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Vertrauen und Vertrauensspielräume in Zeiten der Unkontrollierbarkeit

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<strong>Vertrauen</strong> als Reduktion von Komplexität<br />

Luhmann analysiert die soziale Funktion von <strong>Vertrauen</strong>, <strong>in</strong>dem er das Wesen e<strong>in</strong>er<br />

Sache durch die Bed<strong>in</strong>gungen ihrer Ersetzbarkeit def<strong>in</strong>iert (1989 [1968], 2ff). Er beg<strong>in</strong>nt mit dem<br />

systemtheoretischen Gr<strong>und</strong>gedanken, dass <strong>der</strong> Mensch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er unendlich komplexen Welt lebt,<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> alles möglich ist, solange noch ke<strong>in</strong> soziales System existiert. Die Welt als Ganzes ist<br />

ke<strong>in</strong> System, weil sie ke<strong>in</strong>e Grenzen hat. Sie hat ke<strong>in</strong>e Umwelt, von <strong>der</strong> aus sie beobachtbar<br />

se<strong>in</strong> könnte. Ke<strong>in</strong> psychisches o<strong>der</strong> soziales System kann die Abstraktheit <strong>und</strong> Welthaftigkeit<br />

e<strong>in</strong>er solch maximalen Komplexität erfassen.<br />

E<strong>in</strong> soziales System ist demgegenüber e<strong>in</strong>e „höhere“ Ordnung von ger<strong>in</strong>gerer<br />

Komplexität. Dieses System hat spezifische Eigenschaften, die es von se<strong>in</strong>er Umwelt<br />

unterscheidbar machen. Für jeden Akteur wird se<strong>in</strong> Weltentwurf <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e eigene Identität<br />

zum Bestandteil <strong>der</strong> eigenen Systemstruktur. Je<strong>der</strong> hat orig<strong>in</strong>ären Zugang zur Welt <strong>und</strong> könnte<br />

alles ganz an<strong>der</strong>s als je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e erleben (ebd. 5).<br />

Unter diesen Bed<strong>in</strong>gungen ist es höchst unwahrsche<strong>in</strong>lich, dass zwei Akteure, die<br />

aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong> treffen, ihre Erwartungen <strong>und</strong> Handlungen im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er sozialen Interaktion<br />

mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> koord<strong>in</strong>ieren können. Alles ist möglich, alles ist erwartbar, alles ist ungewiss, da<br />

noch ke<strong>in</strong>e Selektion von Möglichkeiten stattgef<strong>und</strong>en hat. Luhmann betont, dass dies nicht<br />

historisch zu verstehen sei, als ob erst das e<strong>in</strong>e als Ursache von o<strong>der</strong> Motiv für das an<strong>der</strong>e<br />

auftritt (ebd. 7). Soziale Akteure koord<strong>in</strong>ieren im Normalfall ganz offensichtlich ihre<br />

Erwartungen <strong>und</strong> Handlungen, so dass <strong>in</strong> <strong>der</strong> sozialen Welt immer schon Mechanismen<br />

vorhanden s<strong>in</strong>d, welche Ungewissheit <strong>und</strong> Komplexität reduzieren. Und eben auf <strong>der</strong><br />

Gr<strong>und</strong>lage solcher Mechanismen entstehen soziale Systeme <strong>und</strong> ermöglichen es, dass soziale<br />

Handlungen anschlussfähig werden. In diesem S<strong>in</strong>ne kann <strong>Vertrauen</strong> verstanden werden als e<strong>in</strong><br />

Mechanismus zur Reduktion von Komplexität, als stabiles Ordnungsmuster, das Erleben <strong>und</strong><br />

Verhalten reguliert.<br />

<strong>Vertrauen</strong> heißt dann für den Treugeber, gewisse Entwicklungsmöglichkeiten von <strong>der</strong><br />

Berücksichtigung auszuschließen <strong>und</strong> mögliche Gefahren zu neutralisieren, damit sie das<br />

Handeln nicht belasten. Der <strong>Vertrauen</strong>de setzt sich willentlich über e<strong>in</strong>en Mangel an<br />

Information h<strong>in</strong>weg, <strong>in</strong>dem er se<strong>in</strong>em Gegenüber vertraut. Er vertraut auf dessen zweckgerichtete<br />

Handlungen <strong>und</strong> Entscheidungen. Damit bezieht sich dieses <strong>Vertrauen</strong> sehr wohl auf<br />

e<strong>in</strong>e kritische Alternative <strong>und</strong> elim<strong>in</strong>iert nicht etwa die Kont<strong>in</strong>genz, son<strong>der</strong>n reflektiert sie (ebd.<br />

25). Umgekehrt kann <strong>der</strong> Treuhän<strong>der</strong> bestimmte Annahmen über das zukünftige Verhalten des<br />

Treugebers machen, womit die Existenz sozialer Interaktionssysteme <strong>und</strong> <strong>der</strong> Aufbau längerer<br />

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