Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit
Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit
Soziales Kapital ist nicht unmittelbar auf ökonomisches und kulturelles Kapital reduzierbar und ist zugleich doch niemals unabhängig davon. „Die Profite, die sich aus der Zugehörigkeit zu einer Gruppe ergeben, sind zugleich Grundlage für die Solidarität, die diese Profite ermöglicht“ (B 192). Die Erklärung erscheint zunächst tautologisch, und diese Un-Logik gilt ebenso für Vertrauen im besonderen. Heisig (1997, 128f) schreibt darüber, dass Vertrauen als soziales Kapital (ähnlich wie Normen und Netzwerke) ein kollektives Gut darstellt. Vertrauen bildet sich somit meist nur als ein Nebenprodukt von sozialen Aktivitäten heraus, welche auf andere Ziele gerichtet sind. „Vertrauen ist Grundlage einer sozialen Ordnung, die Kooperation ermöglicht. Kooperation ist in den meisten Fällen eher ein Nebenprodukt als die Ursache von Vertrauen. Vertrauen entsteht durch geglückte Kooperation, es wird durch sie bestätigt und verstärkt“ (ebd.). Diese Aussage macht es nicht klarer. Die Frage bleibt, wie soziales Kapital überhaupt entsteht, wenn es seine eigene Voraussetzung zu sein scheint? Bourdieu betont, dass derartige Beziehungen – wie bspw. Nachbarschaft – nur dann eingesetzt werden können, wenn sie bereits seit langem etabliert und lebendig gehalten worden sind, als seien sie ein Selbstzweck. „Dies muss außerhalb der Zeit ihrer Nutzung geschehen sein, also um den Preis einer Investition von Beziehungsarbeit, die notwendiger-weise langfristig angelegt sein muss; denn die Dauer der verflossenen Zeit ist selbst einer der Faktoren, die dafür sorgen, dass eine einfache und direkte Schuld sich in ein allgemeines Schuldanerkenntnis „ohne Titel und Vertrag“ umwandelt – also in Anerkennung“ (B 195). Eine sich anbahnende interpersonelle Beziehung muss ihren Ausgang zu Beginn also weitgehend offen lassen. Eine genau äquivalente und/oder sofortige Erwiderung einer anfänglichen Vorleistung ist dem Aufbau einer vertrauten Nachbarschaftsbeziehung dagegen wenig förderlich (vgl. Preisendörfer 1995, 268). Wenn zwei Nachbarn gleichzeitig ein Haus bauen und sie helfen sich unmittelbar gegenseitig beim Dachdecken, dürfte die Übertragbarkeit der entstandenen Solidarität noch nicht sehr groß sein. Ebenfalls stellt das bloße Verleihen von Geld keine wirklich offene „Anbahnung“ dar, da Geld für die Personen im Verlaufe der Zeit ungefähr seinen tauschbaren Wert erhält 8 und damit adäquat auszahlbar ist (vgl. C 401). Es handelt sich also doch um eine Form von Investitionsstrategie, zwar nicht im Sinne eines rein ökonomischen Marktes oder mit offiziellen und klar durchschaubaren Kalkülen, 8 Wer sich 1000 Euro ausborgt, wird 1000 Euro (ggf. mit Zinsen, je länger es dauert) zurückzahlen müssen. Hierzu bedarf es keiner großen Interpretationsanstrengung wie viel 1000 Euro wert sind – es sei denn, der andere möchte es in Dollar zurückgezahlt bekommen. Wenn mir ein Nachbar, der selbst kein Landwirt ist, beim Einfahren meiner Ernte hilft, entsteht für mich als Treuhänder ein Interpretationsspielraum bzgl. der Überlegung: Ob, Wie und Wann ich die Vorleistung „adäquat“ vergüten werde. Je tiefer ich mich selbst in der „Schuld“ des anderen sehe, um so mehr werde ich ihm meine Hilfe bei anderen Möglichkeiten anbieten, bzw. je schwerwiegender der Nachbar seinen getätigten Einsatz sieht, desto mehr wird er auf eine angemessene Gegenleistung hoffen. 17
