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Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit

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soll o<strong>der</strong> nicht. Dem Treuhän<strong>der</strong> verbleibt die Wahl, das <strong>in</strong> ihn gesetzte <strong>Vertrauen</strong> zu<br />

rechtfertigen o<strong>der</strong> zu enttäuschen (vgl. ebd. 121). Die entstandene Zeitlücke könnte man durch<br />

Verträge zu verr<strong>in</strong>gern versuchen. Allerd<strong>in</strong>gs s<strong>in</strong>d Verträge nie vollständig, sie verursachen<br />

Transaktionskosten, wenn sie juristisch e<strong>in</strong>geklagt werden sollen, <strong>und</strong> <strong>in</strong> vielen Situationen,<br />

<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>in</strong> politischen <strong>und</strong> sozialen Situationen lassen sich ke<strong>in</strong>e Verträge e<strong>in</strong>setzen, weil<br />

es „ke<strong>in</strong>en vere<strong>in</strong>barten Wertmaßstab gibt“(ebd. 125).<br />

Unter diesen Bed<strong>in</strong>gungen stellt <strong>der</strong> potentielle Treugeber dieselben Überlegungen an,<br />

wie e<strong>in</strong> rationaler Akteur, wenn er entscheidet, ob er e<strong>in</strong>e Wette abschließen soll 72 . Der Akteur<br />

kennt den Wette<strong>in</strong>satz (<strong>der</strong> mögliche Verlust = L 73 ), <strong>der</strong> bei <strong>Vertrauen</strong>smissbrauch auf dem<br />

Spiel steht; er weiß, wie viel er gew<strong>in</strong>nen kann (möglicher Gew<strong>in</strong>n = G) <strong>und</strong> welche<br />

Gew<strong>in</strong>nchancen (p) er hat. Dies, <strong>und</strong> nur dies (!), s<strong>in</strong>d für Coleman die entscheidenden<br />

Elemente <strong>der</strong> <strong>Vertrauen</strong>svergabe: „E<strong>in</strong> rationaler Akteur wird <strong>Vertrauen</strong> vergeben, ..., wenn<br />

das Verhältnis <strong>der</strong> Gew<strong>in</strong>nchance zur Verlustchance größer ist als das Verhältnis des<br />

Ausmaßes des möglichen Verlustes zum Ausmaß des möglichen Gew<strong>in</strong>ns“ (ebd. 126).<br />

<strong>Vertrauen</strong> wird folglich immer dann vergeben, wenn <strong>der</strong> Quotient aus <strong>der</strong> Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit<br />

e<strong>in</strong>er Bestätigung des <strong>Vertrauen</strong>s <strong>und</strong> <strong>der</strong> Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit e<strong>in</strong>er Enttäuschung ( p/1-p )<br />

größer ist als <strong>der</strong> Quotient aus möglichem Verlust <strong>und</strong> möglichem Gew<strong>in</strong>n ( L/G ). 74<br />

Nun kommt es auf die Modellierung <strong>der</strong> Variablen an. Wenn nicht genau bekannt ist,<br />

mit welcher Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit e<strong>in</strong>e bestimmte Person das entgegengebrachte <strong>Vertrauen</strong><br />

bestätigen wird, so muss das ke<strong>in</strong> H<strong>in</strong><strong>der</strong>nis für e<strong>in</strong>e <strong>Vertrauen</strong>s<strong>in</strong>vestition se<strong>in</strong>, wenn sich<br />

entsprechend <strong>der</strong> Gew<strong>in</strong>n gegenüber dem Verlust erhöht. Ist die Größe des möglichen Gew<strong>in</strong>ns<br />

nicht bekannt, so muss <strong>der</strong> Partner entwe<strong>der</strong> beson<strong>der</strong>s vertrauenswürdig se<strong>in</strong> o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Verlust<br />

sehr ger<strong>in</strong>g. Ist letztlich <strong>der</strong> mögliche Verlust nicht bekannt, so muss <strong>der</strong> erwartete Gew<strong>in</strong>n<br />

o<strong>der</strong> die <strong>Vertrauen</strong>swürdigkeit hoch se<strong>in</strong>.<br />

Trotz <strong>der</strong> auf den ersten Blick etwas trivial ersche<strong>in</strong>enden Berechnungen (vgl. Junge 1998,<br />

41), lässt sich e<strong>in</strong> breites Spektrum sozialer Phänomene aufzeigen. So modelliert Coleman<br />

72 Marcel Mauss (1984, 153) arbeitet <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em „Essai sur le don“ heraus, dass die Wörter Wette <strong>und</strong> wetten<br />

Übersetzungen für das juristische wadium s<strong>in</strong>d, <strong>und</strong> daher sowohl die Bedeutung von Wette, als auch von Pfand<br />

haben. E<strong>in</strong> Pfand hergeben bedeutet aber immer auch sich zu b<strong>in</strong>den, sowohl für denjenigen, <strong>der</strong> gibt, als auch für<br />

denjenigen, <strong>der</strong> empfängt. Genau diese Bedeutung ist jedoch für Coleman irrelevant, da e<strong>in</strong>e „B<strong>in</strong>dung“ jenseits<br />

<strong>der</strong> ökonomischen Kalkulation nicht durch das Modell erklärt wird.<br />

73 Ich halte mich hierbei an die Abkürzungen aus <strong>der</strong> deutschen Ausgabe <strong>in</strong> <strong>der</strong> Übersetzung von Michael Sukale,<br />

<strong>der</strong> die englischen Abkürzungen L für loss <strong>und</strong> G für ga<strong>in</strong> beibehielt. Mitunter f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Literatur für<br />

Colemans Gleichung auch das V für Verlust wie<strong>der</strong>. Die Abkürzung probability p ist allg. gebräuchlich.<br />

74 Coleman selbst verweist auf den Unterschied se<strong>in</strong>er Def<strong>in</strong>ition gegenüber Morton Deutsch (<strong>und</strong> auch Luhmann<br />

1988, d. Verf.) wonach von <strong>Vertrauen</strong> nur dann die Rede se<strong>in</strong> soll, wenn <strong>der</strong> Verlust, den man erleidet, größer ist<br />

als <strong>der</strong> Gew<strong>in</strong>n, den man ohne Missbrauch erzielt hätte (ebd. 126). Tanja Rippberger (1998) def<strong>in</strong>iert <strong>in</strong> ihrem viel<br />

beachteten Buch „Ökonomik des <strong>Vertrauen</strong>s“ die Vergabe von <strong>Vertrauen</strong> ab e<strong>in</strong>er Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit von 0.5;<br />

diese Setzung kann man vornehmen, letztlich bleibt es aber an denselben Grenzen stehen wie Coleman.<br />

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