Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit
Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit
Nicht-tayloristische Formen der Arbeitsorganisation sind zugleich Ziel als auch Voraussetzung für stärker selbstgesteuerte und dezentrale Entwicklungen im Arbeitsprozess, um mehr Flexibilität, gerade in Zeiten der Dienstleistung und Kundenorientierung, bewirken zu können. Da die Zukunft, vor allem die wirtschaftliche Zukunft, heute nicht mehr vorausgesagt werden kann, können auch konkrete Inhalte vom Management im einzelnen nicht beschrieben werden. Dies gilt sowohl für die Nachfrage nach fachlichen und auch beruflichen Qualifikationen als auch für das kompetente soziale Verhalten der Akteure untereinander. Damit ist das Unternehmen bei Problemlösungen mehr oder weniger auf die Kooperation der Arbeitnehmer angewiesen. Diese Kooperation bzw. die Fähigkeit zur Kooperation ist eine soziale Leistung – genauer: eine Zusatzleistung, die der Arbeitnehmer, qua sozialer Schlüsselkompetenz als Einstellungsvoraussetzung, nicht zusätzlich honoriert bekommt (vgl. Drexel 1998, 55). Im Gegenteil, Organisationsentwicklung und ihr Gelingen wird als Ergebnis der individuellen Lernprozesse der Arbeitnehmer definiert, mit der Folge, dass jeder Misserfolg bei dieser Entwicklung eine Konsequenz - wiederum individuell - misslungener Lernprozesse ist. Letztlich kann auf diese Art das Versagen immer dem Arbeitnehmer angelastet werden, aufgrund seiner unzureichenden Selbststeuerungsfähigkeit. Ein weiterer Widerspruch liegt in der Halbherzigkeit, mit der diese Ziele verfolgt werden. Solange die Strukturen des alten Systems der „Großorganisation“ weiterhin bestehen bleiben, dabei aber die Hierarchien mit ihrem Verpflichtungscharakter abgebaut, sowie die Beschäftigungsgarantien zurückgenommen werden, werden die Wirkungen des alten Systems auf die Spitze getrieben. Die internen Aufstiegsmöglichkeiten nehmen ab, ebenso wie die beruflichen Karrieren nicht mehr langfristig angelegt werden können, so dass eine konsequente Reaktion der Beschäftigten darin bestehen wird, möglichst rasch Karriere zu machen, um ebenfalls kurzfristige Erfolge zu erzielen (vgl. Heisig/ Littek 1995, 296). Damit aber kann eine Hierarchie gerade nicht umgehen, da ihre Handlungslogik eine mittel- bis langfristige Perspektive voraussetzt, um die Reziprozität von Arbeitnehmer-Loyalität und Arbeitgeber- Anerkennung entfalten zu können. Aber nicht nur das bürokratische Unternehmensmodell hat funktionale Lücken, sondern ebenso das marktförmige Organisationsmodell, das sich verstärkt an einem internen Unternehmertum (Intrapreneur), bzw. an dezentralen Netzwerken orientiert. Derartige betriebliche Anreizsysteme und Entwicklungsmöglichkeiten fördern traditionell die Mentalität des „Einzelkämpfers“. Von den Akteuren zu erwarten, dass dennoch ein team- oder gruppengerechtes und vor allem vertrauensvolles Kooperationsniveau entsteht, ist nur unter 161
Rückgriff auf (noch) verfügbare sozio-kulturelle Ressourcen wahrscheinlich und erfordert langwierige und aufwendige Kommunikations- und Verhandlungsprozesse. „Nicht umsonst ertönt dann – sozusagen systemwidrig – in dem Moment, in dem diese Lücken offenbar werden, der hilflose Ruf nach „Unternehmenskultur““ (Deutschmann et al. 1995, 449, vgl. auch Dörre 1996, 11). Und ein weiteres Zitat: „In den Vorständen ist man sich – so scheint es zumindest von außen – kaum bewusst, dass die Politik der Dehierarchisierung und Selbständigkeit, flankiert von einer Unternehmenskultur der Selbstverantwortung und des Konsens, durch die neue Rationalisierungspolitik konterkariert und tendenziell ad absurdum geführt wird“ (Kern/ Schumann 1998, 12). Das Kalkül eines Shareholder-Value Kapitalismus zielt ab auf die optimale Ausnutzung aller Ressourcen. Das Arbeitnehmervermögen ist dabei ein Kapital unter anderen und steht besonders auch wegen seiner kostspieligen Personalentwicklung immer selbst zur Disposition. Erfolge werden in dieser Logik ausschließlich an kurzfristigen Kennzahlen festgemacht wie Jahresabschlussanalysen, kapitalmarkttheoretischen Analysen über Kursreaktionen und Börsenkapitalisierung. Hierbei versprechen dezentrale Organisationsformen