VALIE EXPORT DALLA E DE gREgORI - Kultur.bz.it

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01.12.2014 Aufrufe

Rosendorfers Schattenwürfe Schattenwurf Da brannte eines Tages vor der Glaswand, hinter der der – vulgo – Ötzi liegt, eine Kerze. So eine Kerze in einem roten Plastikschälchen wie sie die Leute auf dem Friedhof auf die Gräber stellen. „Wie lang steht das schon da?“ fragte der Chef. „Ich weiß nicht,“ sagte der Museumsdiener, „vorhin bei meinem Rundgang habe ich es bemerkt. Vormittags war sie noch nicht da.“ „Haben Sie sie ausgeblasen?“ „Nein. Ich habe nicht gewußt, ob sie nicht vielleicht hingehört.“ „Dann blasen Sie sie jetzt aus. Und räumen ’s weg.“ Aber am nächsten Tag war wieder eine Kerze da, diesmal in einem goldgelben Plastikschälchen. Man blies sie aus und legte sich am nächsten Tag auf die Lauer. Wartete. Nichts. Erst am übernächsten Tag – man vermutete, der Unsinn habe aufgehört – wurde eher zufällig eine alte Frau dabei ertappt, daß sie wieder eine Kerze (wieder im roten Schälchen) aufstellte und anzündete. „Sind Sie wahnsinnig? im Museum Feuer machen?“ „Aber wo si’ decht mei’ Luis, was mei’ Bua isch, mit der Baamschaar’ in Finger g’schnitt’n hat. Und er hoalt net. Der Finger.“ „Und was hat das mit dem Ötzi zu tun?“ „Ja, halt um Fürbitt’ bei der Muttergottes.“ „Einen Moment. Wie? was?“ „Ja um Fürbitt’ zum Sankt Ötzi, daß der Finger hoalen tuat.“ Die Frau wurde zum Museumsdirektor gebracht. „Lei wegen der Fürbitte, Herr Direktor.“ Der Museumsdirektor versuchte nun der alten Frau, es handelte sich um die Mesnerhof-Kathl vom Hintergrabkofl, zu erklären, daß es erstens ganz und gar unmöglich sei, im Museum ein offenes Licht aufzustellen, und zweitens, daß der Ötzi fünftausend Jahre vor Christus gelebt habe und also kein Heiliger der katholischen Kirche sein könne. „Naanaa!“ sagte die Mesnerhof-Kathl, „i’ han mi’ schon erkundigt, beim Hochwür’n. Vor Christus? Macht nix. Sein viele heilig: der heilige David, der heilige Abraham, sogar Adam und Eva sein heilig und logisch no’ vielviel älter als wia der Ötzi. Haben sogar ’an Tag: Adam und Eva, hat der Hochwür’n g’sagg: Adam und Eva: 24. Dezember.“ Der Museumsdirektor seufzte tief. „Liebe Frau – ich verstehe. Fürbitte. Aber warum wenden sie sich an den…“ er schluckte, bevor er das Wort herausbrachte, „…heiligen Ötzi und nicht direkt an die Muttergottes? oder vielleicht am gescheitesten ohne Umwege an den Lieben Gott selber?“ „Naanaa,“ hätte darauf die Kathl gesagt, „naanaa, i’ geh’ jo ah net glei zum Londeshauptmann. Des tuat ma net.“ „Also gut,“ sagte der Direktor. „Gegen alle Bedenken: noch eine Kerze.“ „Küß die Händ, Herr Direktr.“ Am nächsten Tag kam die Alte freudestrahlend ins Büro zum Direktor: „Der Finger isch ’g’hoalt.“ Aber leider prach es sich herum, daß der Finger vom Mesnerhof-Luis auf Fürsprache von St. Ötzi wunderbarer Weise geheilt ist. Am nächsten Tag standen schon zwei Kerzen vor der Glaswand. Ein Märchen aus dem heiligen Land Tirol. Herbert Rosendorfer – 6 – – 7 –

