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Wissenschaftliches Arbeiten - Doebler-online.de

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[Auf beson<strong>de</strong>rs unrühmliche Weise offenbart sich dies in <strong>de</strong>r Debatte<br />

um Intelligenztests. Hier reichen die Vorwürfe vom unverholenen<br />

Rassismus bis zur sarkastischen Feststellung, IQ-Tests<br />

sagten in <strong>de</strong>r Tat etwas aus: über die Fähigkeit nämlich, IQ-Tests<br />

zu absolvieren. (Vgl. U.Schiller: Hirnloses Ballern mit Statistik, in:<br />

Die Zeit vom 28.10.94)]<br />

An<strong>de</strong>rerseits gilt dieses Paradoxon unter seriösen Sozialwissenschaftlern<br />

als unproblematisch, solange eben diese Standortgebun<strong>de</strong>nheit<br />

(Positionalität) von Erkenntnis - entwe<strong>de</strong>r als <strong>de</strong>m<br />

vorwissenschaftlichen Ent<strong>de</strong>ckungszusammenhang zugehörig o<strong>de</strong>r<br />

als Bestandteil von Wissenschaftsdiskursen - ausgewiesen und reflektiert<br />

wird. Der Soziologe und Sozialphilosoph Jürgen Habermas<br />

spricht in diesem Kontext vom „erkenntnisleiten<strong>de</strong>n Interesse“<br />

und meint damit weitaus mehr, als nur die persönlichen Schrullen,<br />

die mich für das eine o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Thema begeistern: daß nämlich<br />

„<strong>de</strong>r von Subjekten veranstaltete Forschungsprozeß <strong>de</strong>m objektiven<br />

Zusammenhang, <strong>de</strong>r erkannt wer<strong>de</strong>n soll, durch die Akte <strong>de</strong>s<br />

Erkennens hindurch selber zugehört.“ (J.Habermas: Zur Logik <strong>de</strong>r<br />

Sozialwissenschaften, Frankfurt 1970, S.10)<br />

In aller Regel bleibt es hoch-spezialisierten Denkern vorbehalten,<br />

diesen Meta-Zusammenhang von wissenschaftlicher und gesellschaftlicher<br />

Entwicklung aufzuschlüsseln und im Tatsachenblick <strong>de</strong>s<br />

Forschers, in Theorien o<strong>de</strong>r ganzen Aussagensystemen <strong>de</strong>n jeweiligen<br />

Zeitgeist, d.h. Vorstellungen von <strong>de</strong>r Natur <strong>de</strong>s Menschen,<br />

<strong>de</strong>r Gesellschaft und ihrer Verän<strong>de</strong>rbarkeit aufzuspüren. Im Prinzip<br />

lassen sich dabei wenigstens drei wissenschaftstheoretische Positionen<br />

unterschei<strong>de</strong>n:<br />

m Erstens die <strong>de</strong>s »Kritischen Rationalismus«, die Wissenschaft<br />

als einen zwar von Irrtümern gesäumten, letztlich aber <strong>de</strong>duktiven,<br />

d.h. auf empirischen Aussagen über Gesetzmäßigkeiten<br />

(Hypothesen) <strong>de</strong>r jeweils untersuchten Realität aufbauen<strong>de</strong>n Prozeß<br />

<strong>de</strong>r Erkenntnisgewinnung begreift.<br />

m Unter <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>s »Paradigmenwechsels« hat Thomas<br />

S. Kuhn <strong>de</strong>mgegenüber die These entwickelt, daß Erkenntnisfortschritt<br />

sich nicht durch kontinuierliche Verän<strong>de</strong>rungen vollzieht,<br />

son<strong>de</strong>rn durch „wissenschaftliche Revolutionen“, in <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r<br />

Grundbestand an fachlich anerkannten Wirklichkeitszugängen bisweilen<br />

gründlich umgekrempelt wird.<br />

m Wer<strong>de</strong>n Hypothesen und Paradigmen noch durch die vorgängige<br />