mehr als zentrale, Outsourcing ist attraktiver als vertikale Integration und Kostensenkung steht vor langfristigen Wachstumsstrategien. Kreatives Humanvermögen, Innovationsgeist und Produktionsintelligenz hat schlicht vorhanden zu sein, da sich aufwendige Investitionen in das konkrete Arbeitsvermögen nicht lohnen, weil sie sich nicht 1:1 nachrechnen lassen. Und damit ist es einfach doch vernünftig, die Arbeitnehmer unwissend zu lassen, wenn Information mehr kostet als sie wert ist. Am einfachsten lassen sich die unterschiedlichen Verwertungskalküle mit den Schlagworten der (traditionellen) deutschen Industrie versus denen der amerikanischen Industrie vergleichen. Hier (noch) die Hochqualitäts-, Hochqualifikations- und Hochlohnmodelle, dort die Niedriglohn-, Niedrigqualifikations- und Preiswettbewerbsmodelle. Es sollte nur nachdenklich stimmen, dass das amerikanische Modell hier zu einem Zeitpunkt interessant wird, wo dort bereits das kritische Nachdenken begonnen hat (vgl. Kern/ Schumann 1998, 13). Der (Pyrrhus-)Sieg der Kurzfristigkeit „Im Herbst 1994 verhinderten die Arbeiter des Opel-Werkes in Zaragoza per Abstimmung die Einführung von Gruppenarbeit“ (Hübner/ Wachtveitl 2000, 31). Diese Meldung mutet seltsam an in Zeiten, in denen die Versprechen nach Selbständigkeit und Emanzipation 162
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Rückgriff auf (noch) verfügbare sozio-kulturelle Ressourcen wahrsche<strong>in</strong>lich <strong>und</strong> erfor<strong>der</strong>t<br />
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ertönt dann – sozusagen systemwidrig – <strong>in</strong> dem Moment, <strong>in</strong> dem diese Lücken offenbar<br />
werden, <strong>der</strong> hilflose Ruf nach „Unternehmenskultur““ (Deutschmann et al. 1995, 449, vgl. auch Dörre<br />
1996, 11). Und e<strong>in</strong> weiteres Zitat: „In den Vorständen ist man sich – so sche<strong>in</strong>t es zum<strong>in</strong>dest von<br />
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Rationalisierungspolitik konterkariert <strong>und</strong> tendenziell ad absurdum geführt wird“ (Kern/<br />
Schumann 1998, 12).<br />
Das Kalkül e<strong>in</strong>es Sharehol<strong>der</strong>-Value Kapitalismus zielt ab auf die optimale Ausnutzung<br />
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Börsenkapitalisierung. Hierbei versprechen dezentrale Organisationsformen mehr als zentrale,<br />
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Wachstumsstrategien. Kreatives Humanvermögen, Innovationsgeist <strong>und</strong> Produktions<strong>in</strong>telligenz<br />
hat schlicht vorhanden zu se<strong>in</strong>, da sich aufwendige Investitionen <strong>in</strong> das konkrete<br />
Arbeitsvermögen nicht lohnen, weil sie sich nicht 1:1 nachrechnen lassen. Und damit ist es<br />
e<strong>in</strong>fach doch vernünftig, die Arbeitnehmer unwissend zu lassen, wenn Information mehr kostet<br />
als sie wert ist.<br />
Am e<strong>in</strong>fachsten lassen sich die unterschiedlichen Verwertungskalküle mit den<br />
Schlagworten <strong>der</strong> (traditionellen) deutschen Industrie versus denen <strong>der</strong> amerikanischen<br />
Industrie vergleichen. Hier (noch) die Hochqualitäts-, Hochqualifikations- <strong>und</strong><br />
Hochlohnmodelle, dort die Niedriglohn-, Niedrigqualifikations- <strong>und</strong> Preiswettbewerbsmodelle.<br />
Es sollte nur nachdenklich stimmen, dass das amerikanische Modell hier zu e<strong>in</strong>em Zeitpunkt<br />
<strong>in</strong>teressant wird, wo dort bereits das kritische Nachdenken begonnen hat (vgl. Kern/ Schumann<br />
1998, 13).<br />
Der (Pyrrhus-)Sieg <strong>der</strong> Kurzfristigkeit<br />
„Im Herbst 1994 verh<strong>in</strong><strong>der</strong>ten die Arbeiter des Opel-Werkes <strong>in</strong> Zaragoza per<br />
Abstimmung die E<strong>in</strong>führung von Gruppenarbeit“ (Hübner/ Wachtveitl 2000, 31). Diese Meldung<br />
mutet seltsam an <strong>in</strong> <strong>Zeiten</strong>, <strong>in</strong> denen die Versprechen nach Selbständigkeit <strong>und</strong> Emanzipation<br />
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