Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit
Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit
wird, dass ihm damit seine eigenen Grundlagen entzogen wurden, da viele Mechanismen gerade wegen und nicht trotz der verbliebenen sozialen Elemente funktionieren. Kapitel 4.4 Berufserosion: Als der Arbeit die Gesellschaft abhanden kam Was gibt es zu Beginn des neuen postindustriellen Informationsjahrhunderts am Ersten Mai noch zu feiern? Haben wir nicht, wenn wir an den Tag der Arbeit denken, in Wahrheit nur mehr einen armen Onkel aus einer bankrotten Stahlfabrik vor Augen, der etwas verlegen und unbeholfen seinen erfolgreichen Yuppie-Vetter besucht? ... Gehört der arme Onkel nicht einer schon fast ausgestorbenen Spezies an? Ist der Erste Mai nicht das Monument einer „Zombie“-Kategorie von Arbeit geworden, wie es unlängst Ulrich Beck formuliert hat? Slavoj Zizek 2000, 41 Vertrautheit wurde allgemein im Sinne von Routine und Selbstverständlichkeit definiert, sowie als eine Voraussetzung für die Vergabe von Vertrauen unter Ungewissheit. Der Fokus in diesem vierten Kapitel lag und liegt auf der besonderen Thematisierung von Vertrauen als Vertrautheit beim Übergang zur Dienstleistungsgesellschaft. Diese auf allen Ebenen ablaufenden Reorganisationsprozesse, wie bisher beschrieben die Dezentralisierung und die Globalisierung, sind geprägt von einer Dynamik, welche droht, genau diese vorhandenen Vertrauensgrundlagen zu zerstören. Nach Heisig ist es aber gerade in einem derartigen Transformationsprozess zur neuen postindustriellen Gesellschaft besonders wichtig, Vertrauensbeziehungen aufrecht zu erhalten, da die zukünftige Arbeitswelt bei allen Beteiligten ein „hohes Maß an spontaner Kooperationsfähigkeit und –bereitschaft und damit ein hohes Vertrauensniveau“ (ders. 1997, 124) voraussetzt. Mit dem pointierten Satz, dass der Gesellschaft die Arbeit abhanden gekommen sei, soll in diesem Abschnitt Folgendes dargestellt werden: Solange eine Gesellschaft stabil und wirtschaftlich erfolgreich ist, wird es den Akteuren vergleichsweise leicht fallen, ein hohes Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb des herrschenden Modells zu entwickeln und Vertrauen in Vertrautes zu fassen. Sobald eine Gesellschaft jedoch beginnt instabil zu werden, beginnen zugleich die ehemaligen Sicherheiten in den Augen der Akteuren instabil, riskant und unverlässlich zu werden 117 . Der Beruf und die beruflich strukturierte Gesellschaft stellten lange 117 Ein prinzipieller Hinweis am Rande: Da Begriffe wie Stabilität, Sicherheit und Vertrautheit tendenziell positiv konnotiert sind, mag die Darstellung ihrer Erosion von „kulturpessimistischen Anflügen“ begleitet sein. Es soll hierbei jedoch weder darum gehen, einem Konservatismus das Wort zu reden, noch soll am Ende heraus-kommen, dass sich hinter all dem doch noch eine besonders positive Zukunftschance verbirgt. Meine These lautet lediglich, 143
