Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit

Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit

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zielgerichtet zur Durchsetzung ihrer Interessen und zur Maximierung ihres Nutzens einsetzen. „Das Soziale tritt in der Theorie erst sekundär in Erscheinung, und zwar im wesentlichen als Folge von Interessenabhängigkeiten zwischen den Akteuren“ (Kappelhoff 1992, 223). Die Ausgangslage, in der Vertrauen relevant wird, ist immer dieselbe: Eine normale Transaktion beinhaltet erstens ein Zeitproblem und zweitens ein Informationsproblem. „Manchmal nimmt ein Akteur eine einseitige Kontrollübertragung über bestimmte Ressourcen auf einen anderen Akteur vor, die auf der Hoffnung oder Erwartung basieren, dass die Handlungen des anderen seine Interessen besser befriedigen, als es die eigenen Handlungen tun würden“ (Coleman 1991, 115). Wenn man das Vertrauen eines anderen gewinnt, kann man etwas tun, was man sonst nicht tun könnte. Es besteht folglich meist ein sehr konkretes Interesse bei den Akteuren, durch das Vertrauen eines anderen weitere Ressourcen zu eröffnen. Auch derjenige, der das Vertrauen schenkt, handelt in gleicher (nicht altruistischer) Weise, denn wenn die Transaktion erfolgreich ist, so gewinnt auch er. Sowohl Vertrauen erwerben als auch schenken kann günstig sein. Das, was es zu kalkulieren gilt, ist das Risiko, das von der Leistung eines anderen Akteurs abhängt. Coleman verdeutlicht seinen Ansatz mit folgenden Beispielen (ref. n. Coleman 1991, 116ff): Ein Reeder ruft in einer dringenden Situation bei einer Handelsgesellschaft an, weil er sofort 200 000 Pfund benötigt. Der Angestellte dieser Gesellschaft ermöglicht es, dass eine Bank die Summe zur Verfügung stellt, und der Transfer stattfinden kann. Im zweiten Beispiel geht es um einen neu zugezogenen Farmer, dessen Ballenpresse gebrochen war, und weil es nach Regen aussah, musste er befürchten, sein Heu zu verlieren. Ein zweiter Farmer, der den ersten nicht kannte, arrangierte es, dass einer seiner Bekannten das Heu für den ersten einfuhr. Das dritte Beispiel bezeichnet Coleman als eine klassische Situation, in der es um Vertrauen geht: Ein zwar hübsches, aber nicht sehr begehrtes Mädchen, gestattete einem entfernt bekannten Jungen, sie nach Hause zu bringen und freute sich über diese Aufmerksamkeit. Bei einer Abkürzung durch den Wald wurde der Junge zudringlich, riss ihr die Kleider herunter und vergewaltigte sie. Warum ist man bereit Vertrauen zu vergeben? Warum vertraut der Banker dem Reeder, der Farmer dem neuen Nachbar und das Mädchen dem Jungen? In einer Vertrauensbeziehung gibt es mindestens zwei Parteien: den Treugeber und den Treuhänder. Beide handeln zielgerichtet im Sinne ihrer Interessenrealisierung und insofern rational, als sie auf bestimmte Ziele ausgerichtet sind. Problematisch ist fast immer die Entscheidung des potentiellen Treugebers, da er entscheiden muss, ob er Vertrauen schenken 87

