattung des Berufs – das sind die Folgerungen, die sich aus einem solchen<br />

Ansatz ergeben. Diese Gesichtspunkte sollen im Blick bleiben, wenn ich mich<br />

vertiefend Überlegungen zur Profession <strong>der</strong> Lehrerin und des Lehrers in<br />

evangelischer Perspektive zuwende. Dabei orientiere ich mich an dem Leitwort für<br />

den heutigen Tag, das vollständig so heißt: Der Herr ist <strong>der</strong> Geist; wo aber <strong>der</strong> Geist<br />

des Herrn ist, da ist Freiheit. Ich tue das umso lieber, als es sich dabei um ein<br />

persönliches Leitwort von mir handelt. Immerhin wurde es meiner Frau - die übrigens<br />

Lehrerin ist - und mir vor vierzig Jahren als Trauspruch mit auf den Weg gegeben.<br />

Das prägt, wie alle wissen, die Vergleichbares erlebt haben. Deshalb muss ich mich<br />

wohl auch heute trauen, mich an dieses Wort zu halten.<br />

1. Lehrerinnen und Lehrer brauchen Freiheit und för<strong>der</strong>n Freiheit.<br />

Das evangelische Bildungs- und Erziehungsverständnis ist vom Gedanken <strong>der</strong><br />

Freiheit geprägt. Das hat die EKD-Synode in Berlin-Spandau in ihrem legendären<br />

Wort zur Schulfrage 1958, vor bald einem halben Jahrhun<strong>der</strong>t also, erklärt. Sie hat<br />

sich auf die Freiheit berufen, zu <strong>der</strong> allein Christus befreit, und sich zu einem freien<br />

Dienst an einer freien Schule bereit erklärt.<br />

Das sind starke Worte. Denn man darf nicht vergessen: Das war eine Zeit, in <strong>der</strong> in<br />

den Schulen die Prügelstrafe noch an <strong>der</strong> Tagesordnung war und in vielen Heimen<br />

und Erziehungsanstalten – auch in evangelischer Trägerschaft – eine erschreckende<br />

Unfreiheit herrschte. Erst jetzt finden etliche Betroffene den Mut und die Kraft, über

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