Zeit ein verlässliches Leitbild dar, welches dem Prinzip institutionalisierter Reziprozität entsprach. Das Ordnungsprinzip bestand vereinfacht gesagt darin, dass das Verhältnis von Gesellschaft, Betrieb und Individuum in Deutschland über den Faktor Arbeit und in Form von Berufen geregelt wurde und lange Zeit pareto–optimal war. Dieses Verhältnis ist definitiv aus seinem alten Gleichgewicht geraten. Die Prozesse der Individualisierung, das Prinzip der Marktorientierung, neue Produktionsformen und veränderte Qualifikationsanforderungen stellen grundsätzlich neue sozio-ökonomische Voraussetzungen dar. Die „neue Arbeit“ ist mit dem „alten Berufskonzept“ nicht mehr handhabbar und das Problem besteht nun darin, dass dadurch auch das gesellschaftliche Gleichgewicht ungleichgewichtig wird. War in der Industriegesellschaft noch die Gesellschaft mit ihrem Zugriff auf die Berufe das Gegengewicht zu den marktförmig organisierten Betrieben, so hat sich das Gewicht fast vollständig auf Unternehmerseite verlagert. Menschliche Potentialität wird nicht mehr in Form beruflicher, i.e. gesellschaftlich geregelter Arbeit verausgabt, sondern jenseits davon. Damit wird die Arbeit aber auch zugleich ihrer langjährigen Struktur und ihres sozialen Kapitals entledigt, welches von Seiten der Gesellschaft zur Verfügung gestellt wurde. Was also bleibt, wenn die Arbeit ohne Gesellschaft auskommen muss? Das traditionelle Bauprinzip industrieller Arbeitsorganisation Christa Wolf hatte in ihrem 1961 geschriebenen Roman Der geteilte Himmel die Vision einer DDR, in der die Vorstellung von Arbeit - in Form materieller und industrieller Produktion - einen privilegierten Ort gemeinschaftlicher Solidarität darstellt. Es geht um die Teilnahme an der kollektiven Anstrengung der Produktion. Die Produktionsgruppe ist dabei ein Kollektiv moderner Individuen, die ihre Probleme rational diskutieren und den Prozess materieller Arbeit als Ort authentischer Gefühle von Gemeinschaft und Solidarität erfahren. Es ging nicht darum, die körperliche Arbeit abzuschaffen, sondern als Erfüllung einer kollektiven Erfahrung zu begreifen (vgl. Zizek 2000, 41). Das mag sich sicherlich etwas sozialistisch anhören, greift aber auf das seit dem 18. Jahrhundert erprobte Element der gesellschaftlichen Sozialisation über den Faktor Arbeit zurück 118 . So reproduzierte sich das gesellschaftliche Arbeitsvermögen in Deutschland lange dass eine Erosion vormalig leistungsfähiger Ordnungsprinzipien stattfindet, und zwar in einem überaus weitreichenden und grundsätzlichen Umfang. 118 Wie Maurer (1994, 11ff) darstellt, war Arbeit bis zum 18. Jh. in den dominanten Denksystemen und Philosophien der westlichen Welt keine Kategorie für die Reflexion über menschliche Selbstentfaltung. Für ein ideales Gesellschaftsmodell war Arbeit kein explizites Thema gesellschaftlicher Diskussionen. Wenn heute Individuen in Arbeiter und Nichtarbeiter unterteilt werden und sich damit ein je spezifischer sozialer Status ausdrückt, ist dies wiederum eine spezifisch historische Form der Arbeitsorganisation. 144
- Seite 92 und 93: Beckert arbeitet dieses Problem an
- Seite 94 und 95: Im folgenden Abschnitt gilt es dahe
- Seite 96 und 97: Instanz, die dieses Vertrauen wille
- Seite 98 und 99: Personales Vertrauen Es ist diese B
- Seite 100 und 101: - Vertrautheit als Selbstverständl
- Seite 102 und 103: dass dieser sich abwerben lässt. D
- Seite 104 und 105: Vertrauen erzieht ...Das gilt sowoh
- Seite 106 und 107: anderen „durchschaut“ hat. Man
- Seite 108 und 109: Wie müssen dann diese möglichen
- Seite 110 und 111: ereuen, wenn es schief geht. Zuvers
