PÄD... Kunst.pdf - Birgit Engel

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28.11.2014 Aufrufe

Einleitung Einleitung 6 den SchülerInnen in einen angenehmen Lebensraum umzugestalten. Sie beschreibt Ausschnitte aus dem Prozess und dabei ihr Bemühen, die SchülerInnen an den zu treffenden Entscheidungen zu beteiligen. Sichtbar werden in ihrem Bericht die Schwierigkeiten und Hürden in den festgefahrenen Bahnen der schulischen Institution neue Wege der partizipativen Gestaltung des schulischen Lernortes zu beschreiten. Dabei stellt sich die Künstlerin immer wieder die nicht leicht zu beantwortende Frage: Wie kann die Teilhabe der SchülerInnen an der Aneignung und Mitgestaltung ihrer schulischen Lebenssituation gelingen? Sie berichtet in ihrer Dokumentation anschaulich über Schwierigkeiten und Erfolge der praktischen Bewältigung dieses Problems. »Bildentwicklung – Jugend im Bild« Das Projekt der Bildenden Künstlerin Bärbel Kliche richtete sich an SchülerInnen, die für sich mit der Schule innerlich schon abgeschlossen und Erfahrungen mit schwierigen Lebenssituationen hatten und nun im Rahmen der Werk(statt)schule des BAJ e.V. Bielefeld die Chance erhielten, in den regulären Schulalltag, nach einem Jahr, zurückzukehren. Sehr konkret und sachbezogen, aber zugleich einfühlsam und sensibel schildert die Künstlerin eine von ihr gewählte Auswahl von Situationen, in denen sich Haltung und Motivation der SchülerInnen während des Projektverlaufs sukzessiv veränderten und auch, welch offensichtlich wichtige Bedeutung das Kunstprojekt für die sich langsam herausbildende positive Einstellung zur praktisch-künstlerischen Mitarbeit und in einigen Fällen auch zum Erwerb eines qualifizierten Bildungsabschlusses auf die Jugendlichen hatte. »Klangraum Aula« Die Bildende Künstlerin und Dipl. Ing. Petra Lorenz beschäftigte sich mit dem Phänomen von Schule als Klangraum. SchülerInnen lachen, rufen, kreischen in unterschiedlichsten Sprachen während der Pausensituation in der nicht gerade kleinen Schulaula der Gesamtschule Löhne. Schnell steigt der Lärmpegel an und wird durch den Widerhall in der Aula zusätzlich verstärkt. Lärmschutz in der Schule, bei Spitzenwerten um die 100 dB. Die Künstlerin hatte diesen Wert für Extremsituationen in der Aula ermittelt. Trotzdem konnte es nicht darum gehen, die vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten und die leibliche und stimmliche Vitalität der SchülerInnen zu sanktionieren. Petra Lorenz beschreibt in ihrer Dokumentation, wie sie zusammen mit den SchülerInnen neue Erfahrungen mit der Klangvielfalt des schulischen Lernraums macht, wie sie gemeinsam mit den SchülerInnen die Aula der Schule als Klangraum erforscht und wie sie die prekäre akustische und räumliche Situation dazu nutzt, um den Sinnen, dem Leib, insbesondere dem Hören einen Erfahrungsraum zu erschließen. »Spuren« ein interkulturelles KonzeptArt Projekt Die Bildende Künstlerin Katerina Mourati ist zusammen mit den SchülerInnen auf Spurensuche gegangen. Ihre Projektidee bestand darin, die private und schulische Lebenswelt nicht auszublenden, sondern zur Grundlage einer künstlerischen schulischen Installation zu machen. Dabei geht es um die großen Themen: Alltagsleben in der Schule, Freundschaft, andere Kulturen und die Liebe. Auch hier wird ein institutionell geprägter funktionaler Jahrgangsflur umgestaltet, diesmal mit dem Wagnis, ihn durch authentische Ausdrucksspuren der SchülerInnen, die ihn täglich benutzen, nicht nur zu einem wirtlicheren Lebensraum, sondern zu einem kommunikativen künstlerischen Medium umzugestalten. Die Künstlerin beschreibt eindrucksvoll Ausschnitte aus diesem Prozess, aber auch die Irritationen, die durch das erlaubte Hinterlassen von Spuren, wie das Bemalen und Beschreiben von Wänden und Bänken bei den schulischen Akteuren ausgelöst wurden. >Ist das Kunst?