NOvember 2011 - Humanistischer Verband Deutschlands ...
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Humanistische Herausforderung:<br />
Die klassische Hospizbewegung „aufheben“<br />
Der Schriftsteller Martin Ahrends forderte die Möglichkeit des selbstbestimmten Freitods, statt sich<br />
„auf jämmerliche Weise“ totpflegen zu lassen.<br />
Zum Weltsuizidpräventionstag (jährlich<br />
am 10. September) forderte die Deutsche<br />
Hospiz Stiftung, die Lebenssituation der<br />
Pflegebedürftigen grundlegend zu verbessern.<br />
Zwar haben wir in Deutschland<br />
eine rückgängige Suizidrate. Allerdings<br />
zeigt sich bei alten Menschen seit Jahren<br />
ein gegenläufiger Trend. Ihr Anteil an der<br />
Selbsttötungsrate wächst stetig. Hier spielt<br />
die Angst vor Abhängigkeit, Einsamkeit<br />
und einer unwürdigen Pflege eine große<br />
Rolle. Am meisten gefährdet ist dabei die<br />
Gruppe verwitweter Männer im Rentenalter.<br />
Die Deutsche Hospiz Stiftung hat anders<br />
als die Interessenverbände von Hospiz- und<br />
Palliativ-Leistungsanbietern – wenngleich<br />
wie diese unter strikter Ablehnung von Suizidbegleitung<br />
– eines richtig erkannt: Dass<br />
die vor gut einem Vierteljahrhundert entwickelten<br />
Konzepte zur Hospizversorgung unheilbar<br />
kranker Krebspatienten heute nicht<br />
mehr hinreichend sind. Denn sie blenden<br />
In zehn Jahren sind wir so weit ?!<br />
Autor dieses eindringlichen Plädoyers<br />
für den Alters-Freitod ist der Potsdamer<br />
Schriftsteller Martin Ahrends. Es wurde<br />
just am Weltsuizidpräventionstag von<br />
den Potsdamer Neueste Nachrichten<br />
(PNN) veröffentlicht. Darin schreibt er:<br />
„Nachdem ich bei voller Berufstätigkeit<br />
in zwei Ehen acht Kinder großgezogen<br />
und zuletzt sogar noch ein Haus gebaut<br />
habe, werde ich, vielleicht in zehn Jahren,<br />
lebenssatt und bereit sein, mich zur<br />
verdienten Ruhe zu begeben. Und dann<br />
will ich sterben, anstatt mich totpflegen<br />
zu lassen auf die jämmerliche Weise, wie<br />
es meinem Vater geschah. […] für mich<br />
selbst suche ich rechtzeitig nach einer<br />
besseren Lösung. Wenn meine Zeit gekommen<br />
ist, will ich mich nicht in die<br />
Obhut einer Gesellschaft fallen lassen,<br />
die schon jetzt bei der Altenpflege an ihre<br />
finanziellen und moralischen Grenzen<br />
gelangt und parallel dazu immer neue<br />
lebensverlängernde Mittel ersinnt […]<br />
Ich will mich nicht davonstehlen und<br />
einen wer weiß wie missratenen Suizid<br />
hinlegen, sondern ganz offiziell und mit<br />
dem Einverständnis aller […] Dann sollen<br />
sie mir Beifall zollen, und ich will es<br />
nicht missverstehen als Zeichen, dass sie<br />
mich nicht lieb haben, sondern recht<br />
verstehen als das Gegenteil. In zehn Jahren,<br />
hoffe ich, sind wir so weit.“<br />
Wie soll der HVD sich diesbezüglich<br />
positionieren? Selbstverständlich wird<br />
er dafür eintreten, dass sich alte Menschen<br />
sehr wohl „fallen lassen“ können<br />
in gesellschaftliche und menschliche<br />
Fürsorge und er wird mit seiner Praxis<br />
dazu beitragen, ihre Lebensqualität zu<br />
wahren. Es scheint eine schwierige Gradwanderung,<br />
gleichzeitig all jenen eine<br />
vernehmbare Stimme zu verleihen, die<br />
auf ein selbst bestimmtes Lebensende<br />
auch im Sinne eines möglichen Suizides<br />
– ggf. in ferner Zukunft – für sich selbst<br />
pochen. Wenn Sie als (Förder-)Mitglied<br />
unseres <strong>Verband</strong>es eine bestimmte Auffassung<br />
zu diesen Herausforderungen<br />
haben, können Sie diese bitte der Verfasserin<br />
dieses Beitrags mitteilen – gern<br />