soll oder nicht. Dem Treuhänder verbleibt die Wahl, das in ihn gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen oder zu enttäuschen (vgl. ebd. 121). Die entstandene Zeitlücke könnte man durch Verträge zu verringern versuchen. Allerdings sind Verträge nie vollständig, sie verursachen Transaktionskosten, wenn sie juristisch eingeklagt werden sollen, und in vielen Situationen, insbesondere in politischen und sozialen Situationen lassen sich keine Verträge einsetzen, weil es „keinen vereinbarten Wertmaßstab gibt“(ebd. 125). Unter diesen Bedingungen stellt der potentielle Treugeber dieselben Überlegungen an, wie ein rationaler Akteur, wenn er entscheidet, ob er eine Wette abschließen soll 72 . Der Akteur kennt den Wetteinsatz (der mögliche Verlust = L 73 ), der bei Vertrauensmissbrauch auf dem Spiel steht; er weiß, wie viel er gewinnen kann (möglicher Gewinn = G) und welche Gewinnchancen (p) er hat. Dies, und nur dies (!), sind für Coleman die entscheidenden Elemente der Vertrauensvergabe: „Ein rationaler Akteur wird Vertrauen vergeben, ..., wenn das Verhältnis der Gewinnchance zur Verlustchance größer ist als das Verhältnis des Ausmaßes des möglichen Verlustes zum Ausmaß des möglichen Gewinns“ (ebd. 126). Vertrauen wird folglich immer dann vergeben, wenn der Quotient aus der Wahrscheinlichkeit einer Bestätigung des Vertrauens und der Wahrscheinlichkeit einer Enttäuschung ( p/1-p ) größer ist als der Quotient aus möglichem Verlust und möglichem Gewinn ( L/G ). 74 Nun kommt es auf die Modellierung der Variablen an. Wenn nicht genau bekannt ist, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine bestimmte Person das entgegengebrachte Vertrauen bestätigen wird, so muss das kein Hindernis für eine Vertrauensinvestition sein, wenn sich entsprechend der Gewinn gegenüber dem Verlust erhöht. Ist die Größe des möglichen Gewinns nicht bekannt, so muss der Partner entweder besonders vertrauenswürdig sein oder der Verlust sehr gering. Ist letztlich der mögliche Verlust nicht bekannt, so muss der erwartete Gewinn oder die Vertrauenswürdigkeit hoch sein. Trotz der auf den ersten Blick etwas trivial erscheinenden Berechnungen (vgl. Junge 1998, 41), lässt sich ein breites Spektrum sozialer Phänomene aufzeigen. So modelliert Coleman 72 Marcel Mauss (1984, 153) arbeitet in seinem „Essai sur le don“ heraus, dass die Wörter Wette und wetten Übersetzungen für das juristische wadium sind, und daher sowohl die Bedeutung von Wette, als auch von Pfand haben. Ein Pfand hergeben bedeutet aber immer auch sich zu binden, sowohl für denjenigen, der gibt, als auch für denjenigen, der empfängt. Genau diese Bedeutung ist jedoch für Coleman irrelevant, da eine „Bindung“ jenseits der ökonomischen Kalkulation nicht durch das Modell erklärt wird. 73 Ich halte mich hierbei an die Abkürzungen aus der deutschen Ausgabe in der Übersetzung von Michael Sukale, der die englischen Abkürzungen L für loss und G für gain beibehielt. Mitunter findet sich in der Literatur für Colemans Gleichung auch das V für Verlust wieder. Die Abkürzung probability p ist allg. gebräuchlich. 74 Coleman selbst verweist auf den Unterschied seiner Definition gegenüber Morton Deutsch (und auch Luhmann 1988, d. Verf.) wonach von Vertrauen nur dann die Rede sein soll, wenn der Verlust, den man erleidet, größer ist als der Gewinn, den man ohne Missbrauch erzielt hätte (ebd. 126). Tanja Rippberger (1998) definiert in ihrem viel beachteten Buch „Ökonomik des Vertrauens“ die Vergabe von Vertrauen ab einer Wahrscheinlichkeit von 0.5; diese Setzung kann man vornehmen, letztlich bleibt es aber an denselben Grenzen stehen wie Coleman. 88

zielgerichtet zur Durchsetzung ihrer Interessen <strong>und</strong> zur Maximierung ihres Nutzens e<strong>in</strong>setzen.<br />

„Das Soziale tritt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Theorie erst sek<strong>und</strong>är <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung, <strong>und</strong> zwar im wesentlichen als<br />

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Ausgangslage, <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Vertrauen</strong> relevant wird, ist immer dieselbe: E<strong>in</strong>e normale Transaktion<br />

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115). Wenn man das <strong>Vertrauen</strong> e<strong>in</strong>es an<strong>der</strong>en gew<strong>in</strong>nt, kann man etwas tun, was man sonst<br />

nicht tun könnte. Es besteht folglich meist e<strong>in</strong> sehr konkretes Interesse bei den Akteuren, durch<br />

das <strong>Vertrauen</strong> e<strong>in</strong>es an<strong>der</strong>en weitere Ressourcen zu eröffnen. Auch <strong>der</strong>jenige, <strong>der</strong> das<br />

<strong>Vertrauen</strong> schenkt, handelt <strong>in</strong> gleicher (nicht altruistischer) Weise, denn wenn die Transaktion<br />

erfolgreich ist, so gew<strong>in</strong>nt auch er. Sowohl <strong>Vertrauen</strong> erwerben als auch schenken kann günstig<br />

se<strong>in</strong>. Das, was es zu kalkulieren gilt, ist das Risiko, das von <strong>der</strong> Leistung e<strong>in</strong>es an<strong>der</strong>en Akteurs<br />

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Coleman verdeutlicht se<strong>in</strong>en Ansatz mit folgenden Beispielen (ref. n. Coleman 1991, 116ff):<br />

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200 000 Pf<strong>und</strong> benötigt. Der Angestellte dieser Gesellschaft ermöglicht es, dass e<strong>in</strong>e Bank die<br />

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Regen aussah, musste er befürchten, se<strong>in</strong> Heu zu verlieren. E<strong>in</strong> zweiter Farmer, <strong>der</strong> den ersten<br />

nicht kannte, arrangierte es, dass e<strong>in</strong>er se<strong>in</strong>er Bekannten das Heu für den ersten e<strong>in</strong>fuhr. Das<br />

dritte Beispiel bezeichnet Coleman als e<strong>in</strong>e klassische Situation, <strong>in</strong> <strong>der</strong> es um <strong>Vertrauen</strong> geht:<br />

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Abkürzung durch den Wald wurde <strong>der</strong> Junge zudr<strong>in</strong>glich, riss ihr die Klei<strong>der</strong> herunter <strong>und</strong><br />

vergewaltigte sie.<br />

Warum ist man bereit <strong>Vertrauen</strong> zu vergeben? Warum vertraut <strong>der</strong> Banker dem Ree<strong>der</strong>,<br />

<strong>der</strong> Farmer dem neuen Nachbar <strong>und</strong> das Mädchen dem Jungen?<br />

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