Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit
Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit
Wil Martens zählt bereits 1988 all die falschen Verführungen auf. Für ihn sind Humanisierung der Arbeit, Mitarbeiterbeteiligung, teilautonome Gruppen, high trust organizations, responsible autonomy und Motivation allesamt „besonders raffinierte Schachzüge des Kapitals, das derart auf Absentismus, Fluktuation und Widerstand mit Korruption reagiert“ (ebd. 198). Falsch ist für ihn die Verführung, falsch der Konsens, weil er die Arbeiter vom rechten Pfad ihrer eigenen Interessen wegführt. Wenn überall wahrer Konsens herrschen würde, wäre Kritik nicht mehr möglich. 140 Wenn die Arbeiter dieselben Interessen hätten wie die Unternehmen, bräuchte es keine Kontrolle – eigentlich raffiniert. 141 Das Grundproblem für das Funktionieren von Organisationen unter den Bedingungen „liberaler“ Marktwirtschaft besteht nun einmal darin, dass die Interessen des Managements und die der Beschäftigten (Arbeiter und Angestellte) niemals strukturell identisch sind. Andrew Friedman beschreibt zwei der verbreitetsten Strategien, um mit diesem Grundwiderspruch (vgl. 1987, 100f) umzugehen: Zum einen die „klassische“ und wahrscheinlich immer noch am meisten verbreitete Methode der detaillierten Auftrags-erteilung mit nachfolgender direkter Erfolgskontrolle. Hierbei wird das Ausmaß der Verantwortlichkeit jedes einzelnen durch strenge Überwachung weitgehend reduziert. Diese Form der bürokratischen Kontrolle ist eingebettet in die organisatorische Struktur des Betriebes und eingeprägt in Tätigkeitsbeschreibungen, Arbeitsregeln, Beförderungsverfahren, Disziplinierungsmethoden, Lohnskalen und der genauen Definitionen von Verantwortungsbe-reichen (vgl. auch Littler 1987, 40). Die andere Strategie nennt Friedman (a.a.O.) „verantwortliche Autonomie“ und definiert sie als Versuch der Manager, die positiven Eigenschaften des Arbeitsvermögens und seine Formbarkeit hervorzuheben. Die „Problemlösungskapazitäten“ (Götz/ Lackner 1996, 22) sollen durch eine Übertragung der Verantwortung nach unten ausgeweitet werden, indem man eben auf Teamwork, Projektarbeit und Qualitätszirkel, auf Eigenständigkeit, Urteilsfähigkeit und Kommunikationsbereitschaft setzt. Gerade unter wissensgesellschaftlichen Bedingungen sind qualifizierte Tätigkeiten und Dienstleitungen durch ein hohes Maß an Ungewissheit 140 Für Reichenbach (2000) liegt der Sinn von Diskursen gerade darin zu stören und darüber auch korrigieren zu können: „ihre herausragende Funktion ist nicht die konsensuelle Lösung eines Problems, sondern die Artikulation der Differenz zwischen Menschen“ (ebd. 802). 141 Es soll keineswegs in Frage gestellt werden, dass die neuen Methoden sehr wohl Vorteile für beide Seiten bieten, gerade auch für die Beschäftigten. „Empowerment“, Delegation von Verantwortung und Entscheidungsbefugnissen und De-Hierarchisierung können durchaus motivierender sein als monotone Tätigkeiten. Die Frage ist vielmehr, inwieweit sich diese eher motivationalen, sozialen Faktoren genauso wie ehemals die Industriearbeit steuern und initiieren lassen. 183
