Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit

Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit

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Arbeitnehmer nachkommen sollte: Das Bedürfnis nach Kompetenz und Wirksamkeit, nach Autonomie und Selbstbestimmung und nach sozialer Eingebundenheit bzw. sozialer Zugehörigkeit. Wie man dies erreichen kann? Ich denke, durch die Schaffung der beschriebenen sozialen Spielräume. Diese Spielräume sind Zonen der Ungewissheit, indem der Treugeber sich auf diese Ungewissheit einlässt, durch den Vertrauensvorschuss gegenüber dem Treuhänderin diesem Fall der Arbeitnehmer. Die Institutionen der Mitbestimmung und Tarifverträge hatten lange Zeit eben diese Funktion der Vertrauensabsicherung innerhalb des deutschen Industriesystems. Sie dienten als generelle Vertrauensvermutung, die es den Arbeitnehmern erleichterte, in ihren konkreten Arbeitshandlungen Vorleistungen zu erbringen, die sich nicht sofort auszahlten – auszahlen mussten, aufgrund der langfristigen Perspektive. Dies förderte einerseits eine gewisse Unbekümmertheit, was aber zugleich die Möglichkeit zum Experimentieren und zur Innovation schuf (vgl. Kern 1997, 275). Die Verantwortung und das Risiko lag allerdings mehr auf Seiten des Treugebers (i.e. der Arbeitgeber), verbunden mit der Gefahr des Scheiterns. Ein weiteres Beispiel zeigte Hewlett-Packard (ref. n. Miller 1992, 197, vgl. ebenso Heuser 2000, 466): Diese Firma hat eine ganz bestimmte Philosophie bzgl. ihrer vertikalen Kooperation zwischen Managern und Angestellten. Der Gründer Waterman erklärt 1982 seine Kooperationsphilosophie: Diese Verfahrensweisen und Aktivitäten entspringen aus dem Glauben, dass Männer und Frauen einen guten Job tun wollen, einen kreativen Job, und wenn sie mit den entsprechenden Dingen versorgt werden, tun sie es auch. Es ist eine Tradition die besagt, jeden mit Rücksicht und Respekt zu behandeln. Das hört sich vielleicht etwas platt und abgedroschen an, aber wir glauben an diese Philosophie (in Miller ebd., Übersetzung d. Verf.). Die Realität dieser Kooperation wird suggeriert durch eine in jeder Hinsicht offene Arbeitsatmosphäre. Jeder kann alles benutzen und er wird ermuntert, die Geräte zum persönlichen Gebrauch auch mit nach Hause zu nehmen. Die Philosophie heißt, dass nur über Offenheit ein wirkliches Vorankommen möglich sein wird, abgeschlossene Räume in jeder Hinsicht beschränken dies. Diese offenen Türen symbolisieren das Vertrauen der Manager in die Kooperationsbereitschaft der Untergebenen. Die Verpflichtung zur Kooperation zeigt sich auch in flexiblen Arbeitszeiten und dem Abschaffen von Stempeluhren. Für HP bedeutet dies ein Ausdruck von Vertrauen und Zutrauen in die Angestellten. 171

Durch Beseitigung der Überwachungsuhren und dem Offenlassen aller Bereiche soll auch gerade die Reziprozität zwischen Management und Angestellten erreicht werden. Ohne diese gegenseitig geteilte Annahme wäre es verführerisch, in kurzfristige Nutzenmaximierung zu investieren. Eine weitere Bedingung liegt darin, dass die Beziehung lange genug dauern muss, damit sich das geleistete Vertrauen auch rechtfertigt. Dies wurde bei HP durch den frühzeitigen Beschluss erreicht, keine „hire and fire company“ sein zu wollen. Und zur damaligen Zeit wurde auch das Versprechen eingehalten, als in der Rezession von 1980 diese Taktik auf dem Prüfstand stand. Aber jeder Angestellte nahm 10 % weniger Gehalt in Kauf und arbeitet 10 % weniger, so dass niemand gefeuert wurde. Dies überzeugte jeden, dass es um langfristige Beziehungen ging. Selbstbindung und Moralität Solange das Risiko für opportunistisches und kurzfristiges Handeln nicht glaubwürdig eingeschränkt ist, kann sich Vertrauen als soziales Kapital nicht jenseits einer bloßen Nutzenkalkulation etablieren. 132 Das Soziale ist dann das „Mehr“ der Summe der rationalen Teile. Es ist das Jenseits der willentlichen Initiation subjektiver Vertrautheit. Oder etwas unpathetischer: es ist das Nebenprodukt eines auf rationaler Fairness aufbauenden Aushandlungsprozesses. Unter Fairness möchte ich dabei das „vernünftige“ Gleichgewicht zwischen Profitmaximierung und Effizienz verstehen, was sich wiederum als Nullsumme innerhalb der Betriebe identifizieren lässt: Profitmaximierung definiert als das Shareholder-Value Kalkül und Effizienz als der mittel- bis langfristige Ausbau der Produktionsintelligenz und des kreativen Humanvermögens, zur Entfaltung der Produktivitäts- und Innovationsressourcen. Fair ist dann das, was von den Akteuren als fair verstanden wird. Fairness ist dann die vertrauensvolle gegenseitige Unterstellung von nicht ausschließlich opportunistischen Handlungsabsichten, aufgrund einer längerfristigen Perspektive durch die jeweilige Selbstbindung. Chester Barnard sagte dazu 1938: „Organisationen dauern im Verhältnis zur Spanne der moralischen Grundsätze an, durch die sie geführt werden“ (zit. n. Miller 1992, 156, Übersetzung d. Verf.). Womit wir wieder an der spieltheoretischen Ausgangslage angekommen wären, wonach beide Seiten besser dran sind, wenn sie sich aufeinander verlassen könnten. Wie also kann man glaubhaft das opportunistische Eigeninteresse zugunsten längerfristiger sozialer Beziehungen zügeln? 132 Der Ertrinkende vertraut nicht auf den Strohhalm, er hat keine bessere Alternative, der Börsenmakler vertraut auch nicht auf die Kurse, weil sein konkretes Vertrauen auf die Kurse völlig irrelevant ist. 172

