Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit

Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit

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Kapitel 2 Die Dynamik des Vertrauens José hat eine Bank ausgeraubt und flieht nach Süden über den Rio Grande, die Texas Ranger immer dicht auf den Fersen. Sie holen ihn in einer mexikanische Kleinstadt ein; da José kein Englisch spricht und keiner der Ranger Spanisch, suchen sie sich einen Einheimischen, der bereit ist, als Dolmetscher zu fungieren, und beginnen das Verhör. „Wo hast du das Geld versteckt?“ „Die Gringos wollen wissen, wo du das Geld versteckt hast.“ „Sag den Gringos, das sage ich ihnen nie.“ „José sagt, das wird er Ihnen nie sagen.“ Die Ranger spannen die Hähne ihrer Pistolen und zielen auf José. „Sag ihm, wenn er uns nicht sagt, wo er das Geld versteckt hat, werden wir ihn erschießen.“ „Die Gringos sagen, wenn du es ihnen nicht verrätst, werden sie dich erschießen.“ José schlottert vor Angst. „Sag den Gringos, ich habe das Geld am Fuß der Brücke über dem Fluss versteckt.“ „José sagt, er hat keine Angst davor, zu sterben.“ David Friedman 1999, 409 Einleitung Wie kann man die Prozesse der Vertrauensbildung beschreiben? Wann entsteht Vertrauen, und wie beschreibt man das, was eine Situation dann als Vertrauenssituation auszeichnet? Das Modell rationalen Wahlhandelns geht von einem Akteur aus, der voluntaristisch und rational seinen Nutzen maximieren will. Wenn dies die Minimalbedingung einer Handlung zwischen zwei Akteuren ist, ist die Frage zu welchem Zeitpunkt der Handlung dann Vertrauen eintritt. Und wenn es Prozesse gibt, durch die Vertrauen entsteht, ist die ökonomische Frage, wie rational sind diese Handlungen und könnte man das Ergebnis nicht durch andere Mechanismen „günstiger“ erreichen? Worin die Dynamik von Vertrauen besteht, soll Thema dieses Kapitels sein. Es wird sich zeigen, dass eine vertrauensvolle Kooperation zwischen zwei Akteuren weitaus mehr Bedingungen unterliegt, als es im ersten Moment den Anschein hat. Kapitel 2.1 Wenn Kooperation irrational ist Nicht jeder beobachtbaren Form von Zusammenarbeit muss Vertrauen als eine Basis zugrunde liegen. In einer Sklavengesellschaft mag man durchaus Formen der Kooperation erkennen können, deren Vertrauenspotential gerade nicht ausschlaggebend für den Erfolg der Unternehmung sein dürfte. Wenn allerdings Vertrauen als eine Ressource innerhalb einer 39

Gesellschaft bereits relevant ist, so können Nachbarschaftsbeziehungen und ähnliche Formen persönlicher Bindungen, welche sich in einem Verhältnis gegenseitiger Verbindlichkeit, Verpflichtung und Abhängigkeit befinden, produktive Kooperationsformen in vielerlei Hinsicht ausbilden. Im Sinne einer Rekonstruktion von Handlungsweisen unter Bedingungen eines Rational-Choice Modells ist die Frage nicht, was passiert, wenn man auf Vertrauen zurückgreift, sondern warum Vertrauen als Strategie gewählt werden sollte. Wir haben rationale Akteure mit individuellen Präferenzen, deren Ziel es ist, auf dieser Grundlage ihren Nutzen zu maximieren. Das Problem besteht nun darin, ob es unter diesen Bedingungen nachvollziehbar ist, dass sich voluntaristische Akteure rational für eine vertrauensvolle Kooperation entscheiden werden. Als Erklärung soll das „Haustier der modernen Moralwissenschaften“ (Kliemt 1993, 288) dienen: das viel zitierte Gefangenen- bzw. prisonner’s Dilemma (hier in Anlehnung an Miller 1992, 21ff.). Soziales Dilemma – wenn individuelle Rationalität sozial ineffektiv ist Smith und Jones verbüßen ihre Straf bereits eine gewisse Zeit im Gefängnis wegen eines großen Diebstahls. Die Staatsanwältin Frau Doe hat noch einen ungelösten Bankraub und glaubt, dass die beiden auch die Täter dieses Verbrechens sind. Da sie Gouverneurin werden will, möchte sie ein Geständnis der beiden haben. Sie geht davon aus, dass sich dies gut in ihren Unterlagen machen wird. So veranlasst sie also die Wächter, eine Razzia in den Zellen durchzuführen, um nach Waffen und Drogen zu suchen. Diese Informationen werden es ihr ermöglichen, in jedem Fall ein Geständnis zu erwirken, zumindest für den minder schweren Fall des Waffen- und Drogenbesitzes. Anschließend sollen beide in getrennte Zellen gesperrt werden. Ihr Ziel verfolgt die Staatsanwältin wie folgt: Sie macht zunächst Smith folgendes Angebot: Sollte er gestehen, Jones aber nicht, werde sie für ihn von einer Anklage absehen und er käme durch eine Kronzeugenregelung frei. Falls nun Jones ebenfalls gestehen sollte, kann sie die Anklage nicht für beide fallen lassen, aber sie könnte dann mildernde Umstände geltend machen, so dass beide mit 3 Jahren rechnen müssten. Sollte Smith sich allerdings weigern zu gestehen, wird sie nicht mehr so entgegenkommend sein. Im Fall, dass dann Jones als Einziger gesteht, wird sie für Smith die Höchststrafe von 10 Jahren beantragen. Sollten am Ende beide nicht gestehen, so kann sie ihnen dennoch jeweils eine geringere Strafe von 1 Jahr wegen des (eingefädelten) Drogenbesitzes aufbrummen. 40

