01.12.2014 Aufrufe

Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit

Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit

Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>in</strong>sofern gar nicht berührt. Die Handlungsrationalität enthält selbst ke<strong>in</strong>erlei Werturteil. Es geht<br />

um <strong>in</strong>haltliche Entscheidungen e<strong>in</strong>er handelnden Person, die sich für ihre Taten persönlich<br />

rechtfertigen muss. Und auch <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Rechtfertigung wird rational bestimmt, denn<br />

natürlich kann man sich e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>neren Weltgericht verpflichtet fühlen o<strong>der</strong> sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Sache<br />

„bl<strong>in</strong>d verrennen“ – das s<strong>in</strong>d dann allerd<strong>in</strong>gs die bl<strong>in</strong>den Flecken <strong>der</strong> Theorie, <strong>der</strong>en Erklärung<br />

sie gar nicht leisten kann.<br />

Unser Akteur ist also frei <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Wahlentscheidungen. Diese Wahl richtet sich dann<br />

nach dem Wert, welchen <strong>der</strong> Akteur dieser Sache beimisst. Wor<strong>in</strong> dieser Wert besteht, wird<br />

nicht durch Worte erkannt, son<strong>der</strong>n durch das Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> bek<strong>und</strong>eten (o<strong>der</strong> offenbarten)<br />

Präferenz (Friedman 1999, 33). E<strong>in</strong> Wert ist damit nichts per se Moralisches, etwas, das für<br />

wertvoll erachtet werden müsste. E<strong>in</strong> Brotkanten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hand e<strong>in</strong>es Verhungernden mag e<strong>in</strong>en<br />

vergleichbar hohen Wert haben wie die Hero<strong>in</strong>spritze für e<strong>in</strong>en Süchtigen. E<strong>in</strong> Wert wird<br />

lediglich ökonomisch bestimmt. Dies muss wie<strong>der</strong>um nicht heißen, dass er primär f<strong>in</strong>anzieller<br />

o<strong>der</strong> materieller Art se<strong>in</strong> muss. „Ökonomischer Wert ist ganz e<strong>in</strong>fach Wert für Individuen, wie<br />

er von ihnen selbst beurteilt wird <strong>und</strong> <strong>in</strong> ihren Handlungen zum Vorsche<strong>in</strong> kommt“ (ebd.). Und<br />

diese Wahl wird völlig frei getroffen. Friedman (1999, 34) verdeutlicht dies an e<strong>in</strong>em Beispiel,<br />

<strong>in</strong>dem er aus ökonomischer Sicht erklärt, dass <strong>der</strong> Satz falsch ist, dass arme Menschen auf die<br />

Alternative verzichten zum Arzt zu gehen, weil sie es sich e<strong>in</strong>fach nicht leisten können. Sie<br />

entscheiden sich dazu, weil sie ansonsten D<strong>in</strong>ge aufgeben müssten, die ihnen noch wichtiger<br />

s<strong>in</strong>d – Essen vielleicht o<strong>der</strong> Heizung. 27<br />

Der rationale Akteur richtet sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Verhalten ausschließlich nach den von ihm<br />

erwarteten Kausalfolgen e<strong>in</strong>zelner Akte. Kliemt (1993, 282) nennt dies das „Interventionspr<strong>in</strong>zip<br />

<strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuellen Rationalentscheidung“. Dieses Pr<strong>in</strong>zip trifft e<strong>in</strong>e Annahme darüber,<br />

wie rationale Akteure ihre Welt entwerfen. Die Vergangenheit ist dabei nur <strong>in</strong>soweit von<br />

Bedeutung, als sie etwas über voraussichtliche Entwicklungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zukunft aussagen kann,<br />

ansonsten ist, was vorbei ist, vorbei. Es ist alle<strong>in</strong> die Zukunft, die zählt. Zum an<strong>der</strong>en ist es für<br />

die rationale Entscheidung des e<strong>in</strong>zelnen bedeutungslos, wie sich e<strong>in</strong>e ganze Klasse von<br />

E<strong>in</strong>zelakten auswirken würde. Rationalität <strong>in</strong> diesem Zusammenhang ist e<strong>in</strong>e Annahme über<br />

<strong>in</strong>dividuelles Verhalten, nicht über hypothetische Folgen von Gruppenverhalten. Es geht um<br />

26 Grande spricht auch davon, dass gerade die Mikroebene <strong>in</strong>dividueller Akteure <strong>in</strong> <strong>der</strong> Politikwissenschaft wie<strong>der</strong><br />

e<strong>in</strong>e große Rolle spielt. Der methodologische Individualismus hat se<strong>in</strong>es Erachtens Konjunktur (ebd.).<br />

27 Der Zynismus an diesem Beispiel, so Friedman, liegt nicht dar<strong>in</strong>, zu sagen, jemand entscheidet sich dazu, ke<strong>in</strong><br />

Geld für mediz<strong>in</strong>ische Versorgung auszugeben, wenn ihm als „Alternative“ verbleibt zu verhungern o<strong>der</strong> zu<br />

erfrieren. Die Lage <strong>der</strong> Menschen wird gewöhnlich nicht besser, wenn e<strong>in</strong>e Regierung die Alternativen für die<br />

Personen verr<strong>in</strong>gert, zwischen e<strong>in</strong>em von beidem „wählen“ zu müssen – das ist zynisch.<br />

35

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!