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Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit

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Das Ende <strong>der</strong> großen Vertrautheit?<br />

Anhand des folgenden ausführlichen Zitats möchte ich diese Differenz zwischen<br />

<strong>Vertrauen</strong> <strong>und</strong> Vertrautheit exemplarisch deutlich machen:<br />

„Durch hierarchische, funktionale Arbeitsteilung sowie durch Spezialisierung haben sich<br />

<strong>in</strong> den bürokratischen Organisationen <strong>der</strong> Wirtschaft <strong>und</strong> des öffentlichen Dienstes viele<br />

anonyme Entscheidungsketten entwickelt. Die versachlichte technisch-formale<br />

Verantwortung hat <strong>in</strong> den bürokratisierten Hierarchien die moralische Selbstverantwortung<br />

weitgehend abgelöst. Die Gesamtheit von Planen, Entscheiden, Handeln <strong>und</strong> <strong>der</strong>en<br />

Konsequenzen ist mittlerweile auf so viele Mitwirkende verteilt, dass sich niemand mehr für<br />

se<strong>in</strong> Handeln verantwortlich zu fühlen vermag <strong>und</strong> bei Fehlverhalten nur selten zur<br />

Rechenschaft gezogen werden kann. ... Diese <strong>in</strong>stitutionelle Gesetzmäßigkeit ist<br />

mitursächlich für den zu beobachteten <strong>Vertrauen</strong>sschw<strong>und</strong> <strong>in</strong> Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft.<br />

So ist <strong>in</strong> den letzten zwei Jahrzehnten je<strong>der</strong> sich selbst <strong>der</strong> Nächste geworden, ungeachtet<br />

des Wissens um die Bedeutsamkeit von <strong>Vertrauen</strong> als Voraussetzung <strong>und</strong> Folge aller<br />

positiven Arbeitsbeziehungen <strong>und</strong> Sozialbeziehungen“ (Grunwald 1995, 73).<br />

Warum sollte <strong>Vertrauen</strong> die Lösung für dieses Problem se<strong>in</strong>, resp. um welche Form von<br />

<strong>Vertrauen</strong> geht es eigentlich? Die Problematik e<strong>in</strong>er „aufgeblähten“ Bürokratie ist<br />

offensichtlich, liegt aber <strong>in</strong> ihrer eigenen Logik bereits begründet 70 – unabhängig von<br />

<strong>Vertrauen</strong>. Dass Verantwortlichkeiten zweitens nicht mehr e<strong>in</strong>deutig zugeordnet werden<br />

können <strong>und</strong> die Akteure nicht mehr moralische Selbstverantwortung üben, ist primär e<strong>in</strong><br />

Kontrollproblem, welches implizit mit <strong>der</strong> Vorstellung spielt, dass „früher“ die Akteure<br />

moralischer <strong>und</strong> verantwortlicher waren. Unter <strong>der</strong> Perspektive, dass „früher“ die Kontrollen<br />

wesentlich e<strong>in</strong>facher <strong>und</strong> unmittelbarer waren, relativiert sich m.E. sehr schnell die These e<strong>in</strong>er<br />

Charakterverän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Menschen über die Zeit h<strong>in</strong>weg. Drittens ist die pauschale These,<br />

dass <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>e <strong>Vertrauen</strong>sschw<strong>und</strong> die Ursache für e<strong>in</strong>en egoistischen Hedonismus ist –<br />

weil ja se<strong>in</strong>es Erachtens <strong>Vertrauen</strong> die Gr<strong>und</strong>lage aller Beziehungen ist – m.E. zu<br />

<strong>und</strong>ifferenziert, als dass man <strong>in</strong> Konsequenz konkret etwas än<strong>der</strong>n könnte.<br />

Grunwald setzt me<strong>in</strong>es Erachtens nach <strong>Vertrauen</strong> auf dieselbe Stufe wie Vertrautheit 71 ,<br />

<strong>und</strong> verwischt dabei die spezifische Eigenheit e<strong>in</strong>er Entscheidung unter <strong>Vertrauen</strong>. Vertrautheit<br />

entsteht gleichsam als Nebenprodukt von Gewohnheit, Selbstverständlichkeit <strong>und</strong> vor allem<br />

auch Erwartbarkeit, sowie Normativität <strong>und</strong> Ausschluss. Vertrautheit ermöglicht dann<br />

Zuversicht. Sollte jede Form von Vertrautheit <strong>und</strong> Zuversicht fehlen, so bedeutet dies, dass die<br />

Akteure sich entfremdet s<strong>in</strong>d.<br />

69 Wahrheit, Liebe, Macht <strong>und</strong> Geld s<strong>in</strong>d für Luhmann die prom<strong>in</strong>entesten <strong>und</strong> evolutionär erfolgreichsten<br />

Beispiele hierfür (vgl. 1989, 51).<br />

70 siehe Kap. 2<br />

71 Diese Gleichsetzung ist explizit nicht nur bei Grunwald so, son<strong>der</strong>n f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> sehr vielen Beispielen. Hierzu<br />

ausführlich <strong>der</strong> zweite Teil dieser Arbeit.<br />

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