Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit
Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit
Transformation der Vertrauensbeziehungen statt: Vertrauen wird fast ausschließlich zu einer Leistung des je einzelnen Individuums, weil die kollektiven Mechanismen der Vertrautheit systematisch gekappt wurden. Wie aber gestaltet man „neue Beziehungen“ zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern? Favorisiert wird beim Lean Management die Leitidee der Selbstorganisation und der Übertragung von Aufgabenverantwortung auf den Mitarbeiter, unter Verzicht auf exakte Vorgaben, mit dem Ziel einer gemeinsamen Entscheidungsfindung der Beteiligten an Stelle der alten „top-down“ Führungsprozesse. „Aus der vertikal gelenkten soll eine „fluide“ Organisation werden mit ungehinderter Kommunikation und Kooperation über alle Ebenen hinweg“ (Sjurts 1998, 284). Allerdings stellen sich gerade diese Restrukturierungsprozesse für die Mitarbeiter meist undurchsichtig und in ihrer Konsequenz unabsehbar dar. Insbesondere gehört hierbei die Unsicherheit um die eigene Person zum Organisationsalltag (vgl. Beckert et al. 1998, 59). Die oft recht vordergründige Euphorie neuer Konzepte, sowie der sie stets begleitende ideologische Überschuss des Versprechens einer völlig neuen partizipativen Unternehmenskultur macht letztlich den immer dringenderen Bedarf nach sozialer Umgestaltung der Betriebe deutlich. Vielleicht lässt sich auch vor diesem Hintergrund erklären, warum die Institutionalisierung einer dezentralen Organisation mit flachen Hierarchien und weitreichenden Kompetenzen auf der operativen Ebene so schwer fällt. Wenn die Unternehmensleitung und das mittlere Management immer wieder versuchen, an der klassischen Linienorganisation mit ihren eindeutigen Über- und Unterordnungsverhältnissen und zentralen Entscheidungsbefugnissen trotz aller Modifikation festzuhalten, hat dies wohl eher den Charakter von irrationaler Notwehr, geschürt durch ein tiefes Misstrauen gegen die Unberechenbarkeit der neuen Verhältnisse und die Ungewissheit der eigenen Stellung im Gefüge. „Theoretische Konzepte wie Lean Production, Lean Management, Business Reengineering oder die fraktale Fabrik sind immer dann zum Scheitern verurteilt, sobald sie rein mechanistisch und ohne Rücksicht auf die Mitarbeiter sowie das unternehmerische Umfeld eingesetzt werden“ (Reske 1998, 11). Solange in dezentralisierten Unternehmen die entscheidenden Fragen offen bleiben, wie das Verhältnis von Kontrolle und Autonomie zwischen den einzelnen Akteuren und Einheiten zueinander besteht, wie hoch der Grad an funktionaler Differenzierung und wie das verschränkte Verhältnis von Kooperation und Konkurrenz innerhalb des Unternehmens ist, solange bleibt der Aspekt der betrieblichen 201
Sozialintegration und des gegenseitigen Vertrauens dem Zufall bzw. dem freien Spiel der Kräfte überlassen. 163 Wenn stoisch die eingespielte informelle Anpassungsfähigkeit alter Managementkonzepte ignoriert und nur die pathologische Seite in den Vordergrund gerückt wird, wenn fraglos wirkende Integrationsformen gerade nicht mehr fraglos wirken, ist eine hohe Störanfälligkeit und ein hohes Konfliktpotential vorprogrammiert. Neubauer (1997, 108) stellt dazu fest, dass Maßnahmen der Organisationsentwicklung bei vorhandenem Vertrauen reibungsloser und effektiver verlaufen. Seines Erachtens erfolgt dadurch die Implementierung von „Führen durch Zielvereinbarung“ mit einem hohen Grad an Effizienz, und Ähnliches gilt dabei auch für die Einführung von selbstorganisierten Arbeitsgruppen in Zusammenhang mit den Lean-Konzepten. Spielräume der Ungewissheit schaffen soziale Spielräume Nach Womack, Jones und Roos (1992, 106) beseitigt ein gut organisiertes schlankes Produktionssystem jeden Spielraum – darum ist es schlank. Dafür gibt es den Arbeitern auch die Fähigkeiten, die sie benötigen, um ihr Arbeitsumfeld zu kontrollieren und den ständigen Ansporn, den Arbeitsablauf reibungsloser zu gestalten. Im Gegensatz zur geisttötenden Massenproduktion, „bietet die schlanke Produktion kreative Spannung, in der die Arbeiter viele Möglichkeiten haben, den Herausforderungen zu begegnen“ (ebd.). Weitete man die „Lean-Philosophie“ konsequenterweise auf alle Gebiete aus, dann würde sie sich zwangsläufig selbst aufheben, weil diese Logik gar nicht aufgehen kann: Es geht darum, möglichst schlank zu werden, jede Verschwendung zu vermeiden und mit der Hälfte des Aufwandes ein Vielfaches an Erlös zu erzielen. Was passiert aber, wenn die Besitzer der Ware Arbeitskraft genau das auch für sich selbst in Anspruch nehmen würden? Wenn sie mit der Hälfte ihres Arbeitsaufwandes ein Vielfaches an Lohn erhalten wollten? Also können die einen doch nur schlank werden, wenn sich die anderen verschwenderisch verhalten, mit dem Einzigen, was sie verkaufen können – ihrer Arbeitskraft. Wer Lean dennoch als eine neue Dimension ganzheitlicher Tätigkeit bezeichnen möchte, bekommt einen Arbeitsbegriff, der unter Magersucht leidet. Mit der Reduktion von Schnittstellen, Umwegen, Redundanzen in ehemals hierarchisch strukturierten Organisationen fallen immer auch eingespielte prozessuale und informelle Kooperationsbeziehungen weg. Insofern ist die aktuelle Forderung nach sozialer Kompetenz, 163 Funder (2000, 31ff) spricht in diesem Zusammenhang von Kooperations-, Koordinations- und Politisierungsdilemmata. 202
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dabei auch für die E<strong>in</strong>führung von selbstorganisierten Arbeitsgruppen <strong>in</strong> Zusammenhang mit<br />
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Nach Womack, Jones <strong>und</strong> Roos (1992, 106) beseitigt e<strong>in</strong> gut organisiertes schlankes<br />
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Massenproduktion, „bietet die schlanke Produktion kreative Spannung, <strong>in</strong> <strong>der</strong> die Arbeiter<br />
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Weitete man die „Lean-Philosophie“ konsequenterweise auf alle Gebiete aus, dann<br />
würde sie sich zwangsläufig selbst aufheben, weil diese Logik gar nicht aufgehen kann: Es<br />
geht darum, möglichst schlank zu werden, jede Verschwendung zu vermeiden <strong>und</strong> mit <strong>der</strong><br />
Hälfte des Aufwandes e<strong>in</strong> Vielfaches an Erlös zu erzielen. Was passiert aber, wenn die Besitzer<br />
<strong>der</strong> Ware Arbeitskraft genau das auch für sich selbst <strong>in</strong> Anspruch nehmen würden? Wenn sie<br />
mit <strong>der</strong> Hälfte ihres Arbeitsaufwandes e<strong>in</strong> Vielfaches an Lohn erhalten wollten? Also können<br />
die e<strong>in</strong>en doch nur schlank werden, wenn sich die an<strong>der</strong>en verschwen<strong>der</strong>isch verhalten, mit<br />
dem E<strong>in</strong>zigen, was sie verkaufen können – ihrer Arbeitskraft. Wer Lean dennoch als e<strong>in</strong>e neue<br />
Dimension ganzheitlicher Tätigkeit bezeichnen möchte, bekommt e<strong>in</strong>en Arbeitsbegriff, <strong>der</strong><br />
unter Magersucht leidet.<br />
Mit <strong>der</strong> Reduktion von Schnittstellen, Umwegen, Red<strong>und</strong>anzen <strong>in</strong> ehemals hierarchisch<br />
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Kooperationsbeziehungen weg. Insofern ist die aktuelle For<strong>der</strong>ung nach sozialer Kompetenz,<br />
163 F<strong>und</strong>er (2000, 31ff) spricht <strong>in</strong> diesem Zusammenhang von Kooperations-, Koord<strong>in</strong>ations- <strong>und</strong> Politisierungsdilemmata.<br />
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