Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit

Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit

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Gefangenen 10 Jahre hinter Gittern verbringen muss. Denn auch Rationalität ist an sich noch keine Garantie, sonst wäre der Mensch ja wieder nicht frei, wenn er gar nicht anders könnte, als rational zu handeln. Oder seine Rationalität äußert sich auf einer anderen Ebene, wie im Folk-Theorem dargestellt, dass Rationalität nicht eindeutig bestimmt werden kann, sondern unendlich viele Formen hat. Vertrauen, gerade auch im Sinne rationaler Kooperation, lässt sich nicht auf die Erwartung eines Reingewinns verkürzen, sondern bedarf darüber hinaus der Motivation und der Glaubwürdigkeit. Diese Motivation sollte dabei ein Appell an die Freiwilligkeit des anderen sein, sich auf das Risiko einzulassen. Mit anderen Worten, es gilt ihm die Entscheidung, sich auf Vertrauen als Strategie einzulassen, so leicht wie möglich zu machen, wenn man selbst davon überzeugt ist, dass man selbst nur durch Kooperation mit dem Anderen besser dran ist. Kapitel 2.2 Appell an Freiwilligkeit – unterstützende Mechanismen Versprechen gleichen Inseln in einem Meer der Ungewissheit Hannah Arendt 1960 35 Vertrauensbeziehungen lassen sich nicht erzwingen. Ein Appell im Sinne: „wir müssen uns jetzt aber vertrauen“, macht eher das Defizit von Vertrauen offensichtlich, als dass es irgendeinen Anstoß bieten könnte, von diesem Zeitpunkt ab mehr Vertrauen zu investieren. Funktionierende Nachbarschaftsbeziehungen existieren auch nicht per Akklamation, sondern unterliegen einer langsamen Investitionsstrategie. Das Prinzip der kleinen Schritte (Luhmann 1989, 43) ähnelt in diesem Sinne der tit-for-tat Strategie. Ein Akteur, der für sich erwägt, dass Kooperation die erfolgreichere Strategie ist, wird versuchen, eine Vertrauensbeziehung zu initiieren. Er wird zunächst mit einer kleinen Offerte beginnen, die nicht übermäßig viel kostet, aber hinreichend groß ist, um eine gewisse Verwundbarkeit an den Tag zu legen. Diese Verwundbarkeit hat dabei eine Doppelfunktion, sie ist sowohl der „Köder“, da das einseitige Ausnutzen einen Vorteil für den anderen darstellt, als auch die riskante Vorleistung, um die Motivationsstruktur des anderen zu beeinflussen. nicht irgendwann einmal über den Weg laufen. 35 Im Original: „Sobald Versprechen aufhören, solchen Inseln in einem Meer der Ungewissheit zu gleichen, ... verlieren sie ihre bindende Kraft... .“ (Arendt 1960, 240). 47

