01.12.2014 Aufrufe

Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit

Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit

Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

e<strong>in</strong>geübt: „Ne<strong>in</strong>, man ist ke<strong>in</strong> Bücherwurm, schon gar nicht bastelt man Schiffsmodelle<br />

(Leseratten <strong>und</strong> Modellbauer gelten leicht als kommunikationsscheu). Ne<strong>in</strong>, man joggt auch<br />

nicht alle<strong>in</strong> im Morgengrauen durch den Wald (so etwas könnte als Eigenbrötlerei gedeutet<br />

werden). Vielmehr verschafft man sich Samstag nachmittags bei unverdächtigen<br />

Mannschaftssportarten Bewegung“ (Deysson 1999, 161).<br />

Was ist passiert, dass <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er hoch <strong>in</strong>dividualistischen Gesellschaft, die vornehmlich<br />

ichbezogene Tugenden belohnt, das Team <strong>der</strong>art hochgelobt wird? Wie verträgt sich das<br />

<strong>in</strong>dividuelle Leistungs- <strong>und</strong> Aufstiegsstreben mit <strong>der</strong> Propagierung des Gruppengedankens?<br />

O<strong>der</strong> ist es ganz an<strong>der</strong>s, dient <strong>der</strong> Gruppen- bzw. Teambegriff viel eher als „Wärmemetapher“<br />

(Luhmann) denn als funktionale Differenz. Natürlich soll <strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuelle Ehrgeiz als<br />

Motivationsmotor ke<strong>in</strong>eswegs abgeschafft werden, er soll „durch die Rückb<strong>in</strong>dung an das<br />

Team nur domestiziert werden“ (Mart<strong>in</strong> 2000, 895). Denn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Team stimmt irgendwie alles:<br />

man versteht sich „bl<strong>in</strong>d“, spr<strong>in</strong>gt ungefragt füre<strong>in</strong>an<strong>der</strong> e<strong>in</strong>, organisiert <strong>und</strong> motiviert sich<br />

selbst <strong>und</strong> stellt das eigene Interesse h<strong>in</strong>ter das Gesamt<strong>in</strong>teresse zurück. Endlich ist es wie<strong>der</strong><br />

möglich, <strong>in</strong> sozialdarw<strong>in</strong>istischen <strong>Zeiten</strong> an Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit <strong>und</strong> <strong>Vertrauen</strong> zu<br />

glauben.<br />

Wie bei <strong>Vertrauen</strong> zeigt das ganze Gerede über Gruppenidylle nur um so deutlicher,<br />

wie prekär die Lage eigentlich ist. Unter Gruppe wird nicht bloß die Summe ihrer Teilnehmer<br />

verstanden, son<strong>der</strong>n per Def<strong>in</strong>ition auch schon das „Mehr“ darüber h<strong>in</strong>aus impliziert. Es ist ja<br />

richtig, dass sich aus e<strong>in</strong>er spezifischen Konstellation Synergieeffekte ergeben. Dies kann dann<br />

<strong>der</strong> Fall se<strong>in</strong>, wenn sich die Fähigkeiten <strong>der</strong> Gruppenmitglie<strong>der</strong> gegenseitig ergänzen, wenn aus<br />

<strong>der</strong> selbstbestimmten Arbeitsteilung Produktivitätsvorteile resultieren, wenn durch<br />

Gruppenarbeit <strong>der</strong> Zusammenhalt gefestigt wird <strong>und</strong> wenn aus <strong>der</strong> geme<strong>in</strong>samen Aktivität<br />

Begeisterung für die Aufgabe erwächst. Ebenso wahrsche<strong>in</strong>lich s<strong>in</strong>d aber auch hier die<br />

gegenteiligen Effekte. Unterschiedliche Problemlösungsfähigkeiten führen nicht selten zu<br />

erheblichen Verständigungsproblemen. Arbeitsteilung funktioniert so lange von selbst, wie es<br />

ke<strong>in</strong>e schwer lösbaren Abstimmungsprobleme gibt. Ebenso gehen von e<strong>in</strong>er starken<br />

emotionalen B<strong>in</strong>dung ambivalente Wirkungen aus: Was passiert, wenn die Gruppe so<br />

e<strong>in</strong>gespielt, e<strong>in</strong>geschworen <strong>und</strong> geschlossen ist, dass Innovationen <strong>und</strong> an<strong>der</strong>sartige Ideen als<br />

Abweichung <strong>und</strong> Bedrohung für die Kohärenz empf<strong>und</strong>en werden (vgl. Mart<strong>in</strong> 2000, 897f). 168<br />

„Die Frage, ob <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelne „teamfähig“ sei, ist also schon im Ansatz verkehrt. Viel<br />

berechtigter ist die ketzerische Gegenfrage, ob das Team flexibel <strong>und</strong> weitsichtig genug ist,<br />

168 In dieser Dynamik droht man leicht e<strong>in</strong>er pseudodemokratischen Arithmetik des kle<strong>in</strong>sten geme<strong>in</strong>samen<br />

Nenners zu erliegen, wonach die Kette immer nur so stark wie ihr schwächstes Glied ist <strong>und</strong> sich allesamt<br />

<strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Gruppe nach diesem ausrichten müssen.<br />

208

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!