VALIE EXPORT DALLA E DE gREgORI - Kultur.bz.it
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DAS JÜNGSTE GERÜCHT<br />
DAS JÜNGSTE GERÜCHT<br />
M<strong>it</strong> M<strong>it</strong>fahrgelegenhe<strong>it</strong>,<br />
leider<br />
Zug fahren hat viele Vorteile. Den einen Nachteil allerdings auch:<br />
Man kann sich seine M<strong>it</strong>fahrer nicht aussuchen. Für Südtiroler<br />
Verhältnisse bin ich eine Bekannthe<strong>it</strong>, im Sinn: Man erkennt<br />
mich. Das schmeichelt zwar meiner E<strong>it</strong>elke<strong>it</strong>, aber es hat auch<br />
seine Tücken. Da geht man meistens m<strong>it</strong> einer bestimmten<br />
Erwartungshaltung auf den Zug. Man hat ein Buch m<strong>it</strong>, grad<br />
angelesen und fast noch m<strong>it</strong> dem Finger als Lesezeichen in die<br />
Se<strong>it</strong>en geklemmt, oder hat sich am Kiosk eine Ze<strong>it</strong>ung gekauft,<br />
zum Anlass eine besonders gute, und es erfasst einen schon eine<br />
Stimmung freudiger Erwartung: endlich Zug, endlich Ruhe, Ze<strong>it</strong><br />
für Lektüre und, so es we<strong>it</strong>er geht, auch für ein Nickerchen.<br />
Nirgends anderswo ist der Mensch so frei wie im Zug. Alles fällt<br />
von einem ab: Aufgaben, Termine, Verpflichtungen – man ist ja<br />
unterwegs, und fährt. Würde man Auto fahren, was die meisten<br />
tun, könnte man ja auch nicht nebenbei arbe<strong>it</strong>en. Also hat man<br />
sich und seine Ze<strong>it</strong> ganz für sich – eine Zugfahrt lang zumindest.<br />
Was für Luxus!<br />
Aber wie gesagt, ich bin eher bekannt im Land, und tummle ich<br />
mich an einem der Südtiroler Bahnhöfe ein bisschen herum,<br />
oder mache ich es mir in einem der selten voll besetzten Wagone<br />
bequem, da dauert es nicht, und ich bin um die Freuden des<br />
Zugfahrens gebracht: Ach, auch Sie da? Und wo fährst Du hin?<br />
Und als ob es das Selbstverständlichste der Welt wäre, dass ihre<br />
Gesellschaft mir ein Vergnügen bere<strong>it</strong>en würde, setzt sich die<br />
Person zu mir und gibt sich ungebetener Weise Mühe, mich zu<br />
unterhalten. Ach, wie viele Bücher schon ungelesen geblieben,<br />
wie viele Ze<strong>it</strong>ungen ungeöffnet weggeworfen worden, wie viele<br />
Schlafstunden verloren gegangen sind, nur weil eine m<strong>it</strong>reisende<br />
Person sich eingebildet hat, sie müsse mir Gesellschaft leisten.<br />
Die Menschen, auch zugreisende oder womöglich gar diese speziell,<br />
haben offenbar eine hohe Auffassung von sich. Sie meinen, es<br />
sei unhöflich, einen m<strong>it</strong>reisenden Bekannten in Ruh zu lassen.<br />
M<strong>it</strong>tlerweile, ich bin ein geübter Zugfahrer, habe ich schon so<br />
meine Tricks, mir lästige Gesellschafter vom Hals zu halten.<br />
Nie betrete ich einen Bahnsteig, ohne vorher einen ungefähren<br />
Blick auf die dort wartenden Menschen zu werfen. Erblicke ich<br />
jemanden, m<strong>it</strong> dem ich an dem Tag lieber nicht meine Zugfahrtze<strong>it</strong><br />
teile, werde ich ihn souverän übersehen, gehe unauffällig in<br />
die Gegenrichtung, lasse ihn vor mir einsteigen und bring mich<br />
anschließend in einem anderen Wagon oder zumindest Abteil in<br />
Sicherhe<strong>it</strong>. Die notorisch unterbesetzten Züge halten für derlei<br />
Ausweichmanöver unbegrenzte Möglichke<strong>it</strong>en bere<strong>it</strong>.<br />
Scheidet Unerkannt-Bleiben als Selbstschutz aus, entweder weil<br />
zu wenig Fahrgäste vorhanden oder weil gewisse Zugreisende<br />
selbst systematisch auf Suche nach einer Reisebegle<strong>it</strong>ung sind,<br />
habe ich auch dafür raffinierte Ablenkungstechniken parat. Ich<br />
schütze meinerse<strong>it</strong>s Gründe vor, die eine engere M<strong>it</strong>fahrgemeinschaft<br />
leider – natürlich Gott sei Dank – verhindern: Ich sag,<br />
ich sei m<strong>it</strong> irgendwem sonst im Zug verabredet und müsse den<br />
suchen. Das hilft Ze<strong>it</strong> zu gewinnen, und der versetzte M<strong>it</strong>fahrer<br />
muss schon arg aufdringlich sein, dass er meine Spur aufnimmt<br />
und nachkommt. Die neuartigen, zu Unrecht hoch gelobten<br />
Smart-Züge des Landes m<strong>it</strong> ihren abteilungslosen Raumwürsten<br />
eignen sich leider nicht dafür. So lüg ich, wenn ich Ruh haben<br />
will: Tut mir leid, ich hab zu tun, muss mich vorbere<strong>it</strong>en ... Das<br />
wird einem geglaubt, neuerdings. Arbe<strong>it</strong>en wird entschuldigt,<br />
schlafen nicht. So we<strong>it</strong> ist das Zugfahren schon verkommen.<br />
Florian Kronbichler<br />
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