Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit

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per Dezentralisierung fast automatisch eingelöst werden können. Oder gilt hier der bereits zitierte Satz, dass der größte Feind der Freiheit der glückliche Sklave ist? Wollen die Mitarbeiter auf einmal gar nicht mehr so viel Verantwortung für den Arbeitsprozess übernehmen? Ist der Druck durch das neu erworbene Wissen so groß geworden, dass man lieber „dumm“ geblieben wäre? Ist der größte Feind der neuen Formen der Arbeitsorganisation der zufriedene Arbeitnehmer? Die Wirtschaftspresse wartete mit einer guten Nachricht auf, indem sie meldet, dass der Arbeitsmarkt boomt – der ganze Arbeitsmarkt? Nein, nur der Arbeitsmarkt für Führungskräfte. Es gilt Stabspositionen wieder zu besetzen, die aus Kostengründen (Lean Management) weggefallen waren (vgl. Stützel 1998, 26). Offensichtlich müssen durch diesen Schnitt wesentlich höhere Kosten entstanden sein als man sich im Sinne der Rationalisierung versprochen hatte, so dass man wieder auf ein, wenn nicht gänzlich bewährtes, so doch günstigeres Modell zurückgreift. Und noch ein drittes Beispiel: Bei zwei relativ neuen Montagewerken der deutschen Automobilbranche, nämlich Opel in Eisenach und Daimler in Rastatt, wird unter anderem wieder auf kurzgetaktete Fließfertigung gesetzt. Neotayloristische Strukturen und postfordistische Aspekte sind dabei, bezogen auf das Gesamtsystem, das vorherrschende Charakteristikum (vgl. Novak1998, 99). Dass Todgeglaubte länger leben, ist eine Volksweisheit, dass Hierarchie, Rationalität und Rezentralisierung in Zeiten diskontinuierlicher Veränderungsprozesse als Notstromaggregate aufgrund ihrer Verlässlichkeit eine Renaissance erleben (vgl. Jansen 2000, 55), sollte allerdings bedenklich stimmen. Der Abbau von Zentralisierung und Hierarchie seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts bewirkte in seiner Radikalität letztlich eine nachhaltige Behinderung der Funktionsfähigkeit. Durch die allerorts durchgeführte Dezentralisierung entstanden unübersichtliche und schwer koordinierbare Strukturen. Eigeninitiative, Partizipation, Verantwortung und diskursive Zielfindung waren hehre Ideale, sie konnten jedoch gerade nicht zu bloßen Erfüllungsgehilfen einer ökonomischen Logik umfunktioniert werden – zumindest nicht unter dem Dogma der Kurzfristigkeit. Das Paradoxe an dieser Situation ist, dass das Hoffen auf Flexibilität durch Enthierarchisierung, nicht zu mehr Unmittelbarkeit, sondern im Gegenteil zu immer längeren Interdependenzketten geführt hat, welche die Akteure dazu veranlasst hat, die Formen des Umgangs miteinander immer wieder neu zu reglementieren (vgl. Greiner 2000, 43). Re- Taylorisierung darf vor diesem Hintergrund nicht nur als der bequeme Wunsch nach 163

Arbeitsteilung gesehen werden, sondern vielmehr als ein Wunsch nach Verantwortungs-teilung innerhalb eines überkomplexen Zuständigkeitsvakuums. Auch Hirsch-Kreinsen schreibt bereits 1995, dass die durch Dezentralisierung entstandene Unübersichtlichkeit zu schwer koordinierbaren Strukturen führte. In der Produktentwicklung bspw. sind die arbeitsteilig spezialisierten Einheiten aufgrund ihrer Entwicklungsfunktion, die weit über das Unternehmen hinaus reichen, enorm schwierig aufeinander abzustimmen. „Rezentralisierung meint im einzelnen die Zusammenlegung der vor einigen Jahren geschaffenen Profitcenter zu neuen größeren Unternehmenseinheiten oder die Rückver-lagerung von Unternehmensfunktionen in die Zentrale“ (ebd. 433). Der Produktivitätsgewinn verlagert sich wieder zurück auf Hierarchie, Kontrolle und Exklusion. Es wird zwar noch an Gruppenarbeit festgehalten, aber in neuem Zuschnitt. Von Selbstorganisation und ganzheitlicher Arbeitsgestaltung kann eigentlich nicht mehr gesprochen werden. Auf der einen Seite stehen die qualifizierten Wissensarbeiter, auf der anderen die „Ausführungs-kräfte“, deren Zumutbarkeitsgrenze der Arbeitsbedingungen nach unten verschoben wird. Schicht- und Nachtarbeit werden wieder eingeführt, die Arbeitszeiten ufern aus, und unter dem Begriff der Zeitsouveränität wird von den Beschäftigten eine zunehmend verletzende Flexibilität gefordert (vgl. Kern/ Schumann 1998, 10f). Das eigentlich Problematische an dieser Abfolge ist nicht die Konzentration auf den ökonomischen Code profitabel/ unprofitabel. Das ist solange legitim, solange von den neuen Managementmethoden keine „anthropozentrischen Versprechen“ (Dörre 1996, 21) ausgehen. Das überschießende Partizipationsbewusstsein und die Erwartungen an eine andere Arbeitsrealität erfordern soziale Fähigkeiten zur Integration in ein nichttriviales System. Schlagworte wie „Leadership“ und „Empowerment“ stellen allerdings nur die Fassade einer aufgeblähten Managementsprache dar, die versucht, ihre Machtlosigkeit zu verbergen, im Unternehmen überhaupt noch etwas zu bewegen (vgl. Nigsch 1999, 29). Die ambivalente Kehrseite des Veränderungsaktionismus: wenn Leistung als absolut gesetzt wird Neue Managementkonzepte legitimieren sich primär dadurch, dass sie die pathologischen Seiten der alten Strukturen in den Vordergrund stellen und schlicht die informelle Anpassungsfähigkeit ausblenden. Integration war und ist eine Aktivität von Hierarchien, wobei diese Integration kein humanitärer Zweck, sondern eine Bedingung der Möglichkeit für das Funktionieren einer Hierarchie ist. „Die permanente Revolutionierung der 164