Anerkennung eines zu lösen<strong>de</strong>n Problems verbun<strong>de</strong>n, so ist diese<br />

Außenorientierung in <strong>de</strong>r neueren systemtheoretischen Gesellschafts-<br />

und Wissenschaftstheorie suspendiert zugunsten von<br />

»Selbstreferenz«: „Alles, was man sieht, kann auch an<strong>de</strong>rs gesehen<br />

wer<strong>de</strong>n; alles, was ist, könnte auch an<strong>de</strong>rs sein... Je<strong>de</strong> Theorie<br />

fußt zirkulär auf exakt jenen Voraussetzungen, die sie sich selbst<br />

gibt. Sie sieht nur das, was sie selbst sich zu sehen zumutet.“ (Armin<br />

Nassehi: Differenz als Signum - Einheit als Horizont, in: SLR<br />

28 (1994), S.88f)<br />

Welcher Sichtweise auch immer wir zuneigen: Positionalität und<br />

Gegenwartsbezug sind in je<strong>de</strong>m Fall notwendige Bedingungen<br />

je<strong>de</strong>r Aussagenbildung! Sie erkenntnis- bzw. i<strong>de</strong>ologiekritisch zu<br />

reflektieren, ist für <strong>de</strong>n Sozialarbeiter von beson<strong>de</strong>rer Be<strong>de</strong>utung,<br />

da er - ganz an<strong>de</strong>rs als <strong>de</strong>r Sozialwissenschaftler - diese Theorien<br />

zur Lösung sozialer Probleme „anwen<strong>de</strong>n“ muß. Im Schatten <strong>de</strong>s<br />

Elfenbeinturms muß er im „Hier und Jetzt“ agieren, in einem diffusen<br />

Handlungsfeld, das sich allen theoretischen Annahmen zu entwin<strong>de</strong>n<br />

scheint, und das umso mehr Rätsel aufgibt, je tiefer er eindringt.<br />

Wie Sozialarbeiter in dieser Situation mit sozialwissenschaftlichem<br />

Wissen umgehen und wie <strong>de</strong>r sog. Transfer von Forschungsergebnissen<br />

in die soziale Praxis vor sich geht, ist eigentümlicherweise<br />

erst in Ansätzen - von <strong>de</strong>r sog. Verwendungsforschung - untersucht.<br />

Für uns bleibt festzuhalten, daß die für künftige Praxen erfor<strong>de</strong>rliche<br />

„Griffsicherheit“ (Norbert Preußer) gera<strong>de</strong> auch im wissenschaftlichen<br />

<strong>Arbeiten</strong> erworben wer<strong>de</strong>n kann:<br />

1. Erfor<strong>de</strong>rlich ist zunächst ein Abschied von <strong>de</strong>r Vorstellung, vorgefun<strong>de</strong>ne<br />

Situationen vollständig aufschlüsseln und damit beherrschen<br />

zu können. Rezeptwissen gibt es nicht. Und bei allen Bemühungen,<br />

mich dialogisch auf die „an<strong>de</strong>re Sicht <strong>de</strong>r Dinge“ o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re<br />

Wege <strong>de</strong>r Daseinsgestaltung einzulassen, bleibt immer ein<br />

Residuum an Unmittelbarkeit und Fremdheit, das eine Herausfor<strong>de</strong>rung<br />

darstellt für meine Fähigkeit zu Gelassenheit und Toleranz.<br />

2. Trauen Sie keiner Zahl, keiner wissenschaftlichen Aussage, keiner<br />

„Wahrheit“ (hinter je<strong>de</strong>r Zahl stehen zehn an<strong>de</strong>re, mit je<strong>de</strong>r wissenschaftlichen<br />

Aussage konkurrieren hun<strong>de</strong>rt weitere), aber bleiben<br />

Sie offen für Deutungsangebote und an<strong>de</strong>re Problemverständnisse.<br />

Sie erhöhen so Ihre Handlungskompetenz, d.h. die Fähig-<br />

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