< ist eine zentrale Frage, die sich dabei den von den sichtbaren Veränderungen betroffenen schulischen Akteuren nach dem »verborgenen Sinn« dieser Aktivitäten stellt und dabei auch die Selbstverständlichkeit der gewohnten Ordnung relativiert. Gegen die mühsam durchzusetzenden schulischen Regeln verstoßen, darf man das im Rahmen der Freiheit der Kunst? »Perspektivwechsel I Vom Augen-Schein zum Körper-Sein« Für die Schauspielerin, Regisseurin und Theaterpädagogin Christine Ruis standen wiederum andere Ideen im Zentrum ihres Projektes. An der Bertolt- Brecht- Gesamtschule Löhne bildete sie interessierte SchülerInnen zu Stelzenläufern aus, die in ergebnisoffenen Performances in die Pausensituationen der Schule intervenierten. Bei dieser Arbeit entstanden elementare Fragen nach der Bedeutung von Vertrauen, Balance, Offenheit und Risikobereitschaft auch über das Theaterprojekt hinaus für das eigene Leben. Wie können wir miteinander und von einander lernen? Performance und Schauspiel zeigen sich dabei »als wirkliche Lebensprozesse«, denn es gibt kein »als ob«. Christine Ruis berichtet in ihrer Dokumentation über die konkrete Arbeit mit den Jugendlichen und auch über die organisatorischen Schwierigkeiten, ein solches Projekt an einer Schule durchzuführen, in der der Schulalltag allen Beteiligten kaum Zeit und Raum für Außergewöhnliches lässt. »Die Buchstabenkünstler« – abstrakte Sprache lebendig machen« Bei diesem Projekt, basierend auf der Geschichte »Der Buchstabenfresser« von Paul Maar, handelt es sich um ein Projekt zur Sprachförderung für Schülerinnen der zweiten Jahrgangsstufe. Das Gewohnte umkehren, einen Rahmen bieten, Neues ausprobieren, Defizite ausgleichen, auf diesem Weg eröffnete Christine Ruis allen Kindern eine Chance zur aktiven Beteiligung. Dieses Projekt ist ein gutes Beispiel für eine gelungene Kooperation zwischen Schule und Künstlerin. Während des Projektverlaufs wurde vieles anders gemacht, die gewohnte schulische Ordnung, wie der 45 Minuten Takt, sowie andere schulische Routinen gemeinsam mit den LehrerInnen aufgehoben. Die Dokumentation gibt zum einen konkrete Anregungen, wie künstlerische Projekte an Schulen erfolgreich umgesetzt werden können, zum andern werden die sich bietenden Chancen und Möglichkeiten deutlich und damit der Gewinn für alle Beteiligten. »Nicht vor allem durch die Künste, aber niemals ohne sie können wir die Gattungsarbeit leisten, künftige Lebensformen zu finden, zumal es an entscheidenden Punkten um Überlebenssicherung geht, die von den Folgen einer einseitig rationalistischen Aufklärung bedroht erscheint.« R. zur Lippe: Die utopische Kunst des Ortes, in: Sinnenbewusstsein, Reinbeck b. Hamburg 1987 Was passiert, wenn Künstlerinnen an die Schule kommen? Im allgemeinen Bewusstsein des Mangels am Bildungserfolg deutscher Schulen hat auch ästhetische Bildung zurzeit Konjunktur. Im Rahmen des Ausbaus der Ganztagsschule und im Blick auf die Defizite im Bereich kultureller und interkultureller Bildung wetteifern die Bundesländer um effektive Kooperationsmodelle mit KünstlerInnen. KünstlerInnen sollen nun in die Schulen hineintragen, was die Bildungspolitik in den vergangenen Jahren vernachlässigt hat 2 . In der Pressemitteilung der kulturpolitischen Gesellschaft heißt es: »Die Möglichkeiten kreativer Gestaltung, die ästhetische Erziehung vermitteln kann und die unmittelbar Auswirkungen haben auf Lernfähigkeit und Persönlichkeitsentwicklung, sind aus der bildungspolitischen Wahrnehmung verschwunden ... Diese Tendenz muss gestoppt werden. Vielmehr müssen Angebote aus den Kunstgattungen ... gerade im Interesse der Kinder und Jugendlichen nichtdeutscher Herkunft in Schule wie in Freizeit ausgebaut werden.« 3 Zurzeit werden von Schulen und KünstlerInnen erste Erfahrungen und Wissen in diesem sich weiter ausbauenden Kooperationszusammenhang gesammelt. Dabei haben die Schulen noch keine feste Struktur, noch keine Ordnung, in die die Künstlerinnen sich mit ihren Projekten einfach nur einzuordnen bräuchten. Meist muss für die Projekte der Rahmen noch völlig neu abgesteckt werden. So wichtig es einerseits erscheint, dass sich in den schulischen Ordnungen ein institutionalisierter Raum für diese außerschulischen Kooperationspartner bildet, so bedenkenswert erscheint uns zugleich die Gefahr einer Vereinnahmung und Neutralisierung des Potenzials der Differenz, das KünstlerInnen durch ihre Mitarbeit in der schulischen Institution erzeugen. KünstlerInnen sind keine LehrerInnen. ... Die KünstlerIn hat den Kindern und Jugendlichen gegenüber eine andere, neue Position. Sie tritt ihnen nicht als LehrerIn im Sinne einer »Vertreterin der Institution Schule« gegenüber. Das heißt, das pädagogisch-künstlerische Verhältnis und die künstlerisch-praktischen Vermittlungswege müssen erst noch gemeinsam mit den Kindern und 7

