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Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit

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Das Individuum am Ende <strong>der</strong> Fragmente<br />

Die Dynamik e<strong>in</strong>er Vergesellschaftung, die durch Marktbeziehungen <strong>und</strong> die<br />

Aufspaltung <strong>der</strong> Lebens- <strong>und</strong> Arbeitsbereiche geprägt ist, ist sowohl herausfor<strong>der</strong>nd als auch<br />

verunsichernd. Für Brunner (1997, 11) ist Max Weber <strong>der</strong> erste, <strong>der</strong> die mo<strong>der</strong>ne Gesellschaft als<br />

e<strong>in</strong>en Fragmentierungsprozess <strong>in</strong>terpretiert, <strong>in</strong> dem die ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong> driftenden<br />

Handlungsbereiche nicht mehr von e<strong>in</strong>em wesentlichen Pr<strong>in</strong>zip <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Totalität<br />

zurückzusteuern s<strong>in</strong>d. Heute nun haben wir die zweite Stufe <strong>der</strong> Fragmentierung zur<br />

postmo<strong>der</strong>nen Gesellschaft erreicht, <strong>in</strong> <strong>der</strong> soziale Identität nicht mehr traditionellen<br />

Sozialisationsmustern strukturdeterm<strong>in</strong>ieren<strong>der</strong> sozialer Gruppen folgt (vgl. Markert 1998, 75),<br />

son<strong>der</strong>n die Individuen freigesetzt s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong> Mobilität <strong>und</strong> Flexibilität sich selbst zu bestimmen<br />

<strong>und</strong> zu entscheiden. „Individualisierung me<strong>in</strong>t also we<strong>der</strong> Vere<strong>in</strong>zelung im negativen noch<br />

Freisetzung im positiven S<strong>in</strong>ne, son<strong>der</strong>n lediglich die Tatsache, dass die abstrakte<br />

Differenzierung <strong>und</strong> gleichzeitige Standardisierung <strong>der</strong> Gesellschaft auf Ebene des e<strong>in</strong>zelnen<br />

Lebens nur noch Individualisierung als den ihr gemäßen Vergesellschaftungsmodus<br />

zurücklassen kann“ (Harney 1990, 49f). Es gibt ke<strong>in</strong>e objektive Bestimmbarkeit mehr, jede<br />

Selbstkonstruktion vollzieht sich perspektivenabhängig <strong>und</strong> losgelöst von <strong>der</strong> Gesellschaft.<br />

Alles, was ist, kann auch ebenso gut an<strong>der</strong>s se<strong>in</strong>, so dass als letztes Zentrum nur die Egozentrik<br />

bleibt. 108<br />

Wenn nun das Management <strong>in</strong> vollm<strong>und</strong>igen Formeln von Eigenverantwortung,<br />

Selbstorganisation <strong>und</strong> Kritikfähigkeit redet, dann wird lediglich auf die Tatsache verwiesen,<br />

dass sich selbst <strong>der</strong> Betrieb, als ehemals Identität stiftende Instanz, dieser<br />

Komplexitätsreduktion wi<strong>der</strong>setzt. Als e<strong>in</strong> Beleg hierfür kann man die letztlich paradoxe<br />

Auffor<strong>der</strong>ung des Managements an se<strong>in</strong>e Mitarbeiter verstehen, <strong>in</strong> Selbstbestimmung zu<br />

handeln 109 . In <strong>der</strong> Logik des Managements kann es sich jedoch bei Selbstbestimmung<br />

eigentlich nur um die Ablehnung von Fremdverantwortung handeln. Das ist e<strong>in</strong> Unterschied.<br />

Selbstbestimmt wäre e<strong>in</strong>e Arbeitnehmer erst <strong>in</strong> dem Moment, wenn er sich dem<br />

fremdgesetzten Arbeitsziel, nämlich das Erreichen <strong>der</strong> Selbstbestimmung <strong>und</strong><br />

Selbstorganisation, verweigern würde, also ebenso gut unselbständig bliebe <strong>und</strong> trotzdem<br />

se<strong>in</strong>en Job behalten könnte – was eher unwahrsche<strong>in</strong>lich ist.<br />

108 Zech (1999, 117) beg<strong>in</strong>nt e<strong>in</strong>en Aufsatz über das Individuum <strong>in</strong> <strong>der</strong> „Post“-Mo<strong>der</strong>ne mit folgendem Graffiti-<br />

Spruch: „Wer b<strong>in</strong> ich, <strong>und</strong> wenn ja, wieviele?!“<br />

109 Diese paradoxale Struktur lässt sich auch schön am Beispiel Schule verdeutlichen, wo ja zur <strong>in</strong>dividuellen<br />

Selbstbestimmung erzogen werden soll. Aber: „Selbstbestimmt wäre e<strong>in</strong> Schüler erst <strong>in</strong> dem Moment, wenn er<br />

sich dem fremdgesetzten Lernziel e<strong>in</strong>er Erziehung zur Selbständigkeit verweigern würde, also unselbständig<br />

bliebe“ (Zech 1999/ III, 179).<br />

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