auch schriftlich. Wir werden Sie dann<br />
persönlich ggf. zu einem kleinen Gruppentreffen<br />
einladen.<br />
das immer gravierender werdende Problem<br />
der chronisch pflegebedürftigen, alten und<br />
demenzkranken Menschen aus.<br />
Drei Tage zuvor, am 7. September lud<br />
die Brandenburgische Zentrale für politische<br />
Bildung zu der Veranstaltung Sterben<br />
in Würde ein. Auf dem Podium saßen drei<br />
Vertreter/-innen der Hospiz- und Palliativ-<br />
Verbände sowie ein ihnen sehr zu getaner<br />
Staatssekretär des Potsdamer Gesundheitsministeriums.<br />
Thematisch sollte es um<br />
die Umsetzung der Charta zur Betreuung<br />
schwerstkranker und sterbender Menschen<br />
(kurz: CHARTA) gehen. Im Veranstaltungstext<br />
wurde hervorgehoben: „Der demografische<br />
Alterungsprozess bringt große soziale,<br />
politisch-ökonomische, kulturelle und<br />
ethische Herausforderungen mit sich. […]<br />
Über Lebenslage und Versorgung schwerstkranker<br />
und sterbender Menschen (muss)<br />
neu nachgedacht werden.“ Der Veranstaltungstenor<br />
war dann auch einhellig beschönigend:<br />
Wie in der hospizlichen und<br />
ehrenamtlichen Sterbebegleitung schon<br />
so viel vorangebracht worden sei, bliebe<br />
jetzt noch weiteres in anderen Bereichen zu<br />
tun – nach dem gleichen Modell. Eben dies<br />
ist jedoch mehr als fragwürdig. Immerhin<br />
hat Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP)<br />
Eckpunkte für eine Pflegereform entwickelt,<br />
die Leistungsverbesserungen etwa für Demenzkranke<br />
vorschlägt und dabei private<br />
Vorsorge durch eine Pflegezusatzversicherung<br />
verlangt. Die CSU will einen anderen<br />
Weg einschlagen und setzt auf eine stärkere<br />
steuerliche Finanzierung der Leistungen für<br />
Demenzkranke zusammen mit denen für<br />
Behinderte. Querdenker wie der Buchautor<br />
und Humanist Dr. Michael de Ridder<br />
fordern einschneidende Strukturveränderungen<br />
und Prioritätenverschiebungen<br />
zu Lasten von Hightech-, Maximal- und<br />
Pharmako-Therapie. De Ridder sagte am<br />
13. September im Deutschlandradio Kultur:<br />
„Wir können heute sagen, wir haben zu<br />
viel beispielsweise inadäquate Inanspruchnahme<br />
von bildgebenden Verfahren. Wir<br />
haben im internationalen Vergleich gesehen<br />
zu viel Patienten, zu viele Ressourcen<br />
auf den Intensivstationen, wir haben im<br />
Pharmasektor unendliche Möglichkeiten<br />
zu sparen. Warum haben wir immer noch<br />
keine Positivliste?“<br />
Für die CHARTA steht gesellschaftspolitisch<br />
ein anderes Ziel im Vordergrund: Es müssten<br />
alle Anstrengungen unternommen werden,<br />
um „Bestrebungen […] der Beihilfe<br />
zum Suizid […] entgegenzuwirken“, heißt<br />
es dort an exponierten Stellen. Ihre Vertreter<br />
zeigten sich auf dem Potsdamer Podium<br />
teilweise entsetzt darüber, dass und<br />
wie sich in einem von der Landeszentrale<br />
für politische Bildung frei geschalteten Internetforum<br />
die Gegenstimmen zur CHARTA<br />
äußerten. In gut zwei dutzend durchweg<br />
kritischen Beiträgen wurde dort etwa die<br />
einseitige Besetzung des Podiums beklagt,<br />
die Ethik des Grundgesetzes angemahnt,<br />
der behauptete Konsens der CHARTA in<br />
Frage gestellt, der Diskurs auch mit humanistischen<br />
Organisationen gefordert. Die<br />
wohl durch soviel Kritik überraschten Veranstalter<br />
setzten dann ihrerseits den Zeitungsbeitrag<br />
Ich will sterben dürfen in ihr<br />
Forum ein.<br />
Die Beiträge dieser Seite stammen von<br />
Gita Neumann Tel. 030 613904-11<br />
Selbstbestimmt bis zum Schluss<br />
Rundbrief Oktober – November <strong>2011</strong>