Einleitung Einleitung 8 Jugendlichen neu herausgefunden werden. Das ist, im Vergleich mit der Arbeit von Lehrerinnen und Lehrern, die ihre Arbeit in einem vorgegebenen curricularen und oft auch methodisch-didaktischen Rahmen bewältigen, in dem die Spielregeln für die Beteiligten (Leitungsorientierung, Klassen- und Vergleichsarbeiten, etc.) weitgehend abgeklärt sind, eine nicht ganz einfache Herausforderung, aber auch eine besondere Chance. Sie erhalten von den SchülerInnen meist zunächst einen gewissen Bonus, weil sie nicht zum alltäglichen Repertoire der Schule gehören. Die Kinder und Jugendlichen haben das Interesse und die natürliche Neugier, diese anderen Personen kennen zu lernen, mehr über ihren Beruf, ihr Können, ihre Arbeitsweise zu erfahren. Dabei geht es immer auch um die Frage, ob und worin sich die neue Person als Spezialistin zeigt, was man möglicherweise von ihr lernen kann und ob man sie ernstnehmen sollte. Auch die künstlerischen Medien wirken dabei inspirierend, der Einsatz der Sinne, die Praxis, die Möglichkeit den eigenen Körper aktiv ins Spiel zu bringen wecken Lebendigkeit und Engagement. Dennoch legen die SchülerInnen ihre erworbenen Einstellungen zum Lernort Schule nicht automatisch ab. Sie testen aus, wollen die Grenzen und Spielräume kennen lernen, die ihnen die KünstlerInnen setzen und die bei dieser Grenzziehung nicht auf das »bewährte Disziplinierungsrepertoire« der schulischen Akteure zurückgreifen können. Dem möglichen »Druck der Leistungsorientierung durch Notengebung« müssen, können und wollen sie – meist – ein anderes »Leistungsprinzip« entgegensetzen. Das Gelingen der gemeinsamen Arbeit erweist sich nicht nur in einer guten, fairen und offenen Kommunikation, sondern meist auch in einem für Andere sichtbaren Produkt. Dies weckt eine andere Ebene der Anstrengung. Ob sich etwas als tauglich erweist, wird nicht an der Abwesenheit von Fehlern gemessen, sondern eher an der Lebendigkeit, an der Präsenz, der Überzeugungskraft, mit der es gelingt, den Anderen etwas Eigenes mitzuteilen. Die Wirkung, die das eigene oder auch gemeinsame Produkt auf die Anderen, die LehrerInnen, die Eltern und möglicherweise eine weitere Öffentlichkeit ausübt, vermittelt die Erfahrung an einem öffentlichen Raum zu partizipieren, in ihm das Wort zu ergreifen und damit zur Gestaltung eines gemeinsamen Lebensraums beizutragen. Indem KünstlerInnen als nicht-schulische Akteure in der schulischen Ordnung künstlerisch-pädagogisch handeln, entsteht auf der Ebene der Leistungsorientierung und der Lernorganisation möglicherweise der Impuls, auch die schulischen Alltagsroutinen anders, neu zu denken. Künstlerisches Handeln in pädagogischen Situationen heißt, sich der jeweiligen schulischen Situation zu stellen, sich in ihr bewusst, aber erfahrungsoffen zu positionieren und beinhaltet die Herausforderung, immer wieder neue und andere Antworten auf eine bestimmte Lage, die Voraussetzungen und die Interessen der Kinder und Jugendlichen, die je spezifische Situation einer Schule zu finden. Die SchülerInnen ihrerseits reagieren und antworten auf das, was die KünstlerInnen mitbringen, ebenso wie diese auf das antworten, was von den Kindern und Jugendlichen kommt. KünsterInnen und Schüler- Innen handeln, antworten