- Seite 112 und 113: Alle Versuche, Vertrauen forcieren
- Seite 114 und 115: In der aktuellen Managementliteratu
- Seite 116 und 117: Der Weg in die Ungewissheitsgesells
- Seite 118 und 119: Zwänge der Produktionstechnologie
- Seite 120 und 121: Entwicklungszeiten, die Rentabilit
- Seite 122 und 123: „Rehabilitation der menschlichen
- Seite 124 und 125: 20. Jh. ---------70er--------------
- Seite 126 und 127: überirdisch kreativen Mitarbeiter,
- Seite 128 und 129: Geschäftsstrategische Veränderung
- Seite 130 und 131: Mehr Autonomie und Verantwortung se
- Seite 132 und 133: Im Zeichen einer um sich greifenden
- Seite 134 und 135: Sei selbständig verantwortlich fü
- Seite 136 und 137: von Konzepten, Strategien und Techn
- Seite 138 und 139: „Die Utopie vom totalen Unternehm
- Seite 140 und 141: von Erwerbsarbeit und die damit ein
- Seite 144 und 145: Zeit fast ausschließlich über den
- Seite 146 und 147: Adaptionsfähigkeit. Das Duale Syst
- Seite 148 und 149: Arbeitsverhältnissen und dementspr
- Seite 150 und 151: edeutsamen Mehrwert wird der Berufs
- Seite 152 und 153: anhaltenden Politisierung der Unter
- Seite 154 und 155: Lebensentwürfe? Oder muss man die
- Seite 156 und 157: nicht mehr hinreichend war und was
- Seite 158 und 159: den Großteil all dies gerade nicht
- Seite 160 und 161: Nicht-tayloristische Formen der Arb
- Seite 162 und 163: per Dezentralisierung fast automati
- Seite 164 und 165: wirtschaftlichen Struktur und der m
- Seite 166 und 167: Kooperationsbeziehungen, im Rahmen
- Seite 168 und 169: Nochmals möchte ich die fünf Risi
- Seite 170 und 171: Arbeitnehmer nachkommen sollte: Das
- Seite 172 und 173: Volvo und HP sind zwei Beispiele, i
- Seite 174 und 175: Führungskräfte zu sehr damit besc
- Seite 176 und 177: Entscheidung für Vertrauen förder
- Seite 178 und 179: partikulare Orientierungen vor, die
- Seite 180 und 181: von Organisationskultur reagiert wi
- Seite 182 und 183: Wil Martens zählt bereits 1988 all
- Seite 184 und 185: gesprochen wird, um so die Verinner
- Seite 186 und 187: (4)) und eben nicht der Subjektivie
- Seite 188 und 189: Untersuchungen von Kotthoff, dass s
- Seite 190 und 191: okkupieren, desto mehr wird eben di
wird, dass ihm damit se<strong>in</strong>e eigenen Gr<strong>und</strong>lagen entzogen wurden, da viele Mechanismen<br />
gerade wegen <strong>und</strong> nicht trotz <strong>der</strong> verbliebenen sozialen Elemente funktionieren.<br />
Kapitel 4.4<br />
Berufserosion: Als <strong>der</strong> Arbeit die Gesellschaft abhanden kam<br />
Was gibt es zu Beg<strong>in</strong>n des neuen post<strong>in</strong>dustriellen Informationsjahrh<strong>und</strong>erts am<br />
Ersten Mai noch zu feiern? Haben wir nicht, wenn wir an den Tag <strong>der</strong> Arbeit denken,<br />
<strong>in</strong> Wahrheit nur mehr e<strong>in</strong>en armen Onkel aus e<strong>in</strong>er bankrotten Stahlfabrik vor Augen,<br />
<strong>der</strong> etwas verlegen <strong>und</strong> unbeholfen se<strong>in</strong>en erfolgreichen Yuppie-Vetter besucht? ...<br />
Gehört <strong>der</strong> arme Onkel nicht e<strong>in</strong>er schon fast ausgestorbenen Spezies an? Ist <strong>der</strong><br />
Erste Mai nicht das Monument e<strong>in</strong>er „Zombie“-Kategorie von Arbeit geworden, wie<br />
