Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit

Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit

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noch bedingt zentral steuern und kontrollieren. Je größer damit die Ermessensspielräume werden, desto größer werden die Ungewissheitszonen; damit hat Gruppenorganisation immer etwas mit Machtzuwachs seitens der Gruppe zu tun. Ebenso steigen die Ungewissheiten im Inneren der Gruppe. Was kann die Gruppe als Gruppe tatsächlich leisten, und wie kann der Beitrag des einzelnen gemessen werden? Das heißt, es geht um die Trittbrettfahrer- Problematik, die bei allen Formen von Informationsasymmetrien virulent ist. Je komplexer das herzustellende Produkt, desto schwieriger ist es, geeignete Indikatoren für die individuelle Leistungsbewertung zu finden. So betonen Fertigungsinsel-Mitarbeiter in diesem Zusammenhang, dass ihnen der Erwerb der erweiterten fachlichen Kenntnisse nicht so schwer gefallen sei wie die Fähigkeit, selbständig bzw. in kleinen Inselteams zu planen und zu kooperieren (vgl. Markert 1998, 69). Drittens stellt sich der Aspekt der Aufgabenerweiterung sehr zwiespältig dar und wird von den Betroffenen eher als Leistungsintensivierung erfahren. Streng genommen handelt es sich eben doch um ein betriebswirtschaftliches Rationalisierungsprogramm, auch wenn das Top-Management eine ausgesprochen partizipationsfreundliche Diktion verbreitet: „Es saugt die positiven und motivierenden Konnotationen von Begriffen wie Team, Selbststeuerung und partizipativer Unternehmenskultur auf und definiert die aktuelle Firmensituation als Kulturwandel“ (Kotthoff 1997, 173). Viertens erscheinen unter dieser rein ökonomischen Zielrichtung Trainings-, Qualifizierungs- und Weiterbildungsprogramme den Betroffenen als eine Form der „Einsozialisierung“ in die Unternehmenskultur und Ausrichtung der individuellen Verpflichtungen auf die Unternehmensziele. Der Erfolg dieser Maßnahmen ist empirisch auch eher bescheiden, so dass die Betriebe wie bisher eine Ansammlung teils konkurrierender teils kooperierender Individuen sind (vgl. Dörre 1996, 19f). Wann ist das Team mehr als die Summe seiner Teile? Bei dieser Aufzählung wird der „schwarze Peter“ einmal mehr der organisationalen Struktur zugeschoben, vielleicht liegen all die Probleme doch eher darin begründet, dass die beteiligten Akteure einfach nicht teamfähig und eher sozial inkompetent sind? Warum werden die neuen Arbeitsbereicherungen nicht zugleich als Entwicklungschance genutzt? In Stellenanzeigen ist „Teamfähigkeit“ selbstverständlich geworden. Teamfähigkeit wird zum Gütesiegel für Sozialverträglichkeit ebenso wie zum Totschlagargument. Für Vorstellungsgespräche werden Zwecklügen gegen Fangfragen über „soziale Kompetenz“ 207