und gestalten gemeinsam und kreieren dabei eine sich herausbildende singuläre pädagogisch-künstlerische Situation. Eine so verstandene kulturpädagogische Ausrichtung erschöpft ihre Sinnhaftigkeit nicht in einer preisgünstigen kreativen Erweiterung des schulischen Angebots zur Ganztagsbetreuung und auch nicht darin, den öffentlichen Kultureinrichtungen mehr Publikum zuzuspielen. So verstandenes künstlerisches Handeln verweigert die Instrumentalisierung sowohl der eigenen Person als auch der Anderen und muss dabei doch – pädagogisch verantwortlich – die beteiligten Kinder und Jugendlichen in eine sich herstellende gemeinsame Ordnung führen. Diese lebendige Ordnung kann im besten Fall neue Ausdrucksspielräume ermöglichen, scheinbar Selbstverständliches in einem anderen Licht zeigen, den alten Sinn verweigern und zu neuen Sinnentdeckungen einladen. Differenzen, seien sie kultureller, geschlechts- oder auch generationenspezifischer Art erweisen sich im Rahmen der gemeinsamen Orientierung an einem künstlerischen Produkt nicht als Störung, sondern als Bereicherung. Schule und LehrerInnen könnten grundsätzlich von dem künstlerischen Potenzial lernen, eine solche prinzipielle Offenheit als besondere Art der Wahrnehmung in den Umgang mit pädagogischen Situationen einzubringen und dabei dem Ungeplanten, Anderen und Fremden zu begegnen. Dieses Gespür für Materialien, Orte und Menschen benötigt man prinzipiell in jeder gewöhnlichen Unterrichtsstunde, auch wenn dies von den Handlungsmustern der täglichen Routine oft überdeckt wird. Die schulische Ordnung, der Habitus und das Bewusstsein der schulischen Akteure aber stehen solchen künstlerischen Bildungsbemühungen häufig grundsätzlich noch skeptisch gegenüber oder sie relativieren die Relevanz der in solchen Arrangements möglichen Lernerfahrungen und Bildungsereignisse gegenüber der Ernsthaftigkeit der ihnen vertrauten formalisierten und curricular vorbestimmten Arbeitsweisen und Vermittlungsstrukturen. Aus dieser Tatsache ergibt sich eine besondere Vermittlungsaufgabe im Rahmen der gegenwärtigen künstlerisch-kulturellen Bildungsbemühungen. Vermittelt werden muss hier nicht nur auf einer organisatorisch-pragmatischen und strukturellen Ebene, sondern zwischen zwei grundsätzlich differenten kulturellen Praxen und Erfahrungsmustern. Wenn Künstlerinnen eine pädagogische Erfahrung in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen machen, dann reiht sie sich ein in die Kontinuität ihrer Geschichten und Erfahrungen als Ganzes. Die hier vorliegenden Erfahrungsberichte der Künstlerinnen aus ihrer pädagogischen Begegnung mit Kindern und Jugendlichen – insbesondere auch aus bildungsfernen Milieus – könnten einen kleinen Beitrag zu einer solchen Vermittlung leisten. 1 Engel, Birgit (Hg.), 2005 Schule als KunstOrt. Über den Beginn eines künstlerischen Schulentwicklungsprojekts an der Bertolt-Brecht-Gesamtschule, Löhne, Bielefeld 2 Vgl.: Engel, Birgit (2005): Schule als KunstOrt – Künstler antworten auf die ästhetische Bildungskrise in: AHAes: Die pädagogische Zeitschrift für die Allgemeinbildenden Höheren Schulen, Linz – Österreich – Nummer 15 2007 3 Pressemitteilung der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V. 2005; siehe: www.kupoge.de 9