per Dezentralisierung fast automatisch e<strong>in</strong>gelöst werden können. O<strong>der</strong> gilt hier <strong>der</strong> bereits<br />

zitierte Satz, dass <strong>der</strong> größte Fe<strong>in</strong>d <strong>der</strong> Freiheit <strong>der</strong> glückliche Sklave ist? Wollen die<br />

Mitarbeiter auf e<strong>in</strong>mal gar nicht mehr so viel Verantwortung für den Arbeitsprozess<br />

übernehmen? Ist <strong>der</strong> Druck durch das neu erworbene Wissen so groß geworden, dass man<br />

lieber „dumm“ geblieben wäre? Ist <strong>der</strong> größte Fe<strong>in</strong>d <strong>der</strong> neuen Formen <strong>der</strong> Arbeitsorganisation<br />

<strong>der</strong> zufriedene Arbeitnehmer?<br />

Die Wirtschaftspresse wartete mit e<strong>in</strong>er guten Nachricht auf, <strong>in</strong>dem sie meldet, dass <strong>der</strong><br />

Arbeitsmarkt boomt – <strong>der</strong> ganze Arbeitsmarkt? Ne<strong>in</strong>, nur <strong>der</strong> Arbeitsmarkt für Führungskräfte.<br />

Es gilt Stabspositionen wie<strong>der</strong> zu besetzen, die aus Kostengründen (Lean Management)<br />

weggefallen waren (vgl. Stützel 1998, 26). Offensichtlich müssen durch diesen Schnitt wesentlich<br />

höhere Kosten entstanden se<strong>in</strong> als man sich im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> Rationalisierung versprochen hatte,<br />

so dass man wie<strong>der</strong> auf e<strong>in</strong>, wenn nicht gänzlich bewährtes, so doch günstigeres Modell<br />

zurückgreift.<br />

Und noch e<strong>in</strong> drittes Beispiel: Bei zwei relativ neuen Montagewerken <strong>der</strong> deutschen<br />

Automobilbranche, nämlich Opel <strong>in</strong> Eisenach <strong>und</strong> Daimler <strong>in</strong> Rastatt, wird unter an<strong>der</strong>em<br />

wie<strong>der</strong> auf kurzgetaktete Fließfertigung gesetzt. Neotayloristische Strukturen <strong>und</strong><br />

postfordistische Aspekte s<strong>in</strong>d dabei, bezogen auf das Gesamtsystem, das vorherrschende<br />

Charakteristikum (vgl. Novak1998, 99).<br />

Dass Todgeglaubte länger leben, ist e<strong>in</strong>e Volksweisheit, dass Hierarchie, Rationalität<br />

<strong>und</strong> Rezentralisierung <strong>in</strong> <strong>Zeiten</strong> diskont<strong>in</strong>uierlicher Verän<strong>der</strong>ungsprozesse als<br />

Notstromaggregate aufgr<strong>und</strong> ihrer Verlässlichkeit e<strong>in</strong>e Renaissance erleben (vgl. Jansen 2000, 55),<br />

sollte allerd<strong>in</strong>gs bedenklich stimmen. Der Abbau von Zentralisierung <strong>und</strong> Hierarchie seit den<br />

80er Jahren des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts bewirkte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Radikalität letztlich e<strong>in</strong>e nachhaltige<br />

Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Funktionsfähigkeit. Durch die allerorts durchgeführte Dezentralisierung<br />

entstanden unübersichtliche <strong>und</strong> schwer koord<strong>in</strong>ierbare Strukturen. Eigen<strong>in</strong>itiative,<br />

Partizipation, Verantwortung <strong>und</strong> diskursive Zielf<strong>in</strong>dung waren hehre Ideale, sie konnten<br />

jedoch gerade nicht zu bloßen Erfüllungsgehilfen e<strong>in</strong>er ökonomischen Logik umfunktioniert<br />

werden – zum<strong>in</strong>dest nicht unter dem Dogma <strong>der</strong> Kurzfristigkeit.<br />

Das Paradoxe an dieser Situation ist, dass das Hoffen auf Flexibilität durch<br />

Enthierarchisierung, nicht zu mehr Unmittelbarkeit, son<strong>der</strong>n im Gegenteil zu immer längeren<br />

Interdependenzketten geführt hat, welche die Akteure dazu veranlasst hat, die Formen des<br />

Umgangs mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> immer wie<strong>der</strong> neu zu reglementieren (vgl. Gre<strong>in</strong>er 2000, 43). Re-<br />

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