Die Frage ist also, wie ich meinem Gegenüber glaubhaft machen kann, dass ich an einer vertrauensvollen Kooperation interessiert bin. D.h. wie kann ich die scheinbar zufällige Entscheidung im Gefangenendilemma nicht unkooperativ zu sein, aktiv im Voraus motivieren. Oder wieder zurück zu dem Geiselbeispiel: Wie kann eine Geisel, die ihren Geiselnehmer erkannt hat, glaubwürdig machen, dass sie ihn nicht verraten wird? Das Versprechen als Fiktion von Selbigkeit Nach Gondek (in Hinderk 1998, 103) unterstellt sich der Versprechende eine besondere Fiktion von „Selbigkeit“. Er verspricht, derjenige zu bleiben, der von sich selbst behauptet, das gegebene Versprechen halten zu wollen und halten zu können. Oder andersherum: Der, der ich sein werde, um ein Versprechen überhaupt geben zu können, bin ich heute und werde dieser auch bleiben. Die Fähigkeit, ein Versprechen geben zu können, kann dann die Zukunft als eine Dimension erschließen, auf die der andere sich verlassen kann. Indem ein Versprechen gegeben wird, können Akteure versuchen, sich gegenseitig kalkulierbar zu machen. Weil die Gefahr des unkooperativen Handelns ständig präsent ist, wäre dies eine Möglichkeit, die eigene Opportunismusneigung kontrollieren zu können. Versprechen nehmen dann die Gestalt von „Selbstbürgschaften“ (Strasser/ Voswinkel 1997, 227) an, indem sie dem Akteur ein zusätzliches Risiko für einen Vertrauensmissbrauch aufbürden. Das Ziel ist dann einerseits die Demonstration der Ernsthaftigkeit der Absichten des Akteurs gegenüber anderen nach außen. Andererseits erhöht er durch diese Selbstbindung auch das Vertrauen sich selbst gegenüber. „Can one trust oneself?” fragt Dasgupta (1988, 54) und stellt heraus, dass es durchaus Situationen geben kann, in denen man nicht genau weiß, was man tut, sei es in einem Zustand von Rausch, Trunkenheit oder großer emotionaler Belastung. „The important class of cases that needs analysis is where a person does not trust the extent of his own commitment, his ability to carry out and see through his own projects” (ebd., kursiv im Orig.). So mag der Geist oft willig sein, doch das Fleisch ist schwach, kann man mit dem Volksmund ergänzen. Nietzsche würde es anders ausdrücken: „Man kann Handlungen versprechen, aber keine Empfindungen; denn diese sind unwillkürlich“ (zit. n. Greisch 1998, 243) 36 . Ein Versprechen dagegen ist ein Willensakt, und nur deshalb kann es wirksam werden, weil derjenige, der verspricht, sich selbst berechenbar, regelmäßig und notwendig macht (ebd. 244). 36 Ebenso problematisch ist es auch, sich gegenseitig Liebe zu versprechen. Das Einzige was man rationaler Weise versprechen kann, ist der Wunsch, zukünftig genau der bleiben zu wollen, als der man sich gefühlsmäßig augenblicklich empfindet und darstellt. Und das Versprechen würde sich dann darauf beziehen, dass man 48

Gefangenen 10 Jahre h<strong>in</strong>ter Gittern verbr<strong>in</strong>gen muss. Denn auch Rationalität ist an sich noch<br />

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<strong>Vertrauen</strong>, gerade auch im S<strong>in</strong>ne rationaler Kooperation, lässt sich nicht auf die<br />

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Entscheidung, sich auf <strong>Vertrauen</strong> als Strategie e<strong>in</strong>zulassen, so leicht wie möglich zu machen,<br />

wenn man selbst davon überzeugt ist, dass man selbst nur durch Kooperation mit dem An<strong>der</strong>en<br />

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Kapitel 2.2<br />

Appell an Freiwilligkeit – unterstützende Mechanismen<br />

Versprechen gleichen Inseln <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Meer <strong>der</strong> Ungewissheit<br />

Hannah Arendt 1960 35<br />

<strong>Vertrauen</strong>sbeziehungen lassen sich nicht erzw<strong>in</strong>gen. E<strong>in</strong> Appell im S<strong>in</strong>ne: „wir müssen<br />

uns jetzt aber vertrauen“, macht eher das Defizit von <strong>Vertrauen</strong> offensichtlich, als dass es<br />

irgende<strong>in</strong>en Anstoß bieten könnte, von diesem Zeitpunkt ab mehr <strong>Vertrauen</strong> zu <strong>in</strong>vestieren.<br />

Funktionierende Nachbarschaftsbeziehungen existieren auch nicht per Akklamation, son<strong>der</strong>n<br />

unterliegen e<strong>in</strong>er langsamen Investitionsstrategie. Das Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> kle<strong>in</strong>en Schritte (Luhmann<br />

1989, 43) ähnelt <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> tit-for-tat Strategie. E<strong>in</strong> Akteur, <strong>der</strong> für sich erwägt, dass<br />

Kooperation die erfolgreichere Strategie ist, wird versuchen, e<strong>in</strong>e <strong>Vertrauen</strong>sbeziehung zu<br />

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35 Im Orig<strong>in</strong>al: „Sobald Versprechen aufhören, solchen Inseln <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Meer <strong>der</strong> Ungewissheit zu gleichen, ...<br />

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