Gesellschaft bereits relevant ist, so können Nachbarschaftsbeziehungen <strong>und</strong> ähnliche Formen<br />

persönlicher B<strong>in</strong>dungen, welche sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Verhältnis gegenseitiger Verb<strong>in</strong>dlichkeit,<br />

Verpflichtung <strong>und</strong> Abhängigkeit bef<strong>in</strong>den, produktive Kooperationsformen <strong>in</strong> vielerlei<br />

H<strong>in</strong>sicht ausbilden.<br />

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Rational-Choice Modells ist die Frage nicht, was passiert, wenn man auf <strong>Vertrauen</strong><br />

zurückgreift, son<strong>der</strong>n warum <strong>Vertrauen</strong> als Strategie gewählt werden sollte. Wir haben<br />

rationale Akteure mit <strong>in</strong>dividuellen Präferenzen, <strong>der</strong>en Ziel es ist, auf dieser Gr<strong>und</strong>lage ihren<br />

Nutzen zu maximieren. Das Problem besteht nun dar<strong>in</strong>, ob es unter diesen Bed<strong>in</strong>gungen<br />

nachvollziehbar ist, dass sich voluntaristische Akteure rational für e<strong>in</strong>e vertrauensvolle<br />

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Als Erklärung soll das „Haustier <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Moralwissenschaften“ (Kliemt 1993, 288)<br />

dienen: das viel zitierte Gefangenen- bzw. prisonner’s Dilemma (hier <strong>in</strong> Anlehnung an Miller 1992,<br />

21ff.).<br />

Soziales Dilemma – wenn <strong>in</strong>dividuelle Rationalität sozial <strong>in</strong>effektiv ist<br />

Smith <strong>und</strong> Jones verbüßen ihre Straf bereits e<strong>in</strong>e gewisse Zeit im Gefängnis wegen<br />

e<strong>in</strong>es großen Diebstahls. Die Staatsanwält<strong>in</strong> Frau Doe hat noch e<strong>in</strong>en ungelösten Bankraub <strong>und</strong><br />

glaubt, dass die beiden auch die Täter dieses Verbrechens s<strong>in</strong>d. Da sie Gouverneur<strong>in</strong> werden<br />

will, möchte sie e<strong>in</strong> Geständnis <strong>der</strong> beiden haben. Sie geht davon aus, dass sich dies gut <strong>in</strong><br />

ihren Unterlagen machen wird. So veranlasst sie also die Wächter, e<strong>in</strong>e Razzia <strong>in</strong> den Zellen<br />

durchzuführen, um nach Waffen <strong>und</strong> Drogen zu suchen. Diese Informationen werden es ihr<br />

ermöglichen, <strong>in</strong> jedem Fall e<strong>in</strong> Geständnis zu erwirken, zum<strong>in</strong>dest für den m<strong>in</strong><strong>der</strong> schweren<br />

Fall des Waffen- <strong>und</strong> Drogenbesitzes. Anschließend sollen beide <strong>in</strong> getrennte Zellen gesperrt<br />

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Ihr Ziel verfolgt die Staatsanwält<strong>in</strong> wie folgt: Sie macht zunächst Smith folgendes<br />

Angebot: Sollte er gestehen, Jones aber nicht, werde sie für ihn von e<strong>in</strong>er Anklage absehen <strong>und</strong><br />

er käme durch e<strong>in</strong>e Kronzeugenregelung frei. Falls nun Jones ebenfalls gestehen sollte, kann<br />

sie die Anklage nicht für beide fallen lassen, aber sie könnte dann mil<strong>der</strong>nde Umstände geltend<br />

machen, so dass beide mit 3 Jahren rechnen müssten. Sollte Smith sich allerd<strong>in</strong>gs weigern zu<br />

gestehen, wird sie nicht mehr so entgegenkommend se<strong>in</strong>. Im Fall, dass dann Jones als E<strong>in</strong>ziger<br />

gesteht, wird sie für Smith die Höchststrafe von 10 Jahren beantragen. Sollten am Ende beide<br />

nicht gestehen, so kann sie ihnen dennoch jeweils e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere Strafe von 1 Jahr wegen des<br />

(e<strong>in</strong>gefädelten) Drogenbesitzes aufbrummen.<br />

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