Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit
Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit
Zurück zum erwähnten Arzt-Patienten-Verhältnis. Arzt wird man nicht per Akklamation, sondern es bedarf einer langjährigen Ausbildung, welche durch staatliche Prüfung legitimiert wird, d.h. der Staat garantiert letztlich die Qualität seiner Ärzte. Dennoch zeichnet sich eine langfristige Arzt-Patienten-Beziehung durch informelle und generell eher unspezifische Merkmale aus 14 . Es ist die persönliche Beziehung, die Vertrauen schafft, auch und gerade dann, wenn ökonomische Transaktionen die Ursache sind. Je vertrauter man sich ist, desto niedriger mag die Gefahr sein, betrogen zu werden, und desto überflüssiger ist der Bedarf an ausgefeilten formalen Steuerungsstrukturen. Der Patient vertraut dem Arzt in diesem Sinne als Person, nicht als staatlich anerkanntem Mediziner. „Mit anderen Worten, persönliche Kontakte ergänzen funktionale Beziehungen, weil man durch sie reichhaltigere Informationen und ein größeres Maß an Verbindlichkeit erwartet“ (Strasser/ Voswinkel 1997, 232). Information und Verbindlichkeit ist letztlich aber nichts, was man einklagen oder in irgendeiner Weise wirklich evident machen könnte. So wie Vertrauen selbst eine Täuschung ist 15 , kann eine Täuschung auch nicht bewiesen werden. Letztlich ist Vertrauen immer unbegründbar, aber man wird dennoch nach Beweisen suchen, um so mehr, je weniger fundiert das Vertrauen ist. Ein Beispiel aus den USA verdeutlicht, was es heißt, nicht auf die Ressource Vertrauen zurückgreifen zu können: “it is a commonplace observation that doctors run too many tests on patients in order to protect themselves from malpractice suits.” Too many heißt dabei, dass mehr Test gemacht werden, als der Arzt offensichtlich für seine Diagnose braucht. Aber es ist schwer, im Nachhinein zu erkennen, ob die Diagnose wirklich im Voraus so gestellt werden musste. „It is far easier to observe whether the doctor followed some pattern of generally accepted practice that allows for few subjective options. That such a clearly laid-out pattern of practice is suboptimal relative to the (first-best) application of subjective judgement is obvious” (Kreps 1990, 115). Die Perspektive, unter der Vertrauen bisher beschrieben wurde, bezieht sich immer noch auf die These, dass Vertrauen als eine Form der Komplexitätsreduktion durch Subjektivierung dargestellt wird. Das Niveau der Unsicherheit wird tragbar gemacht, indem der Akteur innere Sicherheit an die Stelle von äußerer setzt und ihm dadurch all die Handlungen möglich werden, die ohne Vertrauen ein Mehr an Transaktionskosten verursacht hätten. 14 Es geht hierbei nicht darum, diese Beziehung romantisch zu verklären, auch Ärzte werden mehr und mehr zu Dienstleistern wie andere Berufsgruppen auch. Zu diesem Problem genauer Kapitel 3 15 Wiederum im Luhmannschen Sinne, dass Vertrauen durch Ausblenden von wahrscheinlichen Widersprüchen eine Entscheidung erst ermöglicht, obwohl nicht genügend Informationen vorhanden sind, um rationaler Weise eine Entscheidung „sicher“ zu treffen. Diese Sicherheit „täuscht“ man sich selbst also nur vor. 25
Vertrauen ist eine subjektive Einstellung, die nun ihrerseits verallgemeinernd wirkt. D.h. Vertrauen ist kein punktuelles Ereignis sondern im Gegenteil eine Generalisierung: „Vertrauensurteile verallgemeinern Erfahrungen, dehnen sich auf andere, jedoch „ähnliche“ Fälle aus und stabilisieren in dem Maße, als sie sich bewähren, eine Indifferenz gegen Unterschiede“ (Luhmann 1989, 27). Diese Generalisierung involviert dabei drei Aspekte: „eine Teilverlagerung der Problematik von „außen“ nach „innen“, einen Vorgang des Lernens und eine symbolische Fixierung des Ergebnisses in der Umwelt“ (ebd., kursiv im Orig.). Damit schafft Vertrauen den Spielraum, in welchem Komplexität nicht über Kontrolle, Normen, Planung oder Verträge reduziert wird, sondern über persönliche Einstellung. Es ist ein Interpretationsspielraum, in welchem Handlungen gemäß den eigenen Einschätzungen überzogen werden. Die Gegenleistung des Nachbarn entspringt dann nicht mehr dem Zwang, die Schuld einer von einem anderen geleisteten Vorarbeit abzutragen, sondern seiner Solidarität. Ein Arzt macht besonders aufwendige Tests mit seinen Patienten, nicht, weil er seine teuren Geräte abbezahlen muss, sondern weil er ihnen wirklich helfen will und die Test dringend nötig sind. Oder in den Worten des Thomas-Theorems: „If men define situations as real, they are real in their consequences.” Diese Handlungen laufen dennoch keineswegs „blind“ ab. Auch sie unterliegen einer Form von „Kontrolle“, welche sich über ganz bestimmte Schwellen vollzieht. Diese Schwellen kontrollieren das Erleben und beziehen sich damit auf eine „künstliche