Rosendorfers Schattenwürfe<br />

Schattenwurf<br />

Da brannte eines Tages vor der Glaswand, hinter<br />

der der – vulgo – Ötzi liegt, eine Kerze. So eine<br />

Kerze in einem roten Plastikschälchen wie<br />

sie die Leute auf dem Friedhof auf die Gräber<br />

stellen.<br />

„Wie lang steht das schon da?“ fragte der Chef.<br />

„Ich weiß nicht,“ sagte der Museumsdiener,<br />

„vorhin bei meinem Rundgang habe ich es bemerkt.<br />

Vorm<strong>it</strong>tags war sie noch nicht da.“<br />

„Haben Sie sie ausgeblasen?“<br />

„Nein. Ich habe nicht gewußt, ob sie nicht vielleicht<br />

hingehört.“<br />

„Dann blasen Sie sie jetzt aus. Und räumen ’s<br />

weg.“<br />

Aber am nächsten Tag war wieder eine Kerze da,<br />

diesmal in einem goldgelben Plastikschälchen.<br />

Man blies sie aus und legte sich am nächsten Tag<br />

auf die Lauer. Wartete. Nichts. Erst am übernächsten<br />

Tag – man vermutete, der Unsinn habe<br />

aufgehört – wurde eher zufällig eine alte Frau<br />

dabei ertappt, daß sie wieder eine Kerze (wieder<br />

im roten Schälchen) aufstellte und anzündete.<br />

„Sind Sie wahnsinnig? im Museum Feuer machen?“<br />

„Aber wo si’ decht mei’ Luis, was mei’ Bua isch,<br />

m<strong>it</strong> der Baamschaar’ in Finger g’schn<strong>it</strong>t’n hat.<br />

Und er hoalt net. Der Finger.“<br />

„Und was hat das m<strong>it</strong> dem Ötzi zu tun?“<br />

„Ja, halt um Fürb<strong>it</strong>t’ bei der Muttergottes.“<br />

„Einen Moment. Wie? was?“<br />

„Ja um Fürb<strong>it</strong>t’ zum Sankt Ötzi, daß der Finger<br />

hoalen tuat.“<br />

Die Frau wurde zum Museumsdirektor gebracht.<br />

„Lei wegen der Fürb<strong>it</strong>te, Herr Direktor.“<br />

Der Museumsdirektor versuchte nun der alten<br />

Frau, es handelte sich um die Mesnerhof-Kathl<br />

vom Hintergrabkofl, zu erklären, daß es erstens<br />

ganz und gar unmöglich sei, im Museum ein<br />

offenes Licht aufzustellen, und zwe<strong>it</strong>ens, daß der<br />

Ötzi fünftausend Jahre vor Christus gelebt habe<br />

und also kein Heiliger der katholischen Kirche<br />

sein könne.<br />

„Naanaa!“ sagte die Mesnerhof-Kathl, „i’ han mi’<br />

schon erkundigt, beim Hochwür’n. Vor Christus?<br />

Macht nix. Sein viele heilig: der heilige<br />

David, der heilige Abraham, sogar Adam und<br />

Eva sein heilig und logisch no’ vielviel älter als<br />

wia der Ötzi. Haben sogar ’an Tag: Adam und<br />

Eva, hat der Hochwür’n g’sagg: Adam und Eva:<br />

24. Dezember.“<br />

Der Museumsdirektor seufzte tief.<br />

„Liebe Frau – ich verstehe. Fürb<strong>it</strong>te. Aber<br />

warum wenden sie sich an den…“ er schluckte,<br />

bevor er das Wort herausbrachte, „…heiligen<br />

Ötzi und nicht direkt an die Muttergottes? oder<br />

vielleicht am gesche<strong>it</strong>esten ohne Umwege an<br />

den Lieben Gott selber?“<br />

„Naanaa,“ hätte darauf die Kathl gesagt, „naanaa,<br />

i’ geh’ jo ah net glei zum Londeshauptmann.<br />

Des tuat ma net.“<br />

„Also gut,“ sagte der Direktor. „Gegen alle Bedenken:<br />

noch eine Kerze.“<br />

„Küß die Händ, Herr Direktr.“<br />

Am nächsten Tag kam die Alte freudestrahlend<br />

ins Büro zum Direktor: „Der Finger isch<br />

’g’hoalt.“<br />

Aber leider prach es sich herum, daß der Finger<br />

vom Mesnerhof-Luis auf Fürsprache von St. Ötzi<br />

wunderbarer Weise geheilt ist. Am nächsten Tag<br />

standen schon zwei Kerzen vor der Glaswand.<br />

Ein Märchen aus dem heiligen Land Tirol.<br />

Herbert Rosendorfer<br />

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