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Jugendlichen neu herausgefunden werden. Das ist,<br />

im Vergleich mit der Arbeit von Lehrerinnen und<br />

Lehrern, die ihre Arbeit in einem vorgegebenen<br />

curricularen und oft auch methodisch-didaktischen<br />

Rahmen bewältigen, in dem die Spielregeln für die<br />

Beteiligten (Leitungsorientierung, Klassen- und<br />

Vergleichsarbeiten, etc.) weitgehend abgeklärt sind,<br />

eine nicht ganz einfache Herausforderung, aber<br />

auch eine besondere Chance. Sie erhalten von den<br />

SchülerInnen meist zunächst einen gewissen Bonus,<br />

weil sie nicht zum alltäglichen Repertoire der Schule<br />

gehören. Die Kinder und Jugendlichen haben das<br />

Interesse und die natürliche Neugier, diese anderen<br />

Personen kennen zu lernen, mehr über ihren Beruf,<br />

ihr Können, ihre Arbeitsweise zu erfahren. Dabei<br />

geht es immer auch um die Frage, ob und worin sich<br />

die neue Person als Spezialistin zeigt, was man<br />

möglicherweise von ihr lernen kann und ob man sie<br />

ernstnehmen sollte. Auch die künstlerischen Medien<br />

wirken dabei inspirierend, der Einsatz der Sinne, die<br />

Praxis, die Möglichkeit den eigenen Körper aktiv ins<br />

Spiel zu bringen wecken Lebendigkeit und<br />

Engagement.<br />

Dennoch legen die SchülerInnen ihre erworbenen<br />

Einstellungen zum Lernort Schule nicht automatisch<br />

ab. Sie testen aus, wollen die Grenzen und Spielräume<br />

kennen lernen, die ihnen die KünstlerInnen<br />

setzen und die bei dieser Grenzziehung nicht auf das<br />

»bewährte Disziplinierungsrepertoire« der schulischen<br />

Akteure zurückgreifen können. Dem möglichen<br />

»Druck der Leistungsorientierung durch<br />

Notengebung« müssen, können und wollen sie –<br />

meist – ein anderes »Leistungsprinzip« entgegensetzen.<br />

Das Gelingen der gemeinsamen Arbeit erweist<br />

sich nicht nur in einer guten, fairen und offenen<br />

Kommunikation, sondern meist auch in einem für<br />

Andere sichtbaren Produkt. Dies weckt eine andere<br />

Ebene der Anstrengung.<br />

Ob sich etwas als tauglich erweist,<br />

wird nicht an der Abwesenheit von Fehlern gemessen,<br />

sondern eher an der Lebendigkeit, an der<br />

Präsenz, der Überzeugungskraft, mit der es gelingt,<br />

den Anderen etwas Eigenes mitzuteilen. Die<br />

Wirkung, die das eigene oder auch gemeinsame<br />

Produkt auf die Anderen, die LehrerInnen, die<br />

Eltern und möglicherweise eine weitere Öffentlichkeit<br />

ausübt, vermittelt die Erfahrung an einem<br />

öffentlichen Raum zu partizipieren, in ihm das Wort<br />

zu ergreifen und damit zur Gestaltung eines<br />

gemeinsamen Lebensraums beizutragen.<br />

Indem KünstlerInnen als nicht-schulische Akteure in<br />

der schulischen Ordnung künstlerisch-pädagogisch<br />

handeln, entsteht auf der Ebene der Leistungsorientierung<br />

und der Lernorganisation möglicherweise<br />

der Impuls, auch die schulischen Alltagsroutinen<br />

anders, neu zu denken.<br />

Künstlerisches Handeln in pädagogischen<br />

Situationen heißt,<br />

sich der jeweiligen schulischen Situation zu stellen,<br />

sich in ihr bewusst, aber erfahrungsoffen zu positionieren<br />

und beinhaltet die Herausforderung, immer<br />

wieder neue und andere Antworten auf eine<br />

bestimmte Lage, die Voraussetzungen und die<br />

Interessen der Kinder und Jugendlichen, die je spezifische<br />

Situation einer Schule zu finden. Die<br />

SchülerInnen ihrerseits reagieren und antworten auf<br />

das, was die KünstlerInnen mitbringen, ebenso wie<br />

diese auf das antworten, was von den Kindern und<br />

Jugendlichen kommt. KünsterInnen und Schüler-<br />

Innen handeln, antworten und gestalten gemeinsam<br />

