Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit

Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit

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01.12.2014 Aufrufe

‚Vollkommen, Hoheit.‘ ‚Dann wollen wir ihn gehen lassen. Unentbehrliche Diener kann ich nicht brauchen.‘“ Feld IV. Ebenso offensichtlich wie Ford für Misstrauen, kann man die Mafia als eine hierarchische und autoritäre Vertrauensorganisation bezeichnen (vgl. hierzu auch Gambetta 1988 u. Zintl 1993). Es gibt klare Regeln und wenig Spielraum zur eigenen „Entfaltung“ – man würde nur allzu schnell mit anderen Positionen in Konflikt geraten. Dennoch gilt so lange das Vertrauensprinzip, im Sinne einer induzierten Orientierung der Organisationsmitglieder (Zintl 1993, 105), bis die je spezifische Kontrollschwelle überschritten wurde 53 . Aber es gibt auch weniger spektakuläre Beispiele: Richter und Professoren haben faktisch niemanden mehr über sich, der ihnen Weisungen geben kann, obwohl sie eine definierte Position innerhalb eines Systems bekleiden. Die Rechtfertigung für diesen Zustand besteht nun nicht primär darin, dass man eigentlich nicht genau die Güte eines Rechtsspruchs (sofern es keine Rechtsbeugung ist) oder einer wissenschaftlichen Abhandlung messen kann, sondern darin, dass die spezifischen Anforderungen für die Bekleidung des Amtes aus den Personen selbst heraus entwickelt werden sollen. Es bleibt aber dennoch nicht dem Zufall allein überlassen, schließlich gibt es ja langjährige Ausbildungs- und Auswahlverfahren, welche sozusagen die individuelle Qualität für die Entsprechung der Position im Vorfeld prüfen. Dann allerdings vertraut man darauf, dass die internen „Vorkontrollen“ hinreichend gewesen sein werden. Es ist deutlich geworden, dass die Grenzen zwischen den Ebenen fließend verlaufen, wobei es zwei Ausschlusskriterien gibt: eine konkrete Transaktion zwischen zwei Akteuren kann nicht zugleich hierarchisch und marktförmig sein, und zweitens kann man einer Person nicht in ein und derselben Sache vertrauen und misstrauen. Ansonsten sind sämtliche Kombinationen in den unterschiedlichsten Gewichtungen des einen oder anderen Mechanismus´ möglich. Die Perspektive der langfristigen resp. kurzfristigen Orientierung ist dabei primär eine Eigenschaft von Vertrauen und Misstrauen und weniger von Hierarchie und Markt. Obgleich Hierarchien genuin mittel- bis langfristig angelegt sind, müssen sie für den konkreten einzelnen Akteur noch lange nicht eine langfristige Perspektive bieten (siehe die potentielle kurzfristige Ersetzbarkeit der Akteure in ihren Positionen). Ebenso ist Reputation 53 Auch hier sollte man nicht davon ausgehen, dass die Folge eines Vertrauensbruchs lediglich Misstrauen ist... 63

ein langfristig ausgerichtetes Mittel, das gerade wegen dieser Langfristigkeit die Transaktionskosten innerhalb von kurzfristigen Märkten begünstigt. Die beschriebenen Mechanismen können funktionieren – müssen aber nicht. Und manchmal ist man erstaunt, wie lange sich eine Funktionsweise hält, obgleich sie eigentlich schon überholt ist. 54 Wenn der Markt ein Substitut für Hierarchie und Vertrauen ein Substitut für Misstrauen sein kann, kann das eine jeweils die Erklärung für das Scheitern des anderen sein. Daher möchte ich im nächsten Abschnitt nochmals kurz die innere Logik der Mechanismen aufzeigen bzw. verdeutlichen, inwiefern sie in ihrer Dynamik Elemente haben, die in bestimmten Bereichen zum Scheitern führen müssen. In diesem Sinne kann der Wunsch nach immer mehr Vertrauen auch kontraproduktiv sein und geradezu einen gegenteiligen Effekt haben. Kapitel 2.4 Autologische Zusammenbrüche Je feiner die Bürokratie, um so kreativer die Buchführung Gerhard Weigle 1994, 23 Die Beschreibung von Hierarchien und Märkten im letzten Abschnitt sah zunächst eine Trennung von der Ressource Vertrauen vor, bevor die Mischformen beschrieben wurden. Vertrauen sollte keine Voraussetzung für das Funktionieren jener Mechanismen sein. Obgleich diese Trennung eine analytische und keine empirische ist, ist es wichtig herauszu-stellen, inwieweit diese beiden Mechanismen Markt und Hierarchie autonom funktionieren können und wo ihre Grenzen liegen. Die zugrunde liegende These ist hierbei, dass keiner der beiden Mechanismen perfekte Bedingungen bietet, weil immer gewisse Einbußen hinge-nommen werden müssen. 55 Diese Einbußen führen über kurz oder lang zu einer ineffektiven Problemlösung innerhalb des Mechanismus´, indem er an seinen eigenen strukturellen Voraussetzungen scheitern wird. Vertrauen ist ebenso wie Misstrauen kein genuiner Bestandteil von Hierarchie oder Markt, vielmehr können sie beschleunigende oder retardierende Auswirkungen auf beide haben. Viele aktuelle Argumentationen laufen darauf hinaus, dass insbesondere Vertrauen in 54 Bspw. das Duale System der Berufsausbildung, dessen Blütezeit schon vorbei ist (vgl. Geißler/ Orthey 1998). 55 Hierzu formulierte Kenneth Arrow 1951 das „impossibility theorem“, dies besagt, dass „no social choice function can simultaneously guarantee all of these characteristics” (a set of desirable characteristics for social choice, d.Verf.) (in Miller 1992, 59). 64