eingeübt: „Nein, man ist kein Bücherwurm, schon gar nicht bastelt man Schiffsmodelle (Leseratten und Modellbauer gelten leicht als kommunikationsscheu). Nein, man joggt auch nicht allein im Morgengrauen durch den Wald (so etwas könnte als Eigenbrötlerei gedeutet werden). Vielmehr verschafft man sich Samstag nachmittags bei unverdächtigen Mannschaftssportarten Bewegung“ (Deysson 1999, 161). Was ist passiert, dass in einer hoch individualistischen Gesellschaft, die vornehmlich ichbezogene Tugenden belohnt, das Team derart hochgelobt wird? Wie verträgt sich das individuelle Leistungs- und Aufstiegsstreben mit der Propagierung des Gruppengedankens? Oder ist es ganz anders, dient der Gruppen- bzw. Teambegriff viel eher als „Wärmemetapher“ (Luhmann) denn als funktionale Differenz. Natürlich soll der individuelle Ehrgeiz als Motivationsmotor keineswegs abgeschafft werden, er soll „durch die Rückbindung an das Team nur domestiziert werden“ (Martin 2000, 895). Denn in einem Team stimmt irgendwie alles: man versteht sich „blind“, springt ungefragt füreinander ein, organisiert und motiviert sich selbst und stellt das eigene Interesse hinter das Gesamtinteresse zurück. Endlich ist es wieder möglich, in sozialdarwinistischen Zeiten an Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit und Vertrauen zu glauben. Wie bei Vertrauen zeigt das ganze Gerede über Gruppenidylle nur um so deutlicher, wie prekär die Lage eigentlich ist. Unter Gruppe wird nicht bloß die Summe ihrer Teilnehmer verstanden, sondern per Definition auch schon das „Mehr“ darüber hinaus impliziert. Es ist ja richtig, dass sich aus einer spezifischen Konstellation Synergieeffekte ergeben. Dies kann dann der Fall sein, wenn sich die Fähigkeiten der Gruppenmitglieder gegenseitig ergänzen, wenn aus der selbstbestimmten Arbeitsteilung Produktivitätsvorteile resultieren, wenn durch Gruppenarbeit der Zusammenhalt gefestigt wird und wenn aus der gemeinsamen Aktivität Begeisterung für die Aufgabe erwächst. Ebenso wahrscheinlich sind aber auch hier die gegenteiligen Effekte. Unterschiedliche Problemlösungsfähigkeiten führen nicht selten zu erheblichen Verständigungsproblemen. Arbeitsteilung funktioniert so lange von selbst, wie es keine schwer lösbaren Abstimmungsprobleme gibt. Ebenso gehen von einer starken emotionalen Bindung ambivalente Wirkungen aus: Was passiert, wenn die Gruppe so eingespielt, eingeschworen und geschlossen ist, dass Innovationen und andersartige Ideen als Abweichung und Bedrohung für die Kohärenz empfunden werden (vgl. Martin 2000, 897f). 168 „Die Frage, ob der einzelne „teamfähig“ sei, ist also schon im Ansatz verkehrt. Viel berechtigter ist die ketzerische Gegenfrage, ob das Team flexibel und weitsichtig genug ist, 168 In dieser Dynamik droht man leicht einer pseudodemokratischen Arithmetik des kleinsten gemeinsamen Nenners zu erliegen, wonach die Kette immer nur so stark wie ihr schwächstes Glied ist und sich allesamt innerhalb der Gruppe nach diesem ausrichten müssen. 208

noch bed<strong>in</strong>gt zentral steuern <strong>und</strong> kontrollieren. Je größer damit die Ermessensspielräume<br />

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kooperieren (vgl. Markert 1998, 69).<br />

Drittens stellt sich <strong>der</strong> Aspekt <strong>der</strong> Aufgabenerweiterung sehr zwiespältig dar <strong>und</strong> wird<br />

von den Betroffenen eher als Leistungs<strong>in</strong>tensivierung erfahren. Streng genommen handelt es<br />

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Kulturwandel“ (Kotthoff 1997, 173).<br />

Viertens ersche<strong>in</strong>en unter dieser re<strong>in</strong> ökonomischen Zielrichtung Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs-,<br />

Qualifizierungs- <strong>und</strong> Weiterbildungsprogramme den Betroffenen als e<strong>in</strong>e Form <strong>der</strong><br />

„E<strong>in</strong>sozialisierung“ <strong>in</strong> die Unternehmenskultur <strong>und</strong> Ausrichtung <strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuellen<br />

Verpflichtungen auf die Unternehmensziele. Der Erfolg dieser Maßnahmen ist empirisch auch<br />

eher bescheiden, so dass die Betriebe wie bisher e<strong>in</strong>e Ansammlung teils konkurrieren<strong>der</strong> teils<br />

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Wann ist das Team mehr als die Summe se<strong>in</strong>er Teile?<br />

Bei dieser Aufzählung wird <strong>der</strong> „schwarze Peter“ e<strong>in</strong>mal mehr <strong>der</strong> organisationalen<br />

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die neuen Arbeitsbereicherungen nicht zugleich als Entwicklungschance genutzt?<br />

In Stellenanzeigen ist „Teamfähigkeit“ selbstverständlich geworden. Teamfähigkeit<br />

wird zum Gütesiegel für Sozialverträglichkeit ebenso wie zum Totschlagargument. Für<br />

Vorstellungsgespräche werden Zwecklügen gegen Fangfragen über „soziale Kompetenz“<br />

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