Diskontinuität, die den Erlebensbereich vor und nach der Schwelle egalisiert und dadurch vereinfacht. Innerhalb dieser Schwelle herrscht Konstanz bzgl. der Interpretation des eigenen Erlebens. Nicht jede Unstimmigkeit weckt Zweifel, nicht jede Enttäuschung muss automatisch gegebenes Vertrauen zerstören. An die Stelle der früheren Komplexität tritt nun das Ersatzproblem des Erkennens der Schwelle (vgl. Luhmann 1989, 81). Nicht mehr die Handlungen selbst werden beobachtet, sondern Indizien werden durch eine Kombination aus Rückkoppelungsschleifen interpretiert. Die Art und Weise, wie sich der andere verhält, kann dann wichtiger werden als die tatsächliche Durchführung der Handlung. Wenn Akteure bspw. der Überzeugung sind, dass ein einmal gegebenes Wort nie wieder gebrochen werden darf und jemand verhält sich danach, dann wird ihnen dieser Mensch immer vertrauenswürdig vorkommen, ganz gleich wofür er dieses Wort gegeben hat. Die Form symbolischer Kontrolle läuft dabei jedoch weitgehend undiskutiert und im Unbestimmten ab. Einen Vertrauensbeweis zu fordern, widerspräche genau der spezifischen Natur von Vertrauen als soziales Kapital. Solidarität unter Nachbarn lässt sich nicht durch einen Eins-zu-eins-Tausch fordern. – jedenfalls nicht in dieser Offensichtlichkeit. Jenseits der Kontrollschwelle 26
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<strong>Vertrauen</strong> ist e<strong>in</strong>e subjektive E<strong>in</strong>stellung, die nun ihrerseits verallgeme<strong>in</strong>ernd wirkt.<br />
D.h. <strong>Vertrauen</strong> ist ke<strong>in</strong> punktuelles Ereignis son<strong>der</strong>n im Gegenteil e<strong>in</strong>e Generalisierung:<br />
„<strong>Vertrauen</strong>surteile verallgeme<strong>in</strong>ern Erfahrungen, dehnen sich auf an<strong>der</strong>e, jedoch „ähnliche“<br />
Fälle aus <strong>und</strong> stabilisieren <strong>in</strong> dem Maße, als sie sich bewähren, e<strong>in</strong>e Indifferenz gegen<br />
Unterschiede“ (Luhmann 1989, 27). Diese Generalisierung <strong>in</strong>volviert dabei drei Aspekte: „e<strong>in</strong>e<br />
Teilverlagerung <strong>der</strong> Problematik von „außen“ nach „<strong>in</strong>nen“, e<strong>in</strong>en Vorgang des Lernens <strong>und</strong><br />
e<strong>in</strong>e symbolische Fixierung des Ergebnisses <strong>in</strong> <strong>der</strong> Umwelt“ (ebd., kursiv im Orig.). Damit schafft<br />
<strong>Vertrauen</strong> den Spielraum, <strong>in</strong> welchem Komplexität nicht über Kontrolle, Normen, Planung<br />
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<strong>in</strong> welchem Handlungen gemäß den eigenen E<strong>in</strong>schätzungen überzogen werden.<br />
Die Gegenleistung des Nachbarn entspr<strong>in</strong>gt dann nicht mehr dem Zwang, die Schuld e<strong>in</strong>er von<br />
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Worten des Thomas-Theorems: „If men def<strong>in</strong>e situations as real, they are real <strong>in</strong> their<br />
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Diese Handlungen laufen dennoch ke<strong>in</strong>eswegs „bl<strong>in</strong>d“ ab. Auch sie unterliegen e<strong>in</strong>er<br />
Form von „Kontrolle“, welche sich über ganz bestimmte Schwellen vollzieht. Diese Schwellen<br />
kontrollieren das Erleben <strong>und</strong> beziehen sich damit auf e<strong>in</strong>e „künstliche Diskont<strong>in</strong>uität, die den<br />
Erlebensbereich vor <strong>und</strong> nach <strong>der</strong> Schwelle egalisiert <strong>und</strong> dadurch vere<strong>in</strong>facht. Innerhalb dieser<br />
Schwelle herrscht Konstanz bzgl. <strong>der</strong> Interpretation des eigenen Erlebens. Nicht jede<br />
Unstimmigkeit weckt Zweifel, nicht jede Enttäuschung muss automatisch gegebenes <strong>Vertrauen</strong><br />
zerstören. An die Stelle <strong>der</strong> früheren Komplexität tritt nun das Ersatzproblem des Erkennens<br />
<strong>der</strong> Schwelle (vgl. Luhmann 1989, 81). Nicht mehr die Handlungen selbst werden beobachtet,<br />
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Die Art <strong>und</strong> Weise, wie sich <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e verhält, kann dann wichtiger werden als die<br />
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<strong>der</strong> spezifischen Natur von <strong>Vertrauen</strong> als soziales Kapital. Solidarität unter Nachbarn lässt sich<br />
nicht durch e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>s-zu-e<strong>in</strong>s-Tausch for<strong>der</strong>n. – jedenfalls nicht <strong>in</strong> dieser Offensichtlichkeit.<br />
Jenseits <strong>der</strong> Kontrollschwelle<br />
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