e<strong>in</strong> langfristig ausgerichtetes Mittel, das gerade wegen dieser Langfristigkeit die<br />

Transaktionskosten <strong>in</strong>nerhalb von kurzfristigen Märkten begünstigt.<br />

Die beschriebenen Mechanismen können funktionieren – müssen aber nicht. Und<br />

manchmal ist man erstaunt, wie lange sich e<strong>in</strong>e Funktionsweise hält, obgleich sie eigentlich<br />

schon überholt ist. 54 Wenn <strong>der</strong> Markt e<strong>in</strong> Substitut für Hierarchie <strong>und</strong> <strong>Vertrauen</strong> e<strong>in</strong> Substitut<br />

für Misstrauen se<strong>in</strong> kann, kann das e<strong>in</strong>e jeweils die Erklärung für das Scheitern des an<strong>der</strong>en<br />

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Daher möchte ich im nächsten Abschnitt nochmals kurz die <strong>in</strong>nere Logik <strong>der</strong><br />

Mechanismen aufzeigen bzw. verdeutlichen, <strong>in</strong>wiefern sie <strong>in</strong> ihrer Dynamik Elemente haben,<br />

die <strong>in</strong> bestimmten Bereichen zum Scheitern führen müssen. In diesem S<strong>in</strong>ne kann <strong>der</strong> Wunsch<br />

nach immer mehr <strong>Vertrauen</strong> auch kontraproduktiv se<strong>in</strong> <strong>und</strong> geradezu e<strong>in</strong>en gegenteiligen<br />

Effekt haben.<br />

Kapitel 2.4<br />

Autologische Zusammenbrüche<br />

Je fe<strong>in</strong>er die Bürokratie, um so kreativer die Buchführung<br />

Gerhard Weigle 1994, 23<br />

Die Beschreibung von Hierarchien <strong>und</strong> Märkten im letzten Abschnitt sah zunächst e<strong>in</strong>e<br />

Trennung von <strong>der</strong> Ressource <strong>Vertrauen</strong> vor, bevor die Mischformen beschrieben wurden.<br />

<strong>Vertrauen</strong> sollte ke<strong>in</strong>e Voraussetzung für das Funktionieren jener Mechanismen se<strong>in</strong>. Obgleich<br />

diese Trennung e<strong>in</strong>e analytische <strong>und</strong> ke<strong>in</strong>e empirische ist, ist es wichtig herauszu-stellen,<br />

<strong>in</strong>wieweit diese beiden Mechanismen Markt <strong>und</strong> Hierarchie autonom funktionieren können <strong>und</strong><br />

wo ihre Grenzen liegen. Die zugr<strong>und</strong>e liegende These ist hierbei, dass ke<strong>in</strong>er <strong>der</strong> beiden<br />

Mechanismen perfekte Bed<strong>in</strong>gungen bietet, weil immer gewisse E<strong>in</strong>bußen h<strong>in</strong>ge-nommen<br />

werden müssen. 55 Diese E<strong>in</strong>bußen führen über kurz o<strong>der</strong> lang zu e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>effektiven<br />

Problemlösung <strong>in</strong>nerhalb des Mechanismus´, <strong>in</strong>dem er an se<strong>in</strong>en eigenen strukturellen<br />

Voraussetzungen scheitern wird.<br />

<strong>Vertrauen</strong> ist ebenso wie Misstrauen ke<strong>in</strong> genu<strong>in</strong>er Bestandteil von Hierarchie o<strong>der</strong><br />

Markt, vielmehr können sie beschleunigende o<strong>der</strong> retardierende Auswirkungen auf beide<br />

haben. Viele aktuelle Argumentationen laufen darauf h<strong>in</strong>aus, dass <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>Vertrauen</strong> <strong>in</strong><br />

54 Bspw. das Duale System <strong>der</strong> Berufsausbildung, dessen Blütezeit schon vorbei ist (vgl. Geißler/ Orthey 1998).<br />

55 Hierzu formulierte Kenneth Arrow 1951 das „impossibility theorem“, dies besagt, dass „no social choice<br />

function can simultaneously guarantee all of these characteristics” (a set of desirable characteristics for social<br />

choice, d.Verf.) (<strong>in</strong> Miller 1992, 59).<br />

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