Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit
Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit
in ihren Definitionen nicht immer trennscharf sind. Meine Absicht in diesem Kapitel ist es, den Begriff des Vertrauens so genau und eng zu fassen, dass er sich von den gängigen Definitionen deutlich abheben wird. Es gilt hierbei, Vertrauen von allem „Äußeren“, bzw. funktional Vergleichbarem zu trennen. Kapitel 3.1 Vertrautheit Fremd ist der Fremde nur in der Fremde Karl Valentin 1940 Religion und Tradition hatten lange Zeit die unumgängliche Funktion von Deutungsund Sinnstiftungssystemen. Mit ihrer Hilfe konnte die Komplexität der Welt für den Einzelnen erfassbar und verarbeitbar gemacht werden. Religiöse Weltbilder bezogen sich dabei auf ganz alltägliche Probleme und waren auf konkrete Konflikte anwendbar. Im akuten Fall war klar, wer „Freund“ und wer „Feind“, wer „gut“ und wer „schlecht“ war (vgl. Grande 2000). Unter dieser Perspektive argumentiert auch Giddens: „In vormodernen Gesellschaften war ein verhältnismäßig klar umrissener Handlungshorizont durch Tradition vorgegeben“ (ders. 1996, 144). Tradition war der „Kitt vormoderner Sozialordnungen“ (ebd. 122), indem man sich an der Vergangenheit orientierte, welche dadurch Einfluss auf die Gegenwart nahm, und die Zukunft war die Fortsetzung der erfolgreichen Wiederholung der Vergangenheit. Rituale, als Elemente der Tradition, verankerten diese in der Gegenwart und erzeugten einen „formelhaften Wahrheitsbegriff“ (ebd. 124), der zugleich eine bindende moralische wie emotionale Kraft entfalten sollte. Tradition in diesem Sinne war nicht eigentlich konservativ. Durch ihre formelhafte Wahrheit schloss sie einen Großteil der Handlungsmöglichkeiten schlicht aus. Die Tradition erlangte damit den Status der Natur selbst, „denn ‚natürlich‘ ist das, was außerhalb menschlicher Eingriffe bleibt“ (ebd. 144). Die Natur ist als Natur von den Schöpfungen des Menschen unabhängig. Auf diese Traditionen vertraut man nicht, denn wer vertraut, kann sich nie ganz sicher sein, da der Zweifel nicht einfach verschwindet. An diese Tradition glaubt man, und dieser Glaube entspricht einem „emphatischen Überzeugtsein“ (Strasser/ Voswinkel 1997, 218). Eine derartige „Vertrautheit“, im Sinne von Selbstverständlichkeit und Gewohnheit wird als vormoderne Verständnisgrundlage vorausgesetzt. Das Seiende enthält kein Motiv für 62 Clans, Großfamilien, Gruppen und Individuen waren am Wohlergehen der jeweils anderen natürlich auch deswegen interessiert, weil sie dadurch auch ihr eigenes ökonomisches Wohlergehen sichern konnten. 77
die Rückfrage, wer es erlebt hat. Die Konstitution von Sinn und Welt ist dem Bewusstsein in seiner Komplexität entzogen. Eine vertraute Welt ist einfach und durch enge Grenzen gesichert. In diesem Sinne stimmt Luhmann (1989, 17f) mit Giddens überein, dass in vertrauten Welten die Vergangenheit über die Gegenwart und Zukunft dominiert. Dadurch, dass es in der Vergangenheit keine „anderen Möglichkeiten“ mehr gibt, lösen vormoderne Gesellschaften das Problem der Sozialdimension durch die Zeitdimension, da die Vergangenheit unerwartetes Verhalten einfach ausschließt. Auch die Religion hat für Luhmann die Funktion, die rechte Ordnung als normativ vorzugeben und zugleich als vertraut und der menschlichen Disposition entzogen vorauszusetzen (ebd. 50f). Diese Vertrautheit, welche Luhmann (1988) im englischen Text als familiarity bezeichnet, wird damit zu einer unhintergehbaren Tatsache des Lebens. „We can live in a familiar world because we can, using symbols, reintroduce the unfamiliar into the familiar. We never have to leave the familiar world. ... But we know in a familiar way about the unfamiliar. Familiarity breeds unfamiliarity” (ebd. 95). Symbole sind damit nicht Zeichen, die etwas anderes bedeuten, sondern sie setzten bereits die Differenz zwischen vertraut und unvertraut (als vertraut) voraus, aber sie ermöglichen es gerade, Unvertrautes in Vertrautes zu überführen. Dadurch, dass man etwas völlig unbekanntes/ unvertrautes nicht verstehen kann, muss es an Vertrautem spiegelbar sein. 63 „Traditionally, the symbolic function of using familiar terms to cope with the unfamiliar has been the province of religion” (ebd. 96). Fremdheit In vormodernen Gesellschaften ist Vertrauen das Gefühl der Vertrautheit, in Abgrenzung zur Fremdheit. Und hierzu antwortet nochmals Karl Valentin auf die Frage, warum ein Fremder sich nur in der Fremde fremd fühlt: „Weil jeder Fremde, der sich fremd fühlt ein Fremder ist, und zwar solange, bis er sich nicht mehr fremd fühlt – dann ist er kein Fremder mehr.“ Was hat nun das Fremde konkret für einen Stellenwert für Vertrauen? Auch für Nassehi (1995) dienen religiöse Praktiken der Domestizierung des Unvertrauten durch Ritualisierung kollektiver Handlungen. „Als vertraut galt in solchen Gesellschaften offenbar ausschließlich 63 Dass man nur erkennt, was einem vertraut ist, verdeutlichen zwei „Anekdoten“. Willke (1998, 10f) referiert von einer Filmvorführung eines Gesundheitsinspektors in einem primitiven afrikanischen Dorf, bei der die Bewohner lediglich ein Huhn wahrnahmen, welches im ganzen Film ca. eine Sekunde lang zu sehen war. Alles andere im Film war ihnen zu unwirklich. Auch Arie de Geus (1998, 60f) berichtet von einem „Stammeshäuptling“, dessen Stamm buchstäblich in der Steinzeit lebt. Dieser wird für 24 Stunden nach Singapur gebracht, und das einzige, was ihn wirklich beeindruckt hat, war, dass ein Mann mehr Bananen trug, als es der Häuptling je für möglich gehalten hat. 78
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Diese Vertrautheit, welche Luhmann (1988) im englischen Text als familiarity<br />
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Was hat nun das Fremde konkret für e<strong>in</strong>en Stellenwert für <strong>Vertrauen</strong>? Auch für Nassehi<br />
(1995) dienen religiöse Praktiken <strong>der</strong> Domestizierung des Unvertrauten durch Ritualisierung<br />
kollektiver Handlungen. „Als vertraut galt <strong>in</strong> solchen Gesellschaften offenbar ausschließlich<br />
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