es unlängst Ulrich Beck formuliert hat?<br />
Slavoj Zizek 2000, 41<br />
Vertrautheit wurde allgeme<strong>in</strong> im S<strong>in</strong>ne von Rout<strong>in</strong>e <strong>und</strong> Selbstverständlichkeit<br />
def<strong>in</strong>iert, sowie als e<strong>in</strong>e Voraussetzung für die Vergabe von <strong>Vertrauen</strong> unter Ungewissheit. Der<br />
Fokus <strong>in</strong> diesem vierten Kapitel lag <strong>und</strong> liegt auf <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en Thematisierung von<br />
<strong>Vertrauen</strong> als Vertrautheit beim Übergang zur Dienstleistungsgesellschaft. Diese auf allen<br />
Ebenen ablaufenden Reorganisationsprozesse, wie bisher beschrieben die Dezentralisierung<br />
<strong>und</strong> die Globalisierung, s<strong>in</strong>d geprägt von e<strong>in</strong>er Dynamik, welche droht, genau diese<br />
vorhandenen <strong>Vertrauen</strong>sgr<strong>und</strong>lagen zu zerstören. Nach Heisig ist es aber gerade <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
<strong>der</strong>artigen Transformationsprozess zur neuen post<strong>in</strong>dustriellen Gesellschaft beson<strong>der</strong>s wichtig,<br />
<strong>Vertrauen</strong>sbeziehungen aufrecht zu erhalten, da die zukünftige Arbeitswelt bei allen<br />
Beteiligten e<strong>in</strong> „hohes Maß an spontaner Kooperationsfähigkeit <strong>und</strong> –bereitschaft <strong>und</strong> damit<br />
e<strong>in</strong> hohes <strong>Vertrauen</strong>sniveau“ (<strong>der</strong>s. 1997, 124) voraussetzt.<br />
Mit dem po<strong>in</strong>tierten Satz, dass <strong>der</strong> Gesellschaft die Arbeit abhanden gekommen sei, soll<br />
<strong>in</strong> diesem Abschnitt Folgendes dargestellt werden: Solange e<strong>in</strong>e Gesellschaft stabil <strong>und</strong><br />
wirtschaftlich erfolgreich ist, wird es den Akteuren vergleichsweise leicht fallen, e<strong>in</strong> hohes<br />
Zusammengehörigkeitsgefühl <strong>in</strong>nerhalb des herrschenden Modells zu entwickeln <strong>und</strong><br />
<strong>Vertrauen</strong> <strong>in</strong> Vertrautes zu fassen. Sobald e<strong>in</strong>e Gesellschaft jedoch beg<strong>in</strong>nt <strong>in</strong>stabil zu werden,<br />
beg<strong>in</strong>nen zugleich die ehemaligen Sicherheiten <strong>in</strong> den Augen <strong>der</strong> Akteuren <strong>in</strong>stabil, riskant <strong>und</strong><br />
unverlässlich zu werden 117 . Der Beruf <strong>und</strong> die beruflich strukturierte Gesellschaft stellten lange<br />
117 E<strong>in</strong> pr<strong>in</strong>zipieller H<strong>in</strong>weis am Rande: Da Begriffe wie Stabilität, Sicherheit <strong>und</strong> Vertrautheit tendenziell positiv<br />
konnotiert s<strong>in</strong>d, mag die Darstellung ihrer Erosion von „kulturpessimistischen Anflügen“ begleitet se<strong>in</strong>. Es soll<br />
hierbei jedoch we<strong>der</strong> darum gehen, e<strong>in</strong>em Konservatismus das Wort zu reden, noch soll am Ende heraus-kommen,<br />
dass sich h<strong>in</strong>ter all dem doch noch e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>s positive Zukunftschance verbirgt. Me<strong>in</strong>e These lautet lediglich,<br />
143