und kreieren dabei eine sich herausbildende<br />

singuläre pädagogisch-künstlerische Situation. Eine<br />

so verstandene kulturpädagogische Ausrichtung<br />

erschöpft ihre Sinnhaftigkeit nicht in einer preisgünstigen<br />

kreativen Erweiterung des schulischen<br />

Angebots zur Ganztagsbetreuung und auch nicht<br />

darin, den öffentlichen Kultureinrichtungen mehr<br />

Publikum zuzuspielen. So verstandenes künstlerisches<br />

Handeln verweigert die Instrumentalisierung<br />

sowohl der eigenen Person als auch der Anderen<br />

und muss dabei doch – pädagogisch verantwortlich –<br />

die beteiligten Kinder und Jugendlichen in eine sich<br />

herstellende gemeinsame Ordnung führen. Diese<br />

lebendige Ordnung kann im besten Fall neue<br />

Ausdrucksspielräume ermöglichen, scheinbar Selbstverständliches<br />

in einem anderen Licht zeigen, den<br />

alten Sinn verweigern und zu neuen Sinnentdeckungen<br />

einladen. Differenzen, seien sie kultureller,<br />

geschlechts- oder auch generationenspezifischer Art<br />

erweisen sich im Rahmen der gemeinsamen<br />

Orientierung an einem künstlerischen Produkt nicht<br />

als Störung, sondern als Bereicherung.<br />

Schule und LehrerInnen könnten grundsätzlich<br />

von dem künstlerischen Potenzial lernen,<br />

eine solche prinzipielle Offenheit als besondere Art<br />

der Wahrnehmung in den Umgang mit pädagogischen<br />

Situationen einzubringen und dabei dem<br />

Ungeplanten, Anderen und Fremden zu begegnen.<br />

Dieses Gespür für Materialien, Orte und Menschen<br />

benötigt man prinzipiell in jeder gewöhnlichen Unterrichtsstunde,<br />

auch wenn dies von den Handlungsmustern<br />

der täglichen Routine oft überdeckt wird.<br />

Die schulische Ordnung, der Habitus und das<br />

Bewusstsein der schulischen Akteure aber stehen<br />

solchen künstlerischen Bildungsbemühungen häufig<br />

grundsätzlich noch skeptisch gegenüber oder sie<br />

relativieren die Relevanz der in solchen Arrangements<br />

möglichen Lernerfahrungen und Bildungsereignisse<br />

gegenüber der Ernsthaftigkeit der ihnen vertrauten<br />

formalisierten und curricular vorbestimmten<br />

Arbeitsweisen und Vermittlungsstrukturen.<br />

Aus dieser Tatsache ergibt sich eine besondere<br />

Vermittlungsaufgabe im Rahmen der gegenwärtigen<br />

künstlerisch-kulturellen Bildungsbemühungen.<br />

Vermittelt werden muss hier nicht nur auf einer<br />

organisatorisch-pragmatischen und strukturellen<br />

Ebene, sondern zwischen zwei grundsätzlich differenten<br />

kulturellen Praxen und Erfahrungsmustern.<br />

Wenn Künstlerinnen eine pädagogische Erfahrung<br />

in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen<br />

machen, dann reiht sie sich ein in die Kontinuität<br />

ihrer Geschichten und Erfahrungen als Ganzes. Die<br />

hier vorliegenden Erfahrungsberichte der Künstlerinnen<br />

aus ihrer pädagogischen Begegnung mit<br />

Kindern und Jugendlichen – insbesondere auch aus<br />

bildungsfernen Milieus – könnten einen kleinen<br />

Beitrag zu einer solchen Vermittlung leisten.<br />

1 <strong>Engel</strong>, <strong>Birgit</strong> (Hg.), 2005 Schule als <strong>Kunst</strong>Ort. Über<br />

den Beginn eines künstlerischen Schulentwicklungsprojekts<br />

an der Bertolt-Brecht-Gesamtschule,<br />

Löhne, Bielefeld<br />

2 Vgl.: <strong>Engel</strong>, <strong>Birgit</strong> (2005): Schule als <strong>Kunst</strong>Ort –<br />

Künstler antworten auf die ästhetische Bildungskrise<br />

in: AHAes: Die pädagogische Zeitschrift für die<br />

Allgemeinbildenden Höheren Schulen, Linz – Österreich<br />

– Nummer 15 2007<br />

3 Pressemitteilung der Kulturpolitischen Gesellschaft<br />

e.V. 2005; siehe: www.kupoge.de<br />

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