Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit

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Internalisierung muss dann bedeuten, dass das Individuum eininneres Sanktionssystem“ entwickelt, das mit einer Bestrafung reagiert, wenn von der Norm abgewichen wird. Damit wird die Frage nach Vertrauen zu der Untersuchung, wie ein inneres Sanktionssystem über einen Prozess der Sozialisation initiiert werden kann, um damit zu einer Identifizierung mit den Zielen der anderen beizutragen. In Unternehmen spricht man dann von einer Unternehmenskultur, welche die Kooperation sicherstellt; in Nationalstaaten dient der Patriotismus dazu, die Individuen auf den Staat zu orientieren. Das hat jedoch alles nicht so recht etwas mit Vertrauen zu tun. Wie gesagt, eine Bedingung für Vertrauen ist die Möglichkeit des Vertrauensbruchs, anderweitig erübrigt sich Vertrauen. Normen, das Propagieren von Unternehmenskultur, patriotistische Propaganda – all das zielt darauf ab, Wahlfreiheit und damit die Wahl einer defektistischen Handlung zu eliminieren, oder zumindest so weit wie möglich einzuschränken, aber nicht darauf, eine Vertrauensbasis zu schaffen: „Wenn keine Vertrauensbasis vorhanden war, dann nützen sämtliche Bemühungen um die Unternehmenskultur oder die Motivationslage gar nichts – sie wurden sogar nicht selten ins Gegenteil verkehrt; die Mitarbeiter empfanden das als unehrlich und häufig als eine besonders raffinierte Form von Zynismus“ (Malik 1995, 1). Bradach und Eccles (1989, 101f) weisen ebenfalls darauf hin, dass das Dilemma zwischen Markt und Hierarchie nicht von der einen oder anderen Seite entschieden werden kann, sondern dass es auf die „rechte Mischung“ ankommt. Je spezialisierter Arbeitsabläufe unter modernen Bedingungen werden, desto höher wird der Grad an Autonomie auf Seiten des Agenten. Insofern kommt es darauf an, innerhalb von Hierarchien gleichsam „Marktspielräume“ zu schaffen. Dies trifft besonders auf die Bereiche der Forschung und Entwicklung sowie der Hochtechnologie zu. Hier sind die Aufgaben oft ungewiß und komplex, so dass es fast unmöglich ist, Verträge zu schreiben und zu überwachen. Es gibt nun phasenweise Hierarchien, die jeweils Kontrollfunktionen zwischen den unabhängigen Partnern eines Forschungsteams übernehmen; gleichzeitig (vielmehr in Abwechslung) bleibt aber auch der Wettbewerbs- und Preismechanismus gültig, um die Anteile der Partner jeweils zuordnen zu können. In diesem Sinne sichert eine autoritäre Struktur zu, dass ein durch Preise bestimmter Markt erhalten bleibt. Es kann folglich nicht darum gehen, Kontrolle gänzlich abzuschaffen, sondern sie sinnvoll zu koordinieren. Unter dieser Perspektive kann nun auch Vertrauen an Relevanz gewinnen, aber nicht als die Lösung des unlösbaren Problems, sondern als unterstützendes Element, unter Verweis auf 73

die Bedingungen seiner Möglichkeiten. Vertrauen ist in seiner Ausschließlichkeit blind, ebenso wie Misstrauen. Vertrauen, als willentlicher Akt, setzt Stabilität anstelle von Kontingenz. Vertrauen arbeitet über Sicherheit und Langfristigkeit, um zur Konsequenz seiner eigenen Voraussetzung zu werden. Gerade darin läuft Vertrauen Gefahr, aus Stabilität Starrheit werden zu lassen, und seinerseits die Flexibilität, welche man sich als Voraus-setzungen zur Kooperation erwünscht hat, inflexibel werden zu lassen. So wie es „um die Beherrschung des Wechselspiels zwischen interner Kooperation und Konkurrenz sowie zwischen zentraler Kontrolle und dezentraler Autonomie“ (Hirsch-Kreinsen 1995, 429) geht, so gilt es eine Balance herzustellen zwischen gezielter Verunsicherung als Vertrauensabbau einerseits, und vertrauensbildende Maßnahmen andererseits, um ein Übermaß an Misstrauen abzufedern. Unter dieser Perspektive benötigt eine Organisation wiederum sowohl Vertrauens- als auch Misstrauenselemente. Wobei dieser Wechsel nicht reibungslos verlaufen kann. Wie bereits verdeutlicht wurde, kann es „gefährlich“ werden, vertrauensbasierte Beziehungen gezielt zu verunsichern. Wurde die Schwelle überschritten, welche die Vertrauensprozesse kontrollierte, gilt es, die wiederentstandene Komplexität in nicht-zerstörerische Bahnen zu lenken. Luhmann (vgl. 1989, ref. n. Kap. 10) definiert den Bedarf an Misstrauen wie folgt: Wenn ein soziales System misstrauisches Verhalten seiner Teilnehmer für bestimmte Funktionen benötigt oder nicht vermeiden kann, so braucht es zugleich Mechanismen, die verhindern, dass das Misstrauen überhand nimmt und sich das System ggf. durch Prozesse wechselseitiger Steigerung selbst zerstört. Es muss folglich Möglichkeiten geben, Endzeitpunkte zu fixieren, mit denen eine schwelende Unsicherheit auch abgeschlossen werden kann und dann kein legitimer Anlass mehr für Misstrauen besteht. Für Luhmann liegt gerade auch darin die Funktion und der Sinn von Institutionen des Strafens, Büßens und Verzeihens. Unwesentliche Misstrauensakte können abgefangen und neutralisiert werden, bzw. die Zirkel wachsenden Misstrauens können unterbrochen werden. Durch diese Unterbrechungen verschafft sich das System wieder Zeit, um erneut Vertrauen zu lernen und Vertrauenskapital anzusammeln. Aus Sicht der Akteure gesprochen bedeutet dies, dass ein Prinzipal sich bewusst sein muss, dass er Innovation zwar durch das Initiieren von Misstrauen bewirken kann, zugleich muss er sich aber auch vergegenwärtigen, dass er die langfristige Perspektive der Kooperation auf Seiten seiner Agenten potentiell aufs Spiel setzt. Diese „Mischformen“ sowohl von Markt und Hierarchie als auch von Vertrauen und Misstrauen lassen sich letztlich überall erkennen. Sofern man von der prinzipiellen Wahlfreiheit der Akteure ausgeht, lassen sich diese Ebenen nur dann umgehen, wenn man das 74