auch nicht mit einklagbaren Garantien, aber es entstehen gegenseitige Verpflichtungen. Und Verpflichtung ist dann der gesellschaftliche Mechanismus, der wiederum soziales Kapital begründet. Das Gesetz des Wiedersehens Luhmann definiert die Voraussetzungen für Vertrauen folgendermaßen: Von Bedeutung, ob und in welcher Form Vertrauen gedeihen kann, sind die Strukturen der Umwelt, vor allem die Sozialstruktur. Der Vertrauende sucht im allgemeinen objektive Anhaltspunkte dafür, ob Vertrauen gerechtfertigt ist oder nicht. Diese Anhaltspunkte eliminieren dabei aber nicht das Risiko, sondern verkleinern es nur. Sie sind die „Sprungbasis für den Absprung in eine immerhin begrenzte und strukturierte Ungewissheit“ (ders. 1989, 34). Und wenig später kommt das „Luhmann’sche Gesetz des Wiedersehens“: Danach spielen soziale Zusammenhänge für Vertrauensbeziehungen eine basale Rolle. Ein günstiger Nährboden für Vertrauen bildet sich für Luhmann dann, wenn die Beziehungen gekennzeichnet sind durch eine relative Dauer, wechselnde Abhängigkeit und ein Moment der Unvorhersehbarkeit. „Es herrscht das Gesetz des Wiedersehens. Die Beteiligten müssen einander immer wieder in die Augen blicken können“ (ebd. 39). Wenn der Akteur A also B einen Gefallen tut, so setzt er das Vertrauen in B, dass dieser in Zukunft, bei Bedarf, eine Gegenleistung erbringt. A erwartet etwas von B und hat für B damit eine Verpflichtung geschaffen, dieses Vertrauen zu rechtfertigen. Die Handlung findet hierbei vor dem Hintergrund einer herrschenden sozialen Struktur statt, d.h. es spielen die oben beschriebenen Prozessen mit hinein. So ziehen es Personen in ländlichen Gebieten, die anderen einen Gefallen tun, oft vor, diese Vorleistung gerade nicht umgehend erwidert zu bekommen (C 401), um den anderen in das Netz langfristiger gegenseitiger Verpflichtung einzubinden. Auf diese Art soll dann auch das Gesetz des Wiedersehens bei einem neu zugezogenen Nachbarn seine Wirkung entfalten: Man „überschüttet“ ihn mit Hilfeleistungen, in der Hoffnung, ihn in dieses Netz der Reziprozität mit einzubinden, um dann zu gegebener Zeit auf ihn zurückgreifen zu können. Zwei Elemente sind für diese Form von sozialem Kapital auch für Coleman (C 397) von besonderer Bedeutung: Erstens kommt es auf das Maß der Vertrauenswürdigkeit des sozialen Umfeldes an, d.h. auf das Ausmaß, in dem die bestehenden Verpflichtungen für gewöhnlich auch eingelöst werden. Und zweitens spielt die tatsächliche Menge der einzulösenden Verpflichtungen eine Rolle. 18
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begründet.<br />
Das Gesetz des Wie<strong>der</strong>sehens<br />
Luhmann def<strong>in</strong>iert die Voraussetzungen für <strong>Vertrauen</strong> folgen<strong>der</strong>maßen: Von<br />
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Und wenig später kommt das „Luhmann’sche Gesetz des Wie<strong>der</strong>sehens“: Danach<br />
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Unvorhersehbarkeit. „Es herrscht das Gesetz des Wie<strong>der</strong>sehens. Die Beteiligten müssen<br />
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Wenn <strong>der</strong> Akteur A also B e<strong>in</strong>en Gefallen tut, so setzt er das <strong>Vertrauen</strong> <strong>in</strong> B, dass dieser<br />
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