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Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit

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was sich auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beschreibung des Übergangs von <strong>der</strong> stratifikatorischen zur funktional<br />

differenzierten Gesellschaft ausdrückt.<br />

Wenn Vertrautheit so viel bedeutet wie „lebensweltliche Bestimmbarkeit“ (Nassehi 1995,<br />

454), dann hat die Umstellung auf funktionale Differenzierung unter an<strong>der</strong>em zur Folge, dass<br />

uns die meisten Personen, mit denen wir zu tun haben, primär als Funktionsträger begegnen.<br />

„Die meisten funktionsspezifischen Kommunikationen basieren gerade darauf, dass uns <strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>e möglichst fremd bleibt“(ebd.). Die Entpersonalisierung funktionaler Rollenträger <strong>und</strong> die<br />

damit verb<strong>und</strong>ene Generalisierung von Fremdheit dient nun ihrerseits <strong>der</strong> Schaffung von<br />

<strong>Vertrauen</strong>, i.S.v. Systemvertrauen. Dieses Systemvertrauen stellt sich wie<strong>der</strong>um für Luhmann<br />

als die Generalisierung <strong>der</strong> Kommunikationsmedien dar, verb<strong>und</strong>en mit ihren Erwartungsstrukturen<br />

<strong>und</strong> Motivationsmustern 69 . Es verän<strong>der</strong>n sich dabei die Bed<strong>in</strong>gungen, unter denen<br />

Vertrautheit zur Voraussetzungen <strong>der</strong> Lebensführung wird. Es ist das e<strong>in</strong>zelne Individuum<br />

selbst, das lernen muss, die weltanschauliche Differenz zu ertragen <strong>und</strong> trotzdem an fremde<br />

Selektionsleistungen das eigene Verhalten anzuschließen. „Das <strong>Vertrauen</strong> wird gleichsam<br />

privatisiert, psychologisiert <strong>und</strong> dadurch <strong>in</strong>dividuell-tolerant“ (Luhmann 1989, 52). Damit erhält<br />

Systemvertrauen wie<strong>der</strong>um die Züge <strong>der</strong> „alten“ Vertrautheit: als System-Vertrautheit, <strong>und</strong> es<br />

liegt wie<strong>der</strong>um jenseits von persönlich geleistetem <strong>Vertrauen</strong> <strong>und</strong> Misstrauen.<br />

Vertrautheit hat den Stil von Alltäglichkeit, es ist e<strong>in</strong>e Dase<strong>in</strong>sgewissheit von fragloser<br />

Unmittelbarkeit. Diese Kenntnis hat nichts Reflexives <strong>und</strong> bedarf ke<strong>in</strong>er Explikation.<br />

<strong>Vertrauen</strong> dagegen ist <strong>in</strong> die Zukunft gerichtet, ohne über Mittel zu verfügen, die Gegenwart<br />

vollständig zu überblicken, aber im Bewusstse<strong>in</strong> des Risikos <strong>der</strong> Entscheidung – mit <strong>der</strong><br />

Zukunft kann man allerd<strong>in</strong>gs nicht vertraut se<strong>in</strong>.<br />

Inwieweit ist nun aber Vertrautheit e<strong>in</strong>e notwendige Bed<strong>in</strong>gung für die Entscheidung,<br />

<strong>Vertrauen</strong> zu schenken? Unter <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Unh<strong>in</strong>tergehbarkeit von Vertrautheit, sei es<br />

<strong>in</strong> vormo<strong>der</strong>ner Form o<strong>der</strong> als Systemvertrauen, steht es ja nicht zur Disposition <strong>der</strong> Akteure.<br />

Aber, wie gesagt, diese Bed<strong>in</strong>gung liegt vor <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Entscheidung, <strong>Vertrauen</strong> zu schenken<br />

o<strong>der</strong> nicht. Diese Differenz wird aber dann wichtig, wenn oftmals die Rede ist von e<strong>in</strong>em<br />

wachsenden <strong>Vertrauen</strong>sschw<strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft. Es gilt zu prüfen, <strong>in</strong>wiefern nicht<br />

vielmehr über e<strong>in</strong>en Schw<strong>und</strong> an Vertrautheit lamentiert wird. Und Vertrautheit unterliegt<br />

an<strong>der</strong>en Dynamiken als <strong>Vertrauen</strong>!<br />

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