Arbeitnehmer nachkommen sollte: Das Bedürfnis nach Kompetenz <strong>und</strong> Wirksamkeit, nach<br />

Autonomie <strong>und</strong> Selbstbestimmung <strong>und</strong> nach sozialer E<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>enheit bzw. sozialer<br />

Zugehörigkeit.<br />

Wie man dies erreichen kann? Ich denke, durch die Schaffung <strong>der</strong> beschriebenen<br />

sozialen Spielräume. Diese Spielräume s<strong>in</strong>d Zonen <strong>der</strong> Ungewissheit, <strong>in</strong>dem <strong>der</strong> Treugeber<br />

sich auf diese Ungewissheit e<strong>in</strong>lässt, durch den <strong>Vertrauen</strong>svorschuss gegenüber dem<br />

Treuhän<strong>der</strong> – <strong>in</strong> diesem Fall <strong>der</strong> Arbeitnehmer. Die Institutionen <strong>der</strong> Mitbestimmung <strong>und</strong><br />

Tarifverträge hatten lange Zeit eben diese Funktion <strong>der</strong> <strong>Vertrauen</strong>sabsicherung <strong>in</strong>nerhalb des<br />

deutschen Industriesystems. Sie dienten als generelle <strong>Vertrauen</strong>svermutung, die es den<br />

Arbeitnehmern erleichterte, <strong>in</strong> ihren konkreten Arbeitshandlungen Vorleistungen zu erbr<strong>in</strong>gen,<br />

die sich nicht sofort auszahlten – auszahlen mussten, aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> langfristigen Perspektive.<br />

Dies för<strong>der</strong>te e<strong>in</strong>erseits e<strong>in</strong>e gewisse Unbekümmertheit, was aber zugleich die Möglichkeit<br />

zum Experimentieren <strong>und</strong> zur Innovation schuf (vgl. Kern 1997, 275). Die Verantwortung <strong>und</strong> das<br />

Risiko lag allerd<strong>in</strong>gs mehr auf Seiten des Treugebers (i.e. <strong>der</strong> Arbeitgeber), verb<strong>und</strong>en mit <strong>der</strong><br />

Gefahr des Scheiterns.<br />

E<strong>in</strong> weiteres Beispiel zeigte Hewlett-Packard (ref. n. Miller 1992, 197, vgl. ebenso Heuser 2000,<br />

466): Diese Firma hat e<strong>in</strong>e ganz bestimmte Philosophie bzgl. ihrer vertikalen Kooperation<br />

zwischen Managern <strong>und</strong> Angestellten. Der Grün<strong>der</strong> Waterman erklärt 1982 se<strong>in</strong>e<br />

Kooperationsphilosophie:<br />

Diese Verfahrensweisen <strong>und</strong> Aktivitäten entspr<strong>in</strong>gen aus dem Glauben, dass Männer <strong>und</strong><br />

Frauen e<strong>in</strong>en guten Job tun wollen, e<strong>in</strong>en kreativen Job, <strong>und</strong> wenn sie mit den<br />

entsprechenden D<strong>in</strong>gen versorgt werden, tun sie es auch. Es ist e<strong>in</strong>e Tradition die besagt,<br />

jeden mit Rücksicht <strong>und</strong> Respekt zu behandeln. Das hört sich vielleicht etwas platt <strong>und</strong><br />

abgedroschen an, aber wir glauben an diese Philosophie (<strong>in</strong> Miller ebd., Übersetzung d. Verf.).<br />

Die Realität dieser Kooperation wird suggeriert durch e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> je<strong>der</strong> H<strong>in</strong>sicht offene<br />

Arbeitsatmosphäre. Je<strong>der</strong> kann alles benutzen <strong>und</strong> er wird ermuntert, die Geräte zum<br />

persönlichen Gebrauch auch mit nach Hause zu nehmen. Die Philosophie heißt, dass nur über<br />

Offenheit e<strong>in</strong> wirkliches Vorankommen möglich se<strong>in</strong> wird, abgeschlossene Räume <strong>in</strong> je<strong>der</strong><br />

H<strong>in</strong>sicht beschränken dies. Diese offenen Türen symbolisieren das <strong>Vertrauen</strong> <strong>der</strong> Manager <strong>in</strong><br />

die Kooperationsbereitschaft <strong>der</strong> Untergebenen. Die Verpflichtung zur Kooperation zeigt sich<br />

auch <strong>in</strong> flexiblen Arbeitszeiten <strong>und</strong> dem Abschaffen von Stempeluhren. Für HP bedeutet dies<br />

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