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Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit

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Zeit e<strong>in</strong> verlässliches Leitbild dar, welches dem Pr<strong>in</strong>zip <strong>in</strong>stitutionalisierter Reziprozität<br />

entsprach. Das Ordnungspr<strong>in</strong>zip bestand vere<strong>in</strong>facht gesagt dar<strong>in</strong>, dass das Verhältnis von<br />

Gesellschaft, Betrieb <strong>und</strong> Individuum <strong>in</strong> Deutschland über den Faktor Arbeit <strong>und</strong> <strong>in</strong> Form von<br />

Berufen geregelt wurde <strong>und</strong> lange Zeit pareto–optimal war.<br />

Dieses Verhältnis ist def<strong>in</strong>itiv aus se<strong>in</strong>em alten Gleichgewicht geraten. Die Prozesse <strong>der</strong><br />

Individualisierung, das Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> Marktorientierung, neue Produktionsformen <strong>und</strong> verän<strong>der</strong>te<br />

Qualifikationsanfor<strong>der</strong>ungen stellen gr<strong>und</strong>sätzlich neue sozio-ökonomische Voraussetzungen<br />

dar. Die „neue Arbeit“ ist mit dem „alten Berufskonzept“ nicht mehr handhabbar <strong>und</strong> das<br />

Problem besteht nun dar<strong>in</strong>, dass dadurch auch das gesellschaftliche Gleichgewicht ungleichgewichtig<br />

wird. War <strong>in</strong> <strong>der</strong> Industriegesellschaft noch die Gesellschaft mit ihrem Zugriff<br />

auf die Berufe das Gegengewicht zu den marktförmig organisierten Betrieben, so hat sich das<br />

Gewicht fast vollständig auf Unternehmerseite verlagert. Menschliche Potentialität wird nicht<br />

mehr <strong>in</strong> Form beruflicher, i.e. gesellschaftlich geregelter Arbeit verausgabt, son<strong>der</strong>n jenseits<br />

davon. Damit wird die Arbeit aber auch zugleich ihrer langjährigen Struktur <strong>und</strong> ihres sozialen<br />

Kapitals entledigt, welches von Seiten <strong>der</strong> Gesellschaft zur Verfügung gestellt wurde. Was also<br />

bleibt, wenn die Arbeit ohne Gesellschaft auskommen muss?<br />

Das traditionelle Baupr<strong>in</strong>zip <strong>in</strong>dustrieller Arbeitsorganisation<br />

Christa Wolf hatte <strong>in</strong> ihrem 1961 geschriebenen Roman Der geteilte Himmel die Vision<br />

e<strong>in</strong>er DDR, <strong>in</strong> <strong>der</strong> die Vorstellung von Arbeit - <strong>in</strong> Form materieller <strong>und</strong> <strong>in</strong>dustrieller<br />

Produktion - e<strong>in</strong>en privilegierten Ort geme<strong>in</strong>schaftlicher Solidarität darstellt. Es geht um die<br />

Teilnahme an <strong>der</strong> kollektiven Anstrengung <strong>der</strong> Produktion. Die Produktionsgruppe ist dabei<br />

e<strong>in</strong> Kollektiv mo<strong>der</strong>ner Individuen, die ihre Probleme rational diskutieren <strong>und</strong> den Prozess<br />

materieller Arbeit als Ort authentischer Gefühle von Geme<strong>in</strong>schaft <strong>und</strong> Solidarität erfahren. Es<br />

g<strong>in</strong>g nicht darum, die körperliche Arbeit abzuschaffen, son<strong>der</strong>n als Erfüllung e<strong>in</strong>er kollektiven<br />

Erfahrung zu begreifen (vgl. Zizek 2000, 41).<br />

Das mag sich sicherlich etwas sozialistisch anhören, greift aber auf das seit dem 18.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert erprobte Element <strong>der</strong> gesellschaftlichen Sozialisation über den Faktor Arbeit<br />

zurück 118 . So reproduzierte sich das gesellschaftliche Arbeitsvermögen <strong>in</strong> Deutschland lange<br />

dass e<strong>in</strong>e Erosion vormalig leistungsfähiger Ordnungspr<strong>in</strong>zipien stattf<strong>in</strong>det, <strong>und</strong> zwar <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em überaus<br />

weitreichenden <strong>und</strong> gr<strong>und</strong>sätzlichen Umfang.<br />

118 Wie Maurer (1994, 11ff) darstellt, war Arbeit bis zum 18. Jh. <strong>in</strong> den dom<strong>in</strong>anten Denksystemen <strong>und</strong><br />

Philosophien <strong>der</strong> westlichen Welt ke<strong>in</strong>e Kategorie für die Reflexion über menschliche Selbstentfaltung. Für e<strong>in</strong><br />

ideales Gesellschaftsmodell war Arbeit ke<strong>in</strong> explizites Thema gesellschaftlicher Diskussionen. Wenn heute<br />

Individuen <strong>in</strong> Arbeiter <strong>und</strong> Nichtarbeiter unterteilt werden <strong>und</strong> sich damit e<strong>in</strong> je spezifischer sozialer Status<br />

ausdrückt, ist dies wie<strong>der</strong>um e<strong>in</strong>e spezifisch historische Form <strong>der</strong> Arbeitsorganisation.<br />

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