Internalisierung muss dann bedeuten, dass das Individuum e<strong>in</strong> „<strong>in</strong>neres Sanktionssystem“<br />

entwickelt, das mit e<strong>in</strong>er Bestrafung reagiert, wenn von <strong>der</strong> Norm abgewichen wird.<br />

Damit wird die Frage nach <strong>Vertrauen</strong> zu <strong>der</strong> Untersuchung, wie e<strong>in</strong> <strong>in</strong>neres Sanktionssystem<br />

über e<strong>in</strong>en Prozess <strong>der</strong> Sozialisation <strong>in</strong>itiiert werden kann, um damit zu e<strong>in</strong>er<br />

Identifizierung mit den Zielen <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en beizutragen. In Unternehmen spricht man dann von<br />

e<strong>in</strong>er Unternehmenskultur, welche die Kooperation sicherstellt; <strong>in</strong> Nationalstaaten dient <strong>der</strong><br />

Patriotismus dazu, die Individuen auf den Staat zu orientieren.<br />

Das hat jedoch alles nicht so recht etwas mit <strong>Vertrauen</strong> zu tun. Wie gesagt, e<strong>in</strong>e<br />

Bed<strong>in</strong>gung für <strong>Vertrauen</strong> ist die Möglichkeit des <strong>Vertrauen</strong>sbruchs, an<strong>der</strong>weitig erübrigt sich<br />

<strong>Vertrauen</strong>. Normen, das Propagieren von Unternehmenskultur, patriotistische Propaganda – all<br />

das zielt darauf ab, Wahlfreiheit <strong>und</strong> damit die Wahl e<strong>in</strong>er defektistischen Handlung zu<br />

elim<strong>in</strong>ieren, o<strong>der</strong> zum<strong>in</strong>dest so weit wie möglich e<strong>in</strong>zuschränken, aber nicht darauf, e<strong>in</strong>e<br />

<strong>Vertrauen</strong>sbasis<br />

zu schaffen: „Wenn ke<strong>in</strong>e <strong>Vertrauen</strong>sbasis vorhanden war, dann nützen sämtliche Bemühungen<br />

um die Unternehmenskultur o<strong>der</strong> die Motivationslage gar nichts – sie wurden sogar nicht selten<br />

<strong>in</strong>s Gegenteil verkehrt; die Mitarbeiter empfanden das als unehrlich <strong>und</strong> häufig als e<strong>in</strong>e<br />

beson<strong>der</strong>s raff<strong>in</strong>ierte Form von Zynismus“ (Malik 1995, 1).<br />

Bradach <strong>und</strong> Eccles (1989, 101f) weisen ebenfalls darauf h<strong>in</strong>, dass das Dilemma<br />

zwischen Markt <strong>und</strong> Hierarchie nicht von <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite entschieden werden<br />

kann, son<strong>der</strong>n dass es auf die „rechte Mischung“ ankommt.<br />

Je spezialisierter Arbeitsabläufe unter mo<strong>der</strong>nen Bed<strong>in</strong>gungen werden, desto höher<br />

wird <strong>der</strong> Grad an Autonomie auf Seiten des Agenten. Insofern kommt es darauf an, <strong>in</strong>nerhalb<br />

von Hierarchien gleichsam „Marktspielräume“ zu schaffen. Dies trifft beson<strong>der</strong>s auf die<br />

Bereiche <strong>der</strong> Forschung <strong>und</strong> Entwicklung sowie <strong>der</strong> Hochtechnologie zu. Hier s<strong>in</strong>d die<br />

Aufgaben oft ungewiß <strong>und</strong> komplex, so dass es fast unmöglich ist, Verträge zu schreiben <strong>und</strong><br />

zu überwachen. Es gibt nun phasenweise Hierarchien, die jeweils Kontrollfunktionen zwischen<br />

den unabhängigen Partnern e<strong>in</strong>es Forschungsteams übernehmen; gleichzeitig (vielmehr <strong>in</strong><br />

Abwechslung) bleibt aber auch <strong>der</strong> Wettbewerbs- <strong>und</strong> Preismechanismus gültig, um die<br />

Anteile <strong>der</strong> Partner jeweils zuordnen zu können. In diesem S<strong>in</strong>ne sichert e<strong>in</strong>e autoritäre<br />

Struktur zu, dass e<strong>in</strong> durch Preise bestimmter Markt erhalten bleibt. Es kann folglich nicht<br />

darum gehen, Kontrolle gänzlich abzuschaffen, son<strong>der</strong>n sie s<strong>in</strong>nvoll zu koord<strong>in</strong>ieren.<br />

Unter dieser Perspektive kann nun auch <strong>Vertrauen</strong> an Relevanz gew<strong>in</strong>nen, aber nicht als<br />

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