gekennzeichnet, womit sich wiederum eine enge Definition von Vorgaben für die Arbeitsausführung und deren Kontrolle ausschließt. 142 Beide Strategietypen haben einen Widerspruch: „Personen haben einen unabhängigen und oftmals eigensinnigen Willen, der nicht zerstört werden kann 143 , und das Ziel von Managern besteht letztlich darin, stetige und hohe Profite zu machen und nicht darin, auf die Bedürfnisse ihrer Arbeiter einzugehen“ (Friedman 1987, 101). Je höher also die Grade der Organisiertheit des Unternehmens ist, desto größer ist das Ausmaß des Autonomieverzichts der organisierten Individuen. 144 In dieser Nullsumme spielt es überhaupt keine Rolle, ob der Autonomieverzicht freiwillig oder unfreiwillig erfolgt, „denn eine Unfreiheit, in die ich mich aus freien Stücken begebe, hört deswegen nicht auf, eine zu sein“ (Peters 1995, 24). Das Spezifikum der kapitalistischen Produktionsweise ist die Warenförmigkeit der Arbeitskraft und die Organisation des Faktors Mensch, als ob er sich nicht von Dingen, von anderen Produktions-faktoren unterscheiden würde. Damit erhalten Menschen einen Preis. Und auch der neue Begriff der Personalunion ändert daran nicht viel, wenn die Interessen der Kapitaleigner und der Arbeitnehmer durch die Schaffung von „Arbeitskraftunternehmern“ (Voß/ Pongratz 1998) „kleinen Selbständigen“ oder „Mitarbeiterunternehmern“ auf eine Linie gebracht werden sollen (vgl. Moldaschl/ Sauer 2000, 214). Bevor Missverständnisse auftreten, möchte ich hervorheben, dass es nicht um das triviale Argument einer bösen kapitalistischen Ausbeutung geht, nach dem Motto: drückt der Kapitalist die Löhne, beutet er aus, erhöht er die Löhne, beutet er um so raffinierter aus. Natürlich ist der Unternehmer nicht dazu da, Wohltaten zu bescheren, die Sache wird nur dann prekär, wenn der Kapitalismus in seiner Absolutheit darauf abzielt, dass „jene Verbesserungen auch dann Verbesserungen bleiben und genannt werden müssen, wenn die einzelne Unternehmung sie um irgendwelcher Wettbewerbsvorteile willen einführt“ (Ortmann 1992, 243). Maßnahmen solcher Art sind dann prekär im Sinne ihrer Verlässlichkeit und Dauerhaftigkeit, weil sie eine universale und verlässliche Bedeutung transportieren (sollen), obgleich sie ausschließlich instrumentell eingesetzt werden. Wenn formelhaft von „high trust industrial relations“, vom „Geist gegenseitigen Vertrauens“, von der „partizipativen Wende“ 142 Dies soll nicht heißen, dass Kommandostrukturen gänzlich ausgedient hätten. Immer dann, wenn schnelle Reaktionen erforderlich sind, die keine Zeit für Diskussion und Abstimmung lassen, immer dann, wenn Führungswissen bzw. Wissensvorsprung die Lösung eines Problems gewährleistet, immer dann, wenn Geld, Gewalt oder Überredung andere dazu bringt, genau das zu tun, was man will, ist eine Kommandostruktur unschlagbar (vgl. Peters 1995, 23f). 143 so wie Macht und Zwang niemals total sein können. 144 An dieser Stelle möchte ich auf die nicht unerhebliche Differenzierung zwischen Selbstorganisation und Selbstbestimmung aufmerksam machen. Während Selbstorganisation lediglich die Möglichkeit bietet, selbst zu entscheiden, wie man etwas tut, bedeutet Selbstbestimmung die Entscheidung darüber, was und warum man etwas tut, d.h. welche Ziele man hat und welchen Sinn man verfolgt. 184
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Wil Martens zählt bereits 1988 all die falschen Verführungen auf. Für ihn s<strong>in</strong>d<br />
Humanisierung <strong>der</strong> Arbeit, Mitarbeiterbeteiligung, teilautonome Gruppen, high trust<br />
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Schachzüge des Kapitals, das <strong>der</strong>art auf Absentismus, Fluktuation <strong>und</strong> Wi<strong>der</strong>stand mit<br />
Korruption reagiert“ (ebd. 198). Falsch ist für ihn die Verführung, falsch <strong>der</strong> Konsens, weil er<br />
die Arbeiter vom rechten Pfad ihrer eigenen Interessen wegführt. Wenn überall wahrer<br />
Konsens herrschen würde, wäre Kritik nicht mehr möglich. 140 Wenn die Arbeiter dieselben<br />
Interessen hätten wie die Unternehmen, bräuchte es ke<strong>in</strong>e Kontrolle – eigentlich raff<strong>in</strong>iert. 141<br />
Das Gr<strong>und</strong>problem für das Funktionieren von Organisationen unter den Bed<strong>in</strong>gungen<br />
„liberaler“ Marktwirtschaft besteht nun e<strong>in</strong>mal dar<strong>in</strong>, dass die Interessen des Managements <strong>und</strong><br />
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Friedman beschreibt zwei <strong>der</strong> verbreitetsten Strategien, um mit diesem Gr<strong>und</strong>wi<strong>der</strong>spruch (vgl.<br />
1987, 100f) umzugehen: Zum e<strong>in</strong>en die „klassische“ <strong>und</strong> wahrsche<strong>in</strong>lich immer noch am meisten<br />
verbreitete Methode <strong>der</strong> detaillierten Auftrags-erteilung mit nachfolgen<strong>der</strong> direkter<br />
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strenge Überwachung weitgehend reduziert. Diese Form <strong>der</strong> bürokratischen Kontrolle ist<br />
e<strong>in</strong>gebettet <strong>in</strong> die organisatorische Struktur des Betriebes <strong>und</strong> e<strong>in</strong>geprägt <strong>in</strong><br />
Tätigkeitsbeschreibungen, Arbeitsregeln, Beför<strong>der</strong>ungsverfahren, Diszipl<strong>in</strong>ierungsmethoden,<br />
Lohnskalen <strong>und</strong> <strong>der</strong> genauen Def<strong>in</strong>itionen von Verantwortungsbe-reichen (vgl. auch Littler 1987,<br />
40). Die an<strong>der</strong>e Strategie nennt Friedman (a.a.O.) „verantwortliche Autonomie“ <strong>und</strong> def<strong>in</strong>iert sie<br />
als Versuch <strong>der</strong> Manager, die positiven Eigenschaften des Arbeitsvermögens <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e<br />
Formbarkeit hervorzuheben. Die „Problemlösungskapazitäten“ (Götz/ Lackner 1996, 22) sollen<br />
durch e<strong>in</strong>e Übertragung <strong>der</strong> Verantwortung nach unten ausgeweitet werden, <strong>in</strong>dem man eben<br />
auf Teamwork, Projektarbeit <strong>und</strong> Qualitätszirkel, auf Eigenständigkeit, Urteilsfähigkeit <strong>und</strong><br />
Kommunikationsbereitschaft setzt. Gerade unter wissensgesellschaftlichen Bed<strong>in</strong>gungen s<strong>in</strong>d<br />
qualifizierte Tätigkeiten <strong>und</strong> Dienstleitungen durch e<strong>in</strong> hohes Maß an Ungewissheit<br />
140 Für Reichenbach (2000) liegt <strong>der</strong> S<strong>in</strong>n von Diskursen gerade dar<strong>in</strong> zu stören <strong>und</strong> darüber auch korrigieren zu<br />
können: „ihre herausragende Funktion ist nicht die konsensuelle Lösung e<strong>in</strong>es Problems, son<strong>der</strong>n die Artikulation<br />
<strong>der</strong> Differenz zwischen Menschen“ (ebd. 802).<br />
141 Es soll ke<strong>in</strong>eswegs <strong>in</strong> Frage gestellt werden, dass die neuen Methoden sehr wohl Vorteile für beide Seiten<br />
bieten, gerade auch für die Beschäftigten. „Empowerment“, Delegation von Verantwortung <strong>und</strong><br />
Entscheidungsbefugnissen <strong>und</strong> De-Hierarchisierung können durchaus motivieren<strong>der</strong> se<strong>in</strong> als monotone<br />
Tätigkeiten. Die Frage ist vielmehr, <strong>in</strong>wieweit sich diese eher motivationalen, sozialen Faktoren genauso wie<br />
ehemals die Industriearbeit steuern <strong>und</strong> <strong>in</